Die Neukonstruktion des Bundeswehrsoldaten: Subjektive Reaktionen und politisch-gesellschaftliche Implikationen
von Ruth Seifert
In der Zeit nach 1989 war die Rede vom »Umbruch in der Bundeswehr« in aller Munde. Was dabei merkwürdig im Dunkeln blieb, ist einerseits die Frage, wie diese Umbruchprozesse von Offizieren der Bundeswehr erlebt werden und wie sie sich in ihrem Bewußtsein abbilden, und andererseits die Frage nach den politischen Konsequenzen dieser Neukonstruktionen der Bundeswehr.
Welcher Art die Veränderungen für die Soldaten der Bundeswehr sind, zeigt sich plastisch, wenn man die bis 1989 gültigen Bestimmungen des Soldatenbildes mit neu entwickelten Ideen vergleicht. Folgt man den Vorgaben der Bundeswehr selbst, so war nahezu vierzig Jahre lang einer der wichtigsten Identitätsbausteine für den Bundeswehrsoldaten die »Innere Führung«. In der »Organisationsphilosophie« der »Inneren Führung«, wie sie insbesondere in den Schriften von Baudissin (1982) ausformuliert wurde, waren die wichtigsten Kriterien festgelegt, die ein Soldat der Bundeswehr erfüllen sollte.
Vom »Bürger in Uniform« zum… – wohin eigentlich?
Eine der zentralen Forderungen war, daß die Bundeswehr nicht aus unpolitischen Kämpfertypen bestehen sollte. Der Soldatenberuf sollte vielmehr mit ethischen Elementen angereichert werden. An die Stelle unüberlegten Gehorsams sollte werteorientiertes Handeln treten. Schließlich forderte Baudissin, daß der neu zu schaffende Soldat mit dem pluralistischen Staats- und Menschenbild der Bundesrepublik und mit demokratischen Vorstellungen in Einklang stehen müsse und sich die Bundeswehr zur Gesellschaft hin öffnen und die Werte der Zivilgesellschaft in der Armee verwirklichen solle. Zu den Forderungen, die im Rahmen der »Inneren Führung« erhoben wurden, gehörte nicht zuletzt, daß der Bundeswehrsoldat sich stark am Auftrag der Friedenssicherung auszurichten habe – was auch in den Slogans Ausdruck fand, der Bundeswehrsoldat müsse kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen, oder die Bundeswehr habe ihren Auftrag verfehlt, wenn es zum Einsatz komme. Friedenssicherung sollte in diesem Kontext in erster Linie Abschreckung bedeuten.
Hier kann nicht auf die brisante Frage der generellen Realisierbarkeit dieser Vorstellungen oder auf das Problem von Anspruch und Wirklichkeit der »Inneren Führung« eingegangen werden. Festzuhalten bleibt, daß die »Innere Führung« als Leitlinie der Bundeswehr fungierte und empirischen Untersuchungen zufolge das Selbstverständnis von Soldaten der Bundeswehr zumindest nicht unbeeinflußt gelassen hat (vgl. z.B. Seifert, 1996).
Ein weiterer Faktor, der das Selbstverständis von Soldaten der Bundeswehr nachdrücklich prägte, war die Ausrichtung am Paradigma des Ost-West-Gegensatzes. Den Bruch mit diesem Paradigma drückte ein älterer Offizier der Bundeswehr im Jahre 1992 folgendermaßen aus:
„Als ich selbst eingetreten bin und dann auch Unterricht gehalten habe über das feierliche Gelöbnis, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, da hieß es eindeutig, es ginge um die Grenzen der Bundesrepublik. Und sang- und klanglos heißt es heutzutage, daß wir schon immer davon gesprochen haben, daß der Auftrag darüber hinausgeht. Und es wird solange geredet, bis jedermann meint, ja eigentlich war das ja früher schon klar… Ich weiß nur, daß davon nie die Rede war! So. Und jetzt wird so getan, als ob da immer schon die Rede davon gewesen wäre.“
Parallel zu diesen Entwicklungen und ohne nennenswerte öffentliche Diskussion veränderte sich auch der Tenor in Bundeswehrzeitschriften bzw. bundeswehrnahen Publikationen. In zunehmenden Maße wurde nun ein Soldatentyp propagiert, der mit den Vorstellungen der Inneren Führung nicht mehr viel gemein hat. Es wurde der Ruf nach einem »robusteren Soldatentyp« laut, man forderte die Besinnung auf den Soldaten als »Kämpfer« oder, wie in einem Artikel zu lesen stand, der in einer wissenschaftlichen Publikation erschien, den „etwas derberen Soldatentyp“, der im Dschungel, in der Wüste, in einem Flußdelta eingesetzt werden kann, wo „andere Gesetze (gelten) als die UN-Charta, die Genfer-Konvention oder die Prinzipien der `Inneren Führung'“ (vgl. Ahrendt & Westphal, 1993).
Das heißt: Es wird in einschlägigen Kreisen und weitgehend im Windschatten der Öffentlichkeit ein neues Soldatenbild erörtert, das erheblich von dem abweicht, das bisher in der Bundeswehr gepflegt wurde. Damit stellen sich eine Reihe von gesamtgesellschaftlich relevanten Fragen wie: Welcher neue Soldatentyp wird in Zukunft für die Bundeswehr charakteristisch sein? Für welche Art von Politik ist dieser Soldatentyp vorgesehen, und wie beeinflußt er seinerseits die Politik? Wie wirkt diese neue Sozialfigur auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zurück? Da die Bundeswehr als ausschließlich männlich konstruiert ist, betreffen Veränderungen dieser Art auch die Geschlechterverhältnisse und werfen die Frage auf, welcher neue Männlichkeitstypus auf diese Weise in die Bundesrepublik eingeführt wird und was dies für die Konstruktion von Männlichkeit in der Bundeswehr bedeutet. Daneben stellt sich aber auch eine unmittelbar empirische Frage:
Wie verarbeiten die unmittelbar Betroffenen die neue Situation?
Erste Ansätze zur Klärung dieser Frage können auf der Grundlage einer Befragung von Truppenoffizieren, die zwischen November 1992 und Frühjahr 1993 durchgeführt wurde, angeboten werden. Folgeuntersuchungen wurden seither nicht angestrengt. D.h. über die Entwickung der letzten 3-4 Jahre läßt sich keine gesicherte Aussage machen. Für die Jahre davor ist zu sagen: Die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage und die Veränderung des Soldatenbildes führten zu Problemen im Berufsverständnis der befragten Offiziere und veranlaßten sie, dieses Verständnis neu zu definieren und neu zu verhandeln. Dabei ergaben sich grob drei Reaktions- oder Bewältigungsmuster.
Ein Reaktionsmuster bestand im Rückzug auf eine handwerkliche Definition des Soldatenberufes. Der Soldat wird dabei als Experte definiert, der im Auftrag des Staates bestimmte Fertigkeiten zur Verfügung stellt. In seiner Berufsausübung hat er aus dieser Sicht der Dinge keine politische Meinung zu haben. Das heißt nicht notwendigerweise, daß man mit den Entscheidungen der politischen und militärischen Führung immer einverstanden ist. Die sozusagen »private Einschätzung« politischer Situationen gilt aber als irrelevant für die Auftragserfüllung. Diese Position hat entlastende Effekte, wie der Kommentar eines Stabsoffiziers zeigt, der meinte, „wenn jemand sich mal freiwillig entschieden hat, den Streitkräften beizutreten, muß er wissen, auf was er sich einläßt. Und danach kann man natürlich nicht permanent wieder in irgendwelche Zweifel geraten.“
Es zeigen sich hier gewisse Anklänge an das amerikanische Modell des Berufssoldaten als »expert in violence«, als eines »Experten für Gewaltausübung«. Dahinter steht die Idee, daß Soldaten bestimmte Fertigkeiten, die alle die Ausübung von Gewalt beinhalten, zur Verfügung stellen, die Bedingungen ihres Einsatzes aber nicht zu befragen haben. Die differentia specifica des deutschen Musters besteht darin, daß sich hier keine Selbstdefinition als Experten in Gewaltausübung findet. Diese Offiziere sehen sich eher als »experts in technology«, wobei die Berufsidentität tendenziell die eines militärischen Ingenieurs oder Technikers ist. Was neue Einsatzszenarien angeht, so bestehen in dieser Gruppe damit geringe Probleme. Spezielle Anforderungen an die Legitimation des Einsatzes, die über den formalrechtlichen Aspekt hinausgehen, werden nicht gestellt. Die Kombination von »Soldat« und »Staatsbürger« wird so bestimmt, daß dem Soldaten der Vorrang gegenüber dem Staatsbürger eingeräumt wird.
Als zweites Muster zeigte sich eine Definition des Offizierberufes über eine Identifikation mit dem Staat. Eine Hilfskonstruktion dabei ist die Überzeugung, daß es ein Berufsmerkmal sei, Vertrauen in politische Entscheidungen zu haben. Aufgrund dieser vorgängigen Identifikation werden die Vorgaben der politischen Führung auch subjektiv als richtig empfunden. Die Tatsache, daß man mit den Entscheidungen der Führung übereinstimmt, ist nicht dem Zufall geschuldet, sondern der Tatsache, daß ein persönlicher Entschluß gefaßt wurde, den politisch legitimierten Entscheidungsträgern ein grundsätzliches Vertrauen entgegenzubringen. So meinte ein junger Hauptmann: „Die Loyalität zum Staat – das ist eine Ideologie für mich. Und die muß man akzeptieren, wenn man Soldat wird.“
Von diesem Standpunkt aus gesehen ist die Loyalität zum Staat und zur Politik ein Grundsatz, auf dem die Überzeugung von der Richtigkeit des eigenen Standpunktes beruht. Die Identifikation mit dem Staat macht es möglich, Staatsbürger und Soldat nicht trennen zu müssen, sondern in eins zu setzen. Was neue Einsatzmöglichkeiten betrifft, so werden sie in dieser Gruppe als legitimes Mittel betrachtet, um den internationalen Stellenwert der Bundesrepublik zu forcieren. Oder in den Worten eines älteren Offiziers: „Wenn wir einen Platz finden wollen in dieser Völkergemeinschaft, müssen wir uns aus diesem fast schon pazifistischen Abseits lösen.“ Die Frage der Legitimation von Einsätzen ist aus dieser Perspektive ebenfalls kein gesteigertes Problem. Auch hier gilt die Legitimation durch das Parlament als ausreichend.
Drittens zeigt sich schließlich eine Gruppe, bei der mit dem Umbruch in der Bundeswehr ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen tradierter soldatischer Identität und möglichen neuen militärischen Anforderungen einhergeht. Diese Offiziere sind folgendermaßen zu charakterisieren: Sie haben ebenso wie alle anderen eine militärische Sozialisation durchlaufen und bestimmte soldatische Werte verinnerlicht. Insbesondere das Prinzip der Loyalität rangiert hoch in ihrem Berufsverständnis. Darüberhinaus ist ihr Selbstverständnis und ihre berufliche Identität meist an den Ost-West-Konflikt und an die Vorstellung der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland gebunden. Zum anderen hatten die Vorstellungen der Inneren Führung für sie einen identitätsstiftenden Stellenwert: D.h. der »entpolitisierte« Soldat entspricht nicht ihrer Vorstellung vom Soldatenberuf. Schließlich kennzeichnet diesen Typus, daß er einer Vorgabe der »Inneren Führung« – nämlich der Forderung, der Soldat der Bundeswehr müsse in die Entwicklung der Zivilgesellschaft eingebunden sein, prinzipiell entspricht.
Der Offizier dieses Typs hat die in den letzten 20 Jahren entstandenen Individualisierungsanforderungen, wie sie von Beck (1986) beschrieben worden sind, in großem Maße verinnerlicht. Das heißt: Diese Offiziere legen Wert auf ihre Urteilsfähigkeit und auf selbstbestimmtes Handeln. Sie verstehen sich als Staatsbürger mit eigenem, autonomem Urteil und nicht als ausführendes Organ. In der neuen Situation entstehen dadurch Zerreißproben. Diese Soldaten schwanken hin und her zwischen ihren zivilen und ihren militärischen Persönlichkeitsanteilen, zwischen Staatsbürger und Soldat. Der zivile Teil der Persönlichkeit betont die persönliche Autonomie und die individuelle Urteilskraft, der militärische betont die Treue zum Dienstherren, die soldatische Loyalität und Dienstpflicht.
Die politisch-ideologischen Rahmenbedingungen des Berufs schließlich hatten die Soldaten bereits vor ihrem Eintritt in die Bundeswehr über die Ost-West-Konfrontation akzeptiert. Sie spielte dann im beruflichen Alltagsleben keine wichtige Rolle mehr. Mit der Möglichkeit diverser Einsatzszenarien tritt eine Veränderung ein, die zu einer Zuspitzung des Konflikts zwischen individualisiertem Staatsbürger und Soldat führt. Gerade weil Loyalität zum Staat auch ein wichtiger Identitätsbaustein ist, entstehen in dieser Gruppe Zerreißproben. Denn diese Offiziere sehen sich mit einer Erodierung ihres Berufsverständnisses durch den Staat, dem die Loyalität gilt, konfrontiert. Die zivilen Persönlichkeitsanteile machen einen Rückzug auf eine technische Berufsdefinition ebenso unmöglich wie ein grundsätzliches und vorgängiges Vertrauen in staatliche Entscheidungen. Manche ziehen in dieser Situation den Schluß, die Bundeswehr zu verlassen. Die Positionen »loyaler Soldat« und »kritischer Staatsbürger« können aber auch unverbunden nebeneinander stehen bleiben. Dies scheint vor allem dann möglich zu sein, wenn die Betroffenen keine praktischen Konsequenzen erwarten – wenn sie sich z.B. in einem »einsatzfernen« Truppenteil wähnen – oder aber bestimmte Altersgrenzen überschritten haben. Der Rest ist auf seine individuelle Kreativität verwiesen, um diese Situation für sich lebbar zu machen.
Auf diesem Hintergrund gewinnt die Frage nach der Legitimität eine gesteigerte Bedeutung. Sie beantwortet sich für diese Offiziere nicht mit einer formalrechtlichen Abklärung durch das Verfassungsgericht. Legitimität bedeutet für sie vielmehr, daß a) ein Konsens über die Richtigkeit des Einsatzes bei der Mehrheit der Bevölkerung vorhanden ist und/oder daß b) der Einsatz mit ihren persönlichen moralischen Beurteilungen nicht konfligiert.
Was das heißt, läßt sich am Kommentar eines jüngeren Offiziers illustrieren. Er analogisierte das Problem der Mauerschützen mit der Möglichkeit eines Einsatzes der Bundeswehr an den deutschen Grenzen und entwarf ein Schießbefehlsszenario: „Und das wäre für mich der Punkt, wo ich sage, Leute mit mir nicht! Also, ich würde den Schießbefehl nicht geben. Ohne Einschränkung. Aber – und jetzt kommt's: Die Fiesheit ist ja die, daß die Soldaten, die diesen Schießbefehl dann geben würden, fünf oder zehn Jahre später vor Gericht stehen und von Leuten verurteilt werden, die selbst das System entwickelt haben.“
Dieser junge Offizier befürchtete, daß er als Soldat für Einsatzbefehle instrumentalisiert werden könnte, die er als individuell urteilender Staatsbürger nicht mittragen würde. Der Rückzug vom »Staatsbürger« auf den »expert in technology« oder den vertrauensvollen Staatsbürger in Uniform ist aber ebenfalls keine gangbare Alternative. Denn er antizipierte, daß Soldaten für ihre Aufträge und Einsätze zu einem späteren Zeitpunkt individuell verantwortlich gemacht werden. Aus dieser Situation zog dieser Offizier die Konsequenz, daß der einzelne Soldat höchste rechtliche und moralische Maßstäbe an die Legitimation des Einsatzes anzulegen habe. Da er eine Erfüllung dieser Ansprüche durch die Politik nicht antizipierte, löste er den Konflikt, indem er die Bundeswehr verließ.
Der Ost-West-Gegensatz war die Klammer für den politisch-ideologischen Konsens.
Die Frage nach der Legitimität von Einsätzen, die in dieser Gruppe von Offizieren eine gesteigerte Rolle spielt, hat noch einen weiteren Effekt. An diesem Punkt zeigte sich, daß sich unter Soldaten eine Pluralität von Werten entwickelt hat, die jenseits der übergreifenden Klammer des Ost-West-Gegensatzes einen politisch-ideologischen Konsens außerordentlich schwierig macht. Es zeigte sich weiter, daß das, was dem einen ein moralisch gerechtfertigter Einsatz war, dem anderen höchst fragwürdig erschien. Die Unterschiedlichkeit der Einschätzungen betraf alle potentiellen Szenarien und reichte von emphatischen Plädoyers für spezifische Einsätze bis hin zur Ankündigung, den Rock beim Eintreffen eines bestimmten Einsatzbefehls an den Nagel zu hängen (eine genauere Darstellung findet sich in Seifert, 1996).
Implikationen und Fragen
Es findet sich also innerhalb des Offizierkorps eine erhebliche Spannbreite von zum Teil völlig entgegengesetzten Einschätzungen hinsichtlich konkreter Konfliktherde. Das heißt: Während die neue sicherheitspolitische Situation auf individueller Ebene eine Identitätskrise auslösen kann, führt sie auf kollektiver Ebene zu einem Auseinanderbrechen des ideologischen Konsenses des Offizierkorps. Gerade dieser ideologische Konsens aber stellte in der Bundeswehr stärker als in anderen Armeen, in denen andere Kohäsionsmechanismen – z.B. eine stärkere Einheitlichkeit der Lebensformen – eine Rolle spielen, eine gemeinsame Spange her.
Ein technizistischer und sinnentleerter Professionalisierungsbegriff wird zum Schmiermittel der Armee stilisiert<>
Die Frage ist also: Wie gestaltet sich eine Armee, in der es eine Pluralität an Lebensformen gibt, eine Pluralität an Wertvorstellungen und in der der politische Konsens über Sinn und Zweck der Armee und der Legitimität des Einsatzes verlorengegangen ist? Das ist zum einen eine normativ-politische Frage, die an alle politischen Akteure gerichtet werden muß. Es ist andererseits aber auch eine empirische Frage. Allerdings gibt es keine Untersuchungen, die es erlauben würden, eine fundierte Antwort darauf zu geben.
Anekdotische Eindrücke sowie eine Untersuchung der Rand-Corporation unter Angehörigen der deutschen Elite (Infratest Burke, 1996) liefern aber Anhaltspunkte für begründete Spekulationen und deuten darauf hin, daß sich in den Führungsriegen der Bundeswehr eine Präferenz für das Modell 1 des »Militärprofis« herauskristallisiert. Damit einher geht notwendigerweise eine weitgehende Erodierung der Ideen der »Inneren Führung« und der politisch-moralischen Dimensionen des Soldatenberufs. Diese weichen einer apolitischen und amoralischen Vorstellung von soldatischer Effizienz, die vollständig von ethischen Erwägungen abgekoppelt wird. Das heißt: In Ermangelung einer politisch-inhaltlichen Diskussion zur Klärung der entstandenen Fragen und Differenzen wird ein technizistischer und sinnentleerter Professionalisierungsbegriff – der, nebenbei bemerkt, weit hinter den Stand der international geführten Professionalisierungsdebatte zurückfällt – zum Schmiermittel der Armee stilisiert.
Betrachtet man hier noch die gender-spezifischen Dimensionen dieser Konstruktion, so ist festzuhalten, daß damit gleichzeitig eine amoralische, an Technik und technischen Effizienzvorstellungen orientierte und tendenziell auf gewaltförmiges Expertentum ausgerichtete Männlichkeit konstruiert wird. Diese Männlichkeitskonstruktion fungiert somit ebenfalls als Kohäsionsmittel, oder anders gesagt: Dieses (neue) männliche Subjektivitätsmodell wird zu einer Identifikationsfolie für alle männlichen Soldaten. Über die möglichen Auswirkungen dieser Konstruktion auf der Geschlechterebene darf (muß) spekuliert werden – welche Folgen der kulturelle Zusammenbau von kollektiver Gewalt und einer amoralisch konstruierten militärischen Männlichkeit unter bestimmten Bedingungen haben kann, war in den letzten Jahren in einigen Kriegsszenarien zu beobachten.
Schließlich stellt sich auch die Frage: Wie verhält sich dieser Typus zu den neuen Anforderungen an Streitkräfte, die im Zuge von UN-Einsatzszenarien deutlich wurden und die Boutros-Ghali anläßlich der Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 fixierte. In einem von Ghali vorgelegten Papier, in dem auch der Soldatentyp der Zukunft angesprochen wurde, war kaum die Rede vom Techniker oder Kämpfer, aber umso mehr von der VerhandlungssoldatIn, die/der diplomatisches Geschick, Problemlösungsfähigkeiten und Sprachkompetenz mitbringt (und, so das Ghali-Papier, in der weiblichen Erscheinungsform diese Anforderungen möglicherweise eher erfüllt). Erste Auswertungen des Somalia-Einsatzes belegen, daß der »Kämpfertypus« dort überwiegend dysfunktional – also nicht konfliktdämpfend – wirkte (vgl. Moskos & Miller, 1995).
Angesichts dieser für die gesellschaftliche und politische Entwicklung nicht unwesentlichen Fragen erstaunt es, daß kaum politische Akteure jenseits der Bundeswehr auszumachen sind, die an diesen Konstruktionsprozessen beteiligt sind oder sie auch nur kritisch verfolgen. Die innen- und außenpolitischen Folgewirkungen dieser Neukonstruktion des Soldaten könnten gravierend sein.
Literatur
Ahrendt, J. & Westphal, S. (1993). Staatsbürger in Uniform + Out of area=Weltbürger in Uniform? In: U. Hartmann & M. Strittmatter (Hrsg.), Reform und Beteiligung. Ideen und innovative Konzepte für die Innere Führung der Bundeswehr. Hamburg.
Baudissin, W. Graf v. (1982). Nie wieder Sieg! Programmatische Schriften 1951-1981. München.
Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M.
Boutros-Ghali, B. (1993). Women in the peace process. New York: United Nations. Infratest Burke (1996). Das Meinungsbild der Elite in Deutschland zur Außen- und Sicherheitspolitik. Berlin: Infratest Burke.
Moskos, C. & Miller, L. (1995). Humanitarians or warriors? Gender, race and combat status in operation „Restore Hope“. Armed Forces and Society, Nr. 4, S. 636-648.
Seifert, R. (1996). Militär-Kultur-Identität. Individualisierung, Geschlechterverhältnisse und die soziale Konstruktion des Soldaten, Bremen.
Dr. Ruth Seifert ist Dozentin an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg