Eine zweite Chance für Rüstungstransferkontrollen?
von Mathias John
Zu viele Waffen in den falschen Händen – das ist in aller Kürze die Folge des globalen Waffenhandels. Die Auswirkungen der Rüstungstransfers sind katastrophal: Kriege und Konflikte bringen Mord, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Folter, Armut, Flucht. Aber auch im Alltag – jenseits von Konflikten – werden Menschenrechte häufig durch unkontrolliert gelieferte Waffen verletzt.
Festzuhalten bleibt: Soweit es bislang überhaupt nationale oder regionale Kontrollen konventioneller Rüstungsexporte gibt, reichen diese nicht aus, um die verhängnisvollen Folgen von unverantwortlichem Waffenhandel zu mindern. Gebraucht werden daher global gültige und verbindliche Standards, die solche Rüstungstransfers wirksam unterbinden.
Für dieses Ziel setzen sich seit Mitte der 1990er Jahre Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International ein. Mit der 2003 gegründeten weltweiten »Control Arms Alliance« gelang es 2006, einen Prozess zur Ausarbeitung eines internationalen Vertrags (Arms Trade Treaty, ATT) zu initiieren. Im Juli 2012 wurde nach jahrelangen Vorverhandlungen schließlich eine internationale Staatenkonferenz zur Verabschiedung eines ATT durchgeführt.
Damit bot sich die historische Gelegenheit, einen solchen Kontrollvertrag durchzusetzen. Diese erste Chance hat die internationale Staatengemeinschaft allerdings vertan!
Mehr als drei Wochen brauchten die versammelten Delegationen, um endlich einen Entwurf vorzulegen, der nicht nur die Bedenken vieler Skeptiker aufnahm, sondern auch weitreichendere Forderungen von Nichtregierungsorganisationen und unterstützenden Staaten. Dieser Entwurf schien eine echte Chance auf einen Konsens zu haben. Sogar besonders zurückhaltende Staaten waren bereit, das Abkommen in dieser Form mitzutragen. Selbst für die USA, die Fragen zur Munition nicht im Vertrag geregelt sehen wollten, schien der gefundene Kompromiss ein gangbarer Weg zu sein.
So gingen die Delegationen recht optimistisch in den letzten Verhandlungstag – bis die USA ankündigten, sie bräuchten mehr Zeit zur Prüfung des Entwurfes. Umgehend schlossen sich die Delegationen Russlands und anderer skeptischer Staaten an – und die ATT-Konferenz endete ohne greifbares Ergebnis.
Seitdem sind auf internationaler Ebene hektische Aktivitäten im Gang, um den Prozess doch noch zu retten. Gleich zum Abschluss der Konferenz gab es eine gemeinsame Erklärung von 93 Staaten, die sich für ein striktes Abkommen auf der Grundlage des vorgelegten Entwurfs einsetzen.
Mindestens zwei Optionen bieten sich an: Die UN-Generalversammlung könnte in ihrer laufenden Sitzungsperiode mit Mehrheit einen ATT verabschieden – dieser bliebe aber wohl ohne die Mitwirkung der USA, Russlands und Chinas, weshalb viele Staaten diese Lösung ablehnen. So läuft derzeit alles auf die zweite Option hinaus: möglichst bald eine neue Konferenz abzuhalten, in der der Vertragstext abschließend verhandelt wird. Darüber könnten der Abrüstungsausschuss und die UN-Generalversammlung in den nächsten Wochen einen Beschluss herbeiführen.
Dieser Weg könnte Erfolg versprechend sein, allerdings müsste sichergestellt werden, dass der aktuelle Vertragsentwurf Grundlage für neue Verhandlungen bleibt. Aus Sicht von Amnesty International darf insbesondere das Menschenrechtskriterium nicht weiter aufgeweicht werden. Denn schon der jetzige Entwurf ist ein Kompromiss und weist diverse Mängel auf. So ist bisher nur der Waffenhandel erfasst, andere Formen von Rüstungstransfers bleiben außen vor. Wichtige Rüstungsgüter wie Munition und Waffenbestandteile fehlen in der zentralen Liste der zu kontrollierenden Güter und werden nur als Zusatzoption ins Ermessen der einzelnen Staaten gestellt. Ein weiteres Schlupfloch ist die Ausnahmeregelung für Kooperationsvereinbarungen im Rüstungsbereich. Zudem sind die vorgeschlagenen Regelungen bezüglich Genehmigungsverfahren, Strafverfolgung bei Verstößen und Transparenz unvollständig oder fehlen ganz.
Immerhin gab es bislang nicht den befürchteten Wettlauf zum kleinsten gemeinsamen Nenner, angesichts der Widerstände schon ein Erfolg. Auch wenn am Ende der Konferenz das taktische Agieren der großen Waffenexportstaaten im Vordergrund stand, möchten viele Regierungen mit dem vorgelegten Entwurf zügig zu einem Ergebnis kommen. Es gibt also doch noch eine Chance, verbindliche internationale Regelungen zu erreichen – und die darf nicht leichtfertig vertan werden.
Sollte eine mögliche Fortsetzung der ATT-Konferenz im kommenden Jahr erneut kein greifbares Ergebnis erzielen, bleibt immer noch der Weg, in der UN-Generalversammlung mit Mehrheit einen strikten Vertragstext zu verabschieden. Aufgabe der Zivilgesellschaft bleibt, die Regierungen weiter in die Pflicht zu nehmen und öffentlichen Druck aufzubauen, damit internationale, aber auch striktere nationale Rüstungsexportkontrollen verwirklicht werden.
Dr. Mathias John ist Rüstungsexperte der deutschen Sektion von Amnesty International.