Diktatorendämmerung und andere Sicherheitsrisiken
Im Jahr des Hasen soll in Südostasien vieles anders werden – vielleicht
von Rainer Werning
Widerführe abgehalfterten und noch amtierenden Diktatoren in Südostasien das gleiche Schicksal wie ihrem chilenischen Amtskollegen Augusto Ugarte Pinochet, dürften sie fortan unbedachte Auslandsreisen in den Westen meiden. Die Vorstellung, beim medizinischen Checkup oder Shopping kurzerhand wegen begangener Schandtaten und Menschenrechtsverletzungen zumindest mit einer Anklageschrift konfrontiert zu werden, mag die Arroganz der Macht schrecken. Den zahlreichen Opfern und ihren Hinterbliebenen böte es wenigstens die Genugtuung, dass ihre Peiniger nicht gänzlich unbehelligt ihren Lebensabend – überdies mit vormals Zusammengerafftem – genießen. Natürlich wünschte man sich jenseits falschverstandener Immunität, dass darüber hinaus auch tatsächlich Gerichtsverfahren in Ländern eröffnet würden, in denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ernst genommen und nicht einer letztlich lauwarmen politischen Justiz untergeordnet werden.
„Wenn die Militärs früher als die Vollstrecker der staatlichen Autorität gesehen wurden,“ hieß es in der ZEIT (12.11.98), „dann wollen sie jetzt als Beschützer der Menschen gesehen werden. Die Wirtschaftskrise und die daraus entstehende Unruhe haben bereits Exgeneräle als Opfer verlangt: Präsident Suharto von Indonesien und Premierminister Chavalit Yongchaiyudh in Thailand.“ Als Beschützer der Menschen? Wohl kaum; es geht nach wie vor um den Machterhalt des Militärs, wenngleich unter veränderten Bedingungen. Selbst das unzeremonielle Abtreten Suhartos und seines Kollegen (und früheren Generalstabschefs) in Bangkok ist weit davon entfernt, die Zitadellen militärischer Macht zu erschüttern, geschweige denn zu schleifen. Selbst »zivile« Staatsmänner in der Region sind nicht gegen Begehrlichkeiten der Militärs gefeit oder praktizieren selber ungeschminkt einen diktatorischen Umgangsstil, den man eigentlich als Domäne der Militärs gewähnt hatte. Sind auch einige südostasiatische Diktatoren und Generäle im vergangenen Jahr von der Bildfläche verschwunden – kurzschlüssig wäre es, daraus bereits die umfassende Zivilisierung anstelle einer Generalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse abzuleiten.
Metamorphosen der Macht
Suhartos geordneter Rückzug aus der Politik Ende Mai 1998 und die hurtige Kür seines langjährigen Zöglings, des erst zwei Monate zuvor zum Vize aufgerückten Bacharuddin Jusuf Habibie, zum neuen Präsidenten sind – beileibe nicht Indonesien-spezifisch – Ausdruck des schillernden Prozesses von Machtmetamorphosen. Deren Kern wiederum bildet die bemerkenswerte Fähigkeit zu Kollaboration und Kooptation. Seit der Staatsgründung gelten in dem Inselstaat die »Abri« (die Streitkräfte) als nationbildende und identitätstiftende Institution, der Suharto nach seinem gewaltsamen Machtantritt Mitte der sechziger Jahre überdies die Doppelfunktion (dwi fungsi) zuwies, neben der Abwehr äußerer Gefahren im Innern sozial- und ordnungspolitisch zu wirken. Heute gibt es in Indonesien keine nennenswerte Institution oder Organisation, in der nicht Militärs direkt an den Schalthebeln der Macht sitzen oder diese zumindest im Hintergrund bedienen. In Krisenzeiten, d.h. vor allem seit Ausbruch der tiefen regionalen Wirtschafts- und Finanzprobleme im Sommer 1997, sind eben diese Militärs nolens volens auf die Zusammenarbeit mit dem wenig geschätzten IWF eingeschwenkt und tolerieren gegenüber der (legalen) Opposition das nunmehr von Habibie betriebene Geschäft der Kooptation vormals als zu kritisch eingestufter Persönlichkeiten. Diese Form von Herrschaft funktioniert, solange die Opposition ihrerseits mehr zur Lobbyarbeit innerhalb des Systems denn zur Sprengung desselben neigt.
Im Nachbarland Malaysia zeigte das Fell des »dynamischen Tigers« auf einmal hässliche Flecken, als Premier Mahathir Mohamad seinen Vize und Finanzminister Anwar Ibrahim unter anderem aufgrund vermeintlichen Verstosses gegen das ominöse ISA (Internal Security Law) und anderer Delikte in den politischen Orkus schickte. Bis heute ist das – noch unter britischer Ägide während der sogenannten »Emergency« (Notstandsphase) von 1948 bis 1960 gegen die Kommunistische Partei Malayas geschaffene – ISA ein Instrument, um missliebige Regimegegner und Oppositionelle kaltzustellen. Eine Praxis, derer sich im Übrigen auch der Stadtstaat Singapur bedient.
Als im April 1998 Saloth Sar alias Pol Pot das Zeitliche segnete, bedeutete auch das keineswegs das Ende diktatorischer Figuren in Kambodscha. Der jetzige (vormals zweite) Ministerpräsident und ehemalige Rote Khmer-Kommandeur Hun Sen hält die Fäden der Macht nach wie vor in seiner Hand. Er tut dies und kann dies tun, weil auch er die Kunst der Kollaboration und Kooptation vorzüglich für eigene Zwecke nutzte und trotz wilder Attacken gegen die Roten Khmer zig ihrer vormaligen Führer in sein Machtgefüge integrierte. In Phnom Penh offenbarte die »Opposition« ebenfalls mehr Regimetreue als Mut zum Widerstand. Schließlich sind Lavieren, Taktieren und Kollaborieren Markenzeichen des kambodschanischen Königshauses. Mal Freund, mal Feind der Roten Khmer haben König Sihanouk und Prinz Ranariddh wiederholt das zum Scheitern verurteilte Spiel getrieben, über ihre eigenen Schatten zu springen. Herausgekommen ist dabei ein schnödes Machtarrangement zwischen allen Beteiligten. Jüngster Beweis: Ende Dezember stellten sich zwar die letzten Führungskader der Roten Khmer Khieu Samphan und Nuon Chea dem Regime in Phnom Penh, um allerdings schon kurz darauf in den Westen des Landes geschafft zu werden. Das hatte für die beiden den Vorteil, sich erneut dem Zugriff der (auch internationalen) Gerichtsbarkeit entzogen und gleichzeitig in die Obhut Ieng Sarys begeben zu haben. Der Ex-Außenminister der Roten Khmer hatte bereits früher einen Deal mit Hun Sen geschlossen und war im Gegenzug zu Phnom Penhs Politboss in Westkambodscha aufgestiegen. Selbst als sich Pol Pots Intimus und der letzte hochrangige Rote Khmer-Kader Ta Mok im März den Behörden in Phnom Penh stellte und im Ausland erneut der Ruf laut wurde, die Roten Khmer und ihre ehemaligen Führungskader vor einem internationalen Tribunal zur Rechenschaft zu ziehen, winkte die Hun Sen-Regierung ab.
Im benachbarten Thailand ist mit Chuan Leepkai nicht nur ein Zivilist Premierminister, sondern auch gleichzeitig in Personalunion Chef des Verteidigungsressorts. Vor wenigen Jahren wäre das schier undenkbar gewesen: Mit 17 Coups seit Einführung der konstitutionellen Monarchie im Jahre 1932 hat sich das thailändische Militär als mit Abstand putschfreudigste Truppe in ganz Südostasien erwiesen und ist noch 1992 mit brachialer Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten vorgegangen. Ob das Militär sich forthin damit begnügt, die Kasernen als Dauerdomizil zu betrachten, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist es domestizierter als ihre Haudegen-Kollegen im westlichen Nachbarland Myanmar (Birma), deren bemerkenswerte Lernresistenz sich mit einer eigentümlichen Xenophobie verbindet.
Machos, Militärs & Mythen
Die Philippinen bieten die wahrscheinlich größte Bandbreite von ziviler und militärischer Kollaboration und Kooptation, dort haben die Metamorphosen der Macht tragikomische Züge angenommen. Ferdinand E. Marcos schwang sich zum ersten Despoten auf den Inseln auf, regierte von 1972 bis 1981 qua Kriegsrecht und wertete das Militär in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß auf. Einmal aus der Flasche gelassen ließ sich dieser böse Geist nicht mehr darin zurück bannen. Das politisierte Militär schickte sich schrittweise an, auch die Landespolitik zu bestimmen. Wurden beispielsweise in Südkorea solche Schurken wie die Ex-Präsidenten und Ex-Generäle Chun Doo-Hwan und Roh Tae-Woo wenigstens vor den Kadi zitiert, für die blutige Niederschlagung des Volkswiderstandes in der südwestlichen Stadt Kwangju im Mai 1980 verantwortlich gemacht und mit hohen Haftstrafen belegt, zog in Manila Ex-General Fidel V. Ramos 1992 in den Präsidentenpalast ein, um erst im Sommer 1998 das Amt an den früheren Schauspieler Joseph Estrada zu übergeben.
Zusammen mit dem damaligen Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile zählte Ramos zu den Korsettstangen des Marcos-Regimes. Er war einst Chef der wegen notorischer Menschenrechtsverletzungen im In- wie Ausland geächteten paramilitärischen PC/INP (Philippine Constabulary/Integrated National Police), und sagte sich mit Enrile erst von seinem Gönner los, als statt seiner der Marcos-Cousin Fabian C. Ver den Posten des Generalstabschefs zugeschanzt bekam und sich im Februar 1986 klar abzeichnete, dass die USA nicht länger mehr in Marcos ihren treuen Gewährsmann sahen und ihn fallenließen. So stellte sich eben dieser Ramos an die Spitze eines »Volksaufstandes«, gerierte sich als Königinmacher indem er nunmehr sein Gewicht für die neue Präsidentin Corazon Aquino in die Waagschale warf, avancierte erst zu ihrem Generalstabschef, dann zum Verteidigungsminister und schließlich zum von Aquino höchstpersönlich abgesegneten, mithin aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten im Mai 1992. Als langjährig in psychologischer Kriegführung erfahrener Offizier, ausgebildet an der US-amerikanischen Militärakademie Westpoint und im Korea- und Vietnamkrieg dekoriert, galt Ramos' Hauptaugenmerk in der Nach-Marcos-Ära der Reinwaschung des Militärs von den Schandtaten der Vergangenheit. Das glückte nicht zuletzt deshalb, weil er ein halbes Dutzend Putschversuche (darunter auch operettenhaft inszenierte) gegen Aquino abwehrte.
Heute sieht sich Ramos als »elder statesman« und Handelsreisender, der auf Auslandsreisen für Investitionen wirbt. Unbehelligt wie er agiert nach wie vor die umtriebige Marcos-Witwe Imelda. Einen Wust von Gerichtsverfahren hat sie ohne Blessuren überstanden, und noch ausstehende Verfahren dürfte der Oberste Gerichtshof des Landes kaum gegen sie entscheiden. Hier geht es um alte und neue Seilschaften und um Geld. Viel Geld sogar: Noch immer ist nämlich die genaue Höhe der einst zusammengerafften Potentatengelder unbekannt und die Verwendung der bereits aus der Schweiz nach Manila transferierten – und dort auf einem Sperrkonto deponierten – knapp 600 Mio. US-Dollar aus dem Marcos-Vermögen ungeklärt. Frau Marcos' Hang zur theatralischen Selbstinszenierung ist ausgeprägt wie eh und je. Seit Ende Juni 1998 sind ihre Tochter Imee als Kongressabgeordnete und ihr Sohn Ferdinand (»Bongbong«) Marcos jr. als Gouverneur der im Norden der Hauptinsel Luzon gelegenen Provinz Ilocos Norte, der Heimat der Marcoses, vereidigt worden.
Alte und neue Seilschaften
„Präsident Joseph Estradas zweifelhaftes Bekenntnis zur Demokratie hat damit zu tun,“ erregte sich der bekannte philippinische Kolumnist Amando Doronila im Philippine Daily Inquirer (26.2.99), „dass er zu den Marcos-Loyalisten zählte und während des großen politischen Umbruchs im Februar 1986, als dessen Diktatur jäh endete, marginalisiert wurde.“ Bissig setzte der ansonsten besonnene, keineswegs linkslastige Doronila noch eins drauf: „Mr. Estrada ist außerdem geneigt, den faschistischen Apparat des Marcos-Regime wieder flott zu machen – unter anderem mit der Wiedereinführung von Inhaftierungen ohne richterlichen Haftbefehl.“
Knapp ein Jahr im Amt hat der anfänglich überaus populäre Schauspieler-Präsident demonstriert, dass flotte Sprüche und Parolen allein noch keine Neuerung in einem Land bewirken, in dem nicht nur die Reichen, sondern zunehmend auch Personen aus der vor 13 Jahren gestürzten Marcos-Diktatur wieder den Ton angeben und bewaffnete Konflikte eskalieren. Während seiner Inauguralansprache als frischgekürter Präsident hatte Estrada am 30. Juni 1998 in Manilas Rizal-Park verkündet, er werde den Armen und Marginalisierten eine Stimme verleihen, die Verbesserung ihrer Lebenslage zum Eckpfeiler seines Regierungsprogramms machen, die allgegenwärtige Korruption mit Stumpf und Stiel ausrotten und die Friedenspolitik seines Vorgängers fortsetzen.
Die Mixtur aus Politik und Entertainment ist seitdem ein Markenzeichen des präsidialen Amtsstils. Um das Saubermann- und Kumpelimage zu stärken, war sich »Erap« (so der Spitzname Estradas) nicht zu schade, auch in die Niederungen des Lebens einzutauchen und sich vom Tross ergebener Medienvertreter bei der Müllbeseitigung und Toilettenreinigung in Slums ablichten zu lassen. Das kam als Unterhaltungseinlage gut an und schürte überdies den Mythos, Estrada sei politisch unbelastet bzw. tatsächlich imstande, eine saubere Politik zu betreiben. Doch entgegen dieser Mythenbildung seiner Machtstrategen (darunter auch vormalige Linke) war Estrada als langjähriger Bürgermeister von San Juan, einem Stadtbezirk in Manila, Teil der politischen und administrativen Infrastruktur der Marcos-Diktatur. Als diese im Februar 1986 nicht zuletzt aufgrund der aufgekündigten Gefolgschaft seitens relevanter Kreise des Militärs endgültig zusammenbrach, stand Estrada abseits und profitierte dennoch durch diesen Umsturz. Unter Ramos stieg er zum obersten Verbrechensbekämpfer im Lande und Vizepräsidenten auf.
„… dann kriegen sie halt Krieg!“
Schwierigkeiten erwachsen der Estrada-Regierung auf sicherheits- und außenpolitischem Gebiet. Die Friedenspolitik auf der Südinsel Mindanao wird für den Präsidenten zum Lackmustest seiner Administration. Zwar konnte dort Anfang September 1996 durch ein Friedensabkommen zwischen der vormals größten muslimischen Widerstandsorganisation, der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), und dem Estrada-Vorgänger Ramos ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg beendet werden. Doch dieser Friede blieb brüchig und erwies sich zunehmend als Diktatfrieden, den jetzt die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF) vehement bekämpft. Die MILF, eine Abspaltung von der MNLF seit Ende der 70er Jahre, hat nach dem Schulterschluss von MNLF-Chef Nur Misuari mit Manila dessen „Kapitulation und Ausverkauf der Moro-Interessen“ gegeißelt und statt Autonomie ihre alte Forderung nach Sezession – also Loslösung aus dem philippinischen Staatsverband und Gründung eines unabhängigen Staates – erneut erhoben. Für insgesamt 46 über ganz Mindanao verstreute Militärcamps beansprucht die MILF Hoheitsrechte.
Diese Forderung nach extraterritorialem Sonderstatus konnte die MILF stellen, da scharenweise desillusionierte Ex-MNLFler zu ihr stießen. Nach jahrelangem Kampf im Untergrund hatten sie sich zumindest eine finanziell abgesicherte Perspektive erhofft. Nicht nur blieb diese Erwartung unerfüllt; in der gesamten Region fand der von den einstigen Kontrahenten vollmundig versprochene wirtschaftliche Aufschwung nicht statt, und bereits von den Nachbarn Indonesien und Malaysia zugesagte Investitionen wurden über Nacht gestoppt, nicht zuletzt infolge der schweren Finanzkrise in diesen Ländern selbst.
Estrada reagierte auf die Sezessionsforderung indem er unverzüglich die in Mindanao stationierten Militärverbände aufstocken ließ. Er torpedierte die laufenden Waffenstillstandsverhandlungen und verkündete in Rambo-Manier, „wenn sie dort Krieg wollen, so sollen sie ihn halt kriegen.“ Und genau das geschah: Im Januar und Februar kam es zum offenen militärischen Showdown zwischen MILF-Einheiten und Regierungstruppen, die von der Luftwaffe unterstützt wurden. Vor allem in den Provinzen Maguindanao und North Cotabato kam es zur Massenflucht der Zivilbevölkerung. 107.000 Menschen, so hieß es offiziell in der fernen Hauptstadt Manila, seien infolge der erneut ausgebrochenen Kampfhandlungen über Nacht interne Flüchtlinge geworden.
Als der Präsident auch noch in schnoddrig-arroganter Manier den an Kairos angesehener Al Azhar-Universität ausgebildeten MILF-Vorsitzenden Hashim Salamat als Kriminellen abkanzelte und die Moros insgesamt verächtlich herabsetzte, riss das alte Wunden auf und brüskierte auch den um Ausgleich bemühten MNLF-Chef Misuari. Ein von Manilas Mindanao-Sonderbeauftragtem Robert Aventajado hinter den Kulissen eingefädelter Dialog mit der MILF-Führung ließ kurz die Hoffnung keimen, es könne doch noch ein Zusammentreffen zwischen Estrada und Salamat Ende Februar arrangiert werden. Doch dieses Treffen platzte weil beide Seiten sich nicht über Sicherheitsbelange verständigen konnten. Estradas mangelnde Sensibilität zeigte sich nicht nur darin, dass er während eines kurzfristig angesetzten Mindanao-Besuchs allen Ernstes glaubte, den MILF-Vorsitzenden auf seine Präsidentenjacht beordern zu können. Der korpulente Präsident erschien zudem ausgerechnet in Kampfuniform. Die Moros sahen sich in ihrer Ansicht bestärkt, dass Manila kein Gespür für ihre Belange hat, sich vielmehr als Kolonialherr aufführt.
US-Präsenz durch die Hintertür?
Estrada wäre nicht Estrada, wenn er nicht auch noch auf einen anderen »Sieg« setzen würde – darauf, dass das seit Januar 1998 avisierte sogenannte Visiting Forces Agreement (VFA) alsbald vom philippinischen Senat verabschiedet und somit die Bereitschaft der USA erhöht wird, dem Land bei der Bewältigung interner und sicherheitspolitischer Probleme behilflich zu sein. Letzteres beträfe vor allem die Auseindersetzung um die im Südchinesichen Meer gelegene Spratly-Inselgruppe, auf die neben anderen südostasiatischen Ländern auch die Philippinen und die VR China (Teil-)Ansprüche erheben und um die es in den vergangenen Jahren wiederholt zu politisch-diplomatischen Missstimmungen in der Region gekommen ist.
Estradas Naivität hinsichtlich Inhalt und Bestimmungen des VFA, das den USA die Nutzung von landesweit 22 Häfen gestattet und ihren Truppen extraterritoriale Rechte und Immunität vor philippinischer Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit garantiert, war selbst seinen außen- und sicherheitspolitischen Beratern peinlich. Doch Schadensbegrenzung ist nur möglich, wenn sich »Erap« auch an die von ihnen verfaßten Manuskripte hält. Wörtlich hatte der Präsident gesagt: „Es ist doch gut für uns, einen Verbündeten, einen Supermacht-Partner zu haben; so wird ja unsere Sicherheit garantiert.“ Sobald der Senat das VFA gebilligt habe, so Estrada weiter, würde „die US-Regierung möglicherweise zustimmen, (uns) später militärischen Beistand zu leisten.“
Nicht genug, dass der philippinische Senat erst am 16. September 1991 der Verlängerung des ursprünglichen Stützpunktabkommens aus dem Jahre 1947 (damals als Freundschafts-, Kooperations- und Sicherheitsvertrag bezeichnet) seine Zustimmung verweigert hatte, was dazu führte, dass im Herbst 1992 die letzten GIs aus den vormals größten außerhalb Nordamerikas befindlichen Militärstützpunkten Subic Naval Base und Clark Air Field (neben Basen in Thailand die strategisch bedeutsamsten Brückenköpfe während des Vietnamkrieges) abgezogen wurden. Estrada hatte offensichtlich ebenfalls vergessen, dass sein Land im Sinne seines Sicherheitskalküls bereits seit 1951 durch den noch immer existierenden Mutual Defense Treaty »geschützt« ist. Und selbst dieser »Gegenseitige Verteidigungsvertrag« sah zu keiner Zeit eine US-amerikanische Parteinahme in Landdisputen und Gebietsansprüchen vor, in die die Philippinen verwickelt waren und noch sind: Der bis in die siebziger Jahre (zeitweilig vehement) angemeldete Anspruch Manilas auf das ostmalaysische Sabah ebenso wie der heutige Spratly-Disput wurde und ist seitens der USA kein Thema. Im Falle Sabahs galt die strikte Politik, keine wie auch immer geartete Grenzänderung innerhalb des seit 1967 bestehenden Regionalbündnisses ASEAN (Vereinigung südostasiatischer Nationen) zu dulden, da dies zentrifugalen Kräften in solchen Mitgliedsstaaten wie Indonesien, Malaysia und Thailand Auftrieb gegeben und mithin die regionale Sicherheitspolitik gefährdet hätte. Und im Falle der Spartlys sind den USA die normalen Beziehungen zur VR China wichtiger als die Parteinahme für eine – heute vergleichsweise unbedeutende – Ex-Kolonie (die Philippinen).
In dem im November 1998 vom Pentagon veröffentlichten 68-seitigen Report »The United States Security Strategy for the East Asia-Pacific Region« heißt es dazu: „Die Vereinigten Staaten und China teilen viele globale und regionale Interessen. (…) beide haben ein Interesse daran, dass die regionale Stabilität im Interesse der fortgesetzten wirtschaftlichen Entwicklung Asiens erhalten bleibt. … Wir (die USA und die VR China; R.W.) kooperieren, wenn es darum geht, vielfältigen nicht-konventionellen Bedrohungen der Sicherheit zu begegnen.“ (S. 30/31) Die jährlichen bilateralen Verteidigungsgespräche auf höchster Ebene, die Unterzeichnung des gemeinsamen Military Maritime Consultative Agreement am 19. Januar 1998 und Washingtons löbliche Anerkennung des chinesischen Verteidigungs-Weissbuchs im August 1998 thematisierten nicht einmal den Spratly-Disput.
Bleibt letztlich die innenpolitische Bedeutung des VFA, das von zahlreichen gesellschaftlichen Verbänden, Nicht-Regierungs-Organisationen, Frauengruppen und linken Parteien und selbst von der mächtigen Katholischen Bischofskonferenz der Philippinen bereits am 13. Juli 1998 in einer Pastoralen Erklärung kritisiert wurde. Hauptpunkte dieser Kritik: Das VFA verletzte die Verfassung aus dem Jahre 1987, die ein Nukearwaffenverbot vorschreibt und die Lagerung solcher Waffen verbietet. Waffen, die nach Inkraftreten des VFA höchstwahrscheinlich an Bord anlandender US-Kriegsschiffe und -Kampfflugzeuge geführt würden, ohne dass Manila darüber vorab auch nur informiert oder in Kenntnis gesetzt werden müsste. Der Nationale Vorsitzende der seit Jahren rührigen NuclearFree Philippines Coalition, Roland G. Simbulan, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Pentagon konkrete Pläne habe, in General Santos City und in der Sarangani-Bucht (auf Mindanao) US-Kriegsmaterial zu lagern, wo bereits eine entsprechende Hafen- und Flughafenerweiterung mit finanzieller Unterstützung der USAID (US-Behörde für internationale Entwicklung) durchgeführt worden ist. Des weiteren wird die Ausbreitung von Prostitution und Kindesmissbrauch beklagt.
Die einseitige quasi-diplomatische Immunität für die GIs wird ergänzt durch die Manila einseitig abverlangte Ratifizierungsprozedur. Da es sich bei dem VFA um ein Abkommen und keinen Vertrag handelt, wird es, selbst wenn vom philippinischen Senat gebilligt, von der anderen Seite ihrerseits nicht dem US-Senat zur Ratifizierung vorgelegt. Die philippinische Verfassung sieht indes ein Reziprozitätsprinzip vor, wonach der Ratifizierungsprozess auf beiden Seiten dem gleichen Prozedere entsprechen soll bevor irgendeine ausländische Militärpräsenz auf philippinischem Territorium »gestattet« ist. In dem zitierten Pentagon-Bericht heißt es dazu vage: „Trotz andauernder Bedenken von einigen in den Philippinen (by some in the Philippines), die Vereinigten Staaten beabsichtigten dort neuerlich ein militärisches Standbein zu haben, ist die Ära der US-Basen vorbei. Wir streben die Entwicklung der für die Philippinen in Umfang und Tempo erträglichen Verteidigungsbeziehung an.“ (S. 29)
Die BefürworterInnen des VFA verweisen neben dem von Präsident Estrada bemühten Argument auf die mögliche Eindämmung interner Konflikte, die das Abkommen durch verstärkte Anbindung an die USA zuließe. Im Klartext: Sollte beispielsweise auf Mindanao die »Subversion« zunehmen oder Sezessionsforderungen die territoriale Souveränität der Republik der Philippinen bedrohen, könnten nach ihrer Meinung dann auch US-amerikanische Kontingente in Kampfhandlungen einbezogen werden. Und gerade auf Mindanao gibt es gewichtige Stimmen und einflussreiche Kreise von Politikern, Großgrundbesitzern und Geschäftsleuten, die just für diese Eventualität ganz offen votieren. Innerphilippinische Konfliktregelung mittels US-Truppen? Gänzlich abwegig ist diese Vorstellung nicht: Nachdem die spanischen Kolonialisten 1898 endgültig die Philippinen räumen mussten, eine kurzlebige Republik der Filipinos bestand und die Inseln dann endgültig mit dem Pariser Friedensvertrag im Dezember 1898 von den USA für 20 Mio. Dollar erkungelt wurden, begann vor genau 100 Jahren (Anfang Februar 1899) der Philippinisch-Amerikanische Krieg und damit das größte Kolonialmassaker um die Jahrhundertwende. Offiziell endete dieser Krieg 1901, doch in einigen Regionen Mindanaos wurde er bis 1916 erbittert fortgesetzt.
Dr. Rainer Werning ist Herausgeber der Schriftenreihe des Forschungsinstituts Dritte Welt/Industrieländer (FDI), Geschäftsführer der Freiburger Stiftung für Kinder und Vizepräsident des International Forum for Child Welfare.