W&F 1999/2

Editorial

von Paul Schäfer

Ja, es ist ein Ärgernis, dass sich Diktatoren und Menschenrechtsverletzer hinter dem Gebot der Nichteinmischung verschanzen. Die Begrenzung innerstaatlicher Souveränität durch internationale Strukturbildung ist längerfristig ein vernünftiges Projekt. Dazu gehören die Stärkung der Vereinten Nationen und der OSZE wie der Ausbau internationale Gerichtsbarkeit. Auf der Grundlage größtmöglicher Legitimation – und das heißt auch ungeteilter Moral – kann über Einmischungen geredet werden. Auch über peacekeeping-Einsätze, wenn Völkermord droht. Sonst nicht.

Der für Kriegsfragen zuständige Minister in Bonn hat in diesen Tagen ausgeführt, wie sehr es ihn damals betroffen gemacht habe, dass man nicht habe helfen können, 1980 beim Arbeiteraufstand in Danzig und Stettin. Oder 1968 beim Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in Prag. Dies sei nunmehr anders geworden. Man könne den betroffenen Menschen helfen. Wie wir sehen, schließt diese »Hilfe« Angriffskriege ein. Was für eine Nothilfe, die das Elend der Hilfebedürftigen vervielfacht!

Mir fallen andere Beispiele ein: Was war mit Hilfe 1973 beim Militärputsch in Chile? Hat man nicht die Putschgeneräle und Henker von Montevideo bis Santiago in den siebziger Jahren nicht nur gewähren lassen, sondern sie erst an die Macht gebracht? Man habe »Fehler« gemacht, hat die US-Außenministerin eingeräumt. Würde heute eine vom Volk gewählte Allende-Regierung in Ruhe gelassen oder gar großzügig mit Wirtschaftshilfen bedacht? Wahrscheinlicher ist, dass Minister Scharping mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen die ersten Krisengespräche aufgenommen hätte.

„Wir müssen dafür sorgen, dass Milosevic wegkommt“, sagt der Vertreter der Grünen in einer Diskussionsrunde. Wer ist »Wir«? Wir Grüne? Wir Deutsche? Wir NATO? Was ist mit dem serbischen Volk?

„Die Pinochets dieser Welt sollen künftig zittern“, rief ein Redner unter starkem Beifall auf dem Kosovo-Parteitag der Grünen aus. Bravo!

Die Liste der Staaten, die die Menschenrechte verletzen ist, ist lang (auch die USA sind dort vertreten). Man geht von weltweit über 20 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen aus. Anlässe für »humanitäre Interventionen« gibt es wahrlich genug. Und doch kann einem angesichts der in Mode gekommenen moralisierenden Rhetorik eingreifender Außenpolitik angst und bange werden. Da darf in Talkshows ungeniert über die Ermordung eines dreimal gewählten Staatsoberhauptes räsoniert werden. Da werden Überlegungen angebracht, wie man das serbische Volk umerziehen müsse, damit es endlich am Tisch der Zivilisierten Platz nehmen dürfe. Da fließt der Begriff »Protektoratslösung« wieder flott von den Lippen. Würde dieser moralische Rigorismus Programm, stünde ein Totalitarismus des Guten ins Haus, in dessen Konsequenz die Heilsbringer den Bösewichtern immer ähnlicher werden.

Und ob es den jeweils Beteiligten bewusst ist oder nicht: Die Grundlage der humaninterventionistischen Gestaltungsphantasien bildet die Übermacht der westlichen Allianz; eine Macht, die sich nicht zuletzt auf ihre überlegene High-Tech-Militärmaschinerie stützt. Sollen wir zukünftig gutgläubig dem Militärblock der Starken und Reichen vertrauen, wenn es um die uneigennützige Verteidigung der Moral gehen soll?

Seitdem Präsident Bush 1991 die Neue Weltordnung ausrief, ist es Mode geworden, der Einmischung in »innere Angelegenheiten« das Wort zu reden. „Wir laufen in eine Phase hinein, in der die Souveränität eines Landes in Frage getellt wird“,so der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Ischinger. Er fügt zur Selbstberuhigung hinzu, dass man nicht in das Stadium der Willkür übergehen dürfe. Doch die Definitionsmacht über die Grenzen bzw. Nichtgrenzen haben alleine diejenigen, die qua eigener Machtfülle die Einschränkung der Souveränität exekutieren können.

So gesehen ist der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien tatsächlich ein Präzedenzfall. Das Recht zum Kriege (ius ad bellum) wird wieder in die Hände souveräner Nationalstaaten zurückgelegt, die sich erlauben können, die Souveränität anderer Länder zu verletzen. Interveniert wird selektiv. Die Türkei als strategischer Partner innerhalb der NATO wird gehätschelt, Serbien als Störfaktor abgestraft.

Der Münchener Soziologe Ulrich Beck hat es exakt herausgearbeitet: „Im Zuge der neuen westlichen Politik ethischer und wirtschaftlicher Globalisierung werden die Souveränitätsrechte der nationalstaatlichen Moderne entkernt und dem Zugriff »globaler Verantwortung« geöffnet. Gerade weil das weltweite Einklagen von Grundrechten hoch legitim ist und entsprechende Interventionen, wie im Kosovo, als selbstlos gelten, bleibt oft unerkannt, dass sie sich deswegen auf das wundervollste verzahnen lassen mit den altmodischen Zielen imperialistischer Weltpolitik.“

Paul Schäfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/2 Wieder im Krieg, Seite