W&F 2009/2

Erdrückende Erblast

Schwerer Rückschlag für den Friedensprozess im Süden der Philippinen

von Rainer Werning

Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit werden auf den Philippinen verschiedene soziale und religiös konnotierte Konflikte ausgetragen. Zeitweise schien es, als ließe sich einer der komplexen und längsten Konflikte – der zwischen der Regierung und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) – einer Regelung zuführen. Doch auch diese Hoffnung wurde enttäuscht.

Der 5. August 2008 hätte ein großartiger Tag in Richtung Frieden sein können, von dem die Bevölkerung in einer der ältesten Konfliktregionen Südostasiens seit Langem träumt. Doch es kam buchstäblich knüppeldicke. Bereits am 27. Juli war unter der Schirmherrschaft Malaysias von Vertretern der philippinischen Regierung und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), der gegenwärtig bedeutendsten und größten Organisation des muslimischen Widerstands, das sogenannte MoA-AD (siehe Kasten) ausgehandelt worden. An jenem 5. August, so jedenfalls sah es die Etikette vor, sollte es in einer feierlichen Zeremonie unterzeichnet werden. Die Vertragspartner und hohe geladene ausländische Gäste, unter ihnen die in Manila akkreditierten Botschafter der USA, Australiens und Japans sowie der Sonderemissär der Organisation der Islamischen Konferenz, weilten bereits in der malaysischen Metropole Kuala Lumpur, als der Oberste Gerichtshof der Philippinen im letzten Moment mittels einer einstweiligen Verfügung die offizielle Vertragsunterzeichnung torpedierte. Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang in der Geschichte internationaler Diplomatie. Das Gericht in Manila begründete seinen Last Minute-Akt damit, es müsse prüfen, ob kurzfristig eingereichten Petitionen philippinischer Regionalpolitiker und Geschäftsleute, das MoA-AD verstoße gegen geltendes Recht und die Verfassung, stattzugeben sei. In seinem Urteilsspruch von Mitte Oktober bestätigte das Gericht denn auch diese Auffassung.

Unverzüglich machten sich allseits Wut und Enttäuschung breit. In Kuala Lumpur mussten sich hochrangige Diplomaten nolens volens wie düpierte Deppen vorgekommen sein. Die Verhandlungsführer Manilas schlichen sich kleinlaut vom Parkett. Und der ansonsten stets um Contenance bemühte Chefunterhändler der MILF, Mohagher Iqbal, hatte sichtlich Mühe, nicht aus der Haut zu fahren. „Die philippinische Regierung“, so Iqbals erster Kommentar, „muss sich schämen, sich vor Vertretern der internationalen Gemeinschaft dermaßen blamiert zu haben. Selbst der Gastgeber, die Regierung Malaysias, hat dem MoA-AD vollumfänglich zugestimmt.“

Heftiger Streitpunkt – das MoA-AD

1997 begannen erste Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Vertretern der philippinischen Regierung und der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF), die ab 2001 im Sinne bilateraler Friedensverhandlungen aufgewertet wurden. Erst nach mühsamer Verständigung über Sicherheitsaspekte und Fragen von Hilfs- und Rehabilitationsmaßnahmen kam als dritter »Korb« das von beiden Seiten ausgehandelte Memorandum über die Vereinbarung des Landes der Ahnen (Memorandum of Agreement-Ancestral Domain – kurz: MoA-AD) als letzte Vorstufe einer umfassenden friedensvertraglichen Regelung zustande. Kernpunkte des MoA-AD sind: Der muslimischen Bevölkerung in Mindanao, Sulu und Palawan wird das Recht zugestanden, als »Bangsamoro« (wörtlich: Moro-Nation) ihre eigene Identität zu wahren und ihre eigenen Rechte auszuüben, indem sie eine ihren Vorstellungen entsprechende Selbstregierung schafft, die innerhalb ihres Gebietes die dort vorhandenen Ressourcen schützt und nutzt. Diese Selbstregierung trägt den vorläufigen Namen »Bangsamoro Rechtseinheit« (Bangsamoro Juridical Entity – kurz: BJE) und soll mit größerer Autonomie und mehr Befugnissen ausgestattet sein und über ein größeres Territorium verfügen als die bislang lediglich aus fünf Provinzen und einer Stadt bestehenden »Autonomen Region in Muslim Mindanao« (ARMM). Diese entstand Ende der 1980er Jahre und ist wesentlich eine Domäne der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), von der sich die MILF 1977 abgespalten hatte und der sie vorwarf, mit ihrem am 2. September 1996 unterzeichneten Endgültigen Friedensvertrag mit Manila das Selbstbestimmungsrecht der Moros preisgegeben zu haben. Das MoA-AD enthält in zwei zusätzlichen Anhängen Listen derjenigen Dörfer, die Bestandteil der BJE werden sollen. Außerdem benennt es insgesamt 151 Gemeinden, die außerhalb des avisierten BJE-Territoriums als »Besondere Interventionsgebiete« klassifiziert sind. Gemeint sind damit konfliktträchtige Gebiete, um deren Anliegen sich die Zentralregierung künftig kümmern soll. Die genauen exekutiven, legislativen und judikativen Befugnisse der BJE sowie die Nutzung der territorialen und maritimen Ressourcen sind im Detail erst nach Unterzeichnung des MoA-AD im Rahmen sich daran anschließender Verhandlungen festzulegen. Ein Prozess, an dessen Ende ein (ursprünglich für November 2009 vorgesehener) rechtsverbindlicher Friedensvertrag (Comprehensive Compact) stünde.

R.W.

Im Interesse der MILF?

Wenngleich das MoA-AD lediglich Konsenspunkte zwischen den Vertragspartnern und eine Art Roadmap in Richtung Frieden entwirft, bedeutet es längst keinen abschließenden und rechtsverbindlichen Friedensvertrag. Selbst wenn ein solcher Vertrag unterzeichnet worden und in Kraft getreten ist, müssten immer noch Nicht-Muslime und Angehörigen der indigenen Völker (lumad) im Rahmen der neuen Bangsamoro-Regierung per Plebiszit darüber entscheiden, ob sie einer solchen Verwaltung zustimmen oder sie ablehnen. Schließlich wäre in einer gesonderten Abstimmung möglicherweise eine Verfassungsänderung nötig, die das bestehende präsidiale zugunsten eines parlamentarischen und föderalen Regierungssystems änderte. Danach besäße die Bangsamoro-Regierung auch nicht automatisch die Oberhoheit über jenes Land der Ahnen, auf dem beispielsweise heute internationale Bergwerksgesellschaften agieren oder Bodenschätze aufgrund bestehender Gesetze und Abkommen mit ausländischen Firmen und lokalen (nicht-muslimischen) Großgrundbesitzern abgebaut werden. Der Zentralregierung bliebe theoretisch immer noch die Möglichkeit, im »nationalen Interesse« den »Notstand« auszurufen, um nicht die Kontrolle über Energiequellen wie Erdgas oder Öl zu verlieren. Ob die MILF-Führung ihrem Anliegen näher gekommen ist, wenigstens einen Teil des Grund und Bodens ihrer Ahnen, die bis zu Beginn der US-amerikanischen Kolonialherrschaft (1898-1946) nahezu ganz Mindanao, Sulu und Palawan ihr eigen genannt und besiedelt hatten, zu kontrollieren, ist gegenwärtig nicht eindeutig auszumachen. In einem Interview mit dem Autor hatte der (2003 verstorbene) MILF-Vorsitzende Hashim Salamat kategorisch erklärt: „Ein unabhängiges Bangsamoro ist nicht verhandelbar. Reden und verhandeln lässt sich einzig über dessen genaues Territorium.“

Proteste und Widerstand

Doch es gibt in Manila und auf Mindanao gewichtige Akteure, die partout nicht reden wollen. Erst recht dann nicht, wenn sie befürchten, im Rahmen von Verhandlungen mit Moros auch nur einen Bruchteil ihrer Macht und Pfründe zu verlieren. Für sie ist der »Moro«1 das geblieben, was er für die spanischen Kolonialherren (1521-1898) von Anbeginn war – ein Abschaum in Gestalt von Piraten, Banditen und unzivilisierten Stämmen. Noch immer sitzen vor allem in der Bevölkerung im Norden und zentralen Teil der Philippinen die Ressentiments gegenüber Moros dermaßen tief, dass solche Feindbilder bevorzugt bemüht werden, um von höchst kontroversen innenpolitischen Themen – einschließlich Korruption und Vetternwirtschaft – abzulenken. Von den größeren Städten auf Mindanao hat sich vor allem Zamboanga City, im Südwestzipfel der Insel gelegen, stets als Hochburg antimuslimischer Stimmungen im Allgemeinen und anti-MNLF- beziehungsweise anti-MILF-Sentiments im Besonderen hervorgetan. Zamboanga war stets eine Frontstadt christlicher Siedlerkolonialisten im Kampf gegen die Moros, die die Spanier nie in die Knie zwingen konnten. Dort errichteten sie ein mächtiges Fort und widmeten als einzige Stadt in den Philippinen eine Plaza eigens General John Joseph Pershing. Wegen mehrerer von Pershing mitverantworteter Massaker in Mindanao und vor allem auf der weiter südlich gelegenen Insel Jolo gilt der General in diesem Teil des Archipels als »Schlächter der Moros«. Sein Andenken ehrt mit Verve der in Zamboanga mächtige Lobregat-Clan, dessen Tentakeln in einflussreiche Kreise von Politik und Wirtschaft reichen. Kein Wunder, dass die konservativen Kräfte und extrem reaktionären Hardliner auf Mindanao in Bürgermeister Celso Lobregat ihren ideellen Gesamtfundamentalisten gefunden haben. Offen ruft Lobregat mit Gleichgesinnten dazu auf, notfalls mit bereits bestehenden oder neuen bewaffneten Bürgerwehren gegen eine wie auch immer geartete Bangsamoro-Selbstverwaltung vorzugehen.

Eskalierende Gewalt

Gleichzeitig haben der Inhalt des MoA-AD und dessen einstweilige Aussetzung durch den Obersten Gerichtshof jenen Kräften inner- wie außerhalb der MILF Oberwasser verschafft, denen langwierige Verhandlungen ohnehin suspekt waren und die nunmehr bitter enttäuscht darüber sind, dass trotzdem keine greifbaren Ergebnisse vorliegen. Es gibt Feldkommandeure der Bangsamoro Islamischen Streitkräfte (BIAF), des bewaffneten Arms der MILF, die lieber heute als morgen klare Resultate auf dem Schlachtfeld erzwingen würden. Mehr noch: Viele Moro-Jugendliche sind in einem von Massenarmut und Perspektivlosigkeit gekennzeichneten Umfeld aufgewachsen, in dem sie von frühen Kindesbeinen an nur mit Militarisierung, massiver Präsenz von Schusswaffen und der Kultur von rido (bewaffneten Familienfehden) sozialisiert wurden. Allein das Tragen eines Gewehrs gilt als notwendiger Bestandteil von machismo und als Respekt einflößend. Wird sich für diese Generation absehbar nichts wesentlich ändern, rekrutiert sich aus ihr eine radikalisierte Gruppe neuer Moro-KämpferInnen.

Bereits wenige Tage nach dem diplomatischen Debakel in Kuala Lumpur lieferten sich Verbände der BIAF und Einheiten der regulären philippinischen Streitkräfte (AFP) zunächst Scharmützel, dann offene Gefechte in den Provinzen Nordcotabato und Lanao del Norte. Während in der Hauptstadt Manila die Nationalpolizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt wurde, da man Anschläge der MILF gegen öffentliche Einrichtungen befürchtete, weiteten sich derweil die Kampfhandlungen auf Mindanaos Provinzen Lanao del Sur, Maguindanao, Shariff Kabunsuan und Sarangani weiter aus. Am 21. August sprach das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen bereits von über 220.000 Menschen, die angesichts der Kampfhandlungen in Mindanao auf der Flucht seien. Wenngleich die Sicherheitsvorkehrungen für das eigene Personal erhöht worden seien, erklärte Stephen Anderson, der Philippinen-Beauftragte und Repräsentant des WFP im Lande, sei seine Organisation imstande, die Opfer mit knapp 900 Tonnen Reis zu versorgen. Im Übrigen hoffe er sehr, dass sich die Lage alsbald verbessere.

Propaganda auf Hochtouren

Dies blieb jedoch ein frommer Wunsch, da beide Seiten ihren Waffengang verstärkten und ihre Propaganda von Tag zu Tag schriller wurde. Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates kündigte Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo in ihrer gleichzeitigen Eigenschaft als Oberkommandierende der Streitkräfte an, „jeden Zoll philippinischen Territoriums“ zu verteidigen. Man könne prüfen, so ließ sie durch ihren Pressesprecher Jesus Dureza im Präsidentenpalast Malacañang verlauten, ob man Unklarheiten im MoA-AD bereinige und darüber mit der MILF in neue Verhandlungen trete. „Man sollte nicht von Krieg sprechen, was keine Option ist“, so Dureza, „sondern über Frieden, was stets unsere Option ist und bleiben wird.“ In der vorliegenden Form jedenfalls könne das MoA-AD aufgrund anhaltend starker Proteste nicht unterzeichnet werden. „Wir stellen uns keinen Krieg vor“, konterte MILF-Chefunterhändler Mohagher Iqbal, „doch wir sind dazu bereit.“ Das MoA-AD ist von beiden Seiten einvernehmlich ausgehandelt und vereinbart worden. Diese Absprache sei, so Iqbal, unabhängig von dem Fiasko in Kuala Lumpur bindend. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Associated Press am 20. August fügte Iqbal kategorisch hinzu, Neuverhandlungen werde es keineswegs geben: „Das wäre so, als öffnete man eine Büchse voller Würmer.“

Harsche Kritik an der Präsidentin

Noch härter gingen kritische JournalistInnen, Menschenrechtsanwälte und Angehörige unterschiedlicher Nichtregierungsorganisationen mit der Regierung – erst recht mit Präsidentin Arroyo – ins Gericht. Am 6. August, einen Tag nach der gescheiterten Unterzeichnung des MoA-AD, schrieb der Kolumnist Neal Cruz in der landesweit auflagenstärksten Tageszeitung Philippine Daily Inquirer, Manilas Motive seien „hinterhältig und niederträchtig“. „Wenn das MoA-AD nicht implementiert wird“, so Cruz, „kann die MILF mit gutem Recht sagen, dass die Regierung in schlechter Absicht handelte, und sie kann notfalls sogar die Unabhängigkeit erklären, da sie über sämtliche Elemente verfügt, die einen Staat auszeichnen: Regierung, Volk, Territorium und internationale Anerkennung.“ „Was soll denn das“, schreibt Cruz weiter, „erst nach einem ausgehandelten Abkommen wolle man Konsultationen abhalten? Solche werden normalerweise vor einem Abkommen durchgeführt. (…) Nach so langwierigen Verhandlungen konnte es der Arroyo-Administration auf einmal nicht schnell genug gehen, obgleich der Text des MoA-AD bis zum Schluss geheim blieb und nur wenige Eingeweihte ihn kannten.“

Tatsächlich hatte Hermogenes Esperon, bis vor Kurzem noch Generalstabschef der Streitkräfte und von der Präsidentin nach heftigen Protesten zu ihrem Friedensberater ernannt, erst Anfang August Kopien des MoA-AD nur ausgewählten Generälen seines Vertrauens, nicht aber Senatoren oder Kongressabgeordneten überreicht. Am 28. Juli hatte Frau Arroyo in ihrer jährlichen Rede an die Nation angedeutet, dass endlich ein Frieden in Mindanao zum Greifen nahe sei. Außerdem hatte die malaysische Regierung, unter deren Schirmherrschaft die Gesprächsrunden zwischen Manila und der MILF über all die Jahre stattgefunden hatten, signalisiert, dass sie ihr Kontingent des außer von Malaysia noch von Libyen, Brunei und Japan gestellten Internationalen Monitoring-Teams (IMT) in Mindanao abziehen würde, wenn der Friedensprozess nicht bald konkrete Gestalt annehme.

Es mehren sich die Stimmen, die der Präsidentin ein waghalsiges Spiel mit dem Feuer vorwerfen – einzig und allein des Machterhalts willen. Sie selbst hatte ihrem Verhandlungsteam grünes Licht gegeben, das am 27. Juli ausgehandelte MoA-AD mit den Initialen zu unterschreiben. Nachdem die feierliche Unterzeichnung des Memorandums am 5. August nicht stattfand, versucht sie seitdem Nachbesserungen zu erreichen beziehungsweise den Schwarzen Peter für die augenblicklich düstere Lage in Mindanao der MILF zuzuschieben. Geriete dort die Situation gänzlich außer Kontrolle, könnte sie laut Verfassung und mit dem Verweis auf die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung sowie die Wahrung der nationalen Souveränität und territorialen Integrität der Republik der Philippinen das Kriegsrecht ausrufen. Eine andere, weniger martialische Variante, den eigenen Machterhalt zu sichern, könnte darin bestehen, qua Verfassungsänderung anstelle eines präsidialen ein föderales System im Lande zu verankern. Demnach wäre die Beschränkung aufgehoben, dass ein Präsident lediglich eine einmalige Amtsperiode von sechs Jahren wahrnehmen kann. Sobald Frau Arroyo nicht mehr im Amt ist, dürfte sie mit einem Rattenschwanz von Korruptionsvorwürfen und wegen mehrfachen Amtsmissbrauchs konfrontiert werden. Zwei Amtsenthebungsverfahren hat die Lady zwar abwehren können. Was nichts daran änderte, dass sie die seit dem Sturz des Diktators Ferdinand E. Marcos im Februar 1986 mit Abstand unbeliebteste Präsidentin ist. Doch nur zu gern regierte sie als Premierministerin über ihre Ende Juni 2010 endende Amtszeit hinaus weiter.

Ausländische Kalküle, immense Kriegskosten

Schließlich verfolgen ausländische Mächte ihre eigenen Interessen auf der ressourcenreichen Insel Mindanao. Australien und Japan beispielsweise sind dort unter anderem stark im Bergbausektor und in Minengesellschaften engagiert, während sich die USA – die bereits mit Spezialeinheiten im Rahmen der mit Manila orchestrierten »Terrorismusbekämpfung« präsent sind – politische und geostrategische Vorteile erhoffen. Ihre Militärpräsenz vor Ort wäre ein geeignetes Sprungbrett nahe der Straße von Malakka (zwischen Malaysia, Singapur und Indonesien), der bedeutsamsten Seeroute in der Region, über die der Löwenanteil der Öl- und Gasversorgung aus dem Nahen und Mittleren Osten für die Boomökonomien Ost- und Südostasiens erfolgt und durch die in umgekehrter Richtung der Löwenanteil deren Exporte abgewickelt wird. Für US-Militärstrategen und in US-amerikanischen think tanks wie der Asia Foundation in Washington stellten beispielsweise das Kapern und die anschließende Sprengung eines mit Öl- oder Flüssiggas beladenen Großtankers am engsten Punkt der Malakka-Straße eine wirtschaftliche sowie ökologische Katastrophe größten Ausmaßes dar. Auf diese Weise bräche nicht nur der Regionalhandel zusammen; dies hätte unweigerlich auch weitreichende Konsequenzen für die Weltwirtschaft.

KritikerInnen aus linken Gruppierungen und Parteien haben wiederholt auf die US-Karte im Mindanao-Poker hingewiesen. Neben der dortigen Präsenz von GIs hat US-Botschafterin Kristie Kenney – ungewöhnlich für DiplomatInnen ihres Kalibers – gleich mehrfach die Region besucht und dabei auch mit dem MILF-Vorsitzenden Al Haj Murad Ebrahim und anderen hochrangigen Kadern der Organisation konferiert. Außerdem war das vom US-Kongress finanzierte und US-außenpolitische Interessen verfolgende Friedensinstitut (USIP) von 2003 bis 2007 überaus stark in der Region engagiert und führende USIP-MitarbeiterInnen über den Stand der Regierungsverhandlungen mit der MILF genauestens informiert. Kein Wunder, dass Frau Kenney ebenfalls am 5. August in Kuala Lumpur zugegen war, als das MoA-AD zeremoniell unterzeichnet werden sollte.

Das philippinische Verteidigungsministerium schätzt derweil die Kriegskosten im Süden allein von 1970 bis 1996 auf 73 Milliarden Peso (zirka 1,2 Milliarden Euro). Diese Schätzung wird im philippinischen Human Development Report 2005 geteilt, der konstatierte, dass der langwierige Konflikt in Mindanao von 1970 bis zum Jahr 2001 jährlich zwischen fünf und 7,5 Milliarden Peso verschlungen habe. Die Weltbank gelangte 2002 zu dem Ergebnis, dass sich die Kosten eines nicht endenden Konflikts in der Region auf 30 Millionen Peso täglich oder 10 Milliarden Peso pro Jahr summierten. All das berücksichtigt noch nicht die zusätzlich anfallenden Kosten bei der Bekämpfung der kommunistischen Guerilla der Neuen Volksarmee (NPA) in Mindanao. Von den frühen 1970er Jahren bis 1996 forderte der Krieg in den Südphilippinen über 120.000 Menschenleben – davon 50 Prozent MNLF-KämpferInnen, 30 Prozent Regierungssoldaten und 20 Prozent Zivilisten. Was die Entwurzelung von Menschen und interne Flüchtlinge betrifft, errechnete der genannte Philippine Human Development Report 2005, dass im Zeitraum von 2000 bis 2004 insgesamt 1,135 Millionen Menschen für kürzere oder längere Zeit infolge bewaffneter Feindseligkeiten in Mindanao vertrieben worden und über Nacht obdachlos geworden seien. In all diesen Zahlen sind nicht eingerechnet die der Region vorenthaltenen Investitionen, der Verlust und die Zerstörung von Eigentum und weitere nicht quantifizierbare, gleichwohl bedeutsame »Kollateralschäden« des Krieges wie Hass, Vorurteile, Rache(gefühle) und Diskriminierung.

Anmerkungen

1) Als »Moros« – in Anlehnung an die »Mohren«, »Mauren« Nordafrikas – bezeichneten die spanischen Kolonialherren abschätzig die muslimische Bevölkerung im Süden der später von ihnen »Philippinen« getauften Inseln. Vor Ankunft der Spanier waren u.a. die Sultanate von Sulu und Maguindanao souveräne Gemeinwesen mit eigenen politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Ende der 1960er Jahre maß die damalige Führung der MNLF dem Begriff »Moro« eine positive Bedeutung bei und führt ihn deshalb bewusst in ihrem Organisationsnamen.

Dr. Rainer Werning ist Politologe und Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2009/2 Ressourcen: Ausbeutung, Krieg, Elend, Seite