W&F 2000/3

Europäische Rüstungsexportpolitik

Bilanz und Trends

von Hans J. Gießmann

Unter den zehn größten Lieferstaaten von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern weltweit wurden von der Statistik des SIPRI im vergangenen Jahr allein sieben europäische Staaten aufgeführt, darunter die Bundesrepublik Deutschland auf Platz fünf. Würde man diese Rangliste um weitere zehn Staaten ergänzen, käme die auffällige Rolle, die ausgerechnet Europa im internationalen Rüstungsgeschäft spielt, noch deutlicher zum Vorschein. Zwar stehen die USA weiterhin mit großem Abstand an der Spitze, jedoch ist bemerkenswert, dass unter den 20 wichtigsten Exportstaaten kein einziger Vertreter Afrikas und Südamerikas und auch nur ein einziges asiatisches Land (China) zu finden ist, hingegen jedoch 16 europäische Staaten.1

Trotz drastischen Produktionsrückganges nach vierzig Jahren Wettrüsten bildet der Rüstungsmarkt für viele europäische Staaten noch immer einen wichtigen Bestandteil des Wirtschaftskreislaufes, in einigen Ländern vor allem Osteuropas sogar eine wesentliche Quelle für die Einnahme dringend benötigter Devisen. Begehrlichkeiten einer deutlich geschrumpften Schar solventer Käufer nach effizienten Waffen und militärischen Ausrüstungen lassen die Produzenten angesichts der Bedarfsumorientierung traditioneller Abnehmer und einer immer erbitterter geführten Konkurrenz um verbliebene Märkte stärker als je zuvor Absatzoptionen durch Export sondieren. Auf Seiten der politisch Verantwortlichen stießen diese Bemühungen auf Verständnis und Unterstützung, da um den Erhalt von rüstungswirtschaftlichen und technologischen Kernfähigkeiten gefürchtet wurde, falls die Umsatzeinbußen auf dem Beschaffungsmarkt nicht anderweitig kompensiert werden konnten, d.h. die Rentabilität von bestimmten Entwicklungs- und Fertigungskreisläufen nicht länger zu garantieren war. Nun ist freilich klar, dass es sich bei Rüstungsprodukten nicht um beliebige Exportgüter handelt. Der Exporteur von Rüstungsprodukten lädt unvermeidlich Mitverantwortung auf sich, wenn seine Güter in unzuverlässige Hände geraten und für die Anwendung bewaffneter Gewalt außerhalb legitimer Verteidigungshandlungen in Auseinandersetzungen zwischen oder innerhalb von Staaten missbraucht werden. Vor allem die durch die Lieferung von Bauteilen und Technologien zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen anfangs der 90er-Jahre produzierten Schlagzeilen deuteten auf die Möglichkeit verhängnisvoller Konsequenzen für Frieden und Sicherheit infolge leichtfertiger oder sogar skrupelloser Geschäftsgebaren einiger Lieferanten hin.

Die plötzliche Aussicht auf den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln am Golf wirkte alarmierend. Einige Länder führten 1991 erstmals Gesetze zur Rüstungsexportkontrolle ein, in anderen wurden bestehende Regelungen neu gefasst oder verschärft, darunter in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden.2 Die Erkenntnis jedoch, dass striktere Kontrollen in nur wenigen Staaten die Gefahr kaum abmildern können, wenn andere dem Beispiel nicht folgen – und zusätzlich die Sorge, dass von Land zu Land ungleiche Regeln Produzenten in Staaten mit restriktiveren Verfahren benachteiligen – ließ vor allem die genannten Exportstaaten in Europa erstmals ernsthaft über die Vereinbarung von Regeln nachdenken, auf deren Basis die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Drittstaaten künftig nach einem übereinstimmenden Maßstab erfolgen könnte. Dies erklärt, warum am Beginn der 90er-Jahre nahezu zeitgleich und in verschiedenen Foren, darunter der UNO, der KSZE und auch der Europäischen Gemeinschaft parellele Anstrengungen zu verzeichnen waren, Verfahren zu bestimmen, durch die eine unkontrollierte Weitergabe von Waffen, sonstigen Rüstungsgütern und militärisch relevanten Technologien vermieden werden konnte. Zu den vergleichsweise rasch erzielten Übereinkünften zählen u.a. das Waffenregister am Sitz der Vereinten Nationen, das zum 1. Januar 1992 eingerichtet wurde, Erklärungen zur Einschränkung des Waffenhandels und der nuklearen Nichtweiterverbreitung im Rahmen der Gruppe der G7-Staaten, die stärkere Anwendung von Waffenembargos als Instrument der Transferbeschränkung, schließlich die Vorstellung politisch zu beachtender Kriterien bei der Durchführung von Rüstungsexporten durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der KSZE.

Knapp zehn Jahre später fällt die Bilanz der Bemühungen um eine Angleichung der Transferregeln und des Exportverhaltens uneinheitlich aus. Wer eine zügige Harmonisierung exportpolitischer Standards zumindest in Europa erwartet hatte, sah sich durch den Widerstand der Staaten, exklusive Kompetenzen zu Gunsten gemeinschaftlicher Verfahren aufzugeben, enttäuscht. Andererseits nährt der Kanon erklärter – und auch schriftlich niedergelegter politischer Absichten – die Hoffnung, dass in Teilbereichen der Exportpraxis und des Exportrechts Fortschritte durchaus erreicht werden können, selbst wenn sie zunächst nicht von allen Staaten umgesetzt werden. Speziell der 1998 formulierte Verhaltenskodex der Europäischen Union über die Durchführung von Rüstungsexporten, stimmt zudem einigermaßen zuversichtlich, dass gerade auch die an einer raschen Mitgliedschaft in der EU interessierten Staaten, ein restriktiveres Exportverhalten an den Tag legen könnten, um ihre Beitrittschancen nicht zu schmälern. Immerhin haben bereits einige mittel- und osteuropäische Staaten vorsorglich erklärt, dass sie die Exportregeln der EU-Staaten für sich als politisch bindend erachten. Trotz der insofern in mancher Hinsicht positiven Signale: Eine stabile Brücke zwischen streng anmutenden normativen Kriterien und der exportpolitischen Wirklichkeit besteht leider noch immer nicht.

Fragmente europäischer Exportkontrolle

Wer den öffentlichen Streit um neue Exportrichtlinien der Bundesregierung, die nach heftigen Querelen im Herbst vergangenen Jahres wegen der Lieferung des Leopard-Testpanzers an die Türkei am 19. Januar 2000 verabschiedet wurden3, verfolgte, mochte vielleicht auf den ersten Blick glauben, dass die Regierungskoalition durch den ausdrücklichen Hinweis auf die Einhaltung der Menschenrechte durch Empfängerländer von Rüstungsgütern einen neuen Meilenstein europäischer Rüstungsexportpolitik gesetzt hatte. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieser Schritt eigentlich als eine Selbstverständlichkeit, die freilich in der Europäischen Union so selbstverständlich aber noch nicht ist: Die Umsetzung einer in der Gemeinschaft durch alle Mitglieder vertretenen politischen Absicht in konkrete Vorgaben nationaler Politik. Bereits im Juni 1991 einigten sich die Mitglieder der EG anlässlich des Europäischen Rates in Luxemburg darauf, in nationaler Verantwortung Ausfuhren in Drittländer zu unterlassen, wenn dadurch droht, dass Konflikte angeheizt oder verlängert werden. Zu den hierfür benannten Kriterien gehörten u.a. die Achtung der Menschenrechte, die Berücksichtigung eventuell vorhandener Spannungen oder bewaffneter Auseinandersetzungen, der regionalen Lage und der Politik des Empfängerlandes hinsichtlich von Gefährdungen der internationalen Sicherheit durch Terrorismus und auch die Einhaltung von Vereinbarungen über den Endverbleib der gelieferten Güter und Technologien.4 Ein Jahr später wurde die Verträglichkeit der Lieferung mit den technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Empfängerlandes als weiteres Kriterium hinzugefügt.5

Fast zeitgleich mit der Europäischen Gemeinschaft trugen auch entsprechende Bemühungen im Kreis der KSZE-Staaten deklaratorische Früchte. Im November 1993 verabschiedete die KSZE Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen6, ein Jahr später wurden auf dem Budapester Gipfeltreffen der hier in OSZE umbenannten Organisation Prinzipien zur Regelung der Nichtweiterverbreitung angenommen.7 Die von der OSZE formulierten Prinzipien trugen unverkennbar die Handschrift der EG-Mitgliedstaaten und der Beschlüsse von Luxemburg und Lissabon. Dass ihre Verabschiedung nicht zu weiteren bindenden Schlussfolgerungen führte, konnte kaum überraschen. Das Interesse der Reformstaaten Mittel- und Osteuropas an der OSZE war Mitte der 90er-Jahre spürbar abgekühlt. Stattdessen dominierte eindeutige Präferenz zu Gunsten einer raschen Mitgliedschaft in NATO und Europäischer Union. Andererseits zeigten deren Mitglieder keine Neigung, der OSZE erweiterte Kompetenzen zu übereignen. Die Initiativrolle ging im Folgenden auf die Europäische Union über. Wenn also heute – und auch hier – von »europäischer Rüstungsexportpolitik« die Rede ist, geht es in erster Linie um Vorgaben aus den Reihen der EU-Staaten, ferner um Erfolge oder Misserfolge bei der Harmonisierung nationaler Exportpolitiken innerhalb der Union sowie um die Akzeptanz der EU-Normen durch andere europäische Staaten, insbesondere die EU-Beitrittskandidaten.

Insofern kommt auch dem Verhaltenskodex der EU hinsichtlich der Durchführung von Rüstungsexporten besonderes Gewicht zu. Er präzisiert unter ausdrücklicher Berufung auf die Ratsbeschlüsse von 1991 und 1992 acht konkrete Kriterien, nach denen sich die EU-Staaten verpflichten, vor der Genehmigung von Exporten zu prüfen, ob (1) durch den Empfänger bestehende völkerrechtliche und internationale Verpflichtungen geachtet werden, (2) die Einhaltung der Menschenrechte im Empfängerland gewahrt ist, (3) die innere Lage im Empfängerland hinsichtlich des Vorhandenseins von Spannungen oder bewaffneten Konflikten einer Lieferung nicht entgegen steht, (4) welche regionalen Aspekte von Frieden, Sicherheit und Stabilität von Belang sind, (5) ob nationale Sicherheitsinteressen der EU-Mitglieder und ihrer befreundeten und verbündeten Partner in Rechnung zu stellen sind, (6) wie das Verhalten des Empfängerstaates im Kontext der internationalen Gemeinschaft, insbesondere mit Blick auf Terrorismus, Allianzen und die Achtung internationalen Rechts, zu beurteilen ist, (7) ob die Gefahr einer Abgabe oder Weitergabe der gelieferten Güter besteht und (8) ob die wirtschaftliche und soziale Lage vor dem Hintergrund der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung durch eine Lieferung von Rüstungsgütern ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.

Parallelen zwischen dieser Normierung europäischer Rüstungsexportpolitik und zum Beispiel den neuen Exportrichtlinien der Bundesregierung sind offenkundig. Woran liegt es also, dass sich die Norm noch immer nicht eins zu eins in der exportpolitischen Wirklichkeit widerspiegelt? Das Hauptproblem liegt nicht in der Substanz der Kriterien, sondern in Schwierigkeiten ihrer präzisen und rechtsverbindlichen Übersetzung in den politischen Alltag der Mitgliedsländer und darin, dies in allen Staaten gleichzeitig zu tun. Die wichtigsten Ursachen hierfür resultieren aus drei fundamentalen Schwächen der europäischen Rüstungsexportpolitik:

Erstens formuliert der Kodex lediglich politisch – nicht aber rechtlich – verbindliche Kriterien. Zweitens widerspricht nach der bestehenden Rechtslage der Europäischen Union jeder Versuch einer kollektiven Kodifizierung des Rüstungsexportrechts der nach Artikel 296 EU-Vertrag (EUV) weiterhin garantierten Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Belange ihrer Rüstungsproduktion und des Rüstungsexports. Es ist demnach den Staaten überlassen, in welcher Form und mit welcher Reichweite sie die kollektive politische Norm rechtsverbindlich in nationale Politik übersetzen. Drittens existieren keine Mechanismen zur umfassenden Koordinierung nationaler Zuständigkeiten, schon gar keine Regelungen dahingehend, bestimmte Verstöße gegen den EU-Kodex durch einzelne Mitgliedstaaten zu verfolgen oder zu ahnden.

Artikel 296 EUV begleitet die europäische Rüstungsexportpolitik seit den Römischen Gründungsverträgen der Gemeinschaft. Der unveränderte ehemalige Artikel 223 EGV besagt: „Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht“ und „jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.“8

Während der erste Teil des Artikels jedem Mitglied das ungehinderte Recht zugesteht, im Einzelfall die Reichweite der Transparenz seiner eigenen Politik festzulegen, sofern »Sicherheitsinteressen« als gefährdet beurteilt werden, bestimmt der zweite Teil den Ausschluss der Rüstung aus dem gemeinschaftlichen Binnenmarkt. Im Extremfall könnte angenommen werden, dass solange diese Rechtslage Bestand hat eine wirklich »europäische Rüstungsexportpolitik« eine Schimäre bleiben muss. Jedoch ist zu beachten, dass trotz der Beweggründe einiger Staaten am genannten Vertragsartikel aus Prinzip festzuhalten, die realen Folgen aus der Bildung und Konsolidierung der Europäischen Union zu bestimmten Veränderungen zwingen, um die Beziehungen der Staaten zu einander nicht ungewollt auf die Zerreißprobe zu stellen.

Die EG-Dual-use-Verordnung

Der erste Einbruch in die Domäne exklusiver nationalstaatlicher Zuständigkeit betraf nicht unerwartet den Bereich jener Güter, die militärischen Zwecken zwar dienen können, in den allermeisten Fällen jedoch zivil genutzt werden. Mit dem 1993 geschaffenen Binnenmarkt wurde der freie Verkehr aller Güter – soweit sie nicht durch Artikel 296 (alt: 223) EUV berührt waren – im gemeinsamen Wirtschaftsraum erlaubt. Da von den sogenannten Dual-use-Gütern (DuG) nicht ohne weiteres angenommen werden kann, dass sie militärisch genutzt werden, fielen sie – eine zivile Verwendung vorausgesetzt – unter gemeinschaftliches Recht und damit in die Kompetenz der EU. Mit der anstehenden Bildung des Binnenmarktes lag der unausweichliche Zwang zu rechtlicher und politischer Klarheit auf der Hand. Nach mehrjährigen strittigen Verhandlungen wurde im Dezember 1994 eine entsprechende EU-Ratsverordnung (3381/94) über die Gemeinschaftsregelung der Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck angenommen und gleichzeitig parallel eine entsprechende Gemeinsame Aktion der Mitgliedstaaten (94/942/GASP) beschlossen. Die Zweigleisigkeit der Beschlusslage verdeutlichte jedoch die unverminderte Sensibilität in Bezug auf Artikel 296 EUV. Während es an der Kommission ist, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu kontrollieren, bleibt die Gemeinsame Aktion ausschließliche Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Den Umstand der DuG-Verordnung verdankt die Union weniger der Bereitschaft der Mitglieder, auf originäre hoheitliche Rechte zu Gunsten der Gemeinschaft zu verzichten, sondern schlicht und einfach den immensen Schwierigkeiten, welche die Anwendung einer Flut von Ausnahmeregelungen auf die gemeinschaftliche Produktion und den Warenverkehr letztendlich für die Integration und den Binnenmarkt zur Folge gehabt hätte. Für exportabhängige Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland wären darüber hinaus besonders unverhältnismäßige Wettbewerbsnachteile zu erwarten gewesen, denn immerhin liegt das jährliche Ausfuhrvolumen bei den DuG ungefähr um das 20-fache über dem Durchschnitt der Rüstungsexporte.

Wird die Bedeutung der DuG-Verordnung beurteilt so ist zu beachten, dass hier nicht die Idee der Restriktion von Transfers, wie man z.B. im Falle der Anwendung des EU-Kodexes erwarten könnte, im Vordergrund steht, sondern lediglich eine unkontrollierte Abgabe der Güter oberhalb bestimmter Wertgrenzen vermieden werden soll. Kontrolle – nicht Beschränkung – bestimmt also das Ziel der DuG, übrigens übereinstimmend mit der gemeinschaftsrechtlich fixierten Freizügigkeit des Warenverkehrs. Allerdings enthält die DuG-Verordnung eine nationale Öffnungsklausel, die den Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht zubilligt, die Ausfuhr nicht gelisteter DuG zu untersagen oder unter besonderen Genehmigungsvorbehalt zu stellen.

Export von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern

Da Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter formell vom Binnenmarkt ausgenommen sind, liegt auf den ersten Blick nahe, wechselseitige Lieferungen der EU-Mitglieder untereinander nicht anders zu handhaben als entsprechende Vorhaben mit dritten Staaten. Praktisch führt dieser Ansatz in eine Sackgasse. Zum einen wird ein Großteil der (formellen) nationalen Exportstatistiken durch zwischenstaatliche oder staatenübergreifende Kooperationen aufgefüllt. Zum anderen haben anfangs der 90er-Jahre verstärkt einsetzende Konzentrationen auf dem Rüstungsmarkt die Zahl transnationaler Konzerne deutlich erhöht. Angesichts dieser Entwicklungen tritt der Anachronismus zwischen staatenübergreifender Produktion und nationalstaatlicher Zuständigkeit in zunehmend ganz praktischen Fragen zutage, zum Beispiel dann, wenn unterschiedliche nationale Gesetzgebungen in Bezug auf den Export die Umgehung politischer Normen erlauben und darüber hinaus auch ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit für Produzenten, Lieferanten und Empfänger von Rüstungsgütern bewirken. Wer sich restriktiv an die politischen Normen hält, könnte dafür sogar noch bestraft werden, wenn zum Beispiel Fertigungskapazitäten innerhalb der EU je nach nationaler Rechtslage verschoben und Rüstungsgeschäfte an restriktiv handelnden Staaten vorbei dirigiert werden. Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass gerade bei Kooperationen differenzierte Kontrollstandards in den beteiligten Ländern für die Geschäftsabwicklung unvertretbare Schwierigkeiten oder Verzögerungen in einem Maß bereiten könnten, die laufende und sogar künftige Absprachen erheblich gefährdet würden.

Last not least müsste jeder restriktiv handelnde Staat befürchten, dass seine europäischen Partner – und Konkurrenten (!) – in die Bresche springen, sollte aus politischen Erwägungen heraus eine Exportgenehmigung untersagt werden. (Ein Teil der kritischen Debatte zu den Einwänden gegen den Panzerexport in die Türkei ging und geht bekanntlich um die Frage, ob nicht zum Beispiel Frankreich bedenkenlos von einer deutschen Absage profitieren würde.) Infolge der jahrzehntelang eifersüchtig gehüteten Kapazitäten der einzelnen Staaten ist eine Situation entstanden, in der zum einen die europäischen Partner statt endlich auf Synergien zu setzen um die gleichen Kunden buhlen, zum anderen – selbst auf dem weiterhin wichtigsten Absatzmarkt, den eigenen Beschaffungen – in vielen Bereichen die Konkurrenz aus den USA dominiert.9

Beschränkungen des Rüstungsexports sind – abgesehen von den deklaratorischen Absichten auf der Basis des EU-Kodexes – nur insoweit von Belang und wirksam, wie sie völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen und multilateralen Regimen entstammen. Die ersten Vereinbarungen in dieser Richtung bezogen sich auf Massenvernichtungsmittel und deren Trägersysteme (z.B. Nukleares Nichtweiterverbreitungsregime NPT, Raketentechnologie-Kontrollregime MTCR, später das Chemiewaffenübereinkommen CWÜ). Verpflichtungen aus der Regimeanerkennung werden aber nicht als Gemeinschaftsrecht berücksichtigt, sondern nur als kodifiziertes Recht der Staaten. Natürlich liegt auf der Hand, dass auf der Grundlage paralleler Rechtsvorschriften auch gemeinschaftliche Vereinbarungen zur Vermeidung oder Verfolgung von Rechtsbruch ausschließlich dritter Parteien getroffen werden können.

Im Bereich der konventionellen Waffen und Rüstungstechnologien ist das oft als Nachfolgeregime des früheren COCOM apostrophiere Wassenaar-Arrangement von 1996 von besonderer Bedeutung. Während das COCOM-Regime jedoch vor allem dafür Sorge tragen sollte, dass bestimmte Technologien nicht in den Ostblock gelangten, steht beim Wassenaar-Arrangement der gegenseitige Informationsaustausch über die Genehmigung und die Verweigerung von Exportlizenzen von Rüstungsgütern und DuG im Vordergrund. Das Regime ist wesentlich schwächer konfiguriert als seinerzeit das COCOM, es blendet zudem bisher u.a. jenen Teil der konventionellen Waffen aus, der mittlerweile angesichts der veränderten Natur der (drohenden) Gewaltkonflikte zu einem der gefährlichsten Proliferationsrisiken geworden ist: den Bereich der automatischen und halbautomatischen Kleinwaffen.

Zwar beschloss der Europäische Rat am 17. Dezember 1998 hierzu eine Gemeinsame Aktion über den Beitrag der EU zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen.10 Durch den Rat wurde auch die Veröffentlichung von jährlichen Berichten der EU-Staaten über die jeweilige nationale Ausfuhrpolitik und -praxis beschlossen. Allerdings zeigt der erste Bericht vom 28. September 1999, dass die Mitgliedsländer noch immer höchst unterschiedliche Auffassungen zur Notwendigkeit einer größeren Transparenz vertreten. Von einer Harmonisierung der Auffassungen der EU-Staaten zur Beschränkung von Rüstungsexporten kann also längst nicht die Rede sein.11

Vergemeinschaftung
der Rüstungsexportpolitik?

Der logische Schluss aus den geschilderten Problemen und Anachronismen bestünde wohl in einer Vergemeinschaftung des gesamten Rüstungsbereichs. Wird für den Moment unterstellt, dass auf dem EU-Gipfel in Helsinki die Weichen in Richtung einer Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) gestellt wurden, ist zu folgern, dass es sich hierbei nur noch um eine Frage der Zeit handelt. Fortbestehende Vorbehalte, das residuale Sanktuarium nationalstaatlicher Souveränität anzutasten, sind aber in keinem Staat völlig verschwunden. Realistischer erscheint angesichts dessen eine Tendenz, die Idee des Europas »unterschiedlicher Geschwindigkeiten« auf den sensiblen Rüstungsbereich zu übertragen, vor allem dort wo die strukturellen Realitäten der politischen Steuerung längst enteilt sind. So wird Ende des Jahres der Abschluss der Vereinbarung zur Harmonisierung der Richtlinien zur Zusammenarbeit und zum Export von Rüstungsgütern unter Beteiligung Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Schwedens und Spaniens) erwartet, die zwar vordergründig auf die Effektivierung des Umgangs mit Fusionen und Kooperationen in den Ländern zielt, zum anderen jedoch praktische Verfahren angleichen und standardisieren soll, wodurch unweigerlich ein Präjudiz auch für andere Staaten entsteht. Mit der vorgesehenen Einbindung der WEU in die EU und dem Aufbau einer Kampftruppe von 60.000 Mann erhalten überhaupt die Protagonisten rüstungswirtschaftlichen Gleichschritts zusätzlichen Rückenwind. Die vier größten Rüstungsproduzenten der EU (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien), die zusammen mehr als drei Viertel aller EU-Kapazitäten binden, haben bereits innerhalb der von ihnen im September 1998 gegründeten OCCAR (Organisme Conjoint de Coopération en Matière d'Armement) damit begonnen, sich institutionell auf Abstimmungsverfahren für gemeinsame Rüstungsvorhaben zu verständigen. Unklar ist, ob die Anliegen einer Beschränkung von Rüstungsexporten zugunsten einer Bündelung exportpolitischer Stärken auf dem Rüstungssektor auf der Strecke bleiben. Trifft letzteres zu, muss befürchtet werden, dass auch die gerade erst beschlossenen Exportrichtlinien der Bundesregierung auf Dauer keinen Bestand haben werden.

Anmerkungen

1) SIPRI-Yearbook 1999, S. 424.

2) Herbert Wulf, Rüstungsexport: Politische Motive und wirtschaftliche Interessen, in: Friedensgutachten 1992 (Hg. von Reinhard Mutz, Gert Krell und Heinz Wismann), Münster-Hamburg 1992, S. 299.

3) Der Wortlaut ist u.a. in der Frankfurter Rundschau vom 20. Januar 2000 dokumentiert.

4) Europe, No. 5524 (Special Edition), 30. Juni 1991.

5) EPC Press Release, 27. Juni 1992.

6) Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen, Vereinbarung der Teilnehmerstaaten des KSZE Forums für Sicherheitskooperation, Wien 25. November 1993, in: Ulrich Fastenrath (Hg.),: KSZE-Dokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Loseblattsammlung, Grundwerk von 1992 (Neuwied u.a.), F.11, S. 1-4.

7) Budapester Dokument 1994 – Der Weg zu echter Partnerschaft in einem neuen Zeitalter, Budapest, 6. Dezember 1994, Titel VI, in: Ulrich Fastenrath (Hg.),: KSZE-Dokumente der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, (Anm. 20), B.5, S. 28 – 32.

8) Bekanntmachung vom 27.12.1957, BGBl 1958 II, S. 1 in: Bekanntmachung vom 6.4.1999, BGBl. 1999 II, S. 296.

9) Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, Sicherheit und Verteidigungspolitik (EP), Arbeitsdokument über die Herausforderungen für die europäische Rüstungsindustrie (KOM(96)0010), Berichterstatter: Gary Titley, Doc-DEDT296845, S. 2.

10) Joint Action of 17 December 1998 adopted by the Council on the basis of Article J.3 of the Treaty on the European Union on the European Union's contribution to combating the destabilising accumulation and spread of small arms and light weapons. 1999/34/CFSP.

11) Rat der Europäischen Union, DG E VIII, Erster Jahresbericht gemäß Nr. 8 der operativen Bestimmungen des Verhaltenskodexes der Europäischen Union für Waffenausfuhren, 11384/99 (PESC 314/COARM 8), Brüssel 28. September 1999, S. 1-8.

PD Dr. Hans J. Giessmann ist stellv. Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Er lehrt Internationale Politik an der Universität Hamburg sowie an der Offizierschule Heer der Bundeswehr in Dresden.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/3 Europa kommt, Seite