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W&F 1997/2

»Europäische Sicherheitsidentität« – ein unbezahlbarer Traum?

Die deutsch-französische Militärkooperation

von Stefan Gose

Es dauerte etwa 15 Jahre, bis sich Frankreich dem dreimaligen Kriegsgegner Deutschland wieder auf sicherheitspolitischem Gebiet näherte. Noch 1954 scheiterte eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft/EVG mit deutscher Beteiligung an der französischen Nationalversammlung. Die Bundesrepublik wurde 1955 zwar Mitglied der Militärbündnisse NATO und Westeuropäischer Union/WEU, denen auch Frankreich angehört. Doch während die WEU im Schatten der NATO bald bedeutungslos wurde, distanzierte sich Frankreich zunehmend von der NATO. Die US-Dominanz im Kalten Kriegs-Bündnis widersprach dem gaullistischen Selbstverständnis von Frankreich als einer europäischen Hegemonialmacht in einer multipolaren Welt. Die französischen »Fouchet-Pläne« einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ohne die USA scheiterten 1962 an den »Atlantikern« in der EWG. Auch der Abschnitt »II.B Verteidigung« des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages vom 22.1.1963 blieb ohne substantielle Folgen.

Mit dem Austritt aus der militärischen NATO-Integration 1966 und dem ersten französischen Atomtest am 2.6.1966 in der algerischen Sahara unterstrich Charles de Gaulle den Anspruch, Frankreich als eigenständige Weltmacht mit einer weitgehend unabhängigen Rüstungsindustrie auszubauen. Die westdeutsche Sicherheitspolitik orientierte sich zur Wiedererlangung der Souveränität durch Westintegration dagegen weitgehend an der US-dominierten NATO. Deutsch-französische Rüstungskooperationen (Transall, Alpha Jet) dienten der französischen Seite zu Kostensenkung und Einflußerweiterung, während die deutsche Rüstungsindustrie peu à peu Systemkompetenz und Unabhängigkeit gewann.

Von der Isolation zur Kooperation

Doch auch immense französische Rüstungsexporte konnten die Kosten für eine autarke Verteidigungsindustrie langfristig kaum senken. Die hohen Verteidigungslasten der Mittelmacht Frankreich konnten weder verhindern, daß die USA ihre militärpolitische Dominanz ausbauten noch daß die Bundesrepublik zur bestimmenden Wirtschaftsmacht Europas avancierte. Statt eine Hegemonialstellung in Europa zu erlangen, isolierte sich Frankreich von einer erstarkenden NATO und damit von der europäischen Sicherheitspolitik. Dies wurde insbesondere während der innen- und außenpolitisch brisanten Phase des NATO-Doppelbeschlusses (1979-83) deutlich, zumal die nuklearen Offensivstrategien der Ära Reagan (Deep Strike, FOFA, ALB) auch Frankreich getroffen hätten.

Im Januar 1984 initiierte daher die französische Regierung eine Wiederbelebung der WEU. In Kanzler Kohl fand Präsident Mitterand einen Verbündeten, der zwar weiterhin die transatlantische Sicherheitsachse beschwor, zugleich aber die Zeit für eine Neugewichtung der Bundesrepublik in Europa gekommen sah. Der Bundesrepublik galt Mitterand als willkommener Partner, weil erstens vom US-getreuen Großbritannien keine Unterstützung für eine französische Hegemonialstellung in Europa zu erwarten war. Zweitens, weil die ökonomische Dominanz der BRD in Westeuropa Frankreich zur Kooperation mit einem Land zwang, das vom Zweiten Weltkrieg diskreditiert, sich keine souveräne Außen- und Sicherheitspolitik leisten konnte. Die »Deutsch-französische Freundschaft« wurde so für die Bundesrepublik zum »Gütesiegel« für internationale Reputation, wofür sich die französische Regierung entsprechendes ökonomisches Entgegenkommen versprach. Die Rolle der Atommacht Frankreich in einem Militärbündnis ohne die USA sah Mitterand als zwangsläufig herausragend. Aber wegen verschiedenseitiger Rücksichtnahmen auf den NATO-Partner USA und mangels NATO-unabhängiger Ressourcen kam die WEU zunächst kaum über das Stadium einer Koordinationsstelle für gemeinsame Rüstungsvorhaben hinaus. Doch die zunehmenden bi- und multilateralen Rüstungskooperationen (Eurocopter, Euromissile, Eurodrohne, Euroflag, Eurotorp) entlasteten weder den französischen Verteidigungshaushalt, noch erhöhten sie die sicherheitspolitische Bedeutung Frankreichs oder Europas.

Zum Verdruß der USA vereinbarten Kohl und Mitterand 1987/88 daher den Aufbau einer deutsch-französischen Brigade, die 1991 in Mulhouse und Baden-Baden als einsatzbereit gemeldet wurde. Diese zum Symbol für Völkerverständigung verharmlosten 5.000 Soldaten waren der Grundstock zum Eurocorps, das Kohl und Mitterand am 22. Mai 1992 in La Rochelle beschlossen. Am 1.10.93 übernahm der heutige Heeresinspekteur Helmut Willmann in Straßburg den Befehl über die 5 Eurocorpsverbände, die bis 1998 zu 60.000 Soldaten aufwachsen sollen.

Das Eurocorps sollte zunächst als leichte, später auch als schwere Eingreiftruppe für NATO, WEU und andere Organisationen zur Verfügung stehen.

Sinnstiftung: Auslandseinsatz

Nach dem Mauerfall sahen Kohl und Mitterand im Abzug amerikanischer und sowjetischer Truppen aus Europa die Chance, die WEU zum militärischen Standbein einer »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik/GASP« der EU auszubauen und verankerten dies in Art.J4 Abs.2 des Maastricht-Vertrages vom 7.2.1992. Am 19. Juni 1992 machte sich die WEU in ihrer Petersberger Erklärung die gleichen weltweiten Kriseninterventionen zur Aufgabe, wie sie sich die NATO im Oktober 1991 vorgenommen hatte. Der Haken: Weder die Euroverbände noch die WEU verfügen über die nötigen Aufklärungs- und Kommandostrukturen sowie Transportmittel, um eigenständige Auslands-einsätze durchführen zu können. Nachdem sich abzeichnete, daß eine europäische Realisierung entsprechender Transport- (FLA) und Kommandosysteme (Helios II) mittelfristig nicht finanzierbar ist, akzeptierte Mitterand 1994, das Eurocorps künftig unter »operational command« der NATO einzusetzen.

Streitkräftereform

Mit dem »Stoltenberg-Papier« vom Januar 1992 wurde der Umbau der Bundeswehr in Hauptverteidigungskräfte zur Landesverteidigung und Krisenreaktionskräfte für den Auslandseinsatz (Personalstärke 53.000) eingeleitet. Mitterand mußte spätestens im 2. Golfkrieg 1991 erkennen, daß die militärischen Kapazitäten Frankreichs allenfalls zu Kurzinterventionen in Drittweltstaaten ausreichten: Während die britische Berufsarmee von 150.000 Soldaten 35.000 an den Persischen Golf verlegen konnte, waren vom 280.000 Mann starken französischen Wehrpflichtigenheer dazu nur 9.000 Soldaten geeignet. Die französischen Waffen erwiesen sich gegenüber denen der Alliierten als veraltet und unterlegen. Häufig konnten französische Waffen nicht eingesetzt werden, weil die Exportnation Frankreich dem Irak die gleichen Waffen verkauft hatte, so daß die eigene Abwehr Freund und Feind nicht hätte unterscheiden können.

Dreigleisig versuchte Mitterand, die Lücke zwischen geopolitischem Anspruch und militär-technischen Möglichkeiten zu verringern: Erstens suchte Frankreich wieder die Nähe zur NATO, zweitens forcierte Mitterand die nukleare Modernisierung der »Force de Dissuasion« und drittens intensivierte er Rüstungskooperationen. Sein im Mai 1995 gewählter Nachfolger Jaques Chirac ging noch weiter: Im Juni 1995 ließ er seinen Verteidigungsminister Charles Millon eine Strategiekommission einsetzen, deren Vorschläge für eine umfassende Armeereform am 22./23. Februar 1996 veröffentlicht wurden und nun mit dem Militärprogrammgesetz 1997-2002 umgesetzt werden. Die drei Schwerpunkte sind: 1. Abschaffung der Wehrpflicht bis 2001, 2. Verkleinerung der Armee von 500.000 auf 350.000 Soldaten und 3. Straffung der Rüstungsindustrie.

Deutsch-Französisches »Sicherheitskonzept«

Auf der Hardthöhe und bei der deutschen Rüstungsindustrie sorgte die unangekündigte französische Armeereform für Unruhe. Frankreich könne seine Wehrpflicht nur abschaffen, weil die Bundesrepublik das Schutzschild dafür biete, analysierte Ex-Generalinspekteur Naumann.

Doch nicht für alle kam die Reform überraschend: Bereits am 7.12.95 hatten Kohl und Chirac in Baden-Baden eine Generalinventur der Militärkooperationen beschlossen. Damit beauftragt wurden die Rüstungsdirektoren des 1988 mit der deutsch-französischen Brigade gegründeten Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates. Gezielt ließen die hohen Beamten im Verlauf ihrer einjährigen Arbeit einige Streitpunkte durchsickern, die sich aus der Ressourcenverknappung beiderseits des Rheins ergaben: Die französische Seite stellte den Nutzen für den Verbleib französischer Truppen in Deutschland und im Eurocorps in Frage. Deutscher Skepsis über die Finanzierbarkeit des gemeinsamen Spionagesatellitenprogramms Helios II begegnete Frankreich mit der Ausstiegsdrohung aus den Hubschrauberprojekten NH-90 und Tiger. Die Bilanz, das »Gemeinsame Deutsch-Französische Sicherheits- und Verteidigungskonzept« wurde am 9.12.96 in Nürnberg präsentiert. Das Papier ist ein ambitionsloses Patt, nach dem alle bisherigen Kooperationen weiterverfolgt werden sollen, obwohl die Unbezahlbarkeit der Rüstungskooperationen absehbar ist.

Frankreichs NATO-Annäherung

Dennoch gab es Aufregung, als Verteidigungsminister Volker Rühe in einem Tagesthemen-Interview das »Konzept« als »NATOisierung Frankreichs« interpretierte. Außenminister Herve de Charette beeilte sich am 29.1.97 vor der Nationalversammlung zu erklären, das »historische« Positionspapier bedeute nichts Neues für die französische Sicherheitspolitik. Hintergrund ist seit 1995 die parteienübergreifende Skepsis gegenüber der französischen Annäherung an die NATO, was vielfach als eine Abkehr vom Gaullismus interpretiert wurde:

  • Mitterand war 1995 mit seiner Zustimmung zur Einbindung der ehemaligen WVO-Staaten in den Nordatlantischen Kooperationsrat/NACC, in den KSE-Vertrag und beim Partnership for Peace/PfP-Programm von der Linie bilateraler Verträge abgewichen, bei der Überwachung des Adria-Embargos akzeptierte der französische Präsident das NATO(US-)-Kommando ebenso wie beim IFOR-Einsatz in Bosnien.
  • Chirac setzte diese US-freundliche Linie fort, indem er das NATO-operational command für das Eurocorps akzeptierte, seinen Verteidigungsminister wieder regelmäßig in den NATO-Rat schickte und französische Vertreter wieder am NATO-Militärausschuß und nachgeordneten Gremien teilnehmen ließ.
  • Auf der NATO-Ratstagung am 3.6.96 in Berlin stimmte Chirac sowohl der neuen Nuklearstrategie der NATO MC 400/1 zu als auch dem CJTF-Mischtruppenkonzept, wonach – wie bei SFOR in Bosnien – französische Truppen unter fremden Befehl eingesetzt werden können. Ein schwacher Widerstand ist demgegenüber die Forderung nach einem europäischen Vize-SACEUR oder der Anspruch auf das NATO-Südkommando in Neapel.

Deutschlands Nukleare Teilhabe?

Ein zweiter Konflikt über das deutsch-französiche Kooperationspapier entfachte sich an dem Satz „Unsere beiden Länder sind bereit, einen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung im Kontext der Europäischen Verteidigungspolitik aufzunehmen“. Nichts anderes hatte Präsident Mitterand bereits 1992 aus finanziellen und europapolitischen Erwägungen ohne Resonanz aus Deutschland vorgeschlagen. Denn eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit nationalen Atomwaffen in Frankreich und Großbritannien ist kaum vorstellbar. Kanzler Kohl kommentierte mögliche deutsche Mitentscheidungswünsche über die französische Bombe am 10.2.97 in der FAZ als „völlig falsch“. Auf eine Kleine Anfrage im Bundestag nach der Unvereinbarkeit einer gemeinsamen nuklearen Verfügungsgewalt mit dem Atomwaffensperrvertrag antwortete die Bundesregierung am 14.3.97 jedoch zum wiederholten Male ausweichend: „Die Feststellung der Bundesregierung, wonach die Entwicklung einer Europäischen Verteidigung im Rahmen der EU derzeit nicht aktuell, sondern eine hypothetische Frage ist, ist weiterhin gültig. Die Frage eventueller Schlußfolgerungen aus den Artikeln I und II NVV [Verbot der Weitergabe von Atomwaffen, d.A.] stellt sich daher nicht.“

Trotz dieses bemerkenswerten nuklearen Hintertürchens der Bundesregierung und erheblichen Finanzierungsproblemen auf der französischen Seite ist eine gemeinsame militärische Nuklearpolitik nicht nur aus rechtlichen Gründen unwahrscheinlich. Ein deutsches Interesse an der Mitverfügung über Atomwaffen konnte zwar noch nie gänzlich ausgeschlossen werden, es wäre jedoch auf absehbare Zeit unbezahlbar. Deshalb hat der angebotene Atomdialog eher Symbolcharakter: Frankreich wirbt durch vermeintliche Offenheit bei der atomkritischen deutschen Öffentlichkeit für eine Legitimation einer anachronistischen Waffengattung.

Seine tatsächliche Atompolitik betreibt Frankreich unabhängig von einem Atomdialog: 1996 wurden die letzten landgestützten Atomraketen S-3 und Hadès verschrottet. Mit jährlich ca. 10 Mrd. DM stehen bis 2002 etwa ein Sechstel des 185 Mrd. FF-Verteidigungshaushaltes für die »Force de Dissuasion« zur Verfügung. Im Jahre 2002 sollen die Atomstreitkräfte noch über 4 nukleargetriebene U-Boote mit M45 und M4/TN71 Atomraketen verfügen. Daneben sollen 3 Schwadronen Mirage 2000N und 2 Super-Entendard-Luftflotten mit nuklearen ASMP-Abstandsraketen ausgerüstet werden. Die beschlossene Aufgabe der südpazifischen Atomtestgelände Muroroa und Fangataufa sowie der Urananreicherungsanlagen von Marcoule und Pierrelatte kann Frankreich durch vorhandenes Spaltmaterial kompensieren. Durch ein Abkommen über know how-Transfer bei Nuklearsimulationen mit den USA von 1995 und den bei Bordeaux im Aufbau befindlichen Laser Megajoule könnte Frankreich künftige Atomwaffen bei entsprechender Finanzlage »am Computer« entwickeln. In militärischen Nuklearfragen bleiben eher die USA oder Großbritannien, mit denen Frankreich seit 1992 nukleare Koordinationsgespräche führt, erste Adresse. Doch selbst der Bau einer französisch-britischen nuklearen Abstandsrakete scheiterte.

Reform der Rüstungsindustrien

Die eigentliche Zielrichtung des deutsch-französischen Sicherheitspapiers erschließt sich beim Blick auf die aktuellen Arbeitsgruppen des Deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates, der den Text verfaßt hat:

  • Strategie und Abrüstung,
  • Militärische Zusammenarbeit,
  • Rüstungskooperation,
  • Raumgestützte Aufklärung,
  • Rüstungspolitik,
  • Finanzielle Perspektiven und
  • Status französicher Truppen in Deutschland und Eurocorps.

Es geht weniger um eine politisch geplante europäische Sicherheitsarchitektur, als um Schadensbegrenzung an Truppen und Material durch Reduzierungen und Rüstungskooperation in Zeiten leerer Kassen.

Die Mehrzahl der französischen Rüstungsunternehmen existieren als Staatsbetriebe von »nationalem Interesse« nur noch durch milliardenschwere Subventionen. Auch die privaten Wehrtechnikbetriebe werden von der Rüstungsbehörde Délégation Générale pour l'Armement/DGA maßgeblich gesteuert. Wie Behörden arbeiteten diese Unternehmen in der Vergangenheit kaum nach betriebswirtschaftlichen Kriterien, verzichteten auf Rationalisierungen und Innovationen, weil der Absatz gesichert schien.

Für etwa 10 Milliarden DM soll die französische Rüstungsindustrie nun von derzeit ca. 300.000 Beschäftigten um knapp ein Drittel reduziert werden. Die etwa 6.000 wehrtechnischen Betriebe, deren Zentren in der Bretagne, der Normandie, um Bordeaux und um Marseille liegen, sollen durch Fusionen und Stillegungen gestrafft werden. Bis 2001 sollen ca. 30 Mrd. DM bei den Verteidigungsausgaben eingespart werden. Neben der Straffung des Heereswaffenlieferanten Groupement Industrièl des Armements Terrèstres/GIAT steht die Privatisierung des milliardenschwer verschuldeten Elektronik- und Raketenkonzerns Thomson CSF, der bankrotten Werft Dirèction des Constructions Navales/DCN (24.000 Beschäftigte) sowie die Zwangsfusion des defizitären staatlichen Flugzeugbauers Aérospatiale mit der gewinnbringenden privaten Dassault im Vordergrund. Die Sanierungsaussichten sind mäßig, da auch im internationalen Umfeld Überkapazitäten bei sinkendem Absatz bestehen und vornehmlich know how gefragt ist. Die Daimler Benz Aerospace/DASA führt gerade Gespräche mit Matra, Thomson CSF und Aérospatiale, um möglicherweise ganze Produktionszweige (Raketen, Satelliten, Flugzeuge) zu bündeln.

Rüstungskooperationen wanken

Die wichtigsten deutsch-französischen Rüstungsprogramme, die die Armeen beiderseits des Rheins zur Auslandstauglichkeit befähigen sollten, stehen zur Disposition:

Aus Kostengründen stieg Frankreich bereits 1995 aus dem europäischen Großraumtransportflugzeug Future Large Aircraft/FLA aus. Bei einem französischen Entwicklungsanteil von 1,8 Mrd. $ sollten die Maschinen für Frankreich insgesamt ca. 12. Mrd. DM kosten. Auch für den teureren deutschen Anteil ist die Finanzierung unklar. Mittlerweile ist eine militärische Variante des künftigen Airbus A-3XX im Gespräch. Der Konflikt über eine französische Reduzierung oder gar den Ausstieg aus den beiden Hubschrauberprogrammen PAH-2/Tiger/Uhu und NH-90 ist noch nicht vom Tisch. Statt der zunächst geplanten 212 Panzerabwehrhubschrauber/PAH-2 für die Bundeswehr (ca. 16 Mrd. DM) und 215 Tiger für die Armée de Terre reduzierte die Hardthöhe 1996 ihren Einkaufszettel auf 138 PAH-2. Charles Millon stellte daraufhin das französische Interesse an beiden Hubschraubern in Frage, zumal die Bundeswehr auch nicht mehr wie geplant 243 NH-90 zum Stückpreis von ca. 50 Mio. DM bezahlen kann.

Wichtiger als die Hubschrauber ist dem französischen Verteidigungsministerium die 1995 beschlossene deutsche Beteiligung am Spionagesatellitenprogramm Helios II als Aufklärungs- und Kommunikationskern für künftige europäische Auslandseinsätze. Verteidigungsminister Rühe stellte 1996 die deutsche Beteiligung am 12. Mrd. DM Programm Helios II für den Fall in Frage, daß sich Frankreich aus den Eurocopter-Programmen verabschieden sollte. Abschließende Entscheidungen sind noch nicht getroffen, so daß beide Länder weiterhin Millionen in Programme investieren, deren grundsätzliche Unbezahlbarbeit bereits heute feststeht.

An »Vorbildern« gescheiterter deutsch-französischer Rüstungskooperationen mangelt es nicht: Neben einer gemeinsamen Fregatte scheiterte insbesondere die Kooperation beim Eurofighter 2000 an nationalen Eigeninteressen. Im Ergebnis fehlt der deutschen Seite bei der Fregatte F-125 nun ein finanzstarker Partner, während sich Frankreich den Kauf des selbst entwickelten Kampfflugzeuges Rafale kaum leisten kann.

Zwar wurde nach endloser Planung am 12. November 1996 eine gemeinsame Rüstungsagentur von Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien in Bonn gegründet. Doch ihre Hauptaufgabe dürfte künftig in der besseren Koordination von Lücken bestehen.

Europäisierung der NATO?

Das Projekt einer »europäischen Verteidigungsidentität« ist vorerst gescheitert. Neben zahlreichen Interessenkonflikten auch anderer WEU-Mitglieder fehlen den Hauptakteuren in Paris und Bonn die Ressourcen zum Ausbau einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik. Die Folge ist eine zwangsläufige Rückbesinnung auf die US-dominierte NATO.

Die Reorientierung auf die NATO darf aber nicht als Unterwerfung unter traditionelle transatlantische Sicherheitsstrukturen mißverstanden werden. Denn die gewandelte NATO versteht sich zunehmend als »Leasing-Agentur« für verschiedenste Konflikte weltweit. In Albanien demonstriert gerade Italien, wie NATO-Infrastruktur zur eigenen Interessenpolitik ohne personelle Beteiligung der USA genutzt werden kann. Auch die französische und die Bundesregierung werden in der NATO für ein europäisches Profil ihrer künftigen Militäreinsätze streiten. Daß beide Regierungen daneben weiterhin im geringen Rahmen ihrer Einigungsmöglichkeiten gemeinsame Rüstungsprogramme und WEU-Kooperationen betreiben werden, dient mehr der nationalen Industrie- und Prestigepolitik, als einer ernst zu nehmenden »Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik«.

Stefan Gose, Dipl.Pol., ist Redakteur der Monatszeitschrift antimilitarismus information/ami.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/2 Quo vadis Europa, Seite