W&F 2023/2

Environmental Peacebuilding und Goldabbau

Widerstand in einem Schutzgebiet in Bolivien

von Claudia Pinzón, Rebecca Froese, Janpeter Schilling, Diana Figueroa, Luise Werland und Regine Schönenberg

Kleinskaliger Goldabbau an den Flüssen im Manuripi-Schutzgebiet in Bolivien hat im letzten Jahrzehnt stetig zugenommen. Nun soll Gold im Schutzgebiet auch industriell abgebaut werden. Durch die Umweltbelastungen und Vernichtung traditioneller Einnahmequellen stellt der Goldabbau eine Bedrohung für die Bevölkerung und die Umwelt von Manuripi dar. Doch es regt sich Widerstand. Der Beitrag untersucht die Dynamiken des Widerstands, die sich aus den Beziehungen zwischen den Gemeinden gegen den industriellen Goldabbau entwickeln.

Der Norden Boliviens gehört zum südwestlichen Teil des Amazonas-Regenwaldes und ist von geschlossenen Waldflächen bedeckt. Das wechselfeuchte Klima, gekennzeichnet durch Trocken- und Regenzeiten, ist eine wichtige Voraussetzung für die Artenvielfalt der Region, die auch die Grundlage für lokale, traditionelle Wirtschaftsaktivitäten bildet. Dort, an der Grenze zu Peru und Brasilien, wurde in den 1970er Jahren das Manuripi-Schutzgebiet (»Reserva Nacional de Vida Silvestre Amazónica Manuripi«) zunächst aus Erwägungen der Grenzsicherung errichtet. Heutzutage dient das Schutzgebiet mit einer Größe, die etwa der dreifachen Fläche des Saarlands entspricht (747.000 Hektar), dem Schutz des Regenwalds, seines Wassereinzugsgebiets und der Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung (MMAyA et al. 2012). Der Großteil der Bevölkerung im Schutzgebiet führt einen traditionellen Lebensstil, der hauptsächlich auf Subsistenzlandwirtschaft und -jagd sowie Fischerei und dem Sammeln von Waldprodukten wie Paranüssen und neuerdings auch der kommerziellen Nutzung von Açaí (die essbare Frucht einer Palmenart) beruht.

Gold war 2021 mit einem Exportwert von 2,5 Mrd. US$ das wichtigste Exportgut Boliviens. Es ist vor allem in den Böden der Waldgebiete, insbesondere in Sedimenten entlang existierender und ehemaliger Flussarme zu finden. Steigende Goldpreise, die Erschließung der Region, besonders seit der Asphaltierung der »Interoceánica«, der größten internationalen Straße in der Region Südwestamazoniens, sowie schwankende Preise und Erntemengen von Paranüssen haben den kleinskaligen Goldabbau seit Beginn der 2000er Jahre attraktiver gemacht. Im Manuripi-Schutzgebiet findet Goldabbau hauptsächlich am und im Fluss Madre de Dios statt. 2022 sind nun jedoch auch Pläne für industriellen Goldabbau innerhalb des Schutzgebietes bekannt geworden.

Sowohl der schon bestehende als auch der geplante Goldabbau gefährden die bisherige Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung insbesondere durch (1) den Eintrag von Quecksilber in das Ökosystem und in Nahrungskreisläufe, durch (2) Erosion der Flussufer und (3) Abholzung der Wälder. Dennoch haben die Bewohner*innen der verschiedenen Gemeinden innerhalb des Schutzgebietes unterschiedliche Standpunkte zu den beiden Arten des Goldabbaus.

Basierend auf Feldforschung, die wir 2022 und 2023 in der Region durchgeführt haben, untersuchen wir in diesem Beitrag die Strukturen und Kooperationen zwischen den Gemeinden in Manuripi und welche Dynamiken des Widerstands sich daraus gegen industriellen Goldabbau ergeben.

Was ist Environmental Peacebuilding?

Environmental Peacebuilding ist ein relativ junges Konzept aus dem Umfeld der Internationalen Beziehungen, das sich unter anderem aus den Diskursen um Umweltsicherheit (»environmental security«) und Umweltfriedensarbeit (»environmental peacemaking«) entwickelt hat. Es „umfasst die vielfältigen Ansätze und Pfade, durch die das Management von Umweltfragen in die Konfliktprävention, minderung, lösung und bewältigung integriert wird und diese unterstützen kann“ (Ide et al. 2021, S. 2f.).

Konkret zielt das Konzept darauf ab, „friedlichere Beziehungen durch Umweltkooperation, Governance natürlicher Ressourcen, Anpassung an den Klimawandel und Verringerung von Risiken aufzubauen“ (Ide 2020, S. 1f.). Environmental Peacebuilding kann in unterschiedlichen Phasen des Konfliktzyklus Anwendung finden, wird aber bislang hauptsächlich auf die Transformation schon gewaltsam eskalierter Konflikte und externe Interventionen in »Post«-Konfliktgesellschaften angewendet, in denen das friedensförderlich veränderte Management natürlicher Ressourcen die Kooperation zwischen Konfliktparteien stärken kann (z.B. Krampe et al. 2021). Ein wichtiger Kritikpunkt an Environmental Peacebuilding ist jedoch, dass der zwischenmenschliche Frieden durch das gemeinsame Management von geteilten Naturressourcen zwar gefördert werden könne, dies jedoch nicht zwingend zu mehr Umweltschutz, sondern vielfach auch zu besserer und „koordinierter Ausbeutung der Ressourcen“ führen kann (Ide 2020, S. 5).

Im vorliegenden Artikel bauen wir das Konzept der Environmental Peacebuilding aus, indem wir die Kategorie der »kulturellen und ökonomischen Abhängigkeit von einem gesunden Ökosystem« aus unseren Beobachtungen während der Feldforschung ableiten. Wir sehen dies als eine gute Erklärung für Kooperationsdynamiken zwischen Akteur*innen, die nicht zur Ausbeutung von Naturressourcen führt. Insofern verwenden wir in diesem Artikel eine intrinsisch motivierte Perspektive des Environmental Peacebuilding, die sich aus dem gewaltfreien Widerstand gegen eine Umweltbedrohung ergibt. Dabei beschreiben unterschiedliche Positionierungen und Interessenskonflikte im Umgang mit natürlichen Ressourcen innerhalb eines Schutzgebiets die Ausgangslage, deren Widersprüche durch das Eindringen eines externen, potentiell bedrohlichen und mächtigen Akteurs in den Hintergrund rücken. Wir argumentieren, dass die Anwendung des Konzepts hilfreich ist, um sowohl zukünftigen internen Konflikten um Ressourcen vorzubeugen als auch bestehende nicht-gewaltsame Konfliktlinien als mögliche Ausgangspunkte für Verhandlungen und Dialog rund um geteilte Ressourcen zu nutzen.

Die Lage im Schutzgebiet Manuripi

Die bolivianische Gesetzgebung für Schutzgebiete sieht vor, dass mineralische Rohstoffe, wie z.B. Gold, dem Staat gehören und unter gewissen Bedingungen auch in einem Schutzgebiet abgebaut werden dürfen (Artikel 68 und 70, Gesetz Nr. 1333). Die Kontrolle der Einhaltung der entsprechenden Regeln in einem so großen Gebiet ist eine komplexe Aufgabe, an der verschiedene Verwaltungsstrukturen beteiligt sind und die deshalb ein hohes Maß an Kooperation zwischen den involvierten Akteur*innen erfordert. Einerseits sind staatliche Institutionen wie die nationale Schutzgebietsbehörde SERNAP (»Servicio Nacional de Áreas Protegidas«) für diese Aufgaben verantwortlich, andererseits werden den Bewohner*innen des Manuripi-Schutzgebiets einige Befugnisse eingeräumt, damit sie sich an der Verwaltung ihres Lebensraums beteiligen können. In diesem Artikel fokussieren wir uns auf die Gesellschaftsstrukturen der Bewohner*innen und Landnutzer*innen Manuripis, da diese (bislang) die Hauptakteur*innen in den kommunalen Kooperationsprozessen zur Organisierung gegen den industriellen Goldabbau sind.

Die Regulierung des Zugangs zu Land ist in Bolivien eng mit der Geschichte der Bevölkerung Amazoniens und den wirtschaftlichen Aufschwüngen bestimmter Produkte, wie beispielsweise dem Kautschukboom Ende des 19. Jahrhunderts und der nachfolgenden Paranusswirtschaft, verknüpft. Diese Wirtschaftszyklen führten wiederholt zu Besiedlungswellen, die häufig die Unterdrückung und Akkulturation indigener Bevölkerungsgruppen in der Region bewirkten (Vallori 2012). Viele der ankommenden Siedler*innen besaßen kein Recht auf eigenes Land und fanden daher Arbeit bei sogenannten barraqueres, Großgrundbesitzer*innen. Erst in den 1990er Jahren organisierten sich diese ehemaligen Kautschuksammler*innen und gründeten mehrere Dörfer im Schutzgebiet. Aktuell gibt es im Schutzgebiet 37 barracas, also Land im Besitz der barraqueres, und zehn Gemeinden mit insgesamt etwa 1.700 Einwohnenden, die jeweils von einem Gemeindevorstand geleitet werden.

Konfliktakteur*innen und soziale Strukturen

Unsere Interviews bestätigen, dass der Gemeindevorstand als lokale soziale Einrichtung fungiert, die sich um die Bedürfnisse der Einwohner*innen kümmert, bei Konflikten vermittelt und Veranstaltungen zur Förderung der Gemeinschaftsbildung organisiert. Beteiligungs- und Landnutzungsrechte haben jedoch nur die offiziellen Mitglieder der Gemeinschaften, auch comunaries genannt. Neue Bewohner*innen, sogenannte vivientes, können nur nach Zustimmung aller comunaries einer Gemeinde aufgenommen werden und verfügen nicht über die gleichen Rechte wie diese: Sie haben weder Recht auf Land noch Stimmrecht in der Gemeindeversammlung, dürfen aber nach Genehmigung kleine Geschäfte im Dorf betreiben. Die vivientes sind sich dieser ungleichen Partizipationsmöglichkeiten bewusst und entsprechend unzufrieden. Zudem arbeiten viele vivientes für die comunaries als Sammler*innen während der Erntezeit der Paranüsse zwischen Dezember und April. Diese Gesellschaftsordnung schließt de facto einige Menschen von der Entscheidungsfindung aus, ermöglicht aber eine gewisse Kontrolle über die Dynamiken der Besiedlung von Manuripi. Die gemeinsame Abhängigkeit vom Land ist zudem ein großer Faktor, der comunaries und vivientes einigt, da nur ein gesunder Regenwald es ihnen ermöglicht, Paranüsse – die Haupteinkommensquelle beider Gruppen – zu sammeln. Da die vivientes jedoch keine Landrechte haben sowie historisch und öko-kulturell weniger stark verwurzelt sind, ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Abwanderung zu anderen Wirtschaftsaktivitäten bei entsprechenden Anreizen etwas höher zu erwarten. Insgesamt identifizieren wir aber die soziale Abhängigkeit innerhalb der Gemeinden sowie die ökologische und kulturelle Abhängigkeit der Menschen, insbesondere der comunaries vom Manuripi-Schutzgebiet, als Treiber für friedliche Beziehungen und die Einhaltung der Regeln seitens der Bewohner*innen von Manuripi.

Neben dem Gemeindevorstand ist die sogenannte Subcentral, eine selbst-organisierte Vermittlungsorganisation zwischen den Gemeinden und der Verwaltung des Munizips, relevant für größere Belange der Gemeinden. Insgesamt fühlen sich die Gemeinden jedoch vom Staat alleine gelassen und organisieren eigene Projekte, wie z.B. zur Förderung von ökologischem Tourismus oder den Bau von Açaí-Weiterverarbeitungsanlagen, zum Teil mit Unterstützung lokaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen. Auch das jährlich stattfindende lokale Fußballturnier zwischen den verschiedenen Gemeinden schafft Räume für Dialog und Gemeinschaftsbildung, unabhängig vom Status in der Gemeinde, Gender oder anderen Unterschieden.

Neben der oben beschriebenen kommunalen Selbstverwaltung spielt das Management-Komitee (MK) des Schutzgebietes eine entscheidende Rolle bei der Umweltregulierung. Das MK wurde 2008 als Vertretungsorgan der lokalen Bevölkerung gegründet. Es unterstützt den*die Direktor*in des Schutzgebietes, welche*r vom SERNAP ernannt wird, durch die Beteiligung an Planungsvorgängen innerhalb des Schutzgebietes und sorgt unter anderem dafür, dass die Regeln zum Erhalt des Ökosystems eingehalten werden (MMAyA et al. 2012). Dieses Komitee ist zusammengesetzt aus comunaries und barraqueres, da jede Gemeinde und die barracas durch mindestens eine gewählte Person vertreten werden müssen. Einem im Oktober 2022 durchgeführten Interview zufolge sind derzeit allerdings nur vier Personen – drei Gemeindevertreter*innen und ein*e barraquere – im MK aktiv. Zudem berichten mehrere Interviewpartner*innen, dass sich die Zusammenarbeit des MK und der SERNAP aufgrund des häufigen Wechsels in dessen Leitungspositionen als schwierig gestaltet. Die mangelnde finanzielle und personelle Ausstattung – für das ganze Schutzgebiet sind nur vier Parkranger*innen angestellt – führt zudem dazu, dass die Behörde für alle weiteren Aktivitäten wie Monitoring oder die Ausarbeitung eines Managementplans auf internationale Zusammenarbeit angewiesen ist, z.B. mit der Europäischen Union oder dem WWF (»World Wide Fund for Nature«).

Finanzielle Mangellagen haben Konsequenzen

Fehlende finanzielle Mittel, sowohl für Projekte als auch für die Kontrolle und Einhaltung der Regeln im Manuripi-Schutzgebiet, führten in den letzten Jahren vermehrt zur Erschließung neuer Einkommensquellen, insbesondere dem kleinskaligen Goldabbau im Fluss Madre de Dios, nahe der Gemeinde Chivé. Dabei wird Quecksilber zur Bindung des Goldes aus den Sedimenten eingesetzt. In der Umwelt reichert sich Quecksilber allerdings entlang der Nahrungskette, besonders in Fischen, immer weiter an. Dies führt nicht nur zu Schäden in der Umwelt, sondern auch zu erheblichen Gesundheitsschäden bei Menschen, da neben direkten Konsequenzen (z.B. Verdauungsstörungen) auch das zentrale Nervensystem und die Gene angegriffen werden, und folglich auch die nachkommenden Generationen beeinträchtigt werden. Die Bewohner*innen des Schutzgebiets stehen daher dem kleinskaligen Goldabbau unterschiedlich gegenüber:

  • Befürworter*innen des kleinskaligen Goldabbaus finden sich hauptsächlich in Chivé, da hier die direktesten positiven Auswirkungen, wie Wirtschaftswachstum und Infrastrukturerweiterungen, zu erleben sind (Abb. 1). Mehrere Befragte berichten, dass sowohl comunaries und vivientes aus Chivé vom Goldabbau profitieren, da damit ein höheres, sichereres und regelmäßigeres Einkommen als durch das Sammeln der Paranüsse erwirtschaftet wird.

Abb. 1: Westlicher Teil des Manuripi-Schutzgebietes und Umgebung

  • Die anderen Gemeinden äußern sich eher kritisch gegenüber der Aktivität. Insbesondere machen sich einige comunaries Sorgen darüber, dass in Chivé immer mehr vivientes zugelassen werden und dadurch ein schwer kontrollierbarer demographischer Wandel herbeigeführt wird.

Vor diesen Hintergründen erkennen wir Spannungen zwischen den Bewohner*innen Manuripis, stellen jedoch fest, dass Kommunikationskanäle über die Verwaltungsstrukturen bestehen bleiben und von der lokalen Bevölkerung als legitim für das Management der gemeinsamen Ressourcen angesehen werden. Aus der Perspektive des Environmental Peacebuilding kann diese Legitimation entscheidend dafür sein, dass die Akteur*innen durch die vorhandenen institutionellen Strukturen (und nicht an ihnen vorbei) handeln und im Idealfall mit ihnen kooperieren.

Neue Akteure – neue Dynamiken

2021 erteilte die bolivianische Bergbauverwaltungsbehörde (AJAM) dem Unternehmen Pacaguaras S.R.L. eine 3.000 ha große Bergbaukonzession (Zapata I), die sich in den barracas Santa Martha und Santa Rosa, beide innerhalb des Schutzgebiets Manuripi, befindet (s. Abb. 1). Diese zwei barracas befinden sich außerdem in der Nähe der Gemeinden Chivé und Gran Progreso. Bisher werden dort, auch in der Umgebung, biologisch zertifizierte Paranüsse und Açaí gesammelt sowie Kakao angebaut. Das geplante Bergbauvorhaben unterscheidet sich deutlich von dem bestehenden kleinskaligen Goldabbau, da es sich um Goldabbau an Land handelt. Somit steht es in direkter Konkurrenz zu bestehenden und hauptsächlichen Wirtschaftsaktivitäten der Bewohner*innen und wird anders als der kleinskalige Goldabbau nicht von lokalen Akteur*innen, also Bewohner*innen des Schutzgebietes, durchgeführt, sondern von einem externen, bisher unbekannten Akteur.

In der Wahrnehmung der Bewohner*innen und barraqueres Manuripis ist das Unternehmen deutlich größer und mächtiger als die Goldschürfer*innen, die in den kleinskaligen Goldabbau involviert und in Kooperativen organisiert sind. Hinzu kommt, dass die Gemeinschaften erst 2022 von den Plänen erfahren haben und fast vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, obwohl das Unternehmen schon 2021 die Behörde AJAM kontaktiert hatte, um eine Genehmigung zu erlangen. Dies verstärkte innerhalb der Gemeinden das Gefühl von Kontrollverlust und schürte die Sorge, dass ihre Landrechte und Lebensgrundlage gefährdet würden. Die zertifizierten Sammler*innen fürchten durch die Ausweisung der Konzession zudem eine Erhöhung des Verkehrsaufkommens, steigende Umweltverschmutzung und den Verlust ihrer Zertifizierung und dadurch den Verlust des Zugangs zur Wertschöpfungskette biologisch-zertifizierter und besser bezahlter Waldprodukte.

Widerstand der Gemeinden

Der geplante industrielle Goldabbau an Land führte zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern des MK und mehreren Gemeinden. Nachdem das Unternehmen einerseits die Genehmigung der AJAM, andererseits aber eine Ablehnung seitens des für Manuripi zuständigen SERNAP-Büros erhalten hatte, kontaktierte es die Mitglieder des MK und die Vorsitzenden der Gemeindevorstände und bot ihnen eine Entschädigung von 10.000 US$ pro Gemeinde im Austausch für die Zustimmung zur Bergbaukonzession an. Die Mitglieder des MKs informierten sich gegenseitig über das Angebot des Unternehmens. Sie berechneten den Anteil für jede Familie und kamen zu dem Schluss, dass die Entschädigung in keinem Verhältnis zu den Verlusten stehen würde, die sie auf lange Sicht erleiden würden.

Bei der Beurteilung dieser Frage spielten die Identifikation mit dem bewohnten Schutzgebiet und die damit verbundenen kulturellen und ökonomischen Praktiken eine wichtige Rolle, denn der Verlust des Waldes bedeutet zusätzlich zum monetären Verlust auch den Verlust der Grundlage der eigenen öko-kulturellen Kultur. Zudem wurde die Befürchtung geäußert, dass sich das Unternehmen langfristig nicht auf die zwei barracas beschränken könnte. Dabei knüpfen die Bewohner*innen aktiv an vorhandenes Wissen über Ressourcenabbau-Projekte an, das ihnen zeigt, dass von externen Akteuren erwirtschaftetes Einkommen, zum Beispiel durch Goldabbau, nicht in den Gemeinden investiert wird. Aus diesem Grund ist es für die Gemeinden wichtig, das Territorium zu schützen, auf dem die Paranussbäume wachsen.

Mehrere Befragte berichteten, dass das Unternehmen das MK und die Gemeindevorstände nach Chivé eingeladen hatte, um ihnen die betroffenen Flächen und das Projekt vorzustellen. Das Unternehmen wollte mit dem Treffen offenkundig die Zustimmung des MK und der Gemeindevorstände gewinnen. Im Interview berichtete ein Teilnehmer, dass die Informationen des Unternehmens unspezifisch und die Täuschungsabsichten ziemlich offensichtlich waren, indem zum Beispiel Kartenmaterial vorenthalten und kommuniziert wurde, die indigene Gemeinschaft am anderen Flussufer hätte den Vertrag schon unterschrieben. Als der Mangel an Transparenz seitens des Unternehmens erkennbar wurde, verließen die Vertreter*innen der Betroffenen die Sitzung und lehnten das Projekt ab.

In der Folge nahm Pacaguaras S.R.L. Kontakt zu nicht gewählten Gemeindemitgliedern auf, um sie individuell zu überzeugen und sogar zu bestechen. Die Mitglieder der Gemeinden ignorierten jedoch die Kontaktversuche und informierten das MK. Daraufhin beschloss Pacaguaras S.R.L., sich an die Subcentral zu wenden, um andere Entscheidungsträger*innen zu überzeugen, die nicht offiziell mit dem MK verbunden waren. Zum Beispiel versuchte das Unternehmen, den Bürgermeister des zuständigen Munizips Filadelfia, in dem sich ein Teil von Manuripi befindet, zu gewinnen, indem ihm angeboten wurde, Maschinen für den Ausbau der Infrastruktur bereitzustellen. Des Weiteren berichteten Vertreter*innen der Gemeindevorstände, dass das Governance-Instrument »ILO 169« seitens des Unternehmens missbraucht wurde. Mit »ILO 169« wird das Übereinkommen über indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern im Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bezeichnet, das grundlegende Rechte indigener Völker garantiert, indem in Gebieten indigener und traditioneller Völker vor der Durchführung von Projekten ein Verfahren der freien, vorherigen und informierten Zustimmung durchgeführt wird. Das Unternehmen versuchte, »ILO 169« zu instrumentalisieren, um willkürlich zusammengesetzte Versammlungen in den Gemeinden des Schutzgebietes einzuberufen, rechtmäßige Vertreter*innen davon bewusst auszuschließen und Teilnehmende zur Unterschrift zu nötigen, um das Vorhaben zu legitimieren.

Nachdem die Gemeindevorstände über diese Handlungen informiert wurden, verfassten und unterzeichneten sie zusammen mit dem MK eine offizielle Resolution – »Pronunciamiento Público Reserva Manuripi« – in der sie die Versuche von Pacaguaras S.R.L. verurteilen und dem Unternehmen vorwerfen, durch das Eindringen in das Schutzgebiet nationale Gesetze missachtet zu haben. Die Resolution wurde durch das MK offiziell den Behörden übergeben. Diese kollektive Aktion des Widerstands wurde von mehreren Medien verbreitet und war ein wichtiger Schritt, um die Zusammenarbeit der Gemeinden und barraqueres zu demonstrieren und den industriellen Goldabbau bisher zu verhindern. Gleichzeitig forderte das MK als Vertretungsorgan der Einwohnenden und barraqueres von Manuripi eine stärkere Überwachung und Regulierung des kleinskaligen Goldabbaus am Fluss Madre de Dios. Entgegen der oben erwähnten Kritik am Konzept des Environmental Peacebuildings zeigt sich hier, dass die verstärkte Kooperation zwischen den Gemeinden und den barraqueres, die sich im Widerstand gegen den industriellen Goldabbau an Land formiert hat, womöglich sogar zu stärkeren Um­welt­auf­lagen im kleinskaligen Bergbau führen könnte.

Nach eigenen Aussagen sahen mehrere Mitglieder des MK die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit, mit den barraqueres zu kooperieren und physischen Widerstand, insbesondere in Form von Straßensperren zu leisten, sollte das Unternehmen versuchen, in das Schutzgebiet einzudringen.

Auf dem Weg zu selbstorganisiertem Environmental Peacebuilding

Unser Fallbeispiel zeigt, dass die zwischen den Gemeinden bestehenden Interessenskonflikte bezüglich des kleinskaligen Gold­abbaus am Fluss Madre de Dios in den Hintergrund gerückt sind, als mit dem Unternehmen Pacaguaras S.R.L. ein neuer und mächtigerer Akteur Interesse am Schutzgebiet gezeigt hat. Die bestehenden Gemeindestrukturen schaffen Räume für Dialog und konstruktiven Konfliktaustrag. Diese Form der Zusammenarbeit in Reaktion auf einen neuen Akteur, der eine Bedrohung für den Status quo der Umwelt, die damit verbundene kulturelle Identität und die Lebensgrundlage der Menschen darstellt, kann als selbstorganisierte Form des Environmental Peacebuilding verstanden werden.

Da die Unversehrtheit des Schutzgebiets nicht nur wichtig für die Sicherung des Lebensunterhalts der lokalen Bevölkerung ist, sondern auch für die Verhinderung der weiteren Fragmentierung des Amazonas-Regenwaldes als Kohlenstoffsenke und Biodiversitäts-Hotspot, kann diese Form des Environmental Peacebuilding in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Das Wissen dazu, wie und unter welchen Bedingungen die Gemeinschaften von Sammler*innen zusammenarbeiten, kann zur eigenverantwortlichen und inklusiveren Gestaltung zukünftiger Klimaschutzmaßnahmen in der Region genutzt werden und Grundlagen schaffen, damit lokale Gemeinschaften von diesen Maßnahmen profitieren, statt von ihnen benachteiligt zu werden.

Wie lange der industrielle Goldabbau noch daran gehindert werden kann, in das Schutzgebiet einzudringen, hängt zum einen davon ab, wie erfolgreich die Gemeinden zusammenhalten und Bestechungsgelder ablehnen, und zum anderen, inwieweit das MK Allianzen mit nationalen und internationalen NROs und Akteur*innen der Zivilgesellschaft eingeht, um Druck auf die verschiedenen Regierungsebenen auszuüben.

Literatur

Ide, T. (2020): The dark side of environmental peacebuilding. World Development 127, 104777.

Ide, T.; Bruch, C.; Carius, A.; Conca, K.; Dabelko, G. D.; Matthew, R.; Weinthal, E. (2021): The past and future(s) of environmental peacebuilding. International Affairs 97(1), S. 1-16.

Krampe, F.; Hegazi, F.; VanDeveer, S. D. (2021): Sustaining peace through better resource governance: Three potential mechanisms for environmental peacebuilding. World Development 144, 105508.

MMAyA, SERNAP, RNVSA. (2012): Plan de Manejo de la Reserva Nacional de Vida Silvestre Manuripi 2012-2022. Ministerio de Medio Ambiente y Agua (MMAyA); Servicio Nacional de Áreas Protegidas (SERNAP); Reserva Nacional de Vida Silvestre Amazónica (RNVSA).

Vallori, F. V. (2012): La barraca Gomera Boliviana: etnicidad, mano de obra y aculturación (1880-1920). Boletín americanista 65, S. 61–83.

Claudia Pinzón ist Doktorandin am Fachbereich Soziologie der Freien Universität Berlin. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt auf den Zukunftsvorstellungen junger Menschen in Schutzgebieten im südwestlichen Amazonasgebiet und ihrer politischen Beteiligung im Zusammenhang mit dem Zugang zu Land.
Dr. Rebecca Froese ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Universität Münster und wurde zuvor an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) promoviert. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit sozial-ökologischen Konflikten und sozialem Zusammenhalt im südwestlichen Amazonasgebiet.
Dr. Janpeter Schilling ist Klaus-Töpfer-Juniorprofessor für Landnutzungskonflikte am Institut für Umweltwissenschaften der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und wissenschaftlicher Leiter der Friedensakademie Rheinland-Pfalz.
Diana Figueroa ist Masterstudentin im Studiengang Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Lebensgrundlagen und (re-)produktiven Ökonomien von rural women* im Amazonasgebiet aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels verändern.
Luise Werland ist Masterstudentin im Studiengang »Landscape Ecology and Nature Conservation« an der Universität Greifswald.
Dr. Regine Schönenberg ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin und Leiterin der sozialwissenschaftlichen Gruppe des zugrundeliegenden Forschungsprojekts PRODIGY.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2023/2 Klimakrise, Seite 20–24