W&F 2011/4

Die neue Landnahme

von Bentje Woitschach

43 der 53 afrikanischen Länder sind abhängig von Nahrungsmittelimporten. Ausgerechnet in diesen Ländern werden jedoch die besten Ackerflächen verkauft. Landgrabbing, der Kauf oder die langfristige Verpachtung von riesigen Agrarflächen an ausländische Interessenten, hat in den letzten Jahren enorme Ausmaße angenommen. Kritiker sprechen bereits von einer neuen Form des Kolonialismus. Die Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit der einheimischen Bevölkerung sind fatal.

Die Ressource Land war noch nie so umkämpft wie heute. Die Weltbank schätzt, dass allein in den Jahren 2008 und 2009 46 Millionen Hektar Nutzfläche ihren Besitzer gewechselt haben oder derzeit verhandelt werden. Dies entspricht der Fläche Schwedens. Meist sind es ausländische Regierungen und Unternehmen, die in Afrika, Asien und Südamerika fruchtbares Ackerland erwerben.

Diese neue Jagd auf Land hat viele Gründe:

Die globale Nachfrage nach Nahrungsmitteln steigt, nicht zuletzt durch ein immenses Bevölkerungswachstum in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern.

Fruchtbares Acker- und Weideland steht nur begrenzt zur Verfügung; eine extensive Ausdehnung zu Lasten der Urwälder und bisher unbearbeiteter Böden ist aus ökologischen Gründen nicht vertretbar.

Die Produktivität der vorhandenen Böden hat sich vielfach durch Misswirtschaft, Bodenerosion und Wüstenbildung verringert. Ernteausfälle infolge der klimatischen Veränderungen kommen hinzu.

Fruchtbare Böden werden verstärkt für den Anbau von Futtermitteln und Energiepflanzen zur Produktion von Agrartreibstoffen genutzt.

Ein verknapptes Angebot an Nahrungsmitteln bei zunehmender globaler Nachfrage führt dazu, dass der Preis erheblich steigt. Diese Situation hat in den letzten Jahren verstärkt Spekulanten auf den Plan gerufen, für die Nahrungsmittel und Land die Spekulationsobjekte der Zukunft sind. Nicht zuletzt durch ihr Treiben sind die Preise für Nahrungsmittel stetig angestiegen. Für Menschen in Entwicklungsländern, die 60-80% ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, hat dies verheerende Auswirkungen.

Lukrative Landgeschäfte

Fruchtbares Ackerland im Ausland erwerben besonders Staaten, die selbst nur über wenig Boden- und Wasserressourcen verfügen. Länder wie China, Indien und Saudi-Arabien kaufen oder pachten große Flächen vornehmlich in Schwellen- und Entwicklungsländern mit hoher Landverfügbarkeit und schwacher Bodenregulierung. Ihr vordergründiges Interesse ist es, die Ernährungssicherung ihrer eigenen Bevölkerung durch den Anbau von Lebensmitteln im Ausland sicher zu stellen. So unterstützte die Regierung Saudi-Arabiens im Rahmen der »Initiative für saudische Agrarinvestitionen in Übersee« saudische Unternehmen großzügig mit Kapital, um im Nordsudan Weizen und Mais anzubauen. Chinesische Staatsunternehmen haben in Brasilien große Flächen zum Anbau von Soja und Mais gepachtet; die China Development Bank stellte einen Großteil des benötigten Kapitals zur Verfügung. Auch in den von der gegenwärtigen Hungerkatastrophe am meisten betroffenen Ländern wie Somalia und Äthiopien sind fruchtbare Ackerböden verkauft und verpachtet worden. Auch wenn die dortige Ernährungskrise vielfältige Ursachen hat: Der Ausverkauf von Nutzflächen und der Export von Nahrungsmitteln aus Hungergebieten verschärft die Situation in diesen Ländern massiv.

Neben den Regierungen sind es vor allem private Investoren aus unterschiedlichsten Ländern wie Singapur, Brasilien und Westeuropa, auf die ein Großteil der gegenwärtigen Landgeschäfte entfällt. Sogar afrikanische Unternehmen erwerben zunehmend Nutzflächen in ihren eigenen Ländern. All diese Investoren haben weniger die Versorgung der eigenen Bevölkerung im Blick, als vielmehr die Profite im Agrarsektor. Durch die derzeitigen Höchstpreise für Nahrungsmittel und die gleichzeitig global steigende Nachfrage verspricht der Agrarsektor hohe Gewinne. Dies haben auch Investmentfonds aus Europa und Nordamerika erkannt, die in den vergangenen Jahren verstärkt in Land und Ackerbau investiert haben; ihren Anlegern versprechen sie nicht selten Renditen von 15-25%. Kapital fließt jedoch nicht nur in die Produktion von Nahrungsmitteln: Ein Drittel der verkauften Fläche dient dem Anbau von Energiepflanzen, aus denen Biosprit hergestellt wird. Die Produktivität der Ackerflächen soll durch Hochleistungssamen, chemischen Dünger und intensive Bewässerung optimiert werden. Die so bearbeiteten Böden sind nach wenigen Jahren ausgelaugt, die Wasserreserven erschöpft. Viele Investoren wenden sich dann anderen Anbauflächen zu und hinterlassen der einheimischen Bevölkerung Brachland.

Verheerende Folgen des Landgrabbing

Doch nicht nur Umweltzerstörungen sind die Folge. Die verkauften oder verpachteten Flächen sind in der Regel kein »leeres«, ungenutztes oder unbewohntes Land, wie dies vielfach behauptet wird. Vielmehr leben dort Menschen, die Felder bewirtschaften oder Vieh züchten. Sie verlieren das Land, das sie seit Jahrzehnten nutzten und das ihre alleinige Lebensgrundlage ist. Zahlreiche Fälle von brutalen Vertreibungen ohne jegliche Vorwarnung und Entschädigung sind dokumentiert. Auch einheimische Regierungen, die ein großes Interesse an ausländischem Kapital haben, mischen kräftig mit: Durch Steuer- und Zollfreiheit sowie den Verzicht auf Pachtgebühren locken sie ausländische Investoren an. Unklare und häufig nicht verbriefte Eigentumsrechte in afrikanischen Ländern erleichtern es diesen Regierungen, bewohntes Land kurzerhand in Staatsland umzudeklarieren und an ausländische Unternehmen zu vergeben. Die abgeschlossenen Landdeals sind fast immer intransparent, Pachtverträge haben kaum vorstellbare Laufzeiten von 99 Jahren und werden ohne Beteiligung der betroffenen Gemeinden abgeschlossen.

Die Investoren versprechen, in den neu entstehenden Agrarbetrieben einheimische Arbeitskräfte zu guten Löhnen anzustellen, Umweltstandards einzuhalten und die Infrastruktur der Region durch den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern zu verbessern. Doch dies sind häufig nur Lippenbekenntnisse. Nicht selten enden die vorherigen Landbesitzer als Hilfsarbeiter auf einem Acker, der ihnen vorher selbst gehörte, und das zu einem Hungerlohn, von dem sie kaum leben können.

Die Auswirkungen dieser Landnahmen sind besonders fatal, weil sie hauptsächlich Menschen in ländlichen Gebieten treffen. Die dort lebenden Kleinbauern, Nomaden, Landlose und Indigene machen bereits heute Dreiviertel der knapp eine Milliarde weltweit Hungernden aus. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft der bedeutendste Sektor in den agrarisch geprägten afrikanischen Staaten: Rund 80% der Bevölkerung in Entwicklungsländern leben davon. Nahrungsmittel werden vor allem von Kleinbauern angebaut, die in ländlichen Gebieten über geringe Anbauflächen verfügen. Sie sind es, die das Rückgrat der Ernährungssicherung bilden. Die Enteignung dieser Kleinbauern durch Landgrabbing trifft daher viele Länder an ihrem wundesten Punkt.

Förderung der Landwirtschaft vor Ort

Zweifellos sind Investitionen in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer dringend erforderlich. Die Förderung des Agrarsektors ist trotz seines großen Anteils am Bruttoinlandsprodukt vieler dieser Staaten massiv vernachlässigt worden, und dies sowohl von den jeweiligen Regierungen selbst als auch von internationalen Entwicklungsorganisationen. Die neuen Landgeschäfte werden von einigen Experten als Chance gesehen, dringend benötigtes Kapital für die Landwirtschaft zu gewinnen. Ausländische Agrarunternehmer könnten wichtiges Know-how im Agrarbereich mitbringen, um landwirtschaftliche Prozesse und Erträge zu optimieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Ausländisches Kapital ist notwendig und grundsätzlich begrüßenswert, dennoch erwecken die gegenwärtigen Beispiele Zweifel daran, ob ländliche Armut auf diese Weise beseitigt wird. Agrarinvestitionen so zu gestalten, dass sie nicht nur der Profitgier Weniger dienen, sondern auch für die betroffenen Länder und Menschen von Vorteil sind, ist die Herausforderung der Zukunft. Investitionen sollten sich vor allem an diejenigen richten, die für die Ernährungssicherheit des Landes zentral sind: die Kleinbauern. Sie verfügen über ein großes Potential an landwirtschaftlicher Produktion, das im Gegensatz zu der kommerziellen Landwirtschaft noch nicht ausgeschöpft ist. Mit gezielten Investitionen in Saatgut, Dünger und Infrastruktur für besseren Marktzugang können ihre Erträge enorm gesteigert werden. Die Bedeutung der Kleinbauern für Ernährungssicherung ist inzwischen weitgehend anerkannt. So erklärte der deutsche Entwicklungsminister Niebel zu Beginn des Jahres: „Das Rückgrat einer nachhaltigen Entwicklung ist die Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der ländlichen Räume.“

Neben der grundsätzlichen Förderung der Kleinbauern ist es notwendig, betroffene Menschen vor Landgrabbing zu schützen. Ländliche Gemeinden, die sich gegen den Ausverkauf ihres Landes an ausländische Interessenten zur Wehr setzen, müssen unterstützt werden, indem ihre Verhandlungsposition gegenüber Investoren gestärkt wird, Informationen bereitgestellt werden und über Einspruchmöglichkeiten aufgeklärt wird. Die Stärkung ihrer Rechte hinsichtlich Besitz und Nutzung von Land ist dabei zentral. Landgeschäfte müssen klare Kriterien einhalten, die sicherstellen, dass die betroffenen Menschen beteiligt werden und ihnen Schutz vor Enteignung gewährt wird. Investoren sollten dazu verpflichtet werden, soziale und ökologische Standards einzuhalten. In verschiedenen internationalen Institutionen werden derzeit Leitlinien und Prinzipien für verantwortliche Agrarinvestitionen und Ernährungssicherheit diskutiert. Das sind erste wichtige Diskussionen, denen Taten folgen müssen. Denn Landgrabbing ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft und gefährdet in zunehmendem Maße das international verbriefte Menschenrecht auf Nahrung.

Dieser Artikel wurde in etwas längerer Form für das »Bündnis Entwicklung Hilft« verfasst.

Bentje Woitschach ist wissenschaftliche Referentin bei der Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF) sowie wissenschaftliche Assistentin bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie gehört der Redaktion von W&F an.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/4 »Arabellion«, Seite 39–40