Die Projektgruppe Friedensforschung Konstanz
von Wilhelm Kempf
Die Projektgruppe Friedensforschung Konstanz ist eine informelle Arbeitsgruppe innerhalb der Arbeitseinheit »Methodenlehre« im Fachbereich Psychologie an der Universität Konstanz. Sie entstand im Studienjahr 1977/78 aus einem DGFK-Projekt über »Kritische Meinungsbildung als Grundlage für Konfliktlösung« und entwickelte im Laufe der Zeit unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Inzwischen ist die Perspektive der konstruktiven Konfliktberichterstattung bestimmend.
Der Forschungsschwerpunkt der Projektgruppe lag zunächst auf der wissenschaftstheoretischen Grundlegung psychologischer Friedensforschung (Kempf 1978). Mitte der 80er Jahre verlagerte er sich auf die empirische Untersuchung von Kriegsberichterstattung und Propaganda, zunächst am Beispiel des nicaraguanischen Contra-Krieges (Kempf 1990), später im Falle der nationalen (Kempf 1994) und internationalen (Nohrstedt & Ottosen 2001; Kempf & Luostarinen 2002) Medienberichterstattung über den Golfkrieg und der Berichterstattung über die ex-jugoslawischen Bürgerkriege (Jaeger 1998; 2001; Sabellek 2001; Kempf 2002; Annabring & Jaeger 2005).
Dabei war es der Projektgruppe jedoch stets nicht nur ein Anliegen, die sozialpsychologischen Mechanismen zu untersuchen, auf denen das Funktionieren von Propaganda beruht. Es ging ihr auch darum, positive Impulse zu setzen und Modelle zu entwickeln, wie die Medien, statt Kriege anzuheizen, zur Friedensstiftung und zur Versöhnung zwischen den Konfliktparteien beitragen können. Dementsprechend verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt der Projektgruppe schließlich auf die Rolle der Medien in Nachkriegsgesellschaften und auf die Fragen, ob eine konstruktive Konfliktberichterstattung von der Öffentlichkeit überhaupt akzeptiert würde und welchen Einfluss sie auf die mentalen Modelle ausübt, auf deren Grundlage die Rezipienten die berichteten Ereignisse interpretieren (Projektgruppe Friedensforschung 2005; Kempf 2005; Schaefer 2006; Spohrs 2006).
In theoretischer Hinsicht steht die Arbeit der Projektgruppe in der Tradition der Konflikttheorie von Deutsch (1973). Deutsch geht davon aus, dass die Eskalation von Konflikten kein unentrinnbares Schicksal ist, sondern aus den emotional-kognitiven Schemata resultiert, mittels derer Konflikte interpretiert werden. Diesen Erklärungsansatz mit den Eskalationsmodellen von Creighton (1992) and Glasl (1992) verbindend, entwickelte die Projektgruppe eine Typologie mentaler Konfliktmodelle. Danach sind solche Modelle entlang der folgenden Dimensionen zu beschreiben: (a) Konzeptualisierung des Konflikts als win-win, win-lose oder lose-lose Prozess, (b) Wahrnehmung der Rechte und Ziele der Konfliktparteien, (c) Bewertung ihres Verhaltens und (d) emotionale Konsequenzen dieser Interpretationen (Kempf 2000).
Dieses Evaluationsmodell wurde in einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen zur Medienberichterstattung über Kriege (Golfkrieg, Bosnien und Kosovo), zur Nachkriegsberichterstattung (Deutsch-französische Beziehungen nach dem 2. Weltkrieg, Serbien nach Milosevic) und zur Berichterstattung über Friedensprozesse (Nordirland, Israel-Palästina) validiert. Darauf aufbauend wurde ein zweistufiges Modell der konstruktiven Konfliktberichterstattung entwickelt (Kempf 2003; Bläsi 2006), das dem Konzept des Friedensjournalismus nach Galtung (1998) nahesteht. Im Unterschied zu Lynch & McGoldrick (2005) interpretiert die Projektgruppe Friedensforschung Friedensjournalismus jedoch nicht als eine Form von Meinungsjournalismus oder Friedens-PR, sondern als eine Form von Qualitätsjournalismus. Er wird den journalistischen Qualitätskriterien der Wahrheitstreue, Neutralität und Objektivität gerecht, indem er auf konflikttheoretische und sozialpsychologische Kompetenzen zurückgreift, um den Wahrnehmungsverzerrungen entgegen zu wirken, die sich in eskalierenden Konflikten gleichsam naturwüchsig einstellen.
Journalismus und Medien spielen eine wesentliche Rolle in der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit. Sie können diese Rolle so oder so ausfüllen: Durch die Art der Berichterstattung können sie entweder der Eskalation oder der Deeskalation von Konflikten Impulse geben. In der Regel tendieren Journalisten dazu, Konflikte mittels derselben mentalen Modelle zu interpretieren, welche in der jeweiligen Gesellschaft dominant sind und/oder ihrer politischen Agenda entsprechen. Sie passen diese mentalen Modelle aber auch den sich verändernden politischen Bedingungen an, und die Art und Weise, wie sie Konflikte interpretieren, bleibt nicht ohne Einfluss auf die öffentliche Meinung. In den meisten Fällen eilt die Medienberichterstattung dem Eskalationsprozess um einen halben Schritt voraus und wird so selbst zu einem Motor der Konflikteskalation (neben anderen). Diesen Prozess umzukehren und einen halben Schritt in Richtung Deeskalation und Versöhnung vorauszugehen, ist die Alternative, welche das Konzept der konstruktiven Konfliktberichterstattung anbietet und welche nach dem bisherigen Stand der Forschung auch von den Rezipienten als faire, unparteiliche und kompetente Berichterstattung anerkannt wird.
Während der heißen Phase eines Konflikts ist jedoch eine Beschränkung auf deeskalationsorientierte Konfliktberichterstattung anzuraten, d.h. eine Beschränkung auf sachliche, distanzierte und gegenüber allen Seiten faire und respektvolle Berichterstattung, die den Konflikt nicht weiter anheizt und sich zu den Kriegführenden jeder Couleur auf kritische Distanz begibt. Lösungsvorschläge erscheinen in dieser Phase noch nicht angebracht. Das Risiko, dass die Berichterstattung vorschnell als unglaubwürdig oder als feindliche Gegenpropaganda abgewehrt werden könnte, ist noch zu hoch. Deshalb kann es in dieser Phase nur das vorrangige Ziel sein, aus der Fixierung auf Gewalt und gegenseitige Vernichtung herauszufinden und dem Publikum die Augen für einen Außenstandpunkt zu öffnen, der die antagonistische Wirklichkeitsauffassung und die Polarisierung der Konfliktparteien dekonstruiert.
Erst als zweite Stufe kann man zu lösungsorientierter Konfliktberichterstattung übergehen, die auf die Annäherung der Gegner hinarbeitet und für alle Betroffenen akzeptable Wege aus dem Konflikt sucht. Obwohl er als konsistente Minderheitsposition auch schon während des Krieges einen Beitrag zur sukzessiven Dekonstruktion des Kriegsdiskurses leisten kann, wird dieser Schritt jedoch erst dann mehrheitsfähig sein, wenn der Konflikt aus seiner heißen Phase herausgetreten ist und nicht mehr reflexartig jede Stimme als feindlich wahrgenommen wird, die nach Mäßigung ruft.
Den Stand der Forschung zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Publikum einer konstruktiven Konfliktberichterstattung weit offener gegenübersteht als gemeinhin angenommen wird. Auch auf Seiten der Journalisten finden sich zahlreiche Beispiele dafür, dass Spielräume für konstruktive Nachkriegsberichterstattung erkannt und genutzt werden. Dennoch sollte man die Entwicklung dieser bei Journalisten wie auch bei Rezipienten bereits vorhandenen Kompetenzen nicht einfach dem Zufall überlassen, sondern sowohl in der Journalistenausbildung als auch in der Medienpädagogik systematisch fördern und weiterentwickeln.
Literatur
Annabring, U. & Jaeger, S. (2005): Der Wandel des Feindbildes Serbien nach dem Machtwechsel. In: Projektgruppe Friedensforschung Konstanz (Hrsg.): Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften, Berlin: irena regener, S.129-148.
Bläsi, B. (2006): Keine Zeit, kein Geld, kein Interesse …? Konstruktive Konfliktberichterstattung zwischen Anspruch und medialer Wirklichkeit. Berlin: irena regener.
Creighton, J. L. (1992): Schlag nicht die Türe zu. Konflikte aushalten lernen. Reinbek: Rowohlt.
Deutsch, M. (1973): The resolution of conflict. New Haven: Yale University Press.
Galtung, J. (1998): Friedensjournalismus: Warum, was, wer, wo, wann? In: W. Kempf & I. Schmidt-Regener (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien, Münster: LIT, S.3-20.
Glasl, F. (1992): Konfliktmanagement. Ein Handbuch zur Diagnose und Behandlung von Konflikten für Organisationen und ihre Berater. Bern: Haupt.
Jaeger, S. (1998): Propaganda mit Frauenschicksalen? Die deutsche Presseberichterstattung über Vergewaltigung im Krieg in Bosnien-Herzegowina. In: W. Kempf & I. Schmidt-Regener (Hrsg.): Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien, Münster: LIT, S.75-88.
Jaeger, S. (2001): Rollenkonstruktion im Bosnien-Konflikt. Westliche Kriegsberichterstattung zwischen Ambivalenz und Anteilnahme. In: J. Richter (Hrsg.): Deutschland: (un)bewältigte Vergangenheiten, Tübingen: dgvt, S.151-160.
Kempf, W. (1978): Konfliktlösung und Aggression. Zu den Grundlagen einer psychologischen Friedensforschung, Bern: Huber.
Kempf, W. (1994): Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg, Münster: LIT.
Kempf, W. (1990): Medienkrieg oder der Fall Nicaragua. Politisch-psychologische Analysen über US-Propaganda und psychologische Kriegsführung, Berlin: Argument.
Kempf, W. (2000): Konfliktursachen und Konfliktdynamiken. In: ÖSFK (Hrsg.): Konflikt und Gewalt, Münster: agenda, S.44-65.
Kempf, W. (2002): Escalating and de-escalating aspects in the coverage of the Bosnia conflict. In: W. Kempf & H. Luostarinen (Hrsg.): Journalism and the New World Order. Studying War and the Media, Göteborg: Nordicom, S.227-258.
Kempf, W. (2003): Constructive Conflict Coverage. A Social Psychological Approach (edited by the Austrian Study Center for Peace and Conflict Resolution). Berlin: irena regener.
Kempf, W. (2005): Two experiments focusing on de-escalation oriented coverage of post-war conflicts. conflict & communication online, 4/2.
Kempf, W. & Luostarinen, H. (Hrsg.) (2002): Journalism and the New World Order. Studying War and the Media. Göteborg: Nordicom.
Lynch, J. & McGoldrick, A. (2005): Peace Journalism. Gloucestershire, UK: Hawthorn Press.
Nohrstedt, S.A. & Ottosen, R. (2001): Journalism and the New World Order. Gulf War, National News Discourses and Globalization. Göteborg: Nordicom.
Projektgruppe Friedensforschung Konstanz (Hrsg.) (2005): Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften. Berlin: irena regener.
Sabellek, Ch. (2001): Die Entwicklung des Kosovokonflikts und die Wahrnehmung durch die Medien. In: J. Richter (Hrsg.), Deutschland: (un)bewältigte Vergangenheiten, Tübingen: dgvt, S.161-172.
Schaefer, C.D. (2006): The effects of escalation vs. de-escalation-orientated conflict coverage on the evaluation of military measures. conflict & communication online, 5/1.
Spohrs, M. (2006): Über den Nachrichtenwert von Friedensjournalismus – Ergebnisse einer experimentellen Studie. conflict & communication online, 5/1.
Prof. Dr. Wilhelm Kempf lehrt am Fachbereich Psychologie der Universität Konstanz und ist Herausgeber von conflict & communication online