W&F 1991/4

Editorial

von Redaktion

Am 27. April haben wir den Verein Informationsdienst Wissenschaft & Frieden gegründet. Er hat die Herausgeberschaft übernommen und soll dafür sorgen, daß die Zeitschrift auf breiterer Basis erscheinen kann. Die beteiligten Vereine und Einrichtungen wollen redaktionell zusammenarbeiten, sich um eine größere Verbreitung der Zeitschrift kümmern und unterstützen – nach ihren Möglichkeiten – finanziell das Projekt. Damit haben sich zwar die finanziellen Grundlagen verbessert, auf mehr Leser sind wir dennoch angewiesen. Der Vorstand ist gewählt; ein Beirat gebildet. Über deren Zusammensetzung werden Sie auf Seite 4 unterrichtet. Bei der Bestellung des Beirats ging es uns um eine möglichst breite Repräsentanz von Kolleginnen und Kollegen, die in der Friedensforschung arbeiten oder in friedenswissenschaftlichen Projekten an den Hochschulen, die sich in den »fachbezogenen« Initiativen engagieren oder in den Medien tätig sind. Einbezogen haben wir auch Freunde, die seit geraumer Zeit sich mit der Nord-Süd-Problematik beschäftigen. Und schließlich wurden Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern gewonnen.

Eine »friedensbewegte« Publizistik hat sich nicht erledigt. Wir glauben nicht an die heile, konfliktfreie Welt. Golfkrieg und Balkankrise sind zu präsent. Aber zeigen nicht die Abrüstungsinitiativen des USA-Präsidenten Bush und des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow, daß die weltpolitischen Weichen in Richtung Entmilitarisierung gestellt sind. Wird sich dieser Prozeß, natürlich langwierig und widersprüchlich, nicht zu guter Letzt durchsetzen? Wir sind keine Schwarzseher. Weil wir an die menschliche Vernunft glauben, engagieren wir uns ja für die Vision einer friedlichen Welt, für die Vorstellung ziviler Gesellschaften. Wir wissen aber auch um Macht- und Interessenkonstellationen, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben. Die militärisch orientierten Institutionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik werden nur widerwillig das Feld räumen. Von einschneidender Abrüstung ist die Rede, zugleich wird die Forschung an immer effektiveren Vernichtungswaffen vorangetrieben. Gibt es zur Zeit nicht eine Ambivalenz von quantitativer Rüstungsreduzierung und qualitativer Modernisierung? Die weltweiten Rüstungsausgaben bleiben nach wie vor ein zivilisatorischer Sündenfall. Rüstungsexport soll restriktiver gehandhabt werden, zugleich werden mehr Waffen denn je in einige bevorzugte Empfängerländer wie Saudi-Arabien und die Türkei geliefert. Der Kalte Krieg ist zu Ende, heiße Kriege finden immer noch statt. Und erzähle niemand, Gewaltpotentiale in den »zivilisierten«, westlichen Gesellschaften seien verschwunden. Täglich hören wir von schrecklichen Angriffen auf unsere ausländischen Mitbürger. Gibt es nicht eine Linie zwischen der schnell herbeigeführten öffentlichen Akklamation des Krieges am Golf und der klammheimlichen Zustimmung Vieler zu dem aufbrandenden Fremdenhass? Welche Gefahren erwachsen eigentlich aus der sich ausbreitenden Festungsmentalität, »westliche« Bevorrechtigungen verteidigen zu müssen?

Der Berliner Philosoph Ernst Tugendhat hat jüngst in einem Essay darauf hingewiesen, „daß das Grundproblem der internationalen Politik heute die Ungerechtigkeit ist, daß Kriege sich ergeben aus dem Bemühen, Ungerechtigkeit zu festigen und zu erweitern…“ Ohne eine sozial gerechte Welt sind Haß, Gewalt und Krieg schwerlich zu beseitigen. Daraus kann man ersehen, wie lange noch für einen friedlichen Umgang der Menschen gestritten werden muss. Dabei haben wir vom vernünftigen Umgang mit unserer natürlichen Umwelt noch gar nicht geredet.

  1. Wir werden »neue« Themen aufgreifen – Nord-Süd-Konflikt, Ökologie, Menschenrechte und innergesellschaftliche Gewalt – aber die alten nicht vernachlässigen. Der Informationsdienst wird daher weiterhin kontinuierlich über ABC-Waffen, Abrüstungsverhandlungen, Konversion informieren.
  2. Die militärische Macht hängt mehr denn je von der rüstungstechnologischen Überlegenheit ab. Pentagon-Chef Cheney hat daher die 90er Jahre als Jahre der militärischen Forschung & Entwicklung charakterisiert. Die Folgen für die Wissenschaft bleiben verheerend. Die dual-use-Problematik, Technologietransfer, militärisch relevante staatliche und industrielle Forschungs- und Entwicklungsstrategien bleiben für uns wichtige Themen.
  3. Wir haben Entmilitarisierung des Denkens immer sehr weit gefasst. Daher erschienen im Informationsdienst Beiträge zur Funktion von Komödien in Kriegen, zum Friedensverständnis in der Antike oder zum Verhältnis von Physik und Rüstung in Forschung und Lehre. Wir möchten versuchen, die Kultur- und Geisteswissenschaften, denen bei der »Entwaffnung der Köpfe« eine zentrale Rolle zufällt (Stichworte: Feindbild-Konstruktion, Kulturchauvinismus, interkulturelle Zusammenarbeit) stärker als bisher in die öffentliche Diskussion einzubeziehen. Die Auseinandersetzungen über das Verhältnis der Fachdisziplinen zu Militär, Krieg und Frieden werden wir fortführen.
  4. Wir unterstützen die praktische Vernetzung und den Erfahrungsaustausch zwischen den engagierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Regelmäßig werden wir über die Arbeit der Initiativen und der friedenswissenschaftlichen Projekte berichten

Mit freundlichem Gruß

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/4 Testfall Rüstungsexport, Seite