W&F 2023/1

Es stand in W&F


Soziale Verteidigung einüben

In Heft 2/2022 zeigten Ulrich Stadtmann (S. 15ff.) und Werner Wintersteiner (S. 24ff.) die Möglichkeiten und Gelingensbedingungen sozialer Verteidigung in der Ukraine nach. Aus dem Umfeld der Autoren in W&F ist unter maßgeblicher Trägerschaft des Bund für Soziale Verteidigung jetzt die Kampagne »Wehrhaft ohne Waffen« gestartet, die einer zentralen Überlegung Stadtmanns folgt: „Die Debatte darüber, die eigene Stadt durch Soziale Verteidigung zu schützen, muss jetzt geführt werden und nicht erst, wen man von einem Krieg im eigenen Land überrascht wird.“

Atomwaffen abschaffen?

In der Dezemberausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik legte Xanthe Hall dar, weshalb keineswegs in der gegenwärtigen Lage davon zu sprechen sei, dass es eine schlechte Zeit für die Forderung nach dem Ende der atomaren Bewaffnung sei. Ganz ähnlich gefährliche Zeiten drohender nuklearer Eskalation hat W&F in 40 Jahren mehrere mitgemacht: In Ausgabe 1/1986 (!) nimmt sich die Redaktion der Überlegung von Gorbatschow an, bis 1999 alle Atomwaffen abgeschafft zu haben. Ausgabe 1/1995 forderte schon auf dem Titel »Atomwaffen abschaffen« – darin wurden konkrete mögliche Schritte angedeutet; immer wieder haben Dossiers in aktualisierter Form dieser Forderung Nachdruck verliehen. Es bleibt eines der Kernthemen – bis alle Atomwaffen abgeschafft sind.

Friedenslogik füllen

Viele Politiker*innen, nicht nur der gesellschaftspolitischen Linken, sowie Journalist*innen beziehen sich immer wieder auf den Begriff der »Friedenslogik« oder erwähnen ihn – doch ohne diesen spezifischer zu füllen. W&F veröffentlichte über die Jahre immer wieder konzeptionelle Beiträge zur Friedenslogik. Die eindrücklichste und bis heute wichtigste Zusammenstellung unter dem Titel »Friedenslogik statt Sicherheitslogik« ist das Dossier 75, beigelegt zu Heft 2/2014.
Siehe: wissenschaft-und-frieden.de

Berliner Notizen

Anmerkungen aus dem Politikbetrieb


Rüstungsexportkontrollgesetz kommt voran – irgendwie

Noch ist nicht viel bekannt, aber das wenige hat schon viel Kritik auf sich gezogen: die im Oktober 2022 veröffentlichten Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag angestrebte Rüstungsexportkontrollgesetz. Michael Brzoska (IFSH) fasst die Kritik knapp zusammen: „Die Eckpunkte adressieren zahlreiche Schwachstellen der gegenwärtigen Rüstungsexportpolitik. Aber ein großer Wurf hin zu mehr Restriktivität wird das geplante Rüstungsexportgesetz nicht.” Dieser Einschätzung folgen im Wesentlichen alle Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft. Im November lud das Ministerium dann zu zweitägigen Beratungen mit Vertreter*innen der Rüstungsindustrie, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, Anfang Januar verlautbarte Minister Robert Habeck, das Gesetz würde bald kommen. Mit Überraschungen rechnen die wenigsten. Die Zahlen zu Rüstungsexporten 2022 deuten auf die Fortsetzung der bisherigen Politik hin und in einer Antwort auf eine kleine Anfrage bekräftigt die Bundesregierung auch den Willen zur „Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, damit die „Fähigkeits- und Standortsicherung mit Blick auf Schlüsseltechnologien“ gelingen könne.

Lehren aus Afghanistan

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages und die Enquete-Kommission zu den Lehren aus dem Afghanistankrieg haben mittlerweile beide ihre Arbeit voll aufgenommen. Ergebnisse der Enquete-Kommission umfassen unter anderem die Einsicht, dass in Deutschland „ein originäres Interesse an Afghanistan gefehlt habe. […] Man habe sich dort als guter Alliierter der USA gezeigt und seine Bündnissolidarität in der Nato unter Beweis gestellt“. Mit Blick auf die Petersberger Konferenz hielten die geladenen Sachverständigen fest, dass die „Taliban als Konfliktpartei an dem Neuaufbau ihres Landes beteiligt und zu der Petersberger Konferenz in Deutschland Ende November 2001 eingeladen [hätten werden sollen], alle Konfliktparteien konsequent entwaffnet, echte demokratische Strukturen zugelassen und die Zivilgesellschaft stärker einbezogen [hätte werden müssen]“. Daraus seien fast logische Geburtsfehler des gesamten Engagements entstanden.

Der Untersuchungsausschuss hat sich in dieser Zeit primär der Entscheidungsfindung des Doha-Prozesses gewidmet. Die geladenen Zeug*innen kamen durchweg zur Beurteilung, dass die Entscheidungsfindung auf der amerikanischen Seite auch für die deutschen Diplomaten eine Blackbox war“. Weiter widmete sich der Untersuchungsausschuss der Situation der geflüchteten Ortskräfte. Die sehr unterschiedlichen Schilderungen der vor dem Ausschuss befragten Ortskräfte über die Evakuierung aus Afghanistan machen deutlich, dass es neben rein situativen Faktoren sehr wohl auch auf den Schutz- und Organisationsrahmen der konkreten Arbeitgeber ankam – und diese variierten sehr stark zwischen KfW, GIZ, Bundeswehr und anderen zivilgesellschaftlichen Trägern. Markus Grotian, der Vorsitzende des Patenschaftswerks Afghanische Ortskräfte, forderte bei seiner Befragung dann auch entsprechend, zukünftig eine Gefährdungsanalyse und ein entsprechendes Evakuierungs- und Schutzkonzept für Ortskräfte ganz allgemein zu entwickeln, um Menschen nicht unnötig in Gefahr zu bringen.

Wann Sanktionen aufheben?

Grundvoraussetzung für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland ist aus Sicht der Bundesregierung die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine. Ferner hält die Bundesregierung fest, dass über weitere Voraussetzungen im Kreis der EU-Mitgliedstaaten zu beraten sein werde. Die fehlenden Beendigungsbedingungen der bislang neun Sanktionspakete offenbaren hier ein fundamentales Konstruktionsproblem: Weder sind von den sanktionierenden Parteien Ziele definiert noch sind an den Adressaten klar ersichtliche Bedingungen gestellt. Die Bundesregierung geht dennoch davon aus, dass die Sanktionen ihre Wirkung entfalten, deren Ziel es sei, Russland hohe Kosten für seinen den Angriffskrieg gegen die Ukraine aufzuerlegen und die Ressourcen des Landes für die Fortsetzung dieses Krieges zu beschneiden.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2023/1 Jenseits der Eskalation, Seite 4