W&F 1997/4

Editorial

von Jürgen Nieth

Montag, 17. November 1997: Der US-Flugzeugträger George Washington ist auf dem Weg ins Rote Meer. In der Region sind bereits der Flugzeugträger Nimiz, 17 Kriegsschiffe und 200 amerikanische Flugzeuge stationiert. Aus dem US-Verteidigungsministerium hieß es am Wochenende, ein militärisches Eingreifen sei „noch einige Schritte entfernt“, werde aber immer wahrscheinlicher.

Vorausgegangen waren eine massive Behinderung der im Rahmen einer UN-Mission tätigen US-Waffenkontrolleure durch irakisches Militär und schließlich der Abzug fast aller UN-Kontrolleure aus Protest gegen diese Behinderungen.

Ein Spiel, das wir in der einen oder anderen Version seit dem zweiten Golfkrieg immer wieder erleben. Der irakische Diktator Saddam Hussein gibt sich bedroht oder ausspioniert durch US-Amerikaner in UN-Mission und greift zum Mittel der gezielten Verletzung der ihm von den UN auferlegten Sanktionen oder der Arbeitsbehinderung von vor allem US-Personal in UN-Diensten. Der »Erzfeind Nr. 1« eignet sich hervorragend, um zumindest kurzfristig abzulenken von der katastrophalen ökonomischen Situation, in der sich das Land seit dem letzten Krieg befindet und um alle eventuellen innenpolitischen Proteste wegzuspülen in einer Welle nationaler Euphorie.

Und die USA? Sie demonstrieren Macht und militärische Überlegenheit. Bereits viermal haben sie seit dem Golfkrieg II ihre Militärmaschinerie gegen den Irak eingesetzt: 1992 schossen amerikanische Kampfflugzeuge eine irakische MIG-25 über der nördlichen Flugverbotszone ab. Im Januar 1993 zerstörten amerikanische Raketen das Luftverteidigungssystem im Süden des Irak. Im Sommer 1993 wurden 23 Cruise-Missile gegen militärische Gebäude in Bagdad eingesetzt. 1996 gingen 44 amerikanische Raketen auf militärische Ziele im Süden nieder, nachdem irakisches Militär gegen kurdische Einheiten im Norden eingesetzt worden war.

Militäreinsätze, die alle eins gemeinsam hatten: Sie demonstrierten den Willen und die Möglichkeit der USA zu jedem Zeitpunkt und an (fast) jedem Ort militärische »Strafmaßnahmen« durchzuführen. Daß das Regime des Saddam Hussein durch keine dieser Militärattacken ernsthaft gefährdet, ja eher noch stabilisiert wurde, schien zum Kalkül zu gehören. Die Mehrheit der Nahostexperten scheint immerhin davon auszugehen, daß die USA das Saddam-Regime brauchen als Block gegen die weitere Ausdehnung des schiitischen Islam, gegen den Iran und zur Verhinderung eines eigenen Kurdenstaates an der Grenze zur Türkei.

Diesmal soll es um mehr als nur eine Strafaktion gehen. Verteidigungsminister Cohen ließ Clinton ein Szenario unterbreiten, nachdem es „nicht nur bei einem kurzem Luftschlag“ bleiben dürfe. Doch dafür fehlen heute (bei Redaktionsschluß) noch einige Voraussetzungen: Frankreich, Rußland und China plädieren im Sicherheitsrat für nichtmilitärische Lösungen. Im Gegensatz zur Situation während des zweiten Golfkrieges gehen die arabischen Staaten auf Distanz zur USA. Die jordanische Zeitung »Jordan Times« spricht die Befürchtung aus, daß die USA Saddam im Irak zum Märtyrer machten. Der »Iran Daily« vertritt die Auffassung, daß die USA die jüngste Krise nur provoziert hätten, um den Golfstaaten neue Waffen verkaufen zu können. Die in Dubai erscheinende »Khaleej Times« schreibt offen, daß die Welt „die seit dem Ende des Kalten Krieges gewachsene amerikanische Arroganz satt“ habe. Selbst Kuwait distanzierte sich in der letzten Woche von der amerikanischen Position.

Möglich, daß die Situation trotzdem in den nächsten Tagen eskaliert. Möglich, daß Saddam den Vorwand liefert, möglich, daß für Clinton die Situation so weit fortgeschritten erscheint, daß er ohne Militäreinsatz einen innenpolitischen Imageschaden befürchtet und auch ohne Rückendeckung seiner Verbündeten den Einsatzbefehl gibt.

Eine der arabischen Zeitungen schrieb in diesen Tagen: „Ein weiser und starker Mann wird dem schwachen immer eine Option für einen Rückzug in Würde geben.“ Zugegeben, mir fehlt das Gottvertrauen in die »Weisheit » der US-Regierung. Die Gefahr ist groß, daß wieder einmal pures Machtdenken die Entscheidung diktiert.

Sicher, die internationale Staatengemeinschaft ist zu Recht skeptisch in bezug auf die mögliche Produktion von Massenvernichtungsmitteln im Irak. Aber ist es wirklich klug, wenn der Kriegssieger von gestern heute als oberster Kontrolleur auftritt? Ist es nicht viel wichtiger, daß überhaupt kontrolliert wird? Das aber können Spezialisten aus anderen Ländern sicher genauso gut, dafür bedarf es keiner US- Dominanz.

Und noch etwas: Wer internationale Kontrolle will, muß Strukturen bilden und unterstützen, in denen internationale Vereinbarungen getroffen und auch kontrolliert werden können. Ein erneuter Militäreinsatz am Golf wird die Probleme genausowenig lösen wie die vorausgegangenen. Die internationalen Strukturen der UN aber würden weiter geschwächt, da er einmal mehr dokumentierte, daß die USA nach eigenem Belieben Weltmachtpolitik machen.

Die Rolle der »Supermacht« und ihr Einfluß auf die Weltpolitik waren für uns Anfang des Jahres Anlaß, den Schwerpunkt »USA« festzulegen. Daß dieses Thema so aktuell werden könnte, haben wir damals nicht geahnt.

Ihr Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/4 USA, Seite