W&F 1986/3

E = mc² (nur für den Dienstgebrauch)

von Johannes Weyer

Am 27. März 1985 war es soweit: Der Vertrag über die bundesdeutsche Beteiligung an SDI wurde in Washington von Bundeswirtschaftsminister Bangemann und US-Verteidigungsminister Weinberger unterzeichnet.
Seit der Veröffentlichung das Wortlauts der Verträge im Kölner „Express“ kann nun jeder nachlesen, was Bangemann und Weinberger ausgehandelt haben; und es stellt sich die Frage: Was mußte da verheimlicht werden? Und: Wie sieht die Position bundesdeutscher Firmen und Forschungsinstitute innerhalb der SDI-Kooperation aus?

(Ost)Handelsbeschränkungen

Wichtig ist zunächst einmal: Es gibt zwei verschiedene Abkommen, ein Technologietransfer-Abkommen und den eigentlichen SDI-Vertrag. Ersteres wurde der Öffentlichkeit immer als ein bundesdeutscher Punktsieg verkauft.

Der Wortlaut des Abkommens straft solche Behauptungen jedoch Lügen. In dem Abkommen findet sich neben nichtssagenden Absichtserklärungen („Die Regierungen werden sich bemühen (...)“ keine bindende Regelung bezüglich des Transfers USABRD, dafür hingegen ein sehr präziser Katalog von Maßnahmen zur Beschränkung das bundesdeutschen Osthandels. So heißt es mit kaum zu überbietender Klarheit: Die Regierungen streben „eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Anwendung und Durchsetzung vereinbarter Beschränkungen betreffend der Ausfuhr sensitiver Technologien an verbotene Bestimmungsorte“ an. Auch die „Schutzmaßnahmen für sensitive Technologieunternehmungen“ sollen verstärkt werden. Da aus amerikanischer Sicht nahezu jede neue Technologie sensitiv ist, kann man sich leicht ausmalen, was eine solche Klausel bedeutet. So steht auch die vereinbarte Förderung des Güter-, Informations- und Technologieaustausches explizit unter der Einschränkung, daß die Regierungen „unter Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen“ agieren. Von einer Öffnung der deutsch-amerikanischen Achse kann hier folglich nur insofern die Rede sein, als amerikanische Stellen nunmehr einen direkten Zugriff auf die bundesdeutsche Technologie- und Handelspolitik erhalten. (Die im „Spiegel“ veröffentlichten Begleitbriefe räumen den USA sogar eine Art aufschiebendes Veto gegen bundesdeutsche Osthandelsaktivitäten ein.) Die restriktive US-Politik in Fragen des Technologietransfers soll also in Zukunft reibungsloser (und vor allem mit Amtshilfe aus Bonn!) in bundesdeutschen Firmen und Forschungsinstituten umgesetzt werden - eine Perspektive, die in jedem Fall eine Einengung der Spielräume bundesdeutscher Wirtschafts- und Forschungspolitik bedeutet.

Zwei Sorten von Wissen

Noch deutlicher - und präziser geregelt .wird diese Politik im SDI-Vertrag. Auch hier finden sich nichtssagende Absichtserklärungen und vor allem eine Reihe von Hintertürchen, die die Vereinbarungen für die US-Seite vollkommen unverbindlich machen.

So heißt es: Die amerikanische Regierung „will (...) alles in ihren Kräften stehende tun, um die Beteiligung zu erleichtern“ in welchem Maße, das steht völlig im Belieben der US-Regierung. „Deutsche Interessen“ (ein Schlagwort, das zu leicht vergessen macht, daß so manch einer gar nicht an SDI interessiert ist!) sind also in diesem Vertrag nicht berücksichtigt - ein Umstand, der der in Frage kommenden bundesdeutschen Industrie schnell aufgefallen ist.

Dafür finden sich wiederum eine Reihe von sehr präzisen Klauseln zur Kontrolle bundesdeutscher Forschung. (Ein gutes Drittel des Vertrages ist ausschließlich diesen Fragen gewidmet!) Um die Regelungen zu verstehen, muß ich allerdings kurz einige zentrale Definitionen des Vertrages erläutern:

  • Vordergrundinformationen nennt der Vertrag all jenes Wissen, das innerhalb eines SDI-Forschungsvorhabens erzeugt wird, „einschließlich jeder Erfindung, ob patentierbar oder nicht“, ferner solches Wissen, das „im Laufe der Arbeiten (...) erstmals entwickelt oder erstmals praktisch anwendbar gemacht worden“ ist. Ist diese Definition schon sehr weitreichend, so wird sie von der zweiten jedoch noch bei weitem übertroffen.
  • Hintergrundinformationen bestehen gemäß SDI-Vertrag aus dem Wissen, das „für ein konkretes Forschungsvorhaben notwendig oder nützlich“ ist, jedoch nicht innerhalb der SDI-Forschungen generiert wurde, sondern bereits „vor Beginn des Forschungsvorhabens“ existierte. Der Phantasie des Pentagon scheinen hiermit endgültig keine Grenzen mehr gesetzt zu sein; die Einsteinsche Relativitätstheorie wie auch das Zweite Newtonsche Gesetz dürften zweifellos wesentliche „Hintergrundinformationen“ jeglicher physikalischer Forschung sein.

Forschungskontrolle

Um unbefugten Technologietransfer zu verhindern, hat nun jede Regierung „die Einstufungsbefugnis für Hintergrundinformationen, die sie der anderen Regierung oder ihren Auftragnehmern ... übermittelt“. Mit dieser Regelung steht es der US-Regierung also frei, „Informationen jeglicher Art“ (sie muß diese nur für SDI-relevant halten) zu klassifizieren, d. h. deren Weitergabe zu verbieten. Jegliche Nutzung solcher Hintergrundinformationen durch deutsche Firmen oder Institute bedarf einer Genehmigung; und die ausdrücklich erwähnten „Rechte am geistigen Eigentum“ werden durch die Verpflichtung, bei Weitergabe von Informationen „die Zustimmung desjenigen einzuholen, der die Information liefert“, in einer Weise verlebt, die bundesdeutschen SDI-Interessenten graue Haare wachsen lassen müßte. Zudem stellt sich natürlich die Frage, wie das Pentagon die Nicht-Weitergabe, aber auch die Nicht-Nutzung von allgemeinem physikalischen Wissen in bundesdeutschen Firmen kontrollieren will. Steht der Industrie der US-Geheimschutzbeauftrage ins Haus?

Vordergrundinformationen, d. h. genuine Ergebnisse der SDI-Forschung, werden natürlich (?) auch „geschützt“; hier hat allerdings das Pentagon das alleinige Sagen, d. h. alle Beiträge von bundesdeutscher Seite unterliegen automatisch der Verfügung der US-Regierung und der von ihr streng gehandhabten Geheimhaltungsvorschriften. Die Rede von der Technologiepumpe, die durch SDI installiert wird, scheint also volle Berechtigung zu haben.

Der Technologieschub, den die Befürworter einer bundesdeutschen SDI-Beteiligung erwarten, kann sich aufgrund solcher Regelungen jedenfalls kaum entfalten.. Ergebnisse von Auftragsforschung gehören nun einmal dem Auftraggeber, und der SDI-Vertrag formuliert mit großer Deutlichkeit, daß „die Regierung der Vereinigten Staaten ... lizenzgebührenfreie Rechte (erhält), diese Informationen (...) für jeden Zweck zu nuten“. Der Auftragnehmer, sprich die bundesdeutsche Seite, ist hingegen bei der Nutzung der Forschungsergebnisse an die „geltenden Sicherheitsvorschriften“ gebunden.

Fazit

Das Fazit dieser knappen Analyse der SDI-Vereinbarungen lautet also: Der US-Seite ist es gelungen, ihre Vorstellungen vom Schutz Sensitiver Technologien in ganzer Breite in die Verträge einzubringen und den Geltungsbereich dieser restriktiven Forschungspolitik auf die Bundesrepublik auszuweiten. Die Bundesregierung verpflichtet sich per Vertrag, die Geheimhaltung von Forschungsergebnissen sowie Einschränkungen des Technologietransfers zu praktizieren. Zwar können diese - für die bundesdeutsche Forschungspolitik neuartigen Maßnahmen nur da greifen, wo eine SDI-Kooperation konkret vereinbart wird; doch die Unterordnung unter die neue wissenschafts- und technologiepolitische (wie auch global- und rüstungspolitische) Strategie der USA wird sich nach diesem Präzedenzfall vermutlich fortsehen. Die bundesdeutsche Wissenschaft verliert mit dieser Ausrichtung auf das US-Militär und dessen grenzenloser Gier nach Wissen und Technologie nicht nur an Knowhow (wenn nicht schon die Orientierung auf militärische Fragen Grund genug zur Sorge ist); auch alle Versuche zu einer eigenständigen Profilierung der bundesdeutschen Forschungspolitik, die notwendigerweise auf die Konkurrenz gegenüber den USA angewiesen ist, werden mit einer solchen Anbindung an das SDI-Projekt hinfällig.

Johannes Weyer ist Soziologe in Bielefeld.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1986/3 1986-3/4, Seite