W&F 1989/2

Editorial

von Paul Schäfer

Nein; der erste Anti-Kriegs-Film in der Geschichte ist Chaplins >>Shoulder Arms« nicht. Aber notorische Militärs nahmen ihm übel, daß er sich über den Krieg lustig gemacht habe. Später sollte sich Charlie einen "peace monger"- einen Friedenstreiber nennen. Seinen kleinen Schneider, der mit dem Großen Diktator verwechselt wird, läßt er sagen:

''Der Habgier hat die menschliche Seele vergiftet, sie hat uns mit einer Mauer aus Haß umgeben. Sie hat uns in Stechschritt und elendem Blutvergießen marschieren lassen Unser Wissen hat uns zynisch, unser Verstand hat uns kalt und lieblos werden lassen...Laßt uns dafür kämpfen, die Welt zu befreien - die nationalen Schranken sollen niedergerissen werden, die Habgier, die Intoleranz müssen beseitigt werden."

Die Nazis ließen seine Filme verbieten; McCarthy ließ ihn verbannen.

Hannah Arendt hat darauf aufmerksam gemacht, daß der kleine, erfindungsreiche Jude solange besonders populär war, wie man sich in seinen Schlichen gegen Obrigkeit und ungerechte Ordnung wiederfinden konnte. Die mit der Großen Depression einherkommende Zuspitzung der gesellschafllichen Widersprüche legte andere Leitbilder nahe: der Tramp war out; gefragt war Supermann.

In den frühen achtziger Jahren gab es einen neuen Supermann: Rambo. Er hatte Konjunktur weil Kreuzzugsideologen an der politischen Macht mit dem Säbel rasselten. Doch die sozialpsychologische Grundlage für den Erfolg der Rambos ist immer noch das Umschlagen von Ohnmachtsgefühlen in Omnipotenzphantasien. Rambo ist inzwischen out -aber die REPs sind im Kommen. Aufräumen wollen sie und Ordnung schaffen. Natürlich gilt es durch Aufklärung zu verhindern, daß sich hier neues Gewaltpotential politisch formiert Aber mehr noch geht es um die Beseitigung der Quellen dieses "Protestes.« Kriege entstehen in den Köpfen der Menschen, sie werden im gesellschaftlichen Inneren erzeugt Heinrich Mann wies schon 1932 auf diesen Zusammenhang hin: "Die letzte Arbeit der Arbeitslosen bleibt der Krieg, sie haben nicht die Wahl." Die Bedingungen mögen heute undramatischer sein. Dennoch: "positiver Friede", der auf die Beseitigung von Haß und Gewalt zielt, schließt das Bemühen um mehr soziale Gerechtigkeit und demokratische Gestaltungsmöglichkeiten ein.

"... immer wieder leuchtet aus ihm hervor, was den Menschen zum Menschen macht" (Siegfried Krakauer). S. Eisenstein sieht die Besonderheit Chaplins in seinem "Blick auf die Welt" begründet: es ist der lachende Blick eines Kindes. Die einfache Menschlichkeit gehörte bisher ins Reich der Märchen, nicht in die Realpolitik Dort galten die Maßstäbe einer Politik der Machtgewinnung und -vermehrung - »überholtes Steinzeitdenken«.

Die neue, utopiegeladene Politik, nicht nur in der UdSSR durchzusetzen, bezieht ihre realpolitische Attraktivität aus dem heute Notwendigen und Möglichen. Die existentielle Bedrohung der Gattung macht eine solche Politik notwendig, die der Menschheit heute zur Verfügung stehenden materiellen und geistigen Ressourcen machen sie möglich.

Warum soll es nicht möglich sein, Armeen und Waffen längerfristig abzuschaffen? Um die einfachen Dinge des Lebens geht es, die für die Mehrheit der Menschen noch keineswegs Wirklichkeit sind: das Dach über dem Kopf und Raum zum Leben, Essen und Bildung, sinnvolle Arbeit und freie Zeit. Und um die saubere Umwelt für Alle.

Das Gefährdungspotential der hochindustrialisierten Gesellschaften und 0e Vernichtungskapazitäten der modernen Waffen machen jeglichen "Verteidigungs«-auftrag obsolet. Auch in "friedlichen Zeiten« bildet der militärischen Sektor heute ein großes Gefahrenpotential. Es reicht vom Tiefflug bis zur Umwelt schädigenden, Nutzflächen blockierenden, immer expansiveren Landnahme. Auch andere Legitimationsmuster vom Nutzen des Militärischen zerbröseln. Der moderne Produktionsprozeß braucht immer weniger nur-disziplinierte, weisungsgebundene Arbeitskräfte. Was bleibt, ist der schlichte Einwand, daß es schon immer Soldaten gegeben habe. Aber auch andere Berufsgruppen sind ausgestorben.

Ihr Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1989/2 Sind Gesellschaft und Militär noch vereinbar, Seite