Editorial
von Paul Schäfer
Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil knallten in einigen Chefetagen der Rüstungsindustrie die Sektkorken, wie die Nachrichtenagentur AFP am 13. Juli zu berichten wußte.
Die Bundeswehr braucht für ihren neuen Auftrag – Kampfeinsätze weltweit – neue Waffen und Ausrüstungen. Die Branche setzt auf eine neue Beschaffungswelle, um aus ihrer Krise herauszukommen.
Die geringer werdenden Profite der Rüstungsindustrie waren nicht in erster Linie das Resultat planmäßiger Abrüstungspolitik. Der Rückgang der Militärausgaben und der Aufträge für die Industrie waren vor allem den Finanznöten der öffentlichen Haushalte geschuldet. Der Abrüstungswille der politischen Eliten im Westen war auch nach dem Ende des Kalten Krieges nur mäßig ausgeprägt. Nach einer kurzen Phase der Irritation scheint also für die starke Rüstungslobby in Industrie, Wissenschaft, Medien und Politik jetzt wieder Land in Sicht.
Die Legitimationsverluste nach dem Ende der »Konfrontationsära« sind inzwischen aufgearbeitet. Die Bundeswehr soll sich als Teil von NATO und WEU am internationalen »Krisenmanagement« beteiligen. An dieser Aufgabe ist seither die ganze militärische Planung orientiert. Diese neue machtpolitische Rolle Deutschlands ist, wie es CDU-Fraktionschef Schäuble des öfteren betont hat, nicht zum »Nulltarif« zu haben. Welcher Preis für die Aufstellung militärisch überlegener Interventionsstreitkräfte zu entrichten ist, weiß gegenwärtig keiner so genau. Die Skala der gewünschten Beschaffungen reicht von Satellitenaufklärungssystemen, über Transportflugzeugen mit großen Reichweiten und neuen Jagdflugzeugen bis zur »effizienteren« Ausrüstung des einzelnen Soldaten.
Die Bäume der Rüstungsplaner werden aber angesichts knapper öffentlicher Mittel auch in näherer Zukunft nicht in den Himmel wachsen. Aber für die militärische Zunft ist schon eine Trendwende wichtig. Die in den letzten Jahren rückläufigen Rüstungsausgaben in der BRD sollen auf leicht höherem Niveau mittelfristig stabilisiert werden. Der Anteil der investiven Ausgaben (Forschung & Entwicklung, Beschaffungen) soll durch Rationalisierung und Einsparung bei den Personalausgaben wieder kräftig angehoben werden.
Auseinandersetzungen mit der technologischen Rüstungsdynamik und mit konkreter Rüstungsmodernisierung durchziehen wie ein roter Faden die früheren Hefte von Wissenschaft und Frieden. Doch nach 1989, nach den Abrüstungsverträgen der jüngsten Vergangenheit, mutet es wie ein hochgradiger Anachronismus an, wenn sich die vorliegende Ausgabe wieder mit den Trends bei der Rüstungsforschung und -entwicklung und mit solch skurrilen Themen wie dem »Schlachtfeld der Zukunft« beschäftigt. Doch die Realität legt dies nahe. Die Militärausgaben im Rahmen der weit überlegenen Militärmacht NATO bleiben auf hohem Niveau. Für die Aufwendungen für rüstungsbezogene Forschung und Entwicklung gilt dies in noch stärkerem Maße. In der BRD ist der Anteil der offiziell ausgewiesenen Rüstungsforschung an der öffentlichen Forschung zwischen 1988 und 1993 lediglich von 12,4 auf 10,5 Prozent zurückgegangen. Käme die geplante Umrüstung, müßte sogar mit wieder stark steigenden Aufwendungen gerechnet werden.
Wer sich mit dem Wachstum der modernen Waffenwelt beschäftigt, läuft Gefahr, als unverbesserlicher Rüstungsfetischist zu gelten. Doch den Leserinnen und Lesern sei versichert: Die Stories von CyberWar und Electronic Warfare faszinieren uns nicht. Wir setzen uns weiter kritisch mit der Rüstungsmodernisierung auseinander, weil wir von der Untauglichkeit militärischer Lösungen für die gewaltträchtigen Konflikte unserer Zeit überzeugt sind. Weil wir auf die schreiende Diskrepanz zwischen dieser Rüstungsdynamik und einer Konfliktursachenbekämpfung, die diesen Namen verdient, aufmerksam machen wollen. In einem Beitrag dieses Heftes heißt es zu Recht: „Wie wäre es denn, wenn man all die Gelder für die militärische »Informationisierung« dazu verwendet, um »besser zu verstehen«, was in den potentiellen Konfliktregionen vor sich geht? Es wäre »wahre Informationsüberlegenheit«, würde man sich einer tieferen politischen, ökonomischen oder ökologischen Ursachenanalyse widmen, anstatt Zielkoordinaten in Datenbanken einzugeben oder »tödliche Netze« zu schaffen.“
Es bleibt uns eine doppelte Aufgabe: Die Fehlorientierung und Vergeudung von Ressourcen anzuprangern – solange die Rüstungsdynamik nahezu ungebrochen ist – und für Konzepte ziviler Konfliktverhütung zu streiten. Forderungen nach der Einbeziehung qualitativer Rüstungsmodernisierung in künftige Abrüstungsverhandlungen und Ideen, wie die bisher militärisch gebundenen Ressourcen in Industrie, Forschung und Entwicklung zivil umgewidmet werden können, gehören dazu.
Wie eine Forschungs- und Technologiepolitik, die an den wirklichen Problemen von Gegenwart und Zukunft orientiert ist, auszusehen hätte, ist im vorliegenden Heft umrissen. In der Dortmunder Erklärung, die auf dem Kongreß »Wissenschaft in der Verantwortung – Politik in der Herausforderung« im Juni als Appell an die Politik verabschiedet worden ist, haben Persönlichkeiten aus Wissenschaftsverbänden, Akademien, Gewerkschaften, Kirchen und der Friedensforschung Vorschläge unterbreitet, die größere Verbreitung verdienen.
Ihr Paul Schäfer