W&F 2010/3

Die NVV-Konferenz 2010

Von der Nichtverbreitung zur Abschaffung von Kernwaffen

von Rebecca Johnson

Alle fünf Jahre wird auf einer Konferenz überprüft, wie gut die Staatengemeinschaft bei der Umsetzung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) bisher vorangekommen ist. Nach einer allgemeinen Bestandsaufnahme versuchen die DiplomatInnen in mehreren Ausschüssen, sich auf zukunftsorientierte Schritte zur Umsetzung der Kernelemente des 1968 geschlossenen Vertrages, nämlich die Nichtverbreitung einerseits und die Abrüstung andererseits, zu einigen. Die Ergebnisse werden in einem Abschlussdokument fixiert, dem alle Vertragsstaaten im Konsens zustimmen müssen. Aus diesem Verfahren resultiert, wenn überhaupt, ein Minimalkompromiss, was der Umsetzung des NVV nicht unbedingt dienlich ist.

Als der Präsident der NVV-Überprüfungskonferenz 2010,1 der philippinische Botschafter Libran Cabactulan, am 28. Mai den Hammer nieder sausen ließ und so den Konsens über ein Abschlussdokument2 besiegelte, herrschte einen Moment lang ungläubige Stille. Dann brandete erleichterter Applaus durch den Saal der UN-Generalversammlung.

Zur diesjährigen NVV-Überprüfungskonferenz waren von den insgesamt 190 Vertragsstaaten Delegationen aus 172 Ländern in das UNO-Hauptquartier gekommen. Vier Wochen lang beschäftigten sie sich mit Stellungnahmen, Vorschlägen, Diskussionen, öffentlichen und nicht-öffentlichen Verhandlungen, politischen Strategiedebatten, diplomatischem Taktieren und stundenlangem Warten. Kritisch beobachtet wurden sie dabei von weit über 1.000 VertreterInnen der 121 akkreditierten Nichtregierungsorganisationen. Am letzten Tag der Konferenz war die Zeit zur Konsensfindung zunehmend knapp. Jetzt aber applaudierten die DiplomatInnen sich selbst und gratulierten Cabactulan dafür, dass er sie erfolgreich durch die Konferenz gesteuert hatte. Sie hatten allen Grund zur Freude, war ein positiver Konferenzausgang doch keineswegs garantiert.

Gute Ausgangsbasis in New York

Die Überprüfungskonferenz 2005 war kläglich gescheitert, und die Schuld wurde vor allem der vergifteten politischen Atmosphäre und den strategischen Manövern von Ägypten, Iran und den Vereinigten Staaten zugewiesen. Dieses Jahr war die Ausgangsbasis anders: Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama wollte ihre Glaubwürdigkeit in punkto Nichtverbreitung wieder herstellen, und Ägypten musste beweisen, dass es die 116 Staaten der blockfreien Bewegung effektiv führen kann. Dazu brauchten beide Staaten ein Verhandlungsergebnis, das sie als Erfolg verkaufen konnten, wenn auch nicht um jeden Preis.

Kompromissloser war die iranische Position. Präsident Mahmud Ahmadinedschad war für den iranischen Beitrag zur Generaldebatte am ersten Tag persönlich angereist. Außerdem hatte die iranische Delegation Anweisung, jegliche Kritik an der unzureichenden Erfüllung des Vertrags abzuwehren und die Aufmerksamkeit statt dessen auf die Kernwaffenstaaten zu lenken, denen sie vorwarf, ihre Kernwaffenarsenale nicht wie vereinbart abzurüsten. Da ein positives Verhandlungsergebnis – vor allem in Bezug auf den Nahen Osten – auf der Kippe stand, kam Teheran unter erheblichen Druck, seine Störmanöver aufzugeben. Höchstrangige Politiker und Diplomaten wie der ägyptische Präsident Mubarak und der russische Außenminister Lawrow kontaktierten die iranische Führung, um sie zur Akzeptanz eines Konsenspapiers zu überreden. Schließlich gab Iran seine Blockadehaltung auf und ermöglichte es der Staatengemeinschaft, die Konferenz zum »Erfolg« zu erklären, auch wenn sich der iranische Delegationsleiter in seiner Abschlusserklärung kräftige Kritik am Abschlussdokument nicht verkneifen konnte.

Das Abschlussdokument von 2010 ist wichtig, weil die„Schlussfolgerungen und Empfehlungen für weitere Aktionen“ 64 Aktionen für nukleare Abrüstung, Nichtverbreitung, nicht-militärische Nutzung der Kernenergie und den Nahen Osten auflisten.

Im ersten Teil hält der Text die wichtigsten Themen und Probleme fest, die auf der Überprüfungskonferenz angesprochen wurden, und spart auch Kritik an den Kernwaffenstaaten und Nordkorea nicht aus. Der Text dokumentiert überdies zahlreiche Vorschläge, die keinen Eingang in den Aktionsplan fanden, darunter Ideen zur Stärkung der Vertragseinhaltung und -implementierung sowie zum resoluteren Umgang mit Staaten, die aus dem Vertrag aussteigen wollen, um Kernwaffen zu entwickeln, wie das Nordkorea im Jahr 2003 tat. Die Zeit war zu kurz, um Konsens über diesen Teil des Abschlussdokuments herzustellen, daher wurde er von der Staatengemeinschaft lediglich zur Kenntnis genommen und „in die Verantwortung des Vorsitzes“ gestellt. Dennoch ist er sehr wichtig, da er einen aktuellen Überblick über die vorherrschenden Probleme und Sichtweisen gibt.

Vereinbarungen zum Nahen Osten

Das Thema, das den Fortgang der Konferenz am meisten bestimmte, war der Vorschlag von Ägypten und der Arabischen Liga, im Jahr 2012 eine Regionalkonferenz abzuhalten, um Fortschritte bei der Umsetzung der Nahost-Resolution der Überprüfungskonferenz 1995 zu erzielen. Die Resolution von 1995 ruft zur Einrichtung einer Zone im Nahen Osten auf, die frei ist von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen.

Die Einigung über die Nahost-Konferenz 2010 und die Benennung eines Sonderbeauftragten, der mit allen Staaten in der Region einen Gesprächsprozess und weitere Schritte aushandeln soll, waren die wichtigsten Anliegen von Ägypten und den arabischen Staaten. Der Kompromiss machte es sowohl Iran als auch anderen Staaten fast unmöglich, ihre Zustimmung zum Abschlussdokument zu versagen.

Die Verhandlungen zum Nahost-Thema fanden überwiegend hinter verschlossenen Türen statt. Parallel dazu wurde in offenen Sitzungen eingehend über nukleare Sicherheit, Verbreitung und Abrüstung diskutiert. Obwohl die Gespräche konstruktiver und konkreter verliefen als je zuvor, wurden viele der Vorschläge schließlich in den Aktionen nicht oder nur stark abgeschwächt aufgegriffen. Die meisten Teilnehmerstaaten zeigten sich besonders enttäuscht von den unzureichenden Zusagen bezüglich nuklearer Abrüstung, Sicherungsmaßnahmen und Stärkung des Nichtverbreitungsregimes, einschließlich des Umgangs mit einer Nichteinhaltung oder Kündigung des Vertrages. Trotzdem entschieden sich alle, das Konferenzergebnis zu akzeptieren, und zwar aus zwei Gründen:

Neben der Bereitschaft, beim Nahen Osten zu einer konkreten Vereinbarung zu kommen, bestand allgemein der Wunsch, zu zeigen, dass der NVV weiterhin von Bedeutung ist. Außerdem wollten die Vertragsstaaten Rückhalt demonstrieren für die Abrüstungsziele von US-Präsident Obama und seine entsprechenden Initiativen, einschließlich des neuen START-Vertrags, des Gipfels zur nuklearen Sicherheit vom April 2010 und sogar für die von ihm angeschobene UN-Resolution 1887 vom September 2009 zur nuklearen Nichtverbreitung und Abrüstung, obwohl diese seinerzeit von den Blockfreien heftig kritisiert worden war. So lässt sich der Konsens von New York als ein Zeichen allseits guten Willens interpretieren.

Iran hatte offenbar darauf gebaut, dass die Kernwaffenstaaten ihre Zustimmung verweigern. Vor allem die USA wehrten sich lange, Israel im Abschlussdokument als einziges Land im Nahen Osten, das ein Kernwaffenprogramm betreibt und kein NVV-Mitglied ist, namentlich zu benennen. Schließlich konnte Alison Kelly, eine erfahrene irische Diplomatin, die mit der Koordinierung des Nahost-Paketes betraut worden war, Washington davon überzeugen, dem Wortlaut zuzustimmen, der im übrigen von der Regierung Clinton im Jahr 2000 schon einmal abgesegnet worden war. Deshalb erinnert das aktuelle Abschlussdokument auch daran, dass die NVV-Überprüfungskonferenz Israel schon vor zehn Jahren dringlich aufgefordert hat, dem NVV beizutreten und alle Nuklearanlagen den Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergieorganisation zu unterstellen. Dazu müsste Israel sein Kernwaffenprogramm freilich zuerst aufgeben, da ein Beitritt des Landes zum NVV nur als Nicht-Kernwaffenstaat möglich ist. Es war befürchtet worden, dass der mühsam errungene Gesamtkonsens bei neuen Änderungsforderungen an dieser Stelle wieder zusammenbrechen könnte.

Grundlagen für ein Verbot von Kernwaffen legen

Die wahre Bedeutung der Überprüfungskonferenz 2010 liegt allerdings nicht im Text des Abschlussdokuments, sondern in den Tendenzen und politischen Erwägungen, die in den Debatten und Vorschlägen erkennbar wurden. Die Diskussionen der einzelnen Komitees und Unterausschüsse hatten zwar erhebliche Substanz, führten aber bei zahlreichen wichtigen Fragen, besonders über die Abrüstung, das Zusatzprotokoll der IAEO3 und die Stärkung des Nichtverbreitungsregimes, nicht zur Einigung.

Während sich die Medien meist nur für die Nahost-Dynamik zwischen Ägypten und den Vereinigten Staaten interessierten, rief Präsident Cabactulan in der letzten Konferenzwoche 16 Schlüsseldelegationen zusammen, um Konsensformulierungen für die anderen offenen Fragen zu erarbeiten. Zu dieser »Präsidentengruppe« gehörten die fünf Kernwaffenstaaten (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die Vereinigten Staaten) sowie Deutschland, Spanien (als momentaner Vorsitz der Europäischen Union), Japan, Norwegen, Indonesien, Mexiko, Ägypten, Kuba, Iran, Brasilien und Südafrika. Andere, einschließlich der Delegationen, die den verschiedenen Komitees und Ausschüssen vorsaßen, (Ukraine, Simbabwe, Österreich, Irland und Uruguay) wurden von Fall zu Fall dazu gerufen.

Der Botschafter Österreichs, Alexander Marschik, koordinierte in Komitee I die Verhandlungen über künftige Abrüstungsschritte und verfasste einen Aktionsplan, der jene konkreten Vorschläge aufgriff, die in den Stellungnahmen und Arbeitspapieren breitere Unterstützung gefunden hatten. Die Kernwaffenstaaten lehnten viele der Vorschläge ab, die bei fast allen kernwaffenfreien Ländern auf große Zustimmung gestoßen waren. Folglich wurden mehrere Entwürfe geschrieben und diskutiert, jeder schwächer als der vorherige. Schließlich wurde die Fassung vom 24. Mai bei der »Präsidentengruppe« eingereicht, um dort den noch fehlenden Konsens herzustellen.

Die Verhandlungen dauerten dann immer noch zwei Tage und Nächte und waren nach Aussagen von Beteiligten sehr hart, da sich die Kernwaffenstaaten benahmen, als ob der NVV ihnen besondere Rechte und Privilegien zuschriebe, sie im Gegenzug aber keinerlei Vorschläge anderer Staaten akzeptieren oder sich auf Zieldaten zur vollständigen Abschaffung ihrer Kernwaffenarsenale einlassen müssten.

Nukleare Abschreckung delegitimieren

Während der Überprüfungskonferenz gab es hitzige Debatten über Vorschläge von Nicht-Kernwaffenstaaten, wie Kernwaffen weiter entwertet, marginalisiert und sogar aus den Militär- und Sicherheitsdoktrinen eliminiert werden könnten, und zwar gekoppelt mit juristisch verbindlichen Sicherheitsgarantien vor einem Einsatz oder der Drohung mit einem Einsatz von Kernwaffen (»negative Sicherheitsgarantien«).

Am bemerkenswertesten war der Ruf nach einem Rahmenabkommen zur nuklearen Abrüstung mit einem konkreten Zeitplan, der üblicherweise von den Blockfreien kommt, diesmal aber durch die Unterstützung weiterer Länder zusätzliches Gewicht erhielt. Dabei verwiesen die Befürworter ausdrücklich auf den Fünf-Punkte-Plan des UN-Generalsekretärs4 und die Dringlichkeit von Verhandlungen über eine umfassende Nuklearwaffenkonvention, die einen überprüfbaren Rahmen für die notwendigen Schritte in eine kernwaffenfreie Welt bieten würde.5 In entsprechende Verhandlungen könnten auch die Staaten, die dem NVV nie beigetreten sind, eingebunden werden.

Bei dieser Überprüfungskonferenz wurde außerdem viel mehr als sonst darüber diskutiert, dass bis zur vollständigen Abrüstung auch die Neuentwicklung und Modernisierung von bestehenden Kernwaffensystemen verhindert werden müsse. Zu einem entsprechenden Moratorium sowie zum Verzicht der Ausweisung neuer Aufgaben für Kernwaffen rief beispielsweise die New Agenda Coalition6 auf, und Südafrika machte klar, dass dies auch für Trägersysteme gelten sollte, z.B. für die geplante Beschaffung neuer Atom-U-Boote für das britische Trident-System.

Eine Premiere für eine NVV-Überprüfungskonferenz war auch die heftige Kritik am Konzept der nuklearen Abschreckung sowie an der anhaltenden Stationierung und Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen. Mit dem Kommentar, „es ist höchste Zeit, dass der Verlockung durch Atomwaffen ein Ende bereitet wird“, stellte der indonesische Außenminister Marty Natalegawa die entsprechenden Doktrinen während der Generaldebatte im Namen der 116 blockfreien Staaten in Frage. Er forderte Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention, die als Aktionsplan für ein Verbot sowie die Abschaffung von Kernwaffen mit klaren Messkriterien und Zeitvorgaben angelegt werden müsse.

Delegierte der Schweiz und Vertreter des kalifornischen Monterey Institute stellten in einem Workshop eine neue Studie zur Delegitimierung von Kernwaffen vor.7 Sie warfen die Frage auf, ob ein Kernwaffeneinsatz überhaupt rechtskonform sein könne, und plädierten dafür, „humanitäre Erwägungen“ in den Mittelpunkt der Kernwaffendiskussion zu stellen. Diese Forderung wurde im Verlauf der Debatte von mehreren anderen Ländern aufgegriffen und unterstützt.

Brasilien wies auf ein besonderes Problem hin: Kernwaffen hätten „eine grundlegendere Bedeutung – sie verstärken die Macht und ein Gefühl der Dominanz“ bei den Kernwaffenbesitzern, was wiederum „ein ernsthaftes Hindernis für die Demokratisierung der internationalen Beziehungen [und] für internationalen Frieden und Sicherheit“ darstelle.

Taktische Kernwaffen als strittiger Punkt

Taktische Kernwaffen wurden ebenfalls von allen Seiten kritisiert. Zuerst erwähnte die Europäische Union eher beiläufig, diese auch als nicht- oder substrategisch bezeichneten Kernwaffen mit kurzer Reichweite müssten reduziert oder ganz aufgegeben werden. Dann ging Deutschland mehr in die Details. In einem gemeinsamen Statement mit Belgien, Finnland, Irland, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Slowenien und Schweden forderte Deutschland mehr Transparenz und die Einbeziehung der taktischen Kernwaffen in die Verhandlungen zwischen den USA und Russland sowie in die umfassenderen multilateralen Rüstungskontroll- und Abrüstungsprozesse. Norwegen und Polen unterstützten diese Forderungen in einer gemeinsamen Stellungnahme und machten sich für die schrittweise Abrüstung auf Null stark, weil „das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen, das wir alle teilen, nicht erreicht werden kann, wenn wir das Thema nicht ehrlich angehen“.

Die blockfreien Staaten gingen noch weiter. Sie kritisierten die Stationierung taktischer US-Atomwaffen in Europa im Rahmen der NATO und schlugen vor, die Kernwaffenstaaten sollten sich verpflichten, „auf die nukleare Teilhabe anderer Staaten im Rahmen jeglicher Sicherheitsabkommen, einschließlich militärischer Bündnisse, zu verzichten“. Die Schweiz fasste diese Debatte zusammen, als sie erklärte, taktische Kernwaffen „haben im Europa von heute keinen Platz mehr“.

Russland hatte bei diesem Thema eine andere Ausgangsposition. Da die USA etwa 500 kurz reichende Kernwaffen stationiert haben, Russland aber rund 2.000, wollte Moskau unbedingt verhindern, dass diese Kernwaffen im Abschlussdokument Erwähnung finden. Stattdessen bekräftigte Russland seine bekannte Klage, dass die USA etwa 200 Kernwaffen auf dem Gebiet europäischer NATO-Mitgliedstaaten stationieren. Der erste und wichtigste Schritt, folgerte Russland daraus, müsse die „Rückführung“ aller Kernwaffensysteme sein sowie die Aufgabe der „Infrastruktur“ für die nukleare Teilhabe. China und die blockfreien Staaten teilten diese Sichtweise. In den harten Verhandlungen zwischen den 16 »Freunden des Präsidenten« setzten sich die USA, Großbritannien und Frankreich durch, indem sie alle Vorschläge aus dem Abschlussdokument katapultierten, die sich gegen die nukleare Teilhabe der NATO wandten. Russland seinerseits beharrte stur darauf, dass taktische Kernwaffen nicht explizit erwähnt werden. So lautet Aktion 3 des Abschlussdokuments als Kompromissformel jetzt, dass „die Kernwaffenstaaten sich bei der Umsetzung ihrer unzweideutigen Zusage, die vollständige Abrüstung ihrer Kernwaffenarsenale zu erzielen, zu weiteren Bemühungen verpflichten, sämtliche Kernwaffentypen, sowohl stationierte als auch nicht stationierte, zu reduzieren und schlussendlich abzuschaffen, einschließlich durch unilaterale, regionale und multilaterale Maßnahmen.“8

Angesichts der Kompromissunwilligkeit der Kernwaffenstaaten und der begrenzten Zeit zur Konsensbildung konnten viele Vorschläge aus der Konferenzdebatte nur als Fernziel Eingang in das Abschlussdokument finden. Im Wortlaut orientierten sich die Diplomaten an US-Präsident Obamas Prager Appell für Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Kernwaffen, dem sich im September 2009 der UN-Sicherheitsrat angeschlossen hat9, sowie an der „unzweideutigen Zusage der Kernwaffenstaaten, die vollständige Abrüstung ihrer Kernwaffenarsenale zu erzielen“, die aus dem Abschlussdokument der NVV-Überprüfungskonferenz im Jahr 2000 stammt.

Schwaches Abschlussdokument

Auch wenn das Abschlussdokument schwächer ist als erhofft, kommt dem Ergebnis der Überprüfungskonferenz dennoch mehr Bedeutung zu, als viele der Beteiligten glauben. Dies aus zwei Gründen: Erstens wird der Nahe Osten konkret thematisiert. Zweitens hat sich im Kontext des NVV zum ersten Mal eine Mehrheit der Staaten unter Berufung auf den Fünf-Punkte-Plan des UN-Generalsekretärs und seine Erwähnung einer Nuklearwaffenkonvention ausdrücklich für die Aufnahme umfassender Verhandlungen ausgesprochen.

Bei Themen wie verstärkten Sicherungsmaßnahmen, besserer Kontrolle von Nuklearexporten und konkreten Abrüstungsschritten geht das Abschlussdokument von 2010 kaum über die Vereinbarungen hinaus, die bereits vor zehn Jahren getroffen und seither nur ansatzweise umgesetzt wurden. Die Freude über den Konsens war deshalb so groß, weil die Chancen auf eine Einigung zu schwinden schienen. Dabei ist aber kaum zu übersehen, dass der Verlauf der Überprüfungskonferenz 2010 ein zutiefst gespaltenes Regime widerspiegelt. Die Vertragsstaaten sehen sich weiterhin nicht im Stande, die Frage der Vertragseinhaltung und der mangelnden Implementierung anzugehen, das Abrüstungsregime institutionell zu stärken oder sich auf eine Entwertung von Kernwaffen und die verbindliche Übernahme des Zusatzprotokolls der IAEO als Sicherungsstandard zu einigen.

Kaum Fortschritte in den letzten 15 Jahren

Seit den 1990er Jahren wurden bei jeder Vorbereitungs- und Überprüfungskonferenz des NVV immer wieder die gleichen Bedenken und Forderungen vorgebracht, ohne dass praktisch viel passierte, und dieses Jahr waren die Voraussetzungen für konstruktive, zielorientierte Gespräche so gut, wie lange nicht mehr. Und doch ist es wieder nicht gelungen, bei den wesentlichen Fragen zu einer Einigung zu kommen. Konsens schien wichtiger als Inhalte.

Überdies wurden das Recht auf die friedliche Nutzung von Kernenergie, das in Artikel IV des Vertrages festgeschrieben ist, sowohl von den Ländern mit hohem Kernenergieanteil als auch von der Führung der blockfreien Staaten so massiv in den Vordergrund gerückt wie nie zuvor. Dabei wurde missachtet, welche Proliferations- und Umweltrisiken sich daraus ergeben.

Des Weiteren waren die Diskussionen, wie eine Kündigung des Vertrags erschwert werden soll und wie im Rahmen des NVV die Rechenschaftspflicht, Vertragseinhaltung und Vertragsumsetzung besser gewährleistet werden können, vergeblich. Die Ideen wurden in der Zusammenfassung des Konferenzpräsidenten dokumentiert, aber nicht in den Aktionsplan aufgenommen.

Zahlreiche Delegationen waren zwar mit dem Konferenzergebnis nicht zufrieden, dennoch stimmten sie dem Minimalkonsens zu. Sie begründeten dies damit, dass es ein wichtiges politisches Signal sei, Einheit zu demonstrieren und so Staatsführern wie Obama und Medwedew bei ihren Abrüstungsinitiativen gegen Kritiker im eigenen Land den Rücken zu stärken. Dies werde, so die Hoffnung, das Nichtverbreitungsregime stärken und künftige Fortschritte ermöglichen.

In den Medien standen die Auseinandersetzungen zwischen Ägypten und den USA über die Nahost-Vereinbarung und der Streit zwischen Iran und den Kernwaffenmächten im Vordergrund. Genau so wichtig, von der Öffentlichkeit aber kaum zur Kenntnis genommen, ist der Konflikt zwischen den kernwaffenfreien und den Kernwaffenstaaten um die Rolle von Kernwaffen und um Vorbereitungen für eine Nuklearwaffenkonvention.

Auf dem Papier ist die Überprüfungskonferenz 2010 ein gewisser Erfolg. Langfristig ist das aber nur dann von Bedeutung, wenn das Bewusstsein dafür wächst, dass sich die nukleare Bedrohung nur dann auflöst, wenn neben einzelnen Abrüstungsschritten wie in Absatz I,B,iii des Abschlussdokuments beschrieben „der notwendige Rahmen für die Erzielung und Aufrechterhaltung einer Welt ohne Kernwaffen“ geschaffen wird.

Rahmen für kernwaffenfreie Welt schaffen

Wenn auch noch ohne Zeitvorstellungen oder Verhandlungszusagen, hat es das Konzept einer Nuklearwaffenkonvention als übergeordnetes Ziel doch in den Aktionsplan geschafft. Damit wurde eine wichtige Brücke geschlagen zwischen den Nichtverbreitungsabsichten des NVV und weitreichenden Bestrebungen zur vollständigen Abschaffung von Kernwaffen mittels einer Nuklearwaffenkonvention. Somit kann in Zukunft keine Regierung den Ruf nach einem Vertrag über vollständige Abrüstung mehr mit dem Hinweis abwehren, es sei dafür zu früh oder eine solche Herangehensweise würde das existierende Nichtverbreitungsregime unterminieren. Mit dem diesjährigen Abschlussdokument wurde das Konzept einer Nuklearwaffenkonvention vielmehr im Konsens als brauchbarer Ansatz zur Erfüllung und Stärkung der NVV-Ziele empfohlen.

Anmerkungen

1) Der Wortlaut des Vertrags sowie Informationen zu seiner Geschichte und zur Überprüfungskonferenz 2010 finden sich in W&F-Dossier 64, Next Stop New York 2010 – Hintergründe zu den NVV-Verhandlungen, April 2010 (die Übersetzerin).

2) Das Abschlussdokument der Konferenz sowie alle anderen relevanten Konferenzdokumente stehen unter www.reachingcriticalwill.org/legal/npt/2010index.html.

3) Das IAEO-Zusatzprotokoll von 1997 schreibt strengere Sicherungsmaßnahmen und Kontrollmöglichkeiten der IAEO fest. Es wurde bisher von 132 Staaten unterzeichnet und von 101 ratifiziert.

4) Zum Fünf-Punkte-Plan des UN-Generalsekretärs siehe W&F-Dossier 64 (die Übersetzerin).

5) Zur Nuklearwaffenkonvention siehe Scheffran, Jürgen, Transformation in die atomwaffenfreie Welt. Die Nuklearwaffenkonvention, in: Wissenschaft & Frieden 1-2008 (die Übersetzerin).

6) Die New Agenda Coalition ist ein loser Zusammenschluss von Staaten, die im NVV-Kontext gemeinsam agieren.

7) Berry, Ken et.al., Delegitimizing Nuclear Weapons. Examining the validity of nuclear deterrence, Schweizerische Eidgenossenschaft, CNS und Monterey Institute of International Studies; ohne Datum, vorgestellt in New York am 6. Mai 2010.

8) In Aktion 5(b) verpflichten sich die Kernwaffenstaaten außerdem, „die Frage aller Kernwaffen unabhängig von ihrem Typ und Stationierungsort als integralem Bestandteil des allgemeinen nuklearen Abrüstungsprozesses [zu adressieren]“ (die Übersetzerin).

9) Resolution 1887 des UN-Sicherheitsrates; http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N09/523/74/PDF/N0952374.pdf?OpenElement.

Rebecca Johnson ist Gründerin und Direktorin des Acronym Institute for Disarmament Diplomacy mit Sitz in London und Herausgeberin der Zeitschrift Disarmament Diplomacy. Von der NVV-Überprüfungskonferenz hat sie unter http://acronyminstitute. wordpress.com gebloggt.
Übersetzt von Regina Hagen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/3 Afghanistan: Krieg ohne Ende, Seite 46–49