W&F 1996/4

Editorial

von Margitta Matthies

Seit Deutschland seine uneingeschränkte staatliche Souveränität durch die deutsche Einheit zurück erhielt, erleben wir eine Militarisierung der Außenpolitik, von Politikern und Militärs auch mit „neuer Normalität“ bezeichnet. Was aus politischer Sicht darunter zu verstehen ist, geben die vielzitierten Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) an, die Volker Rühe im November 1992 erlassen hat: In den VPR werden die „vitalen Sicherheitsinteressen“ Deutschlands formuliert, hierzu gehört u.a. „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt…“ ebenso wie die „Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft…“ War die Aufgabe der Bundeswehr in der alten Bundesrepublik auf die Landesverteidigung im NATO-Verbund beschränkt, so wird die veränderte Weltlage dazu benutzt, den Pfad der Landesverteidigung zu verlassen, und die neue Bundeswehr auf weltweite militärische »Krisen-Interventionen« zur Durchsetzung der strategischen Interessen vorzubereiten.

Zugleich soll das Ansehen der Bundeswehr mit dem neuen Ehrenschutzgesetz (§ 109b, Verunglimpfung der Bundeswehr), das demnächst zur Entscheidung im Bundestag ansteht, gefestigt werden (s.a. M. Singe, S. 28). Auf Kosten der freien Meinungsäußerung wollen die Protagonisten einer militärischen Machtpolitik, die Ehre der Soldaten und zugleich die Ehre der Institution Bundeswehr schützen. Dies erinnert an die Einführung des Ehrenschutzparagraphen zur Stützung der Reichswehr, mit dem 1932 Militärkritiker wie Tucholsky und Ossietzky mundtot gemacht werden sollten (s.a. M. Hepp, S. 39).

Heute verfolgt die militärische Führung das Ziel, wieder weltweit kämpfen zu können, wenn auch nicht im Alleingang, wie immer wieder öffentlich betont wird, so doch im Rahmen von Bündnissen und internationalen Organisationen, die dem Einsatz zu einer legitimierenden Rückendeckung verhelfen. Der Öffentlichkeit werden diese Ideen zum Zwecke der Gewöhnung im Rahmen einer »Salamitaktik« näher gebracht. Erst im Rückblick wird richtig klar, wie sich die äußeren Rahmenbedingungen innenpolitisch instrumentalisieren ließen, wie unter den Augen der Öffentlichkeit und doch kaum sichtbar die Grundlagen für eine nach Aufgaben, Organisation und Bewaffnung neue Bundeswehr geschaffen wurde, die mit militärischen Mitteln deutsche Machtpolitik durchsetzen soll (s.a. T. Pflüger, S. 11). Obwohl es den Militärstrategen gelungen ist, jenseits friedenspolitisch orientierter Alternativkonzepte, die »neue militärische Normalität« auf die Tagesordnung zu heben und damit die politische Debatte parteiübergreifend zu bestimmen, werden sie in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit (s.a. J. Koch, S. 42) aber auch in Teilen der Bundeswehr mit Legitimations- und Akzeptanzproblemen konfrontiert.

Die Einführung des Ehrenschutzes ist nur ein Schritt, um die Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft wieder zu verankern. Ein anderer ist das Ritual der öffentlichen Gelöbnisse, 1996 sogar in Berlin, um die militaristischen Interessen in Szene zu setzen. Die öffentliche Debatte über mögliche künftige Aufgaben der Bundeswehr, die nunmehr in politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Elementen der Sicherheit gesehen werden, ergänzt die Legitimationssuche der Militärs. In diesem Sinne verkauft sich die Bundeswehr als vermeintliche Allround-Institution gegen jegliche Nöte in der Welt. Auch die Diskussionen um den Erhalt der Wehrpflicht wird gegen den Legitimationsverfall des Militärs eingesetzt und von Teilen der Bundeswehrführung damit begründet, daß sie als Garant für die Demokratieverträglichkeit und die Integration des »Staatsbürgers in Uniform« steht. Um auch der weiblichen Hälfte der Bevölkerung die Legitimation abzuringen, schreibt sich die Bundeswehr nun die Gleichberechtigung auf die Fahnen, indem sie Frauen in ihre Reihen einbeziehen will (s.a. M. Jansen, S. 44).

Auch in Teilen der Bundeswehr wird eine kritische Diskussion über wirtschafts- und machtpolitisch bedingte Kampfeinsätze, die über die Landesverteidigung hinaus gehen, geführt. Für einen Soldaten bleibt es eine persönliche Gewissensfrage, ob er seine ethischen Auffassungen hinsichtlich des Tötens von Menschen über den im Militär eingeübten Automatismus von Befehls- und Gehorsam stellt (s.a. B. Moltmann, S. 24). Um ethische Reflexionen und Gewissensregungen in den Streitkräften zu vermeiden, werden auch in der Bundeswehr Spezial- und Eliteeinheiten aufgestellt, die durch stetes Training auf Befehl und Gehorsam fixiert werden (s.a. R. Seifert, S. 16), mit dem Ziel, daß die effektive Ausführung des militärischen Auftrags den unreflektierten Umgang und eine ethisch neutrale Einstellung zum Töten von Menschen befördert. Trotz allem bleibt aber festzuhalten, daß in Deutschland niemand zum »Mörder« werden muß, es bleibt immer eine individuelle Entscheidung, denn das Recht zur Kriegsdienstverweigerung gilt auch für Soldaten, wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

Ihre Margitta Matthies

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/4 Weltweit im Kommen: Die neue Bundeswehr, Seite