W&F 2000/4

Die OSZE als Instrument ziviler Konfliktbearbeitung

Eine kritische Bilanz

von Sabine Jaberg

Fünfundzwanzig Jahre nach Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki am 1. August 1975 ist die damalige Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und heutige Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)1 kaum wiederzuerkennen: Aus einer stets gefährdeten Konferenzfolge zum Zweck der Entdramatisierung des globalen Macht- und Systemkonflikts ist mit Einschnitt des Pariser Gipfels 1990 schrittweise eine in Wien quasi sesshaft gewordene Institution ziviler Konfliktbearbeitung geworden, die sich mit gewaltfreien Mitteln um die friedliche Austragung von Streitigkeiten bemüht. Seit den Beschlüssen von Helsinki 1992 gilt sie sogar als regionale Abmachung gemäß Kapitel VIII der UNO-Charta. Gerade aber der Krieg der NATO gegen Jugoslawien im letzten Jahr wirft Fragen nach der Leistungsfähigkeit der OSZE auf.2 Ihre Beantwortung erfolgt in drei Schritten: Zuerst geht es um eine kurze Skizzierung der zivilen Instrumente der OSZE, danach werden ihre grundlegenden Defizite bzw. Probleme aufgezeigt, um abschließend eine kurze Bilanz und Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Mittlerweile besitzt die OSZE zahlreiche Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung, so dass zumindest von Ansätzen eines umfassenden Gewaltvermeidungsregimes gesprochen werden kann:3

  • Langfristige Gewaltprävention: Sie zielt im Wesentlichen auf die Beeinflussung struktureller Rahmenbedingungen; Gewalt begünstigende Faktoren sollen abgebaut und Gewaltfreiheit fördernde Faktoren gestärkt werden. Der Schwerpunkt der OSZE liegt dabei auf zwei Feldern: Zum einen trägt sie zur Stärkung von Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechten bei. Wichtige Instrumente hierzu sind unter anderem Wahlbeobachtungen, Aktivitäten des Beauftragten für Medienfreiheit und vor allem dauerhafte Präsenz vor Ort: Mit Missionen und Verbindungsbüros ist die OSZE auf dem Balkan, im Kaukasus, in Zentral- und Osteuropa sowie in Zentralasien bereits über längere Zeit relativ stark vertreten. Zum anderen unterstützt sie auf militärischem Gebiet Abrüstung, Transparenz und Vertrauensbildung. Demgegenüber zeitigt sie beim ökonomischen Ausgleich – einem entscheidenden Element langfristiger Gewaltprävention – noch keinen signifikanten Mehrwert.4
  • Friedliche Streitbeilegung:In diesem Bereich verfügt die OSZE mit dem Valletta-Verfahren und dem Gerichtshof in Genf über spezialisierte Instrumente.5
  • Frühwarnung: Hier besteht seit den Beschlüssen von Helsinki 1992 ein Verfahren, nach dem die politischen Institutionen bei einer problematischen Entwicklung nicht nur durch die Teilnehmerstaaten, sondern auch durch andere Mechanismen (etwa dem zur Menschlichen Dimension) aktiviert werden können. Mit dem Hohen Kommissar für nationale Minderheiten6 (HKNM) existiert ein Frühwarn-Instrumentarium speziell für Konflikte, in denen nationale Minderheiten involviert sind.
  • Aktive Konfliktintervention: Der HKNM dient nicht nur der Frühwarnung, sondern auch der aktiven Konfliktintervention zum frühstmöglichen Zeitpunkt. Obwohl seine Arbeit wenig sichtbar ist, hat er doch mit seiner Begleitung minderheitenrelevanter Gesetzgebungsverfahren zur Entschärfung mancher Spannungen beigetragen (z.B. in Estland und Rumänien). Das Geheimnis des Erfolgs sieht der gegenwärtige Amtsinhaber Max van der Stoel in seiner Rolle als für die Konfliktparteien akzeptabler „außenstehend(r) ehrliche(r) Makler.7 In den Bereich aktiver Konfliktintervention fallen des weiteren Aktivitäten des Amtierenden Vorsitzenden bzw. seiner Persönlichen Beauftragten (z.B. in Jugoslawien, Albanien und zu Nargono-Karabach). Darüber hinaus befindet sich die OSZE seit dem Istanbuler Gipfel Ende letzten Jahres im Aufbau »Schneller Einsatzgruppen für Expertenhilfe und Kooperation« (REACT) mit dem Ziel, ziviles und polizeiliches Expertenwissen bei Bedarf rasch einsetzen zu können.
  • Zwangsmaßnahmen: Als primär kooperatives Sicherheitssystem verfügt die OSZE kaum über Möglichkeiten zu Maßnahmen, mit denen sie säumige Teilnehmerstaaten zur Einhaltung eingegangener Verpflichtungen zwingen könnte. Eine einzige Ausnahme besteht: In Fällen von eindeutigen, groben und nicht behobenen Verletzungen im Bereich der Menschlichen Dimension sind der OSZE „politische Erklärungen oder andere politische Schritte, die außerhalb des Territoriums des betroffenen Staates anwendbar sind“8 erlaubt, ohne dass der sanktionierte Teilnehmer zustimmen müsste (»Konsens minus eins«). Bei weitläufiger Interpretation wären sogar Embargo-Maßnahmen – nicht jedoch deren gewaltsame Durchsetzung – erfasst. Bislang hat die OSZE von dieser Regelung mit der Suspendierung Jugoslawiens 1992 nur einmal Gebrauch gemacht – mit dem problematischen Resultat der Nichtverlängerung des Mandats für die Langzeitmissionen im Sandschak, im Kosovo und in der Vojvodina.
  • Konfliktnachsorge/Friedensstabilisierung: Hier besitzt die OSZE seit den Beschlüssen von Helsinki 1992 die Option traditionellen Peacekeepings – auch Langzeitmissionen (wie etwa in Georgien) und künftig auch REACT-Ressourcen könnten in diesem Stadium eingesetzt werden. Bereits jetzt übernimmt sie im Kosovo gemeinsam mit der UNO quasi Staatsaufgaben und trägt Verantwortung für den Aufbau einer multiethnischen Polizei.

Defizite/Probleme der OSZE

Die positiven Ansätze dürfen aber nicht über grundlegende Defizite und Probleme hinwegtäuschen.9

Radio Eriwan-Syndrom

Der Sachverhalt, dass die OSZE über Ansätze eines umfassenden Gewaltvermeidungsregimes verfügt, ist Ausdruck der abstrakten Einsicht ihrer Teilnehmerstaaten in dessen Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit. Die Umsetzung in konkrete Praxis jedoch leidet unter dem Radio Eriwan-Syndrom (»Im Prinzip ja, aber…«). Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen.

  • Verfahren friedlicher Streitbeilegung: Im Prinzip erkennen die Teilnehmerstaaten den Vorteil friedlicher Beilegung ihrer untereinander bestehenden Streitigkeiten, denn auf dem Wiener Folgetreffen (1986-1989) akzeptieren sie „grundsätzlich die obligatorische Hinzuziehung einer Drittpartei.“10 Das ausgearbeitete Valletta-Dokument scheint diesem Auftrag entsprochen zu haben, denn es proklamiert ausdrücklich die „obligatorische Hinzuziehung einer Drittpartei.“11 Das konkrete Verfahren aber verfehlt den erhobenen Anspruch, denn es unterliegt einem Vorbehalt: So kann eine Partei die Aktivierung bzw. Fortsetzung des Verfahrens verhindern, wenn sie zur Auffassung gelangt sein sollte, dass „der Streitfall Fragen ihrer territorialen Integrität oder ihrer Landesverteidigung, ihrer Hoheitsansprüche auf Landgebiete oder konkurrierende Ansprüche hinsichtlich der Hoheitsgewalt über andere Gebiete berührt.“12 Damit sind besonders eskalationsträchtige Konflikte zumindest der Möglichkeit nach aus dem Verfahren ausgeklammert – ganz abgesehen von dem grundsätzlichen Defizit, dass die äußerst dringliche Problematik innerstaatlicher Konflikte gar nicht erst berücksichtigt worden ist. Auch die Ergebnisse des KSZE-Rates von Stockholm 1992 haben mit dem Vergleich auf Anordnung, der Einrichtung einer Vergleichskommission sowie der Etablierung eines Gerichtshofs auf völkerrechtlicher Grundlage keinen Durchbruch zu einem wirklichen Obligatum erzielt.13 Das Faktum, dass sowohl der Valletta-Mechanismus als auch der Gerichtshof bislang nicht angerufen worden sind, verwundert aufgrund ihrer immanenten Defizite nicht.
  • HKNM: Im Prinzip gestehen die Teilnehmerstaaten mit der Einrichtung dieser Institution 1992 in Helsinki ein14, dass die Entschärfung von Minderheitenkonflikte spezifischer Instrumente bedarf. Tatsächlich stellt der HKNM nicht nur die wohl effektivste, sondern auch die innovativste Einrichtung der OSZE dar: Erstens erlaubt das Mandat dem Amtsinhaber grundsätzlich, aus eigenem Entschluss tätig zu werden, zweitens übernimmt der HKNM eine für erfolgreiche Bewältigung nationaler Minderheitenkonflikte unverzichtbare Scharnierfunktion zwischen Staaten- und Gesellschaftswelt. Die konkrete Tätigkeit des HKNM aber unterliegt zahlreichen Restriktionen. Zum einen kann ein Teilnehmerstaat die Eigeninitiative des HKNM in einem speziellen Fall unterbinden, indem er diesbezüglich an den Hohen Rat/Ständigen Rat eine konkrete Frage heranträgt mit der Folge, dass der HKNM nun ein konsensual zu beschließendes Mandat benötigt. Diese Regelung kommt einem Vetorecht für jeden Teilnehmerstaat gleich.15 Zum anderen ist es dem HKNM strikt untersagt, in – letztlich von den Regierungen definierten – Fällen „organisierte(r), terroristische(r) Handlungen“16 aktiv zu werden. Dieses Verbot trägt dazu bei, virulente Minderheitenkonflikte (vornehmlich in den westlichen Staaten) aus dem Tätigkeitsfeld des HKNM auszuschließen. Schließlich darf sich der HKNM nur mit Fällen zwischenstaatlicher Relevanz befassen. Damit droht die Gefahr, dass explosive Konflikte nicht oder zu spät entschärft werden.

Konkurrenz von ziviler Konfliktbearbeitung
und militärischer Friedenserzwingung

Die OSZE befindet sich mit ihren Bemühungen um friedliche Friedens- und Sicherheitsgewährleistung in zweierlei Hinsicht in Konkurrenz zu militärischen Ansätzen:

  • Inkompatibilität ziviler und militärischer Logik: Beiträge ziviler Konfliktbearbeitung und Versuche militärischer Friedenserzwingung schließen sich im Prinzip gegenseitig aus. So musste die im Zuge des Holebrooke-Milosevic-Abkommens im Oktober 1998 etablierte Verifikationsmission der OSZE im Kosovo (KVM) nach glaubhafter Androhung von Luftschlägen im wahrsten Sinn des Wortes das Feld für den NATO-Krieg im März 1999 räumen.17 Wäre die Mission weiterhin im Land geblieben, hätte ihren Mitgliedern ebenso wie einigen UNO-Blauhelmen zuvor in Bosnien-Herzegowina im Frühjahr 1995 Geiselhaft gedroht. Dies hätte die Angreifer in eine politisch wie moralisch noch prekärere Lage gebracht als jene, in der sie sich aufgrund fragwürdiger völkerrechtlicher Grundlagen ihrer Erzwingungsaktion ohnehin schon befanden.
  • Kampf um knappe Ressourcen: Obwohl der Haushalt der OSZE von zwölf Mio. Euro im Jahr 1993 auf 208 Mio. Euro im Jahr 2000 um den Faktor achtzehn gestiegen ist,18 nimmt er sich im Vergleich mit dem NATO-Haushalt von 270,4 Mrd. US-Dollar im Jahr 1998 relativ bescheiden aus.19 Bereits diese Daten verdeutlichen die tatsächliche Prioritätensetzung jenseits politischer Rhetorik.

Instrumentalisierung für partikulare Anliegen

Dass die OSZE mit relativ wenig finanziellen Mitteln auskommt, lässt sich auf der einen Seite als komparativer Vorteil gegenüber finanziell aufwendigeren Organisationen (z.B. NATO und UNO) interpretieren. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass eine am Existenzminimum gehaltene Einrichtung für erfolgreiche Instrumentalsierungsversuche durch die mächtigeren Mitglieder besonders anfällig ist:

  • Verweigerung einer unabhängigen Organisationsidentität: Zahlreiche Defizite verhindern bislang die Entstehung einer von den Teilnehmerstaaten unabhängigen Organisationsidentität mit der Fähigkeit zur Erfahrungs- und Wissensakkumulation als Kern:20 Da die Aufgabe des Konfliktverhütungszentrums als Teil des Sekretariats im Wesentlichen darin besteht, Missionen infrastrukturell zu stützen, fehlt es erstens immer noch an einer Einrichtung, die problematische Entwicklungen unabhängig systematisch analysiert, Gegenmaßnahmen entwirft und Vorschläge in den politischen Prozess einspeist. Zweitens muss die OSZE im Einzelfall Personal aus den Teilnehmerstaaten rekrutieren und die Tätigkeitsdauer der – ohnehin relativ geringen – OSZE-eigenen Angestellten ist auf maximal sieben Jahre beschränkt. Drittens fehlen der OSZE Ausbildungskapazitäten. Damit gerät die OSZE in Abhängigkeit jener Staaten, die in der Lage sind, auftretenden Engpässen fallweise abzuhelfen.
  • Missbrauch von OSZE-Einrichtungen zu partikularen Zwecken: Zweifelsohne bietet der relativ große eigenständige Handlungsspielraum einiger Einrichtungen die Chance auf ein hohes Maß an Problemorientierung, sofern sich die jeweils handelnden Personen darum bemühen – wie etwa der gegenwärtige HKNM Max van der Stoel. Problematisch wird relative Autonomie aber dann, wenn AmtsinhaberInnen sich als verlängerte Arme ihrer jeweiligen Regierungen begreifen. Heinz Loquai, ehemaliger Militärberater der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE, kritisiert mit dem Leiter der KVM William Walker einen besonders prominenten Fall: „Es war kein Geheimnis, dass Missionschef Walker nicht so sehr Leiter einer internationalen Mission war, sondern die amerikanische Kosovo-Politik durchzusetzen hatte und von Washington gesteuert wurde.“21 Ähnlichen – von Alexander Matwejew geäußerten – Vorwürfen sieht sich der damalige Amtierende Vorsitzende, der Norweger Knut Vollebaek ausgesetzt: „Die Tatsache, dass der Amtierende Vorsitzende aus einem Staat kommt, der Mitglied der NATO ist und an dem Krieg beteiligt war, hat natürlich die Unabhängigkeit dieses Amtes und seine Fähigkeit, im Namen der ganzen OSZE zu sprechen, deutlich reduziert.“22

Zweiklassengesellschaft

Obwohl die Instrumente der OSZE bei Bedarf auf alle Teilnehmerstaaten gleichermaßen anwendbar sind, kristallisiert sich in der Praxis eine Zweiklassengesellschaft heraus.23 Auf der einen Seite befinden sich die Mitglieder westlicher Organisationen (insbesondere NATO und EU), auf der anderen Seite stehen die Staaten, welche in diese Einrichtungen drängen oder wie Russland auf massive wirtschaftliche Unterstützung angewiesen sind. Dieses Kräfteverhältnis verursacht ein geografisches wie politisches Ungleichgewicht innerhalb der OSZE: Sie dient im Wesentlichen der Intervention in Konflikte östlich der alten Systemgrenze. Dort entfaltet der HKNM seine Tätigkeiten, befinden sich Langzeitmissionen und werden Wahlen beobachtet. Dies mag auch Ausdruck davon sein, dass in diesem Gebiet immenses Konfliktpotenzial besteht und Demokratie noch weitgehender Unterstützung bedarf. Wenn jedoch massive Minderheitenkonflikte in westlichen Staaten (z.B. Spanien, Großbritannien und Türkei) systematisch ausgegrenzt und grundsätzliche Probleme bei der Beachtung der Menschenrechte (insbesondere in der Türkei) gleichsam tabuisiert sind, dann untergräbt diese Einseitigkeit langfristig Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der OSZE vor allem in jenen Staaten, die ihrer Unterstützung am meisten bedürfen.

Hegemoniale Ordnungspolitik

Parallel zur Etablierung kooperativer Sicherheitselemente haben nahezu sämtliche OSZE-Staaten mit einseitiger Machtpolitik ihren Vorteil gesucht. Der NATO bzw. ihren Mitgliedern ist es sogar gelungen, hegemoniale Ambitionen schrittweise durchzusetzen:24 Bereits auf dem Pariser Gipfel 1990 scheiterten weitergehende Vorschläge im Bereich ziviler Gewaltvorsorge und kollektiver Sicherheit nicht zuletzt am Widerstand der USA und Großbritanniens. Auf dem Budapester Gipfel wurde zwar die KSZE in OSZE umbenannt, die dort vorgesehene Diskussion über ein europäisches Sicherheitssystem war aber von der NATO mit ihrer Entscheidung über die Bündniserweiterung bereits unterlaufen. Ihr Beschluss symbolisierte den Anspruch »NATO first«. Der Luftkrieg gegen Jugoslawien setzte ihn in politische Praxis um: Spätestens mit der Entscheidung des Amtierenden Vorsitzenden der OSZE über den Abzug der KVM war endgültig „die Entscheidungskompetenz von Wien zur NATO nach Brüssel transferiert“25 (Heinz Loquai).

Bilanz und Perspektive

Fünfundzwanzig Jahre nach Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki und zehn Jahre nach dem Pariser Gipfel muss gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher26 eine gemischte Bilanz gezogen werden: Einerseits ist die OSZE als Dienstleistungsunternehmen im Bereich ziviler Konfliktbearbeitung fester Bestandteil gesamteuropäischer Ordnung geworden. Ihre Stärke liegt in der Thematisierung und Beobachtung problematischer Entwicklungen. Mit dem Beschluss zur Einrichtung von REACT wird ihre eklatante Lücke zwischen early warning und early action ein wenig verringert. Andererseits müssten mittlerweile selbst diejenigen, welche die OSZE lediglich als Serviceleisterin erhalten wollen, sich die Frage stellen, wie lange dies bei ihrer politischen Marginalisierung und Instrumentalisierung noch möglich ist. Schließlich basiert der Erfolg ziviler Konfliktintervention auf der Legitimität der durchführenden Institution. Aber bereits jetzt begreifen betroffene Staaten (z.B. die Ukraine) den Einsatz von OSZE-Instrumenten als Makel.27 Letztlich führt im Interesse friedlicher Konfliktbearbeitung kein Weg an der politischen Aufwertung der OSZE und der Optimierung ihrer Instrumente vorbei. Insbesondere jene Regierungen, die wie die bundesdeutsche die Singularität des NATO-Krieges betonen, werden durch Initiativen zur Stärkung der OSZE, aber auch der UNO, beweisen müssen, dass ihr Bekenntnis keine bloße Rhetorik zum Zweck moralischer Eigenentlastung darstellt.

Anmerkungen

1) Die KSZE ist auf dem Budapester Gipfel 1994 mit Wirkung zum 1. Januar 1995 in OSZE umbenannt worden. Eine Organisation im völkerrechtlichen Sinne ist sie damit aber nicht geworden, sondern sie basiert weiterhin auf politischer Übereinkunft. Die Teilnehmerstaaten bekräftigen ausdrücklich: „Durch den Namenswechsel (…) ändert sich weder der Charakter unserer KSZE-Verpflichtungen noch der Status der KSZE und ihrer Institutionen.“ – Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Treffen der Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der KSZE am 5. und 6. Dezember in Budapest. Budapester Dokument 1994. Der Weg zu echter Partnerschaft in einem neuen Zeitalter, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin, Nr. 120. Bonn, 23. Dezember 1994, S. 1097-1115; hier: S. 1101 (Beschlüsse von Budapest, Pkt. I/29.).

2) Vgl.: Schlotter, Peter: Die OSZE – Leistungsfähigkeit einer internationalen Organisation, in: Die Friedens-Warte, 1/2000, S. 11-30.

3) Vgl.: Jaberg, Sabine: Unvermeidbare Gewalt? Chancen und Grenzen präventiver Friedenssicherung, in: Solms, Friedhelm u.a. (Hrsg.): Friedensgutachten 1997. (…)Münster 1997. (zit.: Friedensgutachten 1997.) S. 171-184; hier: S. 181-184.

4) Vgl.: Switalski, Piotr: Die wirtschaftliche Dimension – Auf der Suche nach dem Mehrwert der OSZE, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg/IFSH (Hrsg.): OSZE-Jahrbuch 1999. (…) Baden-Baden 1999. (OSZE-Jahrbuch; 5.) (zit.: OSZE-Jahrbuch 1999.) S. 415-424.

5) Siehe unten.

6) Die deutsche Bezeichnung »Hoher Kommissar für nationale Minderheiten« (Herv. SJ) ist missverständlich. Es handelt sich nicht um einen Ombudsmann für nationale Minderheiten, sondern ausschließlich um ein Instrument der Frühwarnung und Konfliktbewältigung. Die englische Bezeichnung »High Commissioner on National Minorities« (und eben nicht »High Commissioner for National Minorities«) trifft den Sachverhalt präziser.

7) Stoel, Max van der: Gedanken zur Rolle des Hohen Kommissars der OSZE für nationale Minderheiten als Instrument zur Konfliktverhütung, in: OSZE-Jahrbuch 1999, S. 429-441; hier: S. 433. – Vgl.: Zellner, Wolfgang: Was der Hohe Kommissar für nationale Minderheiten bewirkt, in: Lutz, Dieter S./Tudyka. Kurt P. (Hrsg.): Perspektiven und Defizite der OSZE. Baden-Baden 1999/2000. (Demokratie, Sicherheit, Frieden; 123.) S. 141-171.

8) Zweites Treffen des Rates der Außenminister der Teilnehmerstaaten der KSZE. Am 30. und 31. Januar 1992 in Prag. Prager Dokument über die weitere Entwicklung der KSZE-Institutionen und Strukturen, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin, Nr. 12. Bonn, 4. Februar 1992, S. 83-88; hier: S. 84 (Pkt. IV/16.).

9) Vgl.: Jaberg, Sabine: Die OSZE: Zwischen kooperativem Anspruch und hegemonialer Ordnungspolitik (zit.: Jaberg: Die OSZE.), in: antimilitarismus information, 11/1999, S. 23-30. Meyer, Berthold/Schlotter, Peter: Zwischen Marginalisierung und Überforderung – die OSZE vor einer Renaissance?, in: Friedensgutachten 1997, S. 143-155. Zellner, Wolfgang: Die OSZE zwischen organisatorischer Überforderung und politischem Substanzverlust (zit.: Zellner: Die OSZE.), in: Ratsch, Ulrich u.a. (Hrsg.): Friedensgutachten 2000. [_] Münster 2000, S. 99-108.

10) Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Abschließendes Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin, Nr. 10. Bonn, 31. Januar 1989, S. 77-95; hier: S. 79 (Fragen der Sicherheit in Europa, Prinzipien, Pkt. 6.).

11) Bericht über das KSZE-Expertentreffen über die friedliche Regelung von Streitfällen. Valletta 1991. (zit.: Valletta-Bericht.) S. 6.

12) Valletta-Bericht, Pkt. XII Absatz 1, S. 13.

13) Vgl.: Jaberg, Sabine: Systeme kollektiver Sicherheit in und für Europa in Theorie, Praxis und Entwurf. Ein systemwissenschaftlicher Versuch. Baden-Baden 1998. (Demokratie, Sicherheit, Frieden; 112.) S. 680-690.

14) Eine kritische Analyse des Mandats findet sich in Jaberg, Sabine: KSZE 2001. Profil einer Europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung. Bilanz und Perspektiven ihrer institutionellen Entwicklung. Hamburg 1992. (Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik; 70.) S. 45-50.

15) Auch nach Abgabe einer Frühwarn-Erklärung durch den HKNM wird ein Mandat der politischen Gremien erforderlich. Deshalb bemüht sich der HKNM, diese Schwelle nicht zu überschreiten.

16) Vgl.: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Helsinki-Dokument 1992. Herausforderung des Wandels, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin, Nr. 82. Bonn, 23. Juli 1992, S. 777-804; hier: S. 783 (Beschlüsse von Helsinki, Pkt. II/5b.).

17) Vgl.: Loquai, Heinz: Die OSZE-Mission im Kosovo – eine ungenutzte Friedenschance?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/1999, S. 1118-1126.

18) Vgl.: OSCE: Administration and Finance – facts & figures, in: http://www.osce.org/general/budget/old_budget.htm (abgerufen am 27. Juli 2000).

19) Vgl.: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) (Hrsg.): Yearbook 1999. Armaments, Disarmament and International Security. Oxford 1999, S. 326.

20) Auf wichtige Probleme verweist hier: Zellner: Die OSZE, a.a.O, S. 99 f.

21) Loquai, Heinz: Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg. Die Zeit von Ende November 1997 bis März 1999. Baden-Baden 2000. (Demokratie, Sicherheit, Frieden; 129.) (zit.: Loquai: Der Kosovo-Konflikt.) S. 62.

22) Matjewew, Alexander: Die Identitätskrise der OSZE, in: OSZE-Jahrbuch 1999, S. 67-90; hier: S. 75.

23) Vgl.: Jaberg: Die OSZE, a.a.O., S. 24-26.

24) Vgl.: Jaberg: Die OSZE, a.a.O., S. 26-29.

25) Loquai: Der Kosovo-Konflikt, S. 63.

26) Vgl.: Rede von Bundesminister a.D. Hans-Dietrich Genscher bei der Festveranstaltung anlässlich 25 Jahre Schlussakte von Helsinki am 19. Juli 2000 in Wien. (PC.DEL/407/00 vom 18. Juli 2000.).

27) Vgl.: Meyer, Berthold: In der Endlosschleife. Die OSZE-Langzeitmissionen auf dem Prüfstand. Frankfurt/M. 1998. (HSFK-Report; 3/1998.) S. 48-50.

Dr. Sabine Jaberg ist Lehrbeauftragte für Friedensforschung an der WWU Münster und Dozentin für Sozialwissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/4 Frieden als Beruf, Seite