W&F 2017/2


Diplomatie muss siegen

von Regina Hagen

Am 26.4.2017 startete die US-Luftwaffe auf ihrem Stützpunkt Vandenberg (­Kalifornien) eine Interkontinentalrakete des Typs Minuteman-3. Die freigesetzte Bombenattrappe landete nach etwa 4.000 Meilen im vorgesehenen Zielgebiet im Meer. „Minutemahn-Starts sind wichtig, um den Status der Atomstreitkraft der USA zu überprüfen und die nuklearen Fähigkeiten der Nation zu demonstrieren“, begründete der Kommandeur des 30. Weltraumgeschwaders den Test. Für den 3. Mai wurde ein weiterer Test angekündigt.

Am 29.4.2017 testete das nordkoreanische Militär eine ballistische Rakete. Diese stieg 71 Kilometer in die Höhe, zerbrach und explodierte noch über dem Territorium der Demokratischen Volksrepublik Korea. Bereits zehn Tage zuvor war eine Rakete nach 60 Kilometern ins Meer gestürzt. Wie immer nach solchen Tests, die Nordkorea durch diverse UN-Resolutionen untersagt sind, befasste sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema, konnte sich jedoch nicht auf eine gemeinsam Resolution einigen. Grund für die Uneinigkeit war die Forderung Chinas, die USA sollten sich im Raketen- und Nuklearstreit zu deeskalierenden Schritten bereit erklären.

Beide Seiten, die USA ebenso wie Nordkorea, heiz(t)en die Situation an. Der US-Präsident warnte unverblümt vor einem „großen, großen Konflikts mit Nordkorea“, Nordkorea kündigte seinerseits eine Fortsetzung der Raketentestreihen an und erklärte überdies, auf einen Angriff „werden wir mit einem präemptiven Atomschlag nach unserem Stil und unserer Methode reagieren“. Geheimdienstliche Erkenntnisse deuten auf Vorbereitungen für einen weiteren Atomwaffentest Nordkoreas hin – es wäre der sechste.

Aber wie weit können US-Präsident Trump und der nordkoreanische Staatsführer Kim Jong Un die Eskalation treiben, bevor aus martialischen Worten martialische Taten werden?

Allerdings: Die Krise alleine auf Trump und Kim zurückzuführen, greift natürlich viel zu kurz. Auch haben die Nuklearambitionen Nordkoreas nur indirekt mit der Präsidentschaft von Donald Trump zu tun – mit seinem Politikstil bietet er Nordkorea lediglich eine bessere Projektsfläche als der ehemalige US-Präsident Obama. Einige Fakten scheinen im Kontext des nordkoreanischen Bestrebens, sich ein funktionierendes Raketen- und Atomwaffenarsenal zu verschaffen, aber bedenkenswert:

  • Die Aufteilung der Welt in fünf offiziell akzeptierte (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China), drei tolerierte (Pakistan, Indien und Israel) und einen neuen Atomwaffenstaat (Nordkorea) hier und mehr als 180 Staaten, die keine Atomwaffen haben wollen oder sollen, dort, wird sich auf Dauer nicht aufrecht erhalten lassen.
  • Die Verbreitung von Atomwaffen konnte mit dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1970 zwar eingedämmt, nicht aber verhindert werden. Als Nordkorea mit Atomwaffentests beginnen wollte, kündigte es seine Mitgliedschaft in dem Vertragssystem einfach auf.
  • Die Geschichte des nordkoreanischen Raketen- und Atomwaffenprogramms ist eine lange Geschichte gebrochener Abkommen und verpasster Chancen (u.a. Erklärung über die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, »Agreed Framework«, »Six Party Talks«).
  • Nordkorea einfach als weiteren Atomwaffenstaat hinzunehmen, ist keine Lösung. Dies könnte dazu führen, dass sich Südkorea und Japan ebenfalls aus dem NVV verabschieden oder die Stationierung von US-Atomwaffen in ihren Ländern einfordern. Das würde die Erosion des Nichtverbreitungsregimes weiter befördern.
  • Die Stationierung von Raketenabwehrsystemen rings um Nordkorea mag der Beruhigung Südkoreas und Japans dienen, verschärft aber zugleich die Spannungen mit Russland und China, die diese Systeme als Bedrohung ihrer strategischen Nuklearfähigkeiten einstufen.
  • Ein »präventiver« Schlag gegen Nordkorea würde gegen das Völkerrecht verstoßen –Pyöngyang hat niemals die geringsten Invasions- oder Angriffsambitionen erkennen lassen –, und könnte in einer ohnehin von Spannungen und Territorialstreitigkeiten geprägten Region zu unkontrollierbaren Folgen führen – von den humanitären Konsequenzen jeder Kriegsführung ganz abgesehen.

Schon seit Jahren schlagen Abrüstungsexperten aus der Region vor, einen großen Wurf, eine atomwaffenfreie Zone Nordostasien anzustreben. Diese könnte nach dem Vorbild der bereits bestehenden Atomwaffenfreien Zonen gestaltet werden, die sich über fast die ganze südliche Hemisphäre erstrecken. Allerdings wäre die Aufgabe groß, denn außer Nord- und Südkorea und Japan müssten die Atomwaffenstaaten China, Russland und USA gemeinsam am Tisch sitzen und das Vertragspaket müsste »win-win«-Aspekte für alle Seiten vorsehen.

Im August vorigen Jahres meinte der Südkoreaner Chung-in Moon in einem online geführten Roundtable-Gespräch des »Bulletin of the Atomic Scientists«:Die Einrichtung einer nuklearwaffenfreien Zone in Nordostasien klingt vielleicht unmäßig idealistisch. Aber inmitten der akuten militärischen Konfrontation auf der Halbinsel und der Gefahr eines katastrophalen Krieges, was ist da so realistisch an endlosen Runden festgefahrener Verhandlungen?“. Ja, was?

Ihre Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/2 Flucht und Konflikt, Seite 2