Die Münchner Sicherheitskonferenz
Verantwortung für die Weltgemeinschaft ?
von Thomas Mohr
Ein ganzes Wochenende lang herrscht Ausnahmezustand in München: Teile der Innenstadt werden für die Öffentlichkeit gesperrt, Kanaldeckel zugeschweißt und Straßenbahnlinien umgeleitet. Auffällig viel Polizei ist zu sehen. Demonstrationen versuchen, Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ach so, wieder Sicherheitskonferenz“, grummeln die Einheimischen. Was hat es mit dieser Veranstaltung auf sich, die jedes Jahr im Februar so eine Unordnung in München verursacht? Kann sie zu einer friedlicheren und gerechteren Weltordnung beitragen?
Es ist unübersehbar: Die Weltgemeinschaft ist bisher nicht in der Lage, die Erde effektiv, fair und nachhaltig als gemeinsame Heimat der ganzen Menschheit zu organisieren. Wesentliche Aspekte dieses Versagens sind der riesige Abstand zwischen dem Reichtum weniger und der Armut vieler – nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern zunehmend auch innerhalb der einzelnen Länder –, die Ausbeutung endlicher Ressourcen für den kurzfristigen Nutzen eines kleineren Teils der Weltbevölkerung, die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, Militär und Krieg als Mittel der Politik, zunehmende Spannungen zwischen wichtigen Akteuren, mangelhaft entwickelte Strukturen einer fairen internationalen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung. Wie ist vor diesem Hintergrund die Münchner Sicherheitskonferenz einzuschätzen? Kann sie einen Beitrag leisten zu einer Politik, die ihre Verantwortung für die Weltgemeinschaft ernst nimmt? Oder versammeln sich dort, zugespitzt formuliert, Politiker*innen aus NATO- und EU-Staaten, um zu klären, wie sie sich und den Wohlstand ihrer Geldgeber möglichst effektiv vor dem Rest der Welt schützen?
Die Münchner Sicherheitskonferenz (Munich Security Conference, MSC) wurde 1963 von Ewald von Kleist als »Internationale Wehrkunde-Begegnung« gegründet und war im Kalten Krieg ein Ort der transatlantischen Meinungsbildung. Unter dem Kleist-Nachfolger Horst Teltschik (ab 1999) nahmen erstmals auch Nicht-NATO-Staaten an der Konferenz teil. Seit 2009 ist Wolfgang Ischinger, zuvor u.a. Staatssekretär im Außenamt und Diplomat, Leiter der MSC. Auf ihrer Internetseite wird die Konferenz heute folgendermaßen vorgestellt: „Im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte hat sich die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) zum zentralen globalen Forum für die Debatte sicherheitspolitischer Themen entwickelt. Jedes Jahr im Februar kommen über 450 hochrangige Entscheidungsträger aus aller Welt zusammen, um über aktuelle und zukünftige sicherheitspolitische Herausforderungen zu diskutieren. Dazu zählen Staats- und Regierungschefs, Minister, führende Persönlichkeiten aus internationalen und nichtstaatlichen Organisationen sowie hochrangige Vertreter aus Industrie, Medien, Forschung und Zivilgesellschaft. […] Alle Aktivitäten sind darauf ausgerichtet, bestmögliche Plattformen für einen freimütigen und offenen Meinungs- und Ideenaustausch zu bieten.“ 1
Ganz anders schätzt das » Aktionsbündnis gegen die ‚NATO-Sicherheitskonferenz’«2 dies ein, das der von ihr als »NATO-Kriegstagung« titulierten Veranstaltung Kriegstreiberei vorwirft, am Konferenzsamstag gegen sie demonstriert und auch schon dazu aufrief, die Konferenz zu umzingeln oder sie zu verhindern. Seit 2003 führt ein weiterer Trägerkreis jeweils am Wochenende der MSC die »Internationale Münchner Friedenskonferenz« durch, eine Informations- und Bildungsveranstaltung zu friedenspolitischen Themen, die sich als inhaltliche Alternative zur MSC versteht.3 Einen dritten Weg schlug die Projektgruppe »Münchner Sicherheitskonferenz verändern« (MSKv)4 ein. Bereits vor zehn Jahren suchte diese kleine Gruppe den Dialog mit den Verantwortlichen der Sicherheitskonferenz. Aus ihren Gesprächen mit Konferenzleiter Ischinger ergab sich 2009 die Möglichkeit, eine*n – inzwischen zwei – zivilgesellschaftliche Beobachter*innen zur MSC zu entsenden. An der Sicherheitskonferenz nehmen neben den über 300 offiziellen Teilnehmer*innen auch gut 150 so genannte Beobachter*innen teil. Seit 2015 bietet die Projektgruppe unter Federführung des Forum Ziviler Friedensdienst (forumZFD) auf der MSC auch selbst ein thematisches »Side Event« an. Die Vision der Projektgruppe ist eine »Münchner Konferenz für Friedenspolitik«, ein Forum für faire globale Zusammenarbeit, von dem Initiativen für eine gerechte, ökologische und gewaltfreie Weltinnenpolitik ausgehen.
Welche Interessen verfolgt die Sicherheitskonferenz?
An der Behauptung, die MSC sei – so ihr Pressesprecher Rolofs5 – eine „neutrale Plattform für einen unabhängigen Gedankenaustausch zu aktuellen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik“, „absolut regierungs- und parteiunabhängig“ und verfolge „keine eigenen“ politischen Interessen, sind Zweifel durchaus angebracht. Diese beginnen bei der Finanzierung der Konferenz und damit der Regierungsunabhängigkeit. Neben direkten, nicht in Rechnung gestellten Unterstützungsleistungen der Bundeswehr (beispielweise den Schutz der Veranstaltung und des Veranstaltungsorts »Bayerischer Hof«) werden der MSC über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Mittel für „sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit“ aus einem Etat des Verteidigungsministeriums zur Verfügung gestellt. Dafür standen laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Jahr 2015 ca. 500.000 Euro zur Verfügung; diese Summe habe ca. 30 % der Gesamtkosten der Veranstaltung abgedeckt.6 Begründet wird diese Unterstützung damit, dass „die Durchführung der Münchner Sicherheitskonferenz im besonderen Interesse der Bundesregierung“ liege. Sie erlaube es der Bundesregierung, einem großen Kreis bedeutender Entscheidungsträger anderer Staaten und Regionen ihre Position zu ausgewählten Einzelthemen darzustellen. Eines der Themen scheint die »neue deutsche Verantwortung« zu sein, die Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen den Konferenzteilnehmer*innen und der Öffentlichkeit 2014 unisono zu erläutern suchten.
Auch die Behauptung, die MSC verfolge keine eigenen politischen Interessen, sondern wolle nur Plattform sein, kann nicht überzeugen. Seit Ischinger von der Bundesregierung mit der Leitung der MSC beauftragt wurde, nutzt er seine Position, um in den Medien, die ihn häufig als Sicherheitsexperte anfragen, seine politische Meinung zu verbreiten. Ein besonderes Anliegen scheint ihm zu sein, bei der deutschen Bevölkerung für Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr zu werben. So forderte er unmissverständlich: „Deutschland muss seinen Nachkriegspazifismus vollends überwinden.“ 7 Es ist kaum anzunehmen, dass die politischen Präferenzen ihres Leiters nicht auch Programm und Außenwirkung der Sicherheitskonferenz selbst prägen.
Die Sicherheitskonferenz öffnet sich (ein wenig)
Die weitaus meisten Teilnehmer*innen der MSC kommen zwar weiterhin aus Staaten der NATO, der EU bzw. anderer Verbündeter des Westens, die Einbeziehung von Ländern wie Russland, Iran oder auch China ist aber durchaus bemerkenswert.
So bot die MSC iranischen Politikern immer wieder die Möglichkeit, ihre Position im langjährigen Atomkonflikt mit dem Westen ausführlich darzustellen. Der iranische Parlamentspräsident Laridschani nutzte seinen Auftritt bei der MSC 2009 darüber hinaus für eine deutliche Kritik an der Politik des Westens und hielt dabei anklagend zwei Fotos von Opfern des israelischen Phosphoreinsatzes im Gazastreifen hoch. Konstruktiv ging es beim Meinungsaustausch allerdings selten zu. 2006 z.B. beantwortete die neue Bundeskanzlerin Merkel eine Zwischenfrage des iranischen Vize-Außenministers Araghchi ziemlich barsch und von oben herab. 2010 quälte der iranische Außenminister Mottaki bei seinem kurzfristig anberaumten Auftritt die Zuhörer*innen zu später Stunde mit langatmigen Ausführungen, ohne – wie eigentlich erhofft – die iranischen Vorschläge für eine Lösung des Atomstreits zu präzisieren. Immerhin wurde mit dem Iran so zumindest ein Gesprächskontakt aufrecht erhalten. Die in den letzten Jahren eingeführten Liveübertragungen der Plenarsitzungen der MSC boten der Öffentlichkeit außerdem die Möglichkeit, die iranische Position einmal in voller Länge zu hören. Und vielleicht wurde in den Hinterzimmern ja konstruktiver miteinander gesprochen? Auf Basis ihrer langjährigen Gesprächskontakte mit iranischen Regierungsvertretern nutzte die MSC jedenfalls im Oktober 2015 nach dem Wiener Abkommen zum iranischen Atomprogramm das Tauwetter, um in Teheran ein »Core Group Meeting«8 zu veranstalten, an dem u.a. der iranische und der deutsche Außenminister teilnahmen.
Auch regionale Konflikte, wie z.B. zwischen Mazedonien und Griechenland oder zwischen Serbien und Kosovo, stehen ab und zu auf der Tagesordnung. Dies gilt auch für den Nahost-Konflikt. Und während Ischinger noch 2010 auf die Frage des Bayernkuriers, ob die Konferenz „zum globalen Sicherheitsforum“ werde, antwortete: „Wir können nicht in zwei Tagen die ganze Welt abhandeln. Wir wollen den zentralen Fokus der Konferenz dort halten, wo auch die Wurzeln dieser Konferenz liegen: bei transatlantischen und europäischen Sicherheitsfragen“,9 gab es 2013 im Hauptprogramm dann doch ein Podium mit den »aufstrebenden Mächten«, wodurch die wachsende Bedeutung von China, Singapur, Indien und Brasilien gewürdigt wurde.
»Towards Mutual Security« lautet der Titel einer 2014 von der MSC zur 50. Sicherheitskonferenz veröffentlichten umfangreichen Festschrift. Doch anders als die NATO stehen die Vereinten Nationen und die OSZE, also inklusive Organisationen gemeinsamer Sicherheit, die ihre Existenzberechtigung nicht bestimmten »äußeren Feinden« verdanken, kaum im Blickfeld der Konferenz. 2009, bei der ersten Konferenz, die Ischinger als neuer Leiter verantwortete, spielten die Vereinten Nationen z.B. überhaupt keine Rolle. 2010 wurde dieses Manko mit einer persönlichen Videobotschaft des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zumindest etwas korrigiert, 2011 war er dann persönlich Gast der Konferenz.
Seit der Ukraine-Krise hat die OSZE, die lange Zeit – auch finanziell – klein gehalten worden war, als Organisation, in der nicht nur der Westen, sondern auch Russland Mitglied ist, in der internationalen Politik wieder neu Beachtung gefunden, was auch bei der MSC Widerhall fand. Ischinger wurde von der OSZE zum Leiter einer Kommission ernannt, die sich über »Europäische Sicherheit als Gemeinschaftsaufgabe« Gedanken machen sollte. Und bei der MSC 2015 wurde die OSZE durch die Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises der Sicherheitskonferenz besonders gewürdigt. Die Laudatio hielt der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, der auf der Konferenz auch einige kurzfristig umsetzbare Reformvorschläge für die Vereinten Nationen vorstellte.10 Trotzdem: Vereinte Nationen und OSZE sind weiterhin nur Randthemen auf der MSC.
Die MSC wagte außerdem eine Öffnung nach außen. Noch unter der Leitung von Horst Teltschiks wurde 2007 Kenneth Roth von Human Rights Watch als erster und einziger Vertreter einer Nichtregierungsorganisation zur Konferenz zugelassen. 2012 wurde mit dem Auftritt von Kumi Naidoo, dem internationalen Greenpeace-Chef, ein neuer Akzent auf dem Podium der MSC gesetzt: „Allein Kumi Naidoo sprach sowohl die Bedrohungen für die Umwelt durch ungebremsten Energiekonsum an als auch die bereits stattfindenden verheerenden Folgen für die Menschen in den armen Ländern Afrikas und Asiens“, so die MSKv-Konferenzbeobachterin Renate Grasse.11 Sie hatte allerdings den Eindruck, dass sein Beitrag ein weithin unverstandener Fremdkörper im Konferenzgeschehen blieb.
Die Sicherheitskonferenz und Russland
Seit Jahren nimmt auch eine russische Delegation an der MSC teil. Offen bleibt, ob dies als Chance zu einem echten Dialog genutzt wird. So berichtete 2011 die MSKv-Beobachterin Grasse: „Die russischen Delegationsmitglieder waren »die anderen«. Die Begrüßung war förmlicher, die Diskussionsbeiträge schärfer und konfrontativer.“ 12
Russische Vertreter hatten bereits 1999 bei ihrer ersten Teilnahme an der MSC vor einer Osterweiterung der NATO und insbesondere vor einer Aufnahme der baltischen Staaten gewarnt. „Wenn die NATO diese rote Linie überschreitet“, so der stellvertretende Außenminister Jewgeni Gussarow, „dann verändert sich unser Verhältnis zur NATO grundsätzlich, dann ist das Potential für eine Zusammenarbeit nicht mehr vorhanden“.13 In seiner Rede auf der MSC 2007 wurde der russische Präsident Putin noch deutlicher: „Die USA hat ihre Grenzen in fast allen Bereichen überschritten. Wem soll das gefallen?“ 14 Er erinnerte an die einstige Zusicherung der NATO, keine Truppen in Ostdeutschland zu stationieren, und warnte ausdrücklich davor, ein weiteres Festhalten an der NATO-Osterweiterung würde das gegenseitige Vertrauen gefährden. „Man will uns neue Trennlinien und Mauern aufzwingen, die abermals den Kontinent zerschneiden.“ 15
Ähnlich deutlich äußerte sich der russische Politiker Kosachev bei der MSC 2010: Die NATO wolle zwar global handeln, vertrete aber nur die Interessen ihrer Mitgliedsstaaten und könne die OSZE und die Vereinten Nationen als Institutionen gemeinsamer Sicherheit keinesfalls ersetzen. Auch sei unklar, ob sich die NATO in Zukunft – anders als 1999 im Fall Kosovo – an UN-Mandate halten wolle. Ischinger hingegen benennt in seiner Festrede bei einer großen deutsch-russischen Dialogveranstaltung im Oktober 2015 als „eigentlichen Kern unserer Beziehungskrise“ nicht das Agieren des Westens, sondern die einseitige militärische Sicherheitsstrategie Russlands. Moskau habe „nicht aufgehört, seine eigene Sicherheit so zu definieren, dass sie fast zwangsläufig der Unsicherheit der Nachbarn Russlands bedarf“.16
Bei der MSC 2016 beschwor der russische Ministerpräsident Medwedew gar die Gefahr eines neuen Kalten Krieges. Ruth Aigner, zum zweiten Mal für MSKv dabei, beobachtete: „Noch mehr als 2015 hinterlassen die Eindrücke auf der MSC 2016 einen tiefen Zweifel an der zerrütteten Art des Umgangs unter den »Supermächten«. Wo läge ein Ansatzpunkt in der kontinuierlichen Dämonisierung durch amerikanische Redner? Wem dient die misstrauische Zuspitzung von Äußerungen russischer Vertreter durch deutsche Medien, wenn diese sogar von Außenminister Steinmeier auf offener Bühne beanstandet wird? Viel Pessimismus, Spekulationen und Unterstellungen drängten sich durch die Räume des Bayerischen Hofs.“ 17
Friedens- statt Sicherheitskonferenz!
Mona-Géraldine Hawari, 2016 ebenfalls für MSKv bei der MSC, berichtete: „Die Münchner Sicherheitskonferenz befasste sich einmal mehr mit der Frage nach Zustand, Entwicklung und Perspektiven der internationalen Ordnung. Nun stellt sich der kritischen Beobachterin die Frage, ob es mit Blick in die Zukunft überhaupt legitim und vernünftig ist, diese alte Ordnung als gute Ordnung erhalten zu wollen. Auf der MSC 2016 wollte man dies jedenfalls ganz entschieden und ließ dabei beiseite, dass die die Konferenz dominierenden Ordnungsvorstellungen überwiegend als paternalistisch, eurozentristisch und bisweilen auch hegemonial zu bezeichnen sind.“ 18
Die Münchner Sicherheitskonferenz ist also beides: Medienspektakel mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit, bei dem die Spannungen der in ternationalen Politik auf offener Bühne dargestellt werden, ebenso wie eine informelle Begegnungsmöglichkeit, die – je nachdem – für Rüstungsgeschäfte oder für friedensfördernde Dialoge genutzt werden kann. Durch verschiedenartigste Parallelveranstaltungen, die sich teilweise nur an handverlesene Gäste richten, wurde das Programm in den letzten zwei, drei Jahren allerdings deutlich vielfältiger. Die Ausrichter dieser Zusatzangebote reichen von der US-Rüstungsfirma Raytheon bis zur Deutschen Gesellschaft für international Zusammenarbeit (GIZ). Auf diesem Weg können sogar Themen der Friedens- und Entwicklungspolitik Eingang finden, aber eben nur auf Nebenschauplätzen. Konferenzbeobachterin Hawari richtet deshalb folgende Fragen an den MSC-Planungsstab: „Warum wagen Sie nicht mehr Kursänderungen in Programm und Ablauf, warum nicht mehr Vertreter*innen internationaler Organisationen, warum nicht weniger Bühne und mehr Konferenz, warum Reproduktion der Verhältnisse statt neuem Input?“ 19
Zu einem Deutschland, das sich seiner historischen Friedensverantwortung bewusst ist, würde eine andere internationale Konferenz besser passen: eine Tagung, die sich – statt wie bisher an der »Sicherheitslogik« – an einer »Friedenslogik« (Hanne-Margret Birckenbach) orientiert. So eine Konferenz könnte ein Ort sein, wo Deutschland sich jedes Jahr neu den folgenden Fragen stellt: Wer sind die Anderen, vor denen wir Angst haben? Was tragen wir selbst zur momentanen Konfliktkonstellation bei? Und wer sind die Anderen, die vor uns Angst haben bzw. denen unsere Politik Leiden zufügt? Dann könnte mit genau diesen (verschiedenen) Anderen der Kontakt gesucht und der Dialog ermöglicht werden. Wie wäre es, wenn die Sicherheitskonferenz anstatt zur Verfestigung einer vermeintlichen Weltordnung konsequent als Dialogveranstaltung zum Abbau von Feindbildern gestaltet würde? Nicht nur bei Themen wie Russland, Ukraine, Syrien, Iran oder sogar islamischem Fundamentalismus gäbe es da einiges zu tun.
Anmerkungen
1) Munich Security Conference: Über die MSC; securityconference.de.
2) sicherheitskonferenz.de.
3) www.friedenskonferenz.info.
4) mskveraendern.de.
5) Marvin Oppong (2016): Ausverkauf des Journalismus? Medienverlage und Lobbyorganisationen als Kooperationspartner. Frankfurt am Main: Otto Brenner Stiftung, S. 56.
6) Laut stellvertretendem Konferenzleiter Benedikt Franke (MSKv-Veranstaltung 24.2.2016) beträgt der Anteil der Bundesregierung am Budget allerdings nur noch zehn Prozent, da die Zuschüsse von Sponsoren steigen. Hier sind vor allem Linde, Allianz, BMW, Kraus-Maffei-Wegmann, Socar, Telekom sowie weitere internationale Wirtschafts- und Rüstungsunternehmen zu nennen (securityconference.de/ueber-uns/unterstuetzer/). Unter Ischinger wurde die Sicherheitskonferenz in eine Stiftung (gemeinnützige GmbH) überführt. Das verstärkte Engagement von Sponsoren sowie die neue Rechtsform deuten auf eine größere Eigenständigkeit der MSC gegenüber der Bundesregierung hin, möglicherweise allerdings um den Preis, nun vermehrt die Interessen der Sponsoren berücksichtigen zu müssen.
7) Text von Wolfgang Ischinger und Gérard Errera, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung vom 3.4.2014; zit. nach: MSC: Monthly Mind April 2014, »Fremde Freunde«; securityconference.de.
8) Unter Konferenzleiter Ischinger hat die MSC ihre Aktivitäten um weitere Veranstaltungsformate außerhalb Münchens erweitert, z.B. Core Group Meetings, European Defence Roundtables, Cyber Security Summits. Mit diesen über das Jahr verteilten Veranstaltungen wurden Themenspektrum und Relevanz der MSC erweitert.
9) „In der Außenpolitik muss man immer Optimist sein.“ 46. Münchner Sicherheitskonferenz: Gelegenheit zum Meinungsaustausch auch hinter dem Vorhang – Interview von Heinrich Maetzke mit Wolfgang Ischinger. Bayernkurier, 6.2.2010, S. 5.
10) Die Reformvorschlage stammen von der unabhängigen Gruppe einflussreicher Führungspersönlichkeiten »The Elders«: Strengthening the United Nations – Statement by the Elders, 7 February 2015; theelderts.org.
11) Renate Grasse: Als Beobachterin bei der 48. Münchner Sicherheitskonferenz 2012 – Bericht aus einer fremden Welt. Projektzeitung »gewaltfrei MSK verändern«, Nr. 8, Februar 2013, S. 2.
12) Renate Grasse: Als Beobachterin bei der Sicherheitskonferenz 2011. Projektzeitung »gewaltfrei MSK verändern«, Nr. 7, Februar 2011, S. 2.
13) Lorenz Hemicker: Münchner Momente 1999 – Russland warnt die NATO; securityconference.de.
14) Oliver Rolofs: Münchner Momente 2007 – Ein Hauch von Kalter Krieg; securityconference.de.
15) Ibid.
16) Petersburger Dialog 2015, Potsdam: Vortrag von Botschafter Wolfgang Ischinger bei der Eröffnungssitzung am 22. Oktober 2015; petersburger-dialog.de.
17) Eindrücke vom Sicherheitskonferenz-Wochenende. MSKv Denk-Mail Nr. 13, 15.2.2016.
18) Ibid.
19) Thomas Mohr: Die Münchner Sicherheitskonferenz 2016 – von außen und von innen. FriedensForum, Heft 3/2016, S. 7.
Dr. phil. Thomas Mohr, Diplom-Psychologe, Psychoanalytiker ist Vorsitzender der Projektgruppe »Münchner Sicherheitskonferenz verändern« e.V. und nahm seit 2009 viermal als Beobachter an der Münchner Sicherheitskonferenz teil.