W&F 1993/4

Editorial

von Christiane Lammers

„Denken ist etwas, das auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln vorausgeht.“ (Bert Brecht)
1993 scheint mehr denn je diese Weisheit außer Kraft gesetzt worden zu sein. Am Ende dieses Jahres bestimmt Pragmatismus, d.h. die Symptome der Krise kurzsichtig zu behandeln, und Emotion, im Sinne von »Wir sind wieder wer!«, das politische Handeln. Ein Blick beispielsweise in die Unterlagen der nun abgeschlossenen Haushaltsberatungen weist darauf hin, wie die Zeichen der Zeit in Deutschland – nicht viel anders als anderswo – gesetzt werden:

Das Verteidigungsministerium steht mit 48,5 Mrd. (- 2,7 %) zwar in diesem Jahr erst an dritter Stelle der Zuteilungsliste. Ein Hinweis auf bevorstehende Abrüstung könnte man vermuten. Die Kürzungen im Etat des Verteidungshaushaltes sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die immer noch reichlich fließenden Mittel nicht für die Finanzierung der Abrüstung nach dem Ost-West-Konflikt bereitgestellt werden, sondern daß hiermit die Umstrukturierung der Bundeswehr für die Wahrnehmung der »neuen deutschen Verantwortung« erfolgt. Schon ist in der Diskussion, daß die der Industrie durch die vorgenommenen Kürzungen im Beschaffungsetat entgehenden Gelder durch großzügigere Unterstützung des Rüstungsexportgeschäfts kompensiert werden sollen.

Platz eins im Bundeshaushalt nimmt der Einzelplan für das Arbeits- und Sozialministerium ein. Mit 130,4 Mrd. ist er der bei weitem größte Posten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch sehr schnell, daß hier nur eine Verwaltung der sozialen Misere stattfindet. Die Steigerung liegt vor allem an den erhöhten Rentenzuschüssen,- und diese werden zusätzlich noch erheblich durch Einsparungen bei der Arbeitsförderung und der Arbeitslosenhilfe aufgefangen. Die Etats für Frauen und Jugend, Familie und Senioren, Bildung und Wissenschaft sind überdurchschnittlich gekürzt worden: es wird wahrlich in die gesellschaftliche Zukunft investiert. Zum ersten Mal seit Bestehen werden auch die Mittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gekürzt. D.h., daß der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt weiter sinkt, und daß das von der Bundesregierung in Rio nochmals proklamierte 0,7 %-Ziel weiter in die Ferne rückt. Aber wir müssen ja alle den Gürtel enger schnallen!

Treiben wir das Zahlenspiel noch etwas weiter: Die Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung wurden um mehr als 50 % gekürzt; ein Erfolg insofern, daß sie nach der ursprünglichen Planung vollkommen gestrichen werden sollten. Diese nun beschlossenen 1,05 Mio. DM entsprechen ungefähr den Ausgaben der Bundesrepublik für einen 5-tägigen Bundeswehreinsatz in Somalia. Handeln vor oder ohne zu denken, besonders in Schwierigkeiten, scheint die Devise zu sein.

Man könnte die Hoffnung haben, daß auch in unserem Land durch die knapper werdenden Mittel die Militarisierung der Politik nicht weiter zu finanzieren ist. In diesen Zusammenhang wäre z.B. die massive Kritik des Bundesrechnungshof an der Planung des Jäger 90/Eurofighter zu stellen. Aber der Bundesrechnungshof als Mitstreiter der Friedensbewegung?

Wir wollen zum Jahresende mit diesem Heft zu all dem o.G. einen Kontrapunkt setzen: Der Schwerpunkt ist der Friedenswissenschaft gewidmet. Ihre historische Entwicklung während des Kalten Krieges, ihre heutigen Ausprägungen z.B. in institutionalisierter Form in der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und in der Forschungsstädte der Evangelischen Studiengemeinschaft, aber auch die eigenen fachspezifischen Forschungsparadigmen werden in den Beiträgen diskutiert. Dabei wird an vielen Stellen jedoch der Elfenbeinturm verlassen und nach dem konkreten Handlungsbezug dieser Wissenschaft gesucht. Fragen der Möglichkeit zur Politikberatung wie auch Anforderungen aus der Friedensbewegung an die Wissenschaft wurden explizit miteinbezogen. Entgegen dem mainstream steht auch das Dossier »Schwarze Ohnmacht. Sicherheitspolitische Rahmenbedingungen in Afrika aus deutscher Sicht«. Es umreißt die wichtigsten Bedingungsfaktoren der Entwicklung in den Ländern des afrikanischen Kontinents. Wenn Afrika – sei es in den Medien wie auch in der Politik – zum Thema wird, bekommt dies sehr oft den bitteren Beigeschmack von einem hilflosen Kind, gebeutelt durch Diktatur und Dürre, dessen Not zwar durch wohltätige Gesten gemildert, aber dem letztlich leider nicht geholfen werden kann. Die Beiträge des Dossiers stellen dagegen zum einen die Faktoren dar, die deutlich werden lassen, daß die afrikanischen Staaten keineswegs nur schicksalhaft dem heute existierenden Elend ausgeliefert sind. Zum anderen werden aber auch Handlungsschritte, die auf dem schwarzen Kontinent selbst zumindest zur Stabilisierung der Situation in Gang gesetzt wurden, umrissen. Auch für die im Norden in Zusammenhang mit Afrika diskutierten sicherheitspolitischen Maßnahmen sollten diese Analysen eine tragende Rolle spielen.

1994 ist zumindest was die verfassungsmäßig eingeräumten Möglichkeiten angeht, das Jahr des politischen Handelns. Ihnen und uns wünschen wir für die Zeit zwischen den Jahren Ruhe zum Nachdenken, daneben aber auch Muße zum Feiern.

Ihre Christiane Lammers

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/4 Friedenswissenschaften, Seite