W&F 2004/1

Es ging nicht nur um Öl

Das US-Hegemonialsystem und der Irak-Krieg

von Mohssen Massarrat

Die Vereinigten Staaten führten nach dem zweiten Weltkrieg beinahe ein halbes Jahrhundert unangefochten die westliche Welt. Ihre Führungsposition beruhte auf ökonomischer, politischer, militärischer und auch kultureller Hegemonie. Europa und die gesamte westliche Welt orientierten sich am American way of life und legitimierten in Abgrenzung vom sowjetischen Lager aus Eigeninteresse und Überzeugung alle US-dominierten multilateralen Institutionen wie die Weltbank, den IWF, die WTO und die NATO. Doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion offenbart sich ein ganz anderes Amerika. Den historischen Wandel bringt der »Spiegel« (Nr. 30/2003) auf den Punkt: Der Irakkrieg „war der erste Krieg einer Weltmacht, die sich entschlossen hat, die Welt mehr mit dem American way of war zu beeindrucken als mit dem American way of life.“ Dieser Wandel ist nicht nur auf die neue US-Regierung zurück zu führen, das offensiv-missionarische und aggressiv-kriegslüsterne Auftreten der Neokonservativen darf über die Grundstrukturen des neuen Amerikas nicht hinweg täuschen.

Die USA stellen ein komplexes Hegemonialsystem dar mit vier, ihrem Wesen nach unterscheidbaren und voneinander unabhängigen, jedoch hegemonialpolitisch verschränkten Säulen: die innergesellschaftlichen, sicherheitspolitisch-militärstrategischen, geostrategischen und währungspolitischen Triebkräfte (siehe Abbildung auf S. 12).

Innergesellschaftliche Spaltung, Militärindustrieller Komplex und Hegemonialsystem

Die US-Gesellschaft war und ist eine multikulturell, multiethnisch, sozial und räumlich zutiefst gespaltene Gesellschaft. Die nicht-europäischen Einwanderergemeinden wie die Chinesen und Latinos leben neben den Schwarz-Amerikanern immer noch in Ghettos, eine Integration der in ihrer überwältigenden Mehrheit unterprivilegierten Farbigen hat immer noch nicht stattgefunden. Der Individualismus, die kommunale Basisdemokratie und der Dezentralismus stellen zwar eine tragfähige Grundlage der bewundernswerten kulturell-künstlerischen Errungenschaften dar, die Amerika für viele in der Welt attraktiv machen, sie stehen jedoch dem auf Grund der territorialen Ausdehnung des Landes besonders ausgeprägten Zentralismus in Washington und der damit einhergehenden Entpolitisierung der Menschen bei weltpolitischen Themen gegenüber. Die positiven Auswirkungen des American way of life und der kulturellen Hegemonie der USA in der westlichen Welt einerseits und die äußere Bedrohung durch den sowjetischen Feind andererseits reichten jedoch offensichtlich aus, um die innergesellschaftlich-soziokulturelle und territoriale Kluft über Jahrzehnte zu verdecken und eine breite gesellschaftliche Legitimation für die innen- und außenpolitischen Projekte der USA herzustellen. Doch der American way of life erhielt mit der Krise des fordistischen Konsummodells deutliche Kratzer, das Feindbild Kommunismus verschwand mit der Sowjetunion, der Neoliberalismus verstärkte die Ellenbogenmentalität und die kollektiven Ängste gerade angesichts des Fehlens eines angemessenen sozialen Netzes.1

Es ist durchaus kein Zufall, dass in den letzten zwei Jahrzehnten die Religion und religiöses Denken nach einer längeren Dominanzperiode radikal-liberaler Traditionen erneut in die US-Gesellschaft und -Politik Einzug gehalten hat. Nach Meinungsumfragen „bezeichnen sich 46 Prozent der US-Bürger – wie George W. Bush – als evangelikale Christen, das heißt als ‘wiedergeboren‘ ; 48 Prozent lehnen die Evolutionstheorie als Ketzerei ab, 68 Prozent glauben, sie seien schon einmal dem Teufel begegnet… Und Tom de Lay, der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus glaubt sich von Gott berufen, die ,biblische Weltanschauung‘ in der amerikanischen Politik zu stärken, wonach nur das Christentum lehre, wie man ,mit den Realitäten dieser Welt zurechtkommen‘ könne.“2 Noch deutlicher bekannte sich der Präsident selbst sich zu einer Religiosität. Die Rede ist von George W. Bushs „Mission, ‘die der göttlichen Vorsehung folgt‘, vom ‘demütigen Führer eines großen Landes‘, vom ‘Bruder in Christus‘ und von der Freiheit, ‘die nicht Amerikas Geschenk an die Welt … sondern ein Gottesgeschenk an die Menschheit sei‘“3 Horst Eberhard Richter spricht in diesem Zusammenhang von der „moralischen Krise der Amerikaner.“4

Besorgnis erregend ist dabei, dass der übermächtige Militärindustrielle Komplex (MIK) und das Pentagon samt der ihnen nahestehenden, mit den US-Massenmedien wirkungsvoll vernetzten »Denkfabriken«, wie dem American Enterprise Institut, es verstanden haben, diese »moralische Krise der Amerikaner« für die Zustimmung zu einer aggressiven Außenpolitik zu kanalisieren. Der MIK, der der US-Gesellschaft einen beträchtlichen Anteil der Ressourcen wegnimmt, hat im Unterschied zur Autoindustrie oder Ölindustrie keine sozialen Verbündeten in der US-Gesellschaft. Vor allem nach dem Wegfall des Feindbildes Sowjetunion ist er auf neue tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen, auf neue Feindbilder und Konflikte angewiesen, um seinen Fortbestand innenpolitisch zu legitimieren. Die innergesellschaftliche Konsensbildung jenseits der soziokulturellen Gegensätze und territorialen Divergenzen gerät so in die Abhängigkeit von neuen Bedrohungspotentialen jenseits der Vereinigten Staaten, die Suche nach neuen Feinden wird zu einem Wesensmerkmal des neuen Amerikas: „Ein halbes Jahrhundert lang standen die USA für politische und wirtschaftliche Freiheit“ schreibt Emmanuel Todd in der Einleitung seines »Nachrufes« auf die Weltmacht USA. „Aber heute“, konstatiert Todd „erscheinen sie immer mehr als ein Faktor der internationalen Unordnung, und wo sie können, fördern sie Instabilität und Konflikte.“5 Zahlreiche Ereignisse in den letzten zwei Jahrzehnten untermauern diese Beurteilung.

Die US-Intervention im Iran/Irak-Krieg zu Gunsten des Iraks in den achtziger Jahren hat die Konfliktstrukturen im Mittleren Osten vertieft, das Saddam-Regime gestärkt und dessen Überfall auf Kuwait gefördert. Auch in den neunziger Jahren haben die Vereinigten Staaten beim Bosnien- und Kosovo-Konflikt auf dem Balkan die Chancen nicht-militärischer Lösungen leichtfertig verspielt und Militärinterventionen eindeutig den Vorzug gegeben. Besonders folgenreich ist der Umgang der USA mit dem Nahost-Konflikt. Todd spricht offen aus, was viele in Europa und anderen Weltregionen denken. Sie verstehen nicht, konstatiert Todd, „warum Amerika den Konflikt zwischen Israel und Palästina nicht regelt, obwohl es dazu in der Lage wäre. Sie fragen sich allmählich, ob es Washington ins Konzept passen könnte, dass dieser ständig schwelende Konflikt im Nahen Osten existiert und dass die arabischen Völker wachsende Feindseligkeit gegenüber der westlichen Welt bekunden.“6 Die US-Nahost- und -Afghanistanpolitik hat die islamisch-fundamentalistischen Strömungen in der islamischen Welt gestärkt und dem internationalen Terrorismus den Nährboden geliefert.

Gewollt oder ungewollt hat sich eine unheilige Allianz zwischen dem Pentagon und dem internationalen Terrorismus herausgebildet, die sich gegenseitig hochschaukeln. Im Irak arbeiten offenbar Anhänger des alten Regimes inzwischen mit der Al Qaida sehr eng zusammen, der durch die US-Regierung konstruierte Kriegsgrund wurde erst durch den Irak-Krieg tatsächlich herbeigeführt. Die Schurkenstaaten-Theorie entstand in der Ära von Präsident Clinton, die neokonservativen Republikaner ergänzten diese Konstruktion durch die Erfindung der »Achse des Bösen«. Das Regime von Saddam Hussein, das zu dieser »Achse« gehörte, wurde inzwischen gestürzt. Unzählige Pläne gegen den Iran und Nordkorea – die anderen, zu dieser Achse gehörenden »Schurkenstaaten« – warten auf ihre Umsetzung, so z.B. der CIA-Plan, die iranischen Nuklearanlagen durch Militärschläge anzugreifen,7 und der »Plan 5030« des US-Verteidigungsministeriums zum Zweck gezielter und riskanter Provokationen an der Süd-Nordkoreanischen Grenze.8

US-Nuklearstrategie und Hegemonialsystem

Während der Ära des »Kalten Krieges« war der Hauptadressat des westlichen nuklearen Abschreckungssystems naturgemäß die Sowjetunion. In diesem System standen die europäischen Verbündeten der USA, aber auch Japan, unter dem nuklearen Schutzschirm der USA. Sie wurden sicherheitspolitisch damit de facto zu Protektoraten der USA und akzeptierten ihrerseits bereitwillig deren Hegemonialposition. Mit der Auflösung der Sowjetunion und der Bereitschaft der sowjetischen Führung unter Gorbatschow zur umfassenden Abrüstung auch bei den ABC-Waffen entstand für Europa und Japan historisch die reale Chance, sich von ihrem Protektorats-Status zu lösen und ihren außenpolitischen Handlungsspielraum im Rahmen einer multilateral ausgerichteten Weltordnung zu erweitern. Doch kam es aller Wahrscheinlichkeit nach auch aus demselben Grund nicht zu dieser allgemein erhofften Entwicklung. Bereits Ende der achtziger Jahre scheinen sich jene Kräfte in den USA durchgesetzt zu haben, die ganz im Sinne einer unilateralistischen Weltordnung die im Kalten Krieg entstandenen sicherheitspolitischen Abhängigkeiten Europas und Japans aufrecht erhalten wollten. Die begonnene Abrüstung von strategischen Trägersystemen und ABC-Waffen wurde bereits vor dem Ende des Kalten Krieges gestoppt, die Pläne für den Aufbau von Raketenabwehrsystemen im Weltraum aktualisiert.

Die US-Politikstrategen handelten schon damals nach Imperativen, die Brzezinski in seiner »Strategie der Vorherrschaft« präzise formuliert hat, nämlich „Absprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeiten in Fragen der Sicherheit zu bewahren.“9 Die neokonservativen Unilateralisten führten Brzezinskis strategische Ideen in ihrem Projekt »American Century« konsequent zu Ende. Präsident George W. Bush kündigte Ende 2001 endgültig Amerikas Rückzug von dem seit 1972 gültigen ABM-Vertrag an.10 Das Pentagon entwickelte neue Militärstrategien, die den Einsatz von Atomwaffen auch gegen Nicht-Atomstaaten ausdrücklich vorsehen,11 die US-Regierung weigert sich, den Vertrag über die nukleare Nichtweiterverbreitung von 1968 zu erfüllen und bewilligt Haushaltsmittel für die Entwicklung von neuartigen nuklearen Sprengköpfen.12 Ob es bei der Installierung von Raketenabwehrsystemen wirklich darum geht, die eigene Verwundbarkeit gegen atomare Bedrohungen auszuschließen, bleibt dahin gestellt. Erreicht wird auf jeden Fall die Aufrechterhaltung eines diffusen nuklearen Bedrohungspotentials, das quasi als nukleares Damoklesschwert die mächtigsten ökonomischen Rivalen der USA, Japan und die EU, davon zurückhält, sich von ihrem Protektoratsstatus zu lösen und die unilateralistische US-Hegemonie, wenn auch zähneknirschend, hinzunehmen. Die atomare Sicherheitsstrategie der USA ist insofern nicht allein gegen traditionell »feindliche« Atommächte wie Russland und China, sondern hegemonialpolitisch gesehen auch gegen eigene westliche Verbündete gerichtet.

Öl, Geostrategie und Hegemonialsystem

Das ökonomische Interesse der USA an Ölressourcen des Mittleren Ostens ist unbestritten. Dieses Interesse ist vielschichtig und zielt einerseits auf die US-Ökonomie selbst, somit ist es von innenpolitischer Relevanz ; andererseits zielt es auf die US-Außenpolitik und ist in der herausragenden Bedeutung begründet, die die mittelöstlichen Ölquellen im Hegemonialsystem der USA einnehmen. Für die US-Ökonomie sind wiederum zwei Funktionen der mittelöstlichen Ölquellen zu unterscheiden: Erstens als Öllieferant, wobei dieser Aspekt nicht der wichtigste ist, da die USA bisher nur ein Viertel ihres Importbedarfs aus dieser Region beziehen. Zweitens als Steuerungshebel der Öl- und Energieweltmarktpreise, da im Mittleren Osten 67% der weltweiten Ölressourcen mit den niedrigsten Produktionskosten vorkommen. Bei einer Preisdifferenz von beispielsweise 10 Dollar/Barrel sparen die USA bei einer Importmenge von jährlich 3,8 Mrd. Barrel Öl 38 Mrd. Dollar an Devisen, die US-Ökonomie als Ganzes spart bei einem Gesamtverbrauch fossiler Energien von 15 Mrd. Barrel Öläquivalent (Kohle, Öl, Erdgas) aus Eigenproduktion und Import ca. 150 Mrd. Dollar Energiekosten ein.13 Bei einer Preisdifferenz von 20 Dollar erhöhen sich diese Beträge auf das Doppelte.14 Die Einflussnahme auf die Öl- und Energiepreise und deren Regulierung auf ein der US-Ökonomie zuträgliches Niveau war vor allem auch aus innenpolitischen Gründen das Ziel aller US-Regierungen. Billigöl galt und gilt immer noch als Lebenselixier des American way of life und als Wachstumsmotor der US-Wirtschaft. Die mittelöstlichen Ölquellen könnten – sofern kein grundlegender Wandel auf regenerative Versorgungsstrukturen stattfindet – in Zukunft wegen der Knappheitstendenzen fossiler Energien in den USA und in anderen Weltregionen einen deutlich höheren Stellenwert erlangen. In der Vergangenheit dominierte jedoch das Interesse der USA, den Ölpreis im Rahmen einer umfassenderen Strategie der Kontrolle und Beherrschung der weltweiten Energieversorgung zu lenken. Diese Strategie sollte der zweifachen Interessenkonstellation der USA, nämlich den spezifisch innenpolitischen und den hegemonialpolitischen Interessen, Rechnung tragen. Innerhalb dieser Strategie kam einer engen Kooperation mit Saudi-Arabien als dem größten Ölproduzenten und -exporteur sowie Kuwait und den Arabischen Emiraten, die zusammen über einen Weltmarktanteil von 17,4% und 45% der OPEC-Produktion verfügen, die Schlüsselrolle zu.

Die USA verfügten darüber hinaus im letzten halben Jahrhundert über vielfältige ökonomische, geheimdiplomatische Instrumente, um die Ölweltmarktpreise über mehrere Jahrzehnte zu steuern.15 Die hegemonialpolitische Interessenkonstellation der USA beruht auf der Abhängigkeit ihrer traditionell sicherheitspolitischen Vasallen, nämlich der EU und vor allem Japan sowie darüber hinaus auch der asiatischen Schwellenländer von den mittelöstlichen Ölquellen.16 Die US-Hegemonie gegenüber diesen Staaten stützte sich während des »Kalten Krieges« außer auf die Säule des nuklearen Schutzschirmes auch auf die Säule der störungsfreien Ölversorgung zu niedrigen Preisen. Der Unilateralismus verlangt die Beibehaltung der nuklearen Säule und Verstärkung der Energieversorgungssäule. Letztere eignet sich hervorragend dazu, auch Indien und China als Atomstaaten und ökonomisch aufsteigende Großmächte, deren Ölnachfrage und Ölabhängigkeit von mittelöstlichen Energiequellen drastisch zunimmt, dem Hegemonialsystem unterzuordnen und gleichzeitig Russland als potentiell militärischen Rivalen mit eigenen energie- und geostrategischen Interessen an den Rand zu drängen. Dazu bedürfte es allerdings nicht nur einer verstärkten Kontrolle von Ölquellen der Persischen Golf-Region, sondern der Ausdehnung dieser Kontrolle auch auf die Kaspische Meer-Region.

Doch damit die öl- und geostrategische Säule im Hegemonialsystem die beschriebene Bedeutung erlangen kann, muss der Hegemon den gesamten Raum »Greater Middle East« militärisch, logistisch und ökonomisch direkt oder indirekt beherrschen. Dazu gehören:

  • ein dichtes Netz militärischer Stützpunkte und Präsenz der US-Armee an strategisch wichtigen Standorten,
  • eine möglichst große Zahl von Verbündeten und von den USA abhängiger Regime,
  • die totale Kontrolle der Versorgungsstrukturen und Transportrouten für Öl und der Gaspipeline sowie des Zugangs zu den Weltmeeren und
  • die Beteiligung einer möglichst großen Zahl von US-Konzernen im Energie- und Infrastrukturanlagen-Bereich.

Im Lichte dieser hegemonialpolitischen Geostrategie erscheinen der Sturz der Taliban in Afghanistan und des Regimes von Saddam Hussein im Irak sowie die Installierung von US-freundlichen Regimen in beiden Ländern als besonders wichtig. Ihnen kommt sogar die Schlüsselfunktion zu: Afghanistan wegen des Pipeline-Projekts für den Transport von Erdgas und Öl vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean, und Irak, um vor allem Saudi-Arabien bei Bedarf unter Druck setzen zu können.

Dollar und Hegemonialsystem

Als Leitwährungsland verfügen die USA über die Option, die inländischen Investitionen über Auslandsverschuldung zu finanzieren und diese über den Hebel der Notenpresse zu bedienen. Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Wood-Systems entschieden sich die US-Regierungen verstärkt für den bequemen Weg eines durch den Rest der Welt mitfinanzierten Wachstumsmodells. Charles A. Kupchan, der Berater von Präsident Clinton, bringt das Wundermodell auf den Punkt: „Das Land muss seinen Way of life finanzieren, sein Handelsbilanzdefizit ausgleichen, es liebt den Konsum und hasst es zu sparen. Deshalb haben sich Investoren Amerika als Investitionsort ausgesucht, sie lieben den Dollar und seine Stabilität.“17 „Hass auf Sparen und Lust auf Konsum“, somit ein Leben über die eigenen Verhältnisse und auf Kosten aller anderen Nationen. Diesen Luxus können sich dank des Dollars als Leitwährung nur die Vereinigten Staaten leisten. Die Netto-Auslandsverschuldung der USA stieg als Folge der fremdfinanzierten Investitionspolitik von 250 Mrd. in 1982 auf 2.000 Mrd. US-Dollar in 2000, dies macht 22,6% des US-Bruttoinlandsproduktes aus.18 Dieser bequeme Weg der Wohlstandsvermehrung ist allerdings nur so lange möglich, wie der Dollar seine Leitwährungsfunktion beibehält. Verliert der Dollar diesen Status an den Euro, so könnte das „Staaten und Privatanleger veranlassen“, konstatiert Kupchan, „bei Rücklagen und Investitionen dem Euro den Vorzug vor dem Dollar einzuräumen. … Das hätte schwerwiegende Folgen für das Land, das extrem abhängig von ausländischem Kapital ist.“19 Anstatt dieser Perspektive durch umfassende sozial-ökologische Reformen vorzubeugen, zieht es die politische Führung der USA vor, die Leitwährungsfunktion des Dollars und den privilegierten Status der asymmetrischen Handels- und Kapitalflüsse trotz offensichtlicher Risiken hegemonialpolitisch aufrecht zu erhalten.

Dem Erdöl kommt in diesem Zusammenhang in zweifacher Hinsicht eine Schlüsselrolle zu. Zum einen, weil der Ölmarkt der größte Einzelprodukt-Markt ist und der weltweite Ölhandel auf Dollar-Basis daher einen wichtigen Stabilitätsfaktor der US-Währung darstellt. Zum anderen, weil die größten Ölexporteure Saudi-Arabien, Kuwait und Arabische Emirate bisher ihre Devisenüberschüsse – bis 1990 rund eine Billion Dollar – in erster Linie in den USA investierten.20 Saudi-Arabien steht unter massivem Druck, nicht nur den Ölverkauf weiterhin in US-Dollar abzuwickeln, sondern auch das eigene Kapitalvermögen – rund 400 Mrd. Dollar – nicht aus den USA abzuziehen. So gesehen werden Öl und Geostrategie auch währungspolitisch zu einem hegemonialpolitischen Faktor, Ölkriege werden gleichzeitig auch Währungskriege. Dies gilt auf besondere Weise gerade auch für den Irak-Krieg. Der Irak hatte schon Ende 2000 damit begonnen, die tägliche Ölförderung von 2,4 Mio. Barrel in Euro abzuwickeln. Auch der »Schurkenstaat« Iran verkauft sein Öl zum Großteil in Euro, damit drängt sich der Euro zum ersten Mal in eine klassische Dollar-Domäne.21 Als Besatzungs- und Hegemonialmacht mitten in der Persischen Golf-Region hoffen die USA, den für die eigene Volkswirtschaft lukrativen Kreislauf von Rüstungsgüter gegen Petro-Dollars nicht nur für die Zukunft am Leben zu erhalten, sondern zusätzlich auch die Position des Dollars durch umfangreiche Wiederaufbau-Aufträge an die US-Konzerne zu stärken.22

Grenzen des neuen Amerikas

Lange vor dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums war es absehbar: Die Welt bewegte sich unaufhaltsam auf eine multipolare Zukunft zu. Neue ökonomische Riesen, wie die EU, Japan und China, kündigten sich als eigenständige ökonomische und politische Zentren an. Auf diese Entwicklung reagierte das neue Amerika trotzig, rückwärtsgewandt und narzistisch. Die Repräsentanten Amerikas fürchten den endgültigen Verlust der historisch einmaligen Position mit der magnetischen Anziehungskraft für Menschen und für das Kapital auf dem gesamten Globus. Anstatt sich durch umfassende Reformen und einen sozialen, ökonomischen und ökologischen Strukturwandel der multipolaren Entwicklung anzupassen, hoffen sie darauf, den erlangten Status auf Grund des unerreichbaren militärischen Vorsprungs auch in Zukunft halten und gegebenenfalls sogar ausbauen zu können. Der gesamte Globus wird in militärische »Schutzzonen« aufgeteilt,23 die von den USA dominierten multilateralen Institutionen der Weltwirtschaft wie IWF, Weltbank und WTO werden immer offensiver in den Dienst der globalen Umverteilung zu Gunsten der eigenen Volkswirtschaft gestellt. Der Neoliberalismus liefert mit seinen Postulaten Liberalisierung, Privatisierung und Wachstum durch Verbilligung der Arbeits- und Naturressourcen die ideologische Rechtfertigung der globalen Reichtumsumverteilung. Die militärischen Kosten der amerikanischen Hegemonialordnung – mögen sie auch mehrere hundert Milliarden Dollar im Jahr betragen – dürften nur einen Bruchteil der Gewinne ausmachen, die Amerika dank seiner Hegemonialordnung gewissermaßen als »Hegemonialrente« aus der Weltwirtschaft abschöpft.

Im Irak-Krieg, dem vorläufigen Höhepunkt von Amerikas Hegemonialpolitik und dessen Strategie der Vorherrschaft, kamen wie in keinem anderen Krieg der USA in den letzten Jahrzehnten nahezu alle entscheidenden hegemonialstrukturellen Triebkräfte, wie sie oben analysiert wurden, zum Tragen. Der Irak-Krieg war nicht – wie überwiegend angenommen wurde – nur ein Ölkrieg, er war gleichzeitig ein innenpolitischer, ein rüstungs- und militärstrategischer, öl- und geostrategischer und ein währungspolitischer Krieg.

Doch in dem Land, in dem der politische Erfolg des neuen Amerikas vorexerziert werden sollte, zeigen sich auch die Grenzen eben dieses neuen Amerika. Die Iraker weigern sich – trotz ihrer bitteren Erfahrungen mit dem alten Regime – die militärische Besatzung Iraks als Befreiung zu legitimieren. Das Desaster im Irak führt dazu, dass immer mehr Amerikaner aus Politik und Wissenschaft sich zu Wort melden und für eine Abkehr vom eingeschlagenen Weg plädieren. Eine Chance, den Aufbau einer anderen, humaneren Weltordnung einzuleiten.

Anmerkungen

1) Vgl. dazu auch Nielebock, Thomas: Die amerikanische Krisen- und Kriegspolitik im Lichte innenpolitischer Motive, in: Frankfurter Rundschau, 26.02.1991; Krell, Gerd: Arroganz der Macht, Arroganz der Ohnmacht. Der Irak, die Weltordnungspolitik der USA und die transatlantischen Beziehungen, HSFK-Report I/2003, Frankfurt/M.

2) Lapham, Lewis H.: Die Faust des Gerechten. Der religiöse Faktor in der US-Politik, in: Le Monde diplomatique, Juli 2003. Vgl. ferner Lazare, Daniel: Die Glaubensgemeinschaft USA und ihre Ketzer. in: Le Monde diplomatique, August 2002.

3) Lapham 2003.

4) Richter, Horst Eberhard: Stillhalten ist tödlich. Eine Lehre des Krieges gegen Irak, in: Frankfurter Rundschau, 3.09.2003.

5) Todd, Emmanuel: Weltmacht USA. Ein Nachruf, München, 2003, S. 13.

6) Todd, 2003, S. 15.

7) Die Los Angeles Times berichtet diesbezüglich über einen »CIA-Eventualplan«. Vgl. dazu Neue Osnabrücker Zeitung, 3.08.2003.

8) Vgl. dazu Karl Grobe in der Frankfurter Rundschau, 09.09.2003.

9) Brzezinski, Zbignew: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Frankfurt/M., 1997, S. 65.

10) Vgl. dazu Kubbig, Bernd W.: Jetzt haben die USA den Freifahrtschein für unbegrenzte Aufrüstung, in: Frankfurter Rundschau, 14.06.2002, und Nassauer, Otfried: Die Rückkehr der Atomkrieger, in: Frankfurter Rundschau, 13.05.2003.

11) So beispielsweise im Nuclear Posture Review vom Januar 2002. Ferner in: Nationale Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen …, vgl. dazu Rotblat, Joseph: Es wächst die Gefahr, dass ein neues nukleares Wettrüsten beginnt, in: Frankfurter Rundschau, 06.08.2003.

12) Ebenda und Nassauer 2003.

13) Die Mengenangaben beziehen sich auf 2002. Eigene Berechnung nach British Petroleum, BP Statistical Review of World Energy, 2003, London.

14) Hierbei wird von einem hypothetischen Knappheitspreis für Öl ausgegangen, der sich auf den Weltmärkten frei herausbilden würde. Dieser Preis dürfte sich dann auf einem deutlich höheren Niveau – um ca. 50 Dollar/Barrel – bewegen. Beim aktuellen Ölpreis von ca. 25 Dollar/Barrel geht es in Wirklichkeit um Abschöpfung von Preisdifferenzen um ca. 25 Dollar/Barrel. Näheres dazu vgl. Massarrat: Das Dilemma der ökologischen Steuerreform. Plädoyer für eine nachhaltige Klimapolitik durch Mengenregulierung und neue politische Allianzen, Marburg, 2000, Kapitel 10.

15) Nur im Zeitraum 1974-1985 gelang es der OPEC in ihrer Gesamtheit, Saudi-Arabien, Kuwait und die Arabischen Emirate in eine auf Autonomie der OPEC zielende Öl- und Mengenpreis-Politik einzubinden, die zu den Ölpreissprüngen von 1974 und 1979 führte. Ausführlicher dazu siehe Massarrat, 2000 (Anm. 14), ebenda, Kapitel 7-9.

16) Die EU bezieht 35%, Japan 97% und asiatische Schwellenländer 96% ihrer Ölimporte aus dem Mittleren Osten.

17) Kupchan, Charles A.: Die USA brauchen Europa, Interview, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 6/2003, S. 686.

18) Le Monde diplomatique (Hrsg.): Atlas der Globalisierung, Berlin, 2003, S. 98.

19) Kupchan, 2003, S. 686.

20) Vgl. dazu auch Abdolvand, Behrooz/Adolf, Mathias: Verteidigung des Dollars mit anderen Mitteln, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 2/2003, S. 181 f.

21) Abdolvand, Behrooz/ Adolf, Mathias, 2003, S. 182.

22) Über den währungspolitischen Hintergrund besteht bei den kritischen Analysen des Irak-Krieges inzwischen allgemeine Übereinstimmung, jedoch mit teilweise gegensätzlichen Begründungen. Vgl. dazu: Altvater, Elmar: Die Währung des schwarzen Goldes; sowie Massarrat, Mohssen: Anmerkungen zu Elmar Alvaters Beitrag. Beide Beiträge in: attac (Hrsg.): Kritik der Globalisierungskrieger. Arbeitspapier Nr. 1-2003 aus dem Wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland.

23) Vgl. dazu Nassauer, Ottfried: Eine neue militärische Aufteilung der Welt, in: Frankfurter Rundschau, 15.07.2002.

Dr. Mohssen Massarrat ist Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/1 Kriegsbilanzen, Seite