Editorial
von Paul Schäfer
„Zeit des Übergangs“ ist der Beitrag des US-Politikers Paul Walker in diesem Heft überschrieben.
In der Tat: Wir befinden uns in einer eigenartig unentschiedenen Situation. Das konservative Lager, das entscheidend von der Wirtschaftskrise in den 70ern profitierte, ist noch stark genug, um sich an der Macht zu halten, doch für die Durchsetzung der eigentlich intendierten Politik schwinden die Kräfte. Die Opposition hat seit Anfang der 80er Jahre die konservative Dynamik auf zentralen Politikfeldern sukzessiv gebrochen und neue Chancen eines Übergangs eröffnet zu einer abrüstungsorientierten Politik. Dabei markieren die Verschiebungen im sozialdemokratisch-ökologischen Block in Fragen der Friedens- und Abrüstungspolitik das zentrale Ereignis. Hier liegt zugleich die große Schwäche: Ohne eine inhaltlich klare, perspektivreiche Verbindung der Fragen der Abrüstungs-, Sozial- und Ökologiepolitik mit der Wirtschaftspolitik kann die Macht des weiter auf Aufrüstung setzenden konservativen Blocks nicht gebrochen werden. Noch entfalten Programme das „Umbaus der Industriegesellschaft“ oder „Arbeit und Umwelt“ kaum mobilisierende Wirkung. Auch fehlt es – denkt man an die kläglichen Kürzungskonzepte der SPD zum Rüstungsetat an konzeptioneller Präzision.
Bis Reykjavik gab es vielleicht noch ein wenig Kredit für die Behauptung der Konservativen, gerade ihre Aufrüstungspolitik werde zu ernsthaften Verhandlungen und zur Rüstungskontrolle führen. Nunmehr ist offensichtlich: Die Aufrüstung auf selten der NATO – und vor allem SDI – soll nicht zur Abrüstung, sondern zur militärischen Überlegenheit fahren. Und es ist auch deutsch geworden, wie unmittelbar die wissenschaftlich-technischen „Fortschritte“ in der Welt der Waffen zum Hemmnis für eine friedliche Zukunft geworden sind.
Der „dialogische Imperativ“ (Th. Sommer), der die USA und die UdSSR an den Verhandlungstisch gebracht hat, folgt nicht allgemein-menschlicher Vernunft. Vielmehr muß dieser immer wieder auf die Sprünge geholfen werden: durch die Bewegung der Betroffenen.
Die Ära der Entspannung der siebziger Jahre und die Friedensbewegung der achtziger Jahre haben offenbar einen Keim gelegt, der nicht auszurotten ist. Daher geraten die Aufrüstungsbefürworter zunehmend unter Druck. Nur mühsam läßt sich noch kaschieren, daß das Streben nach militärischer Überlegenheit und Abrüstung nicht zusammengehen. Doch genau dies wird weiter versucht werden. Für dieses Geschäft eignen sich Kohl und Genscher.
Sie werden weiter „ernsthaft und hart arbeiten“, „intensiv verhandeln“, auf „positive Signale aus dem Osten“ warten und dgl. mehr. Dahinter mag auch das Bestreben stecken, die schwierige Balance der Abschreckung nicht aus dem Gleichgewicht kippen zu lassen. Doch vor allem geht es um Beschwichtigung und Druckentlastung: laßt uns nur machen.
Der grundlegende Irrtum liegt in der Vorstellung, die Friedensbewegung zerfalle. Die wunderbare Demonstration in Hasselbach hat jedoch deren Vitalität unter Beweis gestellt. Nach Reykjavik gilt mehr denn je: Nötig ist eine eigenständige Friedensbewegung. Ihre Aufgabe besteht jetzt besonders darin, die konkreten Möglichkeiten für die Durchsetzung von Abrüstung zu nutzen. Es ist gut, wenn sich der 1. Internationale Naturwissenschaftler-Kongreß in Hamburg mit dem Thema „Wege aus dem Wettrüsten“ beschäftigt. Sehr konkrete Vorschläge werden unterbreitet werden. Dies wird immer mehr die zukünftige Stärke der Friedensbewegung sein (die ja zunächst von der legitimen Angst vor den Raketen genährt wurde und einen Abwehrkampf führte): ein positives Abrüstungsprogramm zu erarbeiten und zu vertreten.
Dies muß auch der Leitgedanke bei den bevorstehenden Bundestagswahlen sein: Abrüstung wählen.
Ihr Paul Schäfer