W&F 1996/1

Energiewende? Ja – aber wie?

von Michaele Hustedt

Die Bundesregierung hat sich vom Ziel des Klimaschutzes verabschiedet. Das kürzlich vorgestellte Prognos-Gutachten, erstellt im Auftrag des Wirtschaftsministeriums, belegt eindeutig, daß es in Zukunft wieder zu steigenden CO2-Emissionen kommen wird und das Reduktionsziel weit verfehlt wird. Die Selbstverpflichtungen der Industrie reichen nicht aus: die Bundesrepublik steht tief in den roten Klimazahlen. Jetzt schon zeichnet sich also der Bruch der von Kanzler Kohl in Rio und Berlin gegebenen Versprechen ab. Man setzt darauf, daß die Gesellschaft kollektiv bereit ist, die drohenden ökologischen Gefahren zu verdrängen und daß dem einzelnen der Arbeitsplatz näher ist als die Klimakatastrophe. Diese Geisteshaltung manifestiert sich in der in letzter Zeit feststellbaren aktiven Absetzbewegung von der Zielvorstellung einer ökologischen Steuerreform. Mittlerweile hat sich die energiepolitische Zielsetzung der Bundesregierung auf die Senkung der Energiepreise, insbesondere für die Großabnehmer in der Industrie, reduziert.

Aber auch für Teile der SPD gilt neuerdings das alte Motto: „Umwelt ist out, Arbeit ist in“. So ließen der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Clement, der wirtschaftspolitische Sprecher Schröder und die Spitzenkandidaten Beck und Spörri in letzter Zeit mehrmals verlauten, daß die Ökosteuer zugunsten der Beschäftigungssicherung zu warten habe. Damit sind sie auf deutliche Distanz zu den Positionen ihrer Partei und Bundestagsfraktion gegangen. Der Plan, die Lohnnebenkosten zu senken und im Gegenzug den Naturverbrauch stärker zu besteuern, ist selbst im Urteil der Skeptiker noch vernünftig. Aber ausgerechnet in der Wirtschaftskrise damit ernst zu machen, halten sie für fahrlässig. Ihre Devise lautet: In alten Strukturen durchstarten, damit in besseren Zeiten die Reformen angepackt werden können. Dieses Denk- und Verhaltensmuster ist nicht unbekannt. Ob es um Subventionsabbau geht, um Entrümpelung der zu komplizierten Steuervorschriften oder die Sanierung der Staatsfinanzen – stets wurde das Anpacken von als Daueraufgabe erkannten Herausforderungen vertagt, weil die Umstände nicht danach waren. Doch die alten Trampelpfade der Wirtschaftspolitik haben die Krise mit heraufbeschworen. Wenn sich Politiker gegenseitig – quasi in großer Koalition – auf den Status quo einschwören, läßt das deshalb nichts Gutes erhoffen: weder für die Arbeitslosen noch für die Umwelt.

Energiewende: Chance für den Standort Deutschland

Die Zukunft der Arbeit im Wirtschaftsstandort Deutschland liegt nicht bei den ausgereiften Industriezweigen. Denn dort geht es im weltweiten Wettbewerb vor allem um Produktivitätssteigerung, d.h. die Herstellung der Produkte in kürzerer Arbeitszeit. Neue Arbeitsplätze können damit nicht geschaffen werden. Die Sicherung des Standorts Deutschland nur über Kostensenkung in der Produktion ist deshalb völlig defensiv. Die Zukunft der hochentwickelten Industrienationen liegt in der Innovation. Und hier stellt selbst die Bundesregierung ein Defizit fest. Nur durch neue Produkte, neue Produktionsverfahren, neue Maschinen, neue Industriebranchen können auch neue dringend benötigte Arbeitsplätze geschaffen werden. Arbeitsplätze mit Zukunft, die nicht am Dauertropf von Subventionsgeldern hängen. Wir brauchen deshalb Innovationsförderung und nicht in erster Linie eine Wirtschaftspolitik, die sich lediglich auf den Erhalt der Altindustrien konzentriert. Das sieht die Bundesregierung durchaus ein, aber sie ist nicht in der Lage, Lobbydruck und Interessensverquickung zwischen Politik und Großindustrie zu überwinden. Innovationsförderung heißt: Risikokapital, Netzwerke und Innovationsverbünde für klein- und mittelständische Unternehmen und anwendungsorientierte Forschung und Bildung und Hilfe bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit weltweit. Innovationsförderung heißt aber auch eine Strukturpolitik, die ausgerichtet ist auf die Märkte von morgen. Heute sind dies Telekommunikation und die Herausforderung der ökologischen Katastrophe. Hier gibt es ein großes Bedürfnis nach neuen Produkten, das erst in Ansätzen gedeckt ist, und dieser Bedarf wird weltweit wachsen. Ein entscheidender Anstoß für Innovation in heutiger Zeit besteht deshalb in der großen Aufgabe, die ökologische Krise durch den Strukturwandel zu bewältigen.

Dabei ist die Zukunft der Energieversorgung der zentrale Bestandteil. Und es muß deutlich sein, daß die jetzige Art und Weise, wie wir unsere Energie erzeugen und verwenden noch nicht die Lösung für die Zukunft ist. Ob Dampfturbine oder Atomkraftwerke – jede Zeit hatte eine Energieform, die das Symbol für die Zukunft war. Heute sind dies die regenerativen Energieträger und die Einsparkraftwerke. Und jede Zeit hat es sich geleistet, diese Hoffnungsträger mit aller Kraft zu fördern. Wer nicht in Zukunftstechnologien der Energieversorgung investiert, gefährdet die Basis der wirtschaftlichen Entwicklung. Für die Förderung von deutscher Steinkohle wurden Milliarden investiert. Und die Atomkraft war und ist ein schwarzes Loch in den Haushaltskassen. Ein klares eindeutiges und entschlossenes Ja für die regenerativen Energieträger und das Ausreizen aller Energieeinsparpotentiale ist der beste Anreiz für breite Forschung und Massenproduktion. Es gibt keinen Grund, dabei zögerlich zu sein.

Ein Beispiel: Ulrich Aderhold von ASE (Angewandte Solarenergie GmbH) begründet die Verlagerung der letzten Photovoltaikproduktion nach Amerika mit der fehlenden Binnenmarktnachfrage. Siemens Solar ging es nicht anders. Auch sie haben ihre Produktion in die USA verlagert und und es dort mit 12,6 Megawatt zum weltweiten Marktführer gebracht. Obwohl Deutschland weltweit führend bei der Erforschung und Entwicklung der Photovoltaik ist, hapert es bei der Umsetzung in die Praxis. Auch der Computermarkt wurde auf dieselbe Art und Weise verschlafen. Zögernde Unternehmer und zaudernde Politiker bilden eine unheilvolle Allianz.

Wer seine Wirtschaftsweise auf Nachhaltigkeit umstellt, wird die beste Ausgangspositionen in der Zukunft haben, denn diese Produkte werden weltweit gebraucht. Die ökologische Steuerreform schafft einen Anreiz, Energie zu sparen und sie macht die Erzeugung von Strom und Wärme durch regenerative Energien wirtschaftlicher, weil diese aus der Besteuerung ausgeklammert sein sollen. Eine Ökosteuerreform ist notwendig, um die derzeit längst nicht ausgeschöpften Beschäftigungspotentiale des ökologischen Umbaus in der Bundesrepublik zu erschließen.

Ökologische Steuerreform statt Erhöhung der Mehrwertsteuer

Wenn jetzt über die Notwendigkeit der Senkung der Lohnnebenkosten geredet wird, so wird eine große Chance für eine ökologische Steuerreform bewußt verschenkt. Statt der Erhöhung der Mehrwertsteuer, die die Nachfrage im Inland drosseln würde, könnten die Lohnnebenkosten über eine ökologische Steuerreform gesenkt werden. Das Aktionsprogramm der Bundesregierung für Investitionen und Beschäftigung verzichtet jedoch auf jegliche ökologische Akzente in der Finanz- und Steuerpolitik. Nicht einmal die überfällige substantielle Überprüfung umweltschädlicher Steuersubventionen, wie sie beispielsweise auch der Bundesverband der jungen Unternehmer und Vertreter des Mittelstandes im Dezember 1995 forderten, wird in Angriff genommen. Immer wieder läßt sich die Bundesregierung von der FDP zum Büttel machen. Die steuerpolitischen Finanzkonzepte reduzieren sich auf Wahlkampfhilfe für den angeschlagenen Koalitionspartner.

Die Kosten für Arbeit senken, den Umweltverbrauch verteuern – das ist die moderne Antwort auf die Arbeitsplatz- und Umweltkrise. Die Verknüpfung von Umweltschutz, Senkung der Lohnnebenkosten zu einer Innovationsinitiative, – das wäre ein Erfolgsbündnis. Nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch für die Stimmung im Land, denn es könnte gelingen, zwei Ängste, die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und die Angst vor der ökologischen Katastrophe in konstruktive Energien zu verwandeln. Ein neuer Aufbruch, eine Gründerstimmung könnte entstehen.

Von Gründerstimmung weit entfernt

Doch bei der Förderung der erneuerbaren Energien sind wir inzwischen auf dem absoluten Tiefstand in Deutschland angelangt. Der letzte Hersteller von Solarmodulen (ASE in Wedel) hat das Handtuch geworfen und ist in die USA ausgewandert. Relevante Förderprogramme liegen nicht vor. Die Ausweitung des Stromeinspeisungsgesetzes auf kostendeckende Vergütung für Windkraft im Binnenland, Biogasanlagen, Kraftwärmekopplung und Photovoltaik wird von der Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt abgelehnt. Für die Erzeugung von Wärme durch Sonnenenergie wird absolut nichts getan. Gefördert wird lediglich die Dinosauriertechnologie Atomkraft.

Dabei ist diese Gesellschaft bereit, die Förderung der erneuerbaren Energieträger in die eigenen Hände zu nehmen und dafür auch in Zeiten enger Haushaltskassen in den eigenen Geldbeutel zu greifen: Greenpeace hat innerhalb von zwei Monaten Kaufinteressenten von Hausdach-Solaranlagen zur Stromerzeugung im Wert für 30 Millionen DM gewonnen und täglich kommen neue umfangreiche Bestellungen hinzu. Das bisherige Stromeinspeisungsgesetz garantiert für eine kostendeckende Vergütung für den Strom aus Windkraftanlagen an Küstenstandorten. Damit ist es in den letzten fünf Jahren gelungen, die Windkraft um 1400 % (!) zu steigern. Dieses Instrument hat sich also in der Praxis bewährt. Insgesamt ist es gelungen, unbürokratisch, ohne Belastung der öffentlichen Haushalte über eine Milliarde DM privates und mittelständische Kapital für den Klimaschutz zu aktivieren und gleichzeitig 2,5 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Und das winzige Programm der Bundesregierung zur Förderung von erneuerbaren Energieträgern ist hoffnungslos unterdimensioniert. Schon am 7. Januar '96 lagen für 1996 über 19.000 Anträge auf dem Tisch. Damit war das Programm für ein Jahr bereits nach einer Woche ausgeschöpft. Weitere Anträge, so ließ die Bundesregierung verlauten, bräuchten nicht mehr gestellt zu werden.

Dieser außerordentlichen Resonanz, dieser Bereitschaft, am Einstieg in das Solarzeitalter mitzuwirken, wird kein Resonanzboden geliefert. Anstatt Rahmenbedingungen zu schaffen, wo sich dieses Potential in voller Kraft entfalten kann, herrscht verantwortungslose Untätigkeit in den Reihen der CDU/CSU/FDP.

Land der Stromer

Begründeter Zweifel daran, daß der Energiehunger der Menschheit die Erdatmosphäre aufheizt, gibt es nicht mehr, aber eine Energiewende kommt nicht in Gang. Nur die Ausnutzung aller Energieeinsparpotentiale und die breite Anwendung von Sonne, Wind, Wasser und Biogasanlagen bieten eine Alternative. Doch dem stehen Interessen der Stromwirtschaft entgegen.

Im Bundestag steht aktuell die Debatte über den Erfahrungsbericht über das bisherige Stromeinspeisungsgesetz an. Dieses Gesetz war ins Gespräch gekommen, weil es die Energieversorgungsunternehmen offensiv boykottierten. Es ist uns gelungen, einen Antrag im Bundestag durchzusetzen, in dem dieses z.T. gesetzwidrige Verhalten der Stromkonzerne einstimmig verurteilt wird. Doch die Stromkonzerne machen weiter Druck. Sie drohen damit, ab sofort nicht nur in Einzelfällen, sondern flächendeckend nur noch unter Vorbehalt zu zahlen. Die Bundesregierung will dennoch an dem bisherigen Gesetz festhalten und wird durch verschiedene Gutachter und von einem ersten Urteil des Verfassungsgerichtes in der Auffassung gestützt, daß diese im Gegensatz zum Kohlepfennig auch verfassungskonform ist. Das ist gut. Schlecht ist, daß die Bundesregierung dem massiven Druck der Konzerne nachgibt und eine Ausweitung und Verbesserung dieses Gesetzes nicht mehr anstrebt. Dies, obwohl aufgrund der positiven Erfahrungen mit diesem Gesetz auch viele Abgeordnete der Regierungsparteien eine Reform wünschen.

Die mächtigen Stromkonzerne bekämpfen den Einstieg in Solarzeitalter mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln: Es gibt aufgrund der Fehlprognosen über den Energiebedarf der 70er Jahre erhebliche Überkapazitäten der Stromindustrie. Viel entscheidender aber ist, daß für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern die Stromkonzerne tendenziell überflüssig gemacht werden: Dieses Energieangebot muß dezentral genutzt werden. BürgerInnen, Kommunen, Regionen, klein- und mittelständische Investoren können auf vielfältige Weise aktiv werden. Wenn Dächer und Fassaden sich in viele kleine Kraftwerke wandeln, wenn Dorfgemeinschaften Windparks bauen, junge Ingenieurbüros Energieeinsparprogramme für Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude, Kaufhäuser entwickeln, Bauern Biogasanlagen auf dem Hof errichten, wenn Energiesparen selbstverständlich wird, dann lösen die Menschen durch ihr Handeln zunehmend die Macht der starren Stromkonzerne auf.

Deshalb ist die Zeitenwende in der Energiewirtschaft zur Zeit nur gegen die Stromkonzerne durchzusetzen. Da diese die Macht über das Netz, Verbindungen, Know-how und gigantische Finanzpolster besitzen, gleicht das Ringen um Marktanteile für erneubare Energieträger dem Kampf von David gegen Goliath. Deshalb ist zentraler Bestandteil für den Aufbruch ins Solarzeitalter der Ersatz des bisherigen Energiewirtschaftsgesetzes, das die Energieversorgungsstruktur im Lande festlegt und die Macht der Stromkonzerne begründet, durch ein Energiegesetz, daß die Macht über das Netz neutralisiert und Neuanbietern insbesondere von erneuerbaren Energieträgern eine Chance gibt. Die Zeit ist reif, das 60 Jahre alte Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), welches in der Nazizeit eine bis heute geltende, unzeitgemäße Monopolstruktur festgeschrieben hat, durch ein neues Gesetz abzulösen. Die auf dem EnWG basierende Struktur fördert weder den sparsamen Umgang mit Energie oder den Durchbruch zur Sonnenwirtschaft, noch die Förderung von Wind, Biogas, Erdwärme und Photovoltaik.

Die innere Logik der Energieversorgungsstruktur lenkt die wirtschaftlichen Interessen der Stromkonzerne nicht in die umweltpolitisch und volkswirtschaftlich wünschenswerte Richtung. Je mehr Strom die Energieversorger verkaufen, desto höhere Gewinne fahren sie ein. Je mehr Strom sie produzieren, desto mehr können sie auch verkaufen. Je größer – und umweltschädlicher – die Kraftwerke sind, desto preisgünstiger kann der Strom produziert werden. Es kommt für die Politik jetzt darauf an, ihren Gestaltungsanspruch durch das Setzen von neuen Rahmenbedingungen auszufüllen. Die Novellierung des 60 Jahre alten Energiewirtschaftsgesetzes ist dabei ein zentraler Bestandteil. Mit dem „Eckpunktepapier für ein neues Energiegesetz“ hat die bündnisgrüne Bundestagsfraktion im November 1995 als erste von allen Fraktionen ein umfassendes Konzept für die Neustrukturierung der Energiewirtschaft nach ökologischen Gesichtspunkten vorgelegt.

Die ökologische Steuerreform und die Neustrukturierung der Energiewirtschaft sind zwei seit langer Zeit überfällige große Reformprojekte, die den Rollback des Umweltschutzes und die überkommene Ideologie von der Unvereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie überwinden. Moderne zukunftsfähige Energiepolitik heißt, sich den Herausforderungen des ökologischen Strukturwandels zu stellen. Die Energiewende ist dabei ein Beitrag zur Innovation und für die Schaffung von Arbeitsplätzen und damit ein Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Das Eckpunktepapier für ein neues Energiegesetz kann bestellt werden bei: Büro Michaele Hustedt (MdB), Bundeshaus, Rheinweg 6, 53113 Bonn. Fax 0228 – 16 8 6303

Michaele Hustedt ist energie- und umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/1 Am Tag als der Regen kam, Seite