W&F 2015/3

Die OSZE

Ein zwieschlächtiges Verhandlungsforum

von Kurt P. Tudyka

Mit der Ukrainekrise wurde der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wieder mehr öffentliche und politische Aufmerksamkeit zuteil, nachdem sie in den Jahren zuvor kaum noch Beachtung gefunden hatte. Dabei verfügt die Organisation für den Raum »zwischen Vancouver und Wladiwostok« über die geeigneten Voraussetzungen, ein Forum für Verhandlungen mit dem Ziel der Konfliktschlichtung und der Friedenbewahrung zu sein: Der OSZE gehören alle Staaten in diesem Raum an, sie hat grundsätzlich den Auftrag zu solchen Aufgaben, und sie verfügt über eine Reihe von Institutionen zu deren Erfüllung. Sie ist in und für Europa die einzige Institution, in der die Vertreter potenzieller oder tatsächlicher Konfliktparteien sich in Wien permanent treffen, mindestens einmal wöchentlich im Ständigen Rat und im Forum für Sicherheitspolitik. Doch wie verhalten sich Anspruch und Realität der OSZE zueinander?

Als am 1. August 1975 in Helsinki nach zweijährigen Verhandlungen 35 Staats- und Regierungs- bzw. Parteichefs die Helsinki-Schussakte unterzeichneten, war die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit für Europa (KSZE) geboren.1 Die Gründung markierte eine historische Wende im Ost-West-Konflikt. Doch wenn in diesem Jahr die 1995 aus der KSZE hervorgegangene OSZE ihr vierzigjähriges Bestehen begeht, dürfte ihren Vertretern eigentlich nicht nach Feiern zumute sein. Und das wäre nicht nur ein Ausdruck der gegenwärtigen politischen Krisen und Konflikte in Europa, sondern auch der Erinnerung an das permanente Scheitern der im letzten Jahrzehnt oft mühsam erarbeiteten Vorschläge für eine Stärkung der Organisation geschuldet.

Entwicklung der KSZE/OSZE im Spiegel ihrer Geschichte

Die bisherige Geschichte der KSZE/OSZE lässt sich in sechs Phasen unterteilen, die größtenteils die Umstände des internationalen Systems, namentlich des Ost-West-Verhältnisses, zu einem kleinen Teil aber auch die autonome Entwicklung der Organisation selbst widerspiegeln. An der KSZE bzw. OSZE lassen sich gewissermaßen die Veränderungen der europäischen Verhältnisse ablesen.

Die erste Phase begann ansatzweise in den 1960er Jahren mit Vorschlägen und Beschlüssen verschiedener Konferenzen und Organisationen, wie Warschauer Pakt und NATO, über die gesamteuropäische Sicherheit, nahm seit 1973 mit den formellen Regierungsverhandlungen Fahrt auf und wurde 1975 mit der Helsinki-Schlussakte gekrönt. Die zweite Phase umfasste die Überprüfung und Ergänzung der ausgehandelten Prinzipien, Normen und Absichten durch drei große Diplomatenversammlungen, die so genannten Folgekonferenzen, von Belgrad 1977-78 über Madrid 1980-83 bis hin zu Wien 1986-89. Die dritte Phase war vom gesellschaftlichen Umschwung in Ost-, Mittel- und Südosteuropa und den entsprechenden Reaktionen und Initiativen der jeweiligen Regierungen gekennzeichnet. Die KSZE wurde zum Aushängeschild und partiell zur politischen Transformationsagentur, was sich 1990 in der »Charta von Paris für ein neues Europa« und 1992 im Treffen der Staats- und Regierungschefs in Helsinki manifestierte. In dieser Phase stand die Organisation im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit und weckte große Erwartungen.

Die vierte Phase nach 1992, in der die Umbenennung von KSZE in OSZE erfolgte, war vor allem durch die operativen Einsätze bzw. Missionen charakterisiert und damit durch den Wandel von einer beratenden und deklarierenden Versammlung zur intervenierenden und engagierten Agentur. Dies war insbesondere eine direkte Folge der konfliktreichen Sezessionen der Sowjetunion und Jugoslawiens. Den damals aktuellen Status drückte die 1999 auf der Istanbuler Gipfelkonferenz verabschiedete »Charta für Europäische Sicherheit« aus. Doch die Verheißungen blieben größtenteils unerfüllt. Die fünfte Phase nach 2000 war geprägt vom Beharren auf vermeintlich gemeinsame normative Positionen und die Resignation über die mangelnde Aussicht auf weitere gesamteuropäische sicherheitspolitische Fortschritte. Auf den jährlich stattfindenden Ministerratssitzungen nahm die Zahl der inhaltlich redundanten Beschlüsse stark zu, umgekehrt sank die Zahl der inhaltlich innovativen Beschlüsse ständig.2

Die sechste und vorläufig letzte Phase, die etwa mit dem griechischen Vorsitz 2009 einsetzte,3 ist gekennzeichnet durch wiederholte Bemühungen um einen Aufbruch, mit phantasiereich geschmückten Initiativen, wie dem »Korfu-Prozess«, der »Gedenkerklärung von Astana« mit dem Titel »Auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft« und dem Helsinki+40-Prozess, die alle vom Ministerrat in Dublin 2012 noch einmal bekräftigt, in Kiew 2013 wiederum erklärt und kürzlich in Basel erneut beschworen wurden. Im Großen und Ganzen ging es immer um Bemühungen, die OSZE zu einer umfassenderen Sicherheitsgemeinschaft der 57 ihr angehörenden Staaten auszubauen.

OSZE in der Krise?

Heute, 40 Jahre nach ihrer Gründung, aber auch nach der Annexion der Krim und der Unterstützung ukrainischer Separatisten durch die Russische Föderation, ist die OSZE mit einer qualitativ vollkommen anderen Situation konfrontiert als in den vorangegangenen Phasen ihrer Geschichte. Der zeitweise Ausschluss Jugoslawiens bzw. Serbiens von den Beratungen der OSZE in Wien während der Balkankriege von 1992 bis 2000 war im Vergleich dazu eine Marginalie, was das damals starke Selbstbewusstsein der OSZE belegt.

Wer könnte und wollte analog zum Ausschluss der russischen Abgeordneten aus dem Europarat im April 2014 oder zum Ausschluss des russischen Präsidenten von der G8-Runde im Sommer 2015 die Russische Föderation von der OSZE verbannen, ohne diese damit zu ruinieren? Diese Frage zielt auf die Zwieschlächtigkeit der OSZE ab. Sie ist einerseits ein unübertreffliches Forum für Verhandlungen zwischen Kontrahenten, soweit diese Teilnehmer der Staatengemeinschaft sind. Sie deklariert sich andererseits aufgrund ihrer Grundsätze als nicht wertneutral; tatsächlich wurde und wird immer wieder an die »Acquis« erinnert, die man gemeinsam erarbeitet habe und bewahren und überall verwirklichen müsse, also die Normen für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sowie die grundsätzlichen Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle oder zur Bekämpfung von Terrorismus.

2014 hatte die Schweiz den OSZE-Vorsitz inne. Beim 21. OSZE-Ministerrat im Dezember desselben Jahres in Basel bemerkte der Gastgeber, der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter: „Für die OSZE war das kein Jahr wie jedes andere […] Das internationale Bewusstsein für die Rolle und das Potenzial der OSZE als Plattform für Diskussion und Handeln hat 2014 zugenommen. Und doch sieht die Lage heute trotz der von der OSZE ausgehenden positiven Dynamik alles andere als gut aus.“ Selbstzweifelnd fragte er: „Stehen wir nach wie vor zu unserem erklärten Ziel, eine Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok zu schaffen?“ 4

Zunächst ist festzuhalten: Trotz der konfrontativen Stimmung in Europa war die OSZE im Jahr 2014 mit vielen Verhandlungen, Vereinbarungen, Gesprächen und Erklärungen sehr aktiv.5 Dafür bieten die Institutionen einen Rahmen, die im Sinne des umfassenden Sicherheitsbegriffs der OSZE und entlang ihrer drei Themenbereiche (»Dimensionen«), nämlich Politisch-Militärisches, Wirtschaft und Umwelt sowie Humanitäres/Menschenrechte, geschaffen wurden: das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, die Hohe Kommissarin für nationale Minderheiten und der Beauftragte für Medienfreiheit genauso wie die 18 Feldmissionen und die Sonderbeauftragten für verschiedene Regionen und Sachgebiete.6 Beim Ministerrat in Basel wurde über neue Aufgaben verhandelt, und einige davon wurden auch vereinbart, darunter die Bekämpfung von Terrorismus unter Einhaltung menschenrechtlicher Verpflichtungen, die Bekämpfung von Entführungen zur Erpressung von Lösegeld und die Bekämpfung ausländischer terroristischer Kämpfer sowie der Schutz von Menschenrechtsverteidigern. Keinen Konsens gab es über die Verhütung von Folter; Einvernehmen wurde aber erzielt über die Bekämpfung von Antisemitismus, die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und einen OSZE-Aktionsplan zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Für Kleinwaffen und leichte Waffen sowie Lagerbestände konventioneller Munition wurden neue Regeln beschlossen. Einig wurden sich die Minister ferner über eine Verbesserung der Katastrophenvorsorge und Maßnahmen zur Verhütung von Korruption.

Die OSZE-Beobachtungsmission berichtete täglich und verlässlich aus der Ukraine; die Trilaterale Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russlands und dem Land, das der OSZE gerade vorsitzt,7 konnte sich als das zentrale Gesprächs- und Verhandlungsformat etablieren und bot den Rahmen für die Verabschiedung der Vereinbarungen von Minsk, die u.a. eine Waffenruhe vorsehen. Zwei neue Feldmissionen wurden für die Ukraine geschaffen: die Sonderbeobachtermission und die Grenzbeobachtungsmission.

Noch in keiner Erklärung eines Amtierenden Vorsitzenden der OSZE fehlte der Hinweis auf die ausstehende Lösung der »Langzeitkonflikte« (früher »eingefrorene Konflikte« genannt) in Moldau wegen Transnistrien, in Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbeidschan, in Georgien wegen Südossetien und Abchasien. Rückblickend befand der Schweizer Vorsitzende, die OSZE habe auch 2014 maßgeblich deeskalierend gewirkt. Sybillinisch klingt die Einschätzung im Schweizer Abschlussbericht zum OSZE-Vorsitz, die Situation sei positiv zu werten, da sich in den genannten Regionen die Sicherheitslage auch vor dem Hintergrund der Ukrainekrise „nicht wesentlich verschlechtert“ habe.8

Lähmung und Vertrauensverlust

Wie gelähmt die OSZE in Wirklichkeit ist, lässt sich aus der ebenfalls in Basel abgegebenen, gewundenen »Ministerratserklärung zu den Verhandlungen über den Prozess zur Beilegung der Transnistrien-Frage im »5+2-Format« ablesen: „Die Minister […] erklären erneut ihre feste Entschlossenheit, zu einer umfassenden friedlichen Beilegung des Transnistrien-Konflikts auf der Grundlage der Souveränität und territorialen Integrität der Republik Moldau mit einem Sonderstatus für Transnistrien zu gelangen, der die Menschenrechte sowie die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte seiner Bevölkerung uneingeschränkt garantiert; […] fordern die Mediatoren und Beobachter der OSZE, der Russischen Föderation, der Ukraine, der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten von Amerika auf, ihre koordinierten Bemühungen zu verdoppeln und ihr Potenzial zur Förderung von Fortschritten auf dem Weg zu einer umfassenden Lösung des Transnistrien-Konflikts vollständig auszuschöpfen.“ 9

In Bezug auf den Konflikt in Georgien konnten sich die OSZE-Teilnehmerstaaten seit dem Krieg von 2008 hingegen auf keine einzige Ministerratserklärung einigen. Und gemeinsame Erklärungen zur sicherheitspolitischen Lage insgesamt scheitern mangels gemeinsamem Verständnis über die Defizite in der OSZE und mangels gemeinsamer Bereitschaft, diese zu beheben.

Das Verhandlungsklima zwischen den Vertretern der Teilnehmerstaaten spiegelt die kritische Sicherheitslage in Europa wider. So gab z.B. der Leiter der US-amerikanischen Delegation beim Ministerrat in Basel zu Protokoll, dass man sich deshalb auf „viele substanzielle Dokumente nicht einigen beziehungsweise die Verpflichtungen in allen Sicherheitsdimensionen nicht glaubhaft ausweiten und vertiefen“ könne, weil „die Russische Föderation andauernd und auf ungeheure Weise ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt und fortgesetzt durch ihre Aggression in der Ukraine gegen die Grundprinzipien und die Verpflichtungen dieser Organisation verstößt“. Russlands Verhalten habe das Vertrauen unter den Teilnehmerstaaten beschädigt, und unterminiere darüberhinaus die Sicherheit und Stabilität im OSZE-Raum.10 Auch der ukrainische Außenminister führte das Fehlen von Fortschritten auf die „Aggression Russlands gegen sein Land“ zurück; die Russische Föderation habe eindeutig gegen die Schlussakte von Helsinki und ihren Katalog von Leitprinzipien verstoßen, der die Grundlage für den Helsinki+40-Prozess bilde. Das habe zu einem weiteren Vertrauensverlust in der OSZE geführt, der den Dialog im Rahmen des Helsinki+40-Prozesses im Jahr 2015 ganz besonders beeinträchtige.11

Es kündete daher von der diplomatisch verklausulierten Offenbarung eines Scheiterns, als der Schweizer Vorsitzende der OSZE feststellte, „dass es uns nicht gelungen ist, bei den Verhandlungen über den Entwurf einer Erklärung des Ministerrats über die Rolle der OSZE in der Krise in der und um die Ukraine unter den 57 Teilnehmerstaaten Konsens zu allen Punkten zu erzielen. In den Verhandlungen und bei dem sonstigen Meinungsaustausch im Zuge des Ministerrats traten unterschiedliche Einschätzungen in Bezug auf die Ursachen der Krise zutage“.12

Wir, die Mitglieder des Ministerrats der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, bekräftigen unser uneingeschränktes Festhalten an allen OSZE-Normen, -Prinzipien und -Verpflichtungen, beginnend mit der Schlussakte von Helsinki, der Charta von Paris und allen anderen von uns vereinbarten OSZE-Dokumenten, sowie unsere Verantwortung, sie vollständig und nach Treu und Glauben umzusetzen.

Wir bekräftigen ferner unser uneingeschränktes Festhalten an der Gedenkerklärung von Astana »Auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft«, in der sich die Teilnehmerstaaten erneut zur Vision einer freien, demokratischen, gemeinsamen und unteilbaren euroatlantischen und eurasischen Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok bekannten, deren Grundlagen vereinbarte Prinzipien, gemeinsame Verpflichtungen und gemeinsame Ziele sind. Diese Sicherheitsgemeinschaft soll alle OSZE-Teilnehmerstaaten in der gesamten euroatlantischen und eurasischen Region einen, frei von allem Trennenden, von Konflikten, Einflussbereichen und Zonen mit unterschiedlichem Sicherheitsniveau.

Wir bestätigen erneut unsere Verpflichtung und unser entschlossenes Bekenntnis zur Weiterentwicklung des vom ukrainischen Vorsitz im Einklang mit dem Ministerratsbeschluss von Dublin eingeleiteten Helsinki+40-Prozesses als ein alle Teilnehmerstaaten einbindendes Bemühen, die Arbeit an der Verwirklichung der Vision einer Sicherheitsgemeinschaft durch einen starken und stetigen politischen Anstoß weiterzuentwickeln, und zur weiteren Verstärkung unserer Zusammenarbeit in der OSZE auf dem Weg in das Jahr 2015, in dem wir den vierzigsten Jahrestag der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki begehen werden.

OSZE-Ministerrat: Erklärung über die Förderung des Helsinki+40-Prozesses. Dokument MC.DOC/1/13 vom 6. Dezember 2013.

Bei dem Baseler Treffen wurde zwar wiederholt betont, dass sich die Teilnehmerstaaten unverändert zu ihrer Verpflichtung bekennen, alle in der Schlussakte von Helsinki 1975 niedergelegten Prinzipien einzuhalten und unverändert die OSZE als einzigartige Plattform für Vertrauensbildung, Zusammenarbeit und Krisenreaktion betrachten. Dennoch wurde „mit tiefer Besorgnis“ festgestellt, dass die Infragestellung und Verletzung der Grundprinzipien der Schlussakte von Helsinki die Grundfesten der internationalen Ordnung und Sicherheit in unserem Raum erschüttere und die zwischenstaatlichen Beziehungen beeinträchtige, und dies dem „Geist der gegenseitigen Achtung und Zusammenarbeit“ widerspräche, wie er in der »Charta von Paris für ein neues Europa« 1990 definiert worden sei und in allen anderen OSZE-Dokumenten zum Ausdruck komme.13

Rechtliche Stärkung der OSZE steht noch aus

Nach wie vor ist die OSZE keine autonome internationale Organisation. Ein äußeres Zeichen dafür ist die Nomenklatur, die die OSZE-Staaten nicht als »Mitglieder« sondern als »Teilnehmer« bezeichnet. In der Praxis wirkt sich das darin aus, dass die Organe der OSZE ohne die Zustimmung sämtlicher 57 Teilnehmerstaaten kaum Handlungsspielraum haben, denn die Organisation kennt prinzipiell keine Mehrheitsentscheidungen.

Wiederholt wurden von den jährlich wechselnden Vorsitzenden Initiativen auf den Weg gebracht, die Organisation rechtlich zu stärken. Zuletzt wurde dafür 2007 von einer eigens dazu berufenen Kommission ein Übereinkommen entworfen, das freilich auch 2014 wieder auf Vorbehalte einiger Regierungen stieß, die zuerst ein »OSZE-Gründungsdokument« beschließen wollten. Doch selbst zur Aufnahme von Erörterungen über ein solches konstituierendes Dokument kam bisher kein Konsens zustande, wie der Schweizer Vorsitzende in Basel beklagte: „Und so beeinträchtigen die praktischen Auswirkungen des ungeklärten rechtlichen Status der OSZE weiter die Wirksamkeit und Effizienz der Organisation, behindern sie in der Erfüllung ihres Mandats und verursachen Mehrkosten und Rechtsrisiken. Die Konsequenzen dieser fehlenden Klarheit traten deutlich zutage, als die OSZE mit den Ereignissen in der Ukraine konfrontiert wurde.“ Zwar habe der Ständige Rat angesichts der Krise den Generalsekretär ersucht, binnen 24 Stunden Vorausteams zu entsenden, und die Bedingungen dafür konnten „in Rekordzeit“ vereinbart werden. Doch „die Ereignisse in der Ukraine haben gezeigt, dass Unklarheiten hinsichtlich des Rechtsstatus der OSZE zu Situationen führen können, die die OSZE an der Umsetzung ihres Mandats hindern und es ihr unmöglich machen, die Erwartungen der Teilnehmerstaaten in ihre Fähigkeit, Krisen und Konflikte beizulegen, zu erfüllen.“ 14

Der Schweizer Vorsitz bildete einen »Weisenrat«, der als unabhängiges Gremium Vorschläge ausarbeiten soll, wie das Vertrauen wiederaufgebaut, die Achtung der Prinzipien von Helsinki wiederhergestellt, die Umsetzung der OSZE-Verpflichtungen verbessert und ganz allgemein die europäische Sicherheit als gemeinsames Vorhaben wieder gefestigt werden könne.

Dem Gremium ist nicht nur viel Weisheit, sondern auch Gehör ganz im Sinne von »Helsinki+40« zu wünschen (siehe dazu nebenstehenden Auszug aus der Ministerratserklärung)…

Anmerkungen

1) Zur Geschichte der KSZE/OSZE siehe Kurt P. Tudyka (2007): Die OSZE – Besorgt um Europas Sicherheit. Hamburg: merus. Jährlich fortlaufend seit 1995 informiert über die Entwicklung und Aktivitäten der OSZE das »OSZE-Jahrbuch«, herausgegeben vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und verlegt von Nomos (Baden-Baden).

2) Zu dem Verlauf und der Geschichte der OSZE-Ministerräte siehe Kurt P. Tudyka (2008): Wie der Ministerrat ohne Aussicht auf den Gipfel tanzt. In: IFSH (Hrsg.): OSZE-Jahrbuch 2007. Baden-Baden: Nomos, S.57-68.

3) Dazu Kurt P. Tudyka (2010): Der (Aus)weg ist das Ziel – der griechische Vorsitz 2009. In: IFSH (Hrsg.): OSZE-Jahrbuch 2009. Baden-Baden: Nomos, S.365-375.

4) Eröffnungsrede des Amtierenden Vorsitzenden, des Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Vorstehers des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten, Didier Burkhalter, auf dem 21. Treffen des Ministerrats vom 4. Dezember 2014. Dokument MC.GAL/7/14.

5) An den rund hundert Erklärungen während des Schweizer Vorsitzes – allein 66 davon zur Ukrainekrise – lässt sich ablesen, mit welcher Geschwindigkeit sich die Ereignisse entwickelten.

6) So gab es Sonderbeauftragte für den Südkaukasus, für den Konflikt, mit dem sich die Minsk-Gruppe befasst, für den »5+2«-Prozess, für den Westbalkan, für die Ukraine, einen Beauftragten für Toleranz und Nichtdiskriminierung, einen Sonderbeauftragten für die Bekämpfung des Menschenhandels, einige Koordinatoren der Arbeitsgruppen zu Helsinki+40 u.a.m.

7) Dieses Jahr hat Serbien den Vorsitz, 2016 wird dies Deutschland sein.

8) Schweizer Eidgenossenschaft, Federal Department of Foreign Affairs: The Swiss Chairmanship of the OSCE 2014 – Final report. 27 May 2015, S.4.

9) Ministererklärung zu den Verhandlungen über den Prozess zur Beilegung der Transnistrien-Frage im ‚5+2’-Format vom 5. Dezember 2014. Dokument MC.DOC/2/14.

10) United States Mission to the OSCE: Interpretative Statement on the Declaration on Further Steps in the Helsinki+40 Process. As delivered by Ambassador Daniel B. Baer to the OSCE Ministerial Council, December 5, 2014, Basel, Switzerland. Dokument MC.DEL/74/14.

11) Statement by Minister for Foreign Affairs of Ukraine Pavlo Klimkin at the 21st Meeting of the Ministerial Council of the OSCE, Basel, 4 December 2014. Dokument MC.DEL/34/14.

12) Zusammenfassung der Erörterungen des ersten Tages des Ministerrats durch den Amtierenden Vorsitzenden, den Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten, Didier Burkhalter, vom 4. Dezember 2014. Dokument MC.GAL/8/14.

13) Ibid.

14) OSCE: Report to the Ministerial Council on Strengthening the Legal Framework of the OSCE 2014. 2 December 2014, Dokument MC.GAL/5/14.

Prof. Dr. Kurt P. Tukyda ist emeritierter Professor für Politische Wissenschaft und Internationale Beziehungen der Universität Nijmegen/Niederlande und externer Research Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/3 Friedensverhandlungen, Seite 21–24