Fabricated News
Der Einfluss von Fake News auf die politische Einstellung
von Svenja Boberg, Tim Schatto-Eckrodt und Lena Frischlich
Der Begriff »Fake News«, zu Deutsch »falsche Nachrichten«, wird derzeit von Akteur*innen auf allen Seiten des politischen Spektrums genutzt. Die einen werfen damit den etablierten Medien vor, nicht objektiv zu berichten, die anderen beschreiben damit den Einzug von politischer Propaganda in den medialen Alltag. Zu politischen Zwecken lancierte Nachrichten verbreiten sich rasch im Netz. Dabei können Fake News die politische Einstellung von Nutzer*innen wahrscheinlich nur begrenzt beeinflussen, sollten aber dennoch nicht unterschätzt werden, da sie potentiell Themen in der Berichterstattung setzen.
Der demokratische Prozess erfordert eine gut informierte Öffentlichkeit, mit einem freien und ungehinderten Zugang zu gesellschaftlich relevantem Wissen. Mit dem Siegeszug des (mobilen) Internets sind Informationen und Wissen zugänglicher denn je geworden. Über das Smartphone besteht quasi permanenter Zugang zu Informationen, und es ist leichter denn je geworden, sich über gesellschaftlich relevante Themen zu informieren. Wie jede andere Technologie kann aber auch das Internet missbraucht werden. Eine vieldiskutierte Form des Missbrauchs ist die bewusste Verbreitung von gezielter Desinformation, um politische Einstellungen und Entscheidungsprozesse zu manipulieren. Solche Desinformationen sind kein neues Phänomen, ihre Verbreitung ist im Internet aber besonders einfach. Im Gegensatz zur Medienwelt vor dem Internet braucht es heute keine Druckerpresse mehr, keinen Verlag und kein Studio, um Hunderttausende zu erreichen. Die sozialen Medien geben praktisch jeder Akteurin und jedem Akteur ein Sprachrohr und die Möglichkeit, ein globales Massenpublikum zu adressieren. Damit geht auch eine massive Verbreitung von Fehlinformationen im Netz einher (Kucharski 2016).
Wardle und Derakhashan (2017) sprechen in diesem Zusammenhang von einer Informationsstörung. Sie weisen darauf hin, dass Desinformationen in unterschiedlicher Form auftreten können, etwa als Gerüchte, gefälschte Zitate oder als »Fake News«. Fake News imitieren das Erscheinungsbild professioneller Medienangebote, verbreiten aber verzerrte oder gefälschte Inhalte. Beispielsweise werden professionelle Nachrichten mit falschen Schlagzeilen oder Bildern kombiniert oder ganze Websites als journalistische Angebote getarnt.
Dabei lässt sich oft nicht eindeutig zwischen »richtigen« und »falschen« Nachrichten unterscheiden. Fake News sind vielmehr in einem Kontinuum zwischen vollständig fingierten Falschmeldungen zu Desinformationszwecken auf der einen Seite und einer leicht verzerrten Darstellung auf der anderen Seite zu verorten. Bei Letzterem werden zum Beispiel gewisse Aspekte einseitig hervorgehoben und andere verschwiegen. Manche Fake News dienen vor allem kommerziellen Zwecken, andere wollen als politische Satire unterhalten, wieder andere sollen politische Einstellungen beeinflussen. Dabei sind politisch stark gefärbte Nachrichten nicht unbedingt Fake News. Für Mediennutzer*innen kann es dadurch schwer sein, den Wahrheitsgehalt von Nachrichten einzuordnen, zumal reißerische und irreführende Schlagzeilen (so genanntes Clickbaiting, das besondere Aufmerksamkeit erzeugen soll) auch von professionellen Massenmedien genutzt werden können (ebd.).
Spätestens seit den US-Präsidentschaftswahlen 2016 stehen politische Fake News im Rahmen von Desinformationskampagnen unter dem Verdacht, den öffentlichen Diskurs zu verzerren und zum Wahlerfolg populistischer Politiker*innen beizutragen. Der Begriff Fake News wird auch verwendet, um traditionelle journalistische Medien abzuwerten, vergleichbar dem Begriff »Lügenpresse«. Wardle und Derakhashan (2017) schlagen daher vor, lieber von »Fabricated News«, also fingierten Nachrichten, zu sprechen, wenn es um politische Desinformation geht, die sich als journalistische Erzeugnisse tarnen.
Vorkommen und Verbreitung von Fabricated News
Den Propaganda-Forscher*innen Jowett und O`Donnell (2012) zufolge lassen sich zwei Strategien bei der Verbreitung von politischer Desinformation unterscheiden: Entweder platziert der oder die Propagandist*in die Nachricht in einem vertrauenswürdigen Umfeld, um sich später darauf zu berufen, oder es wird eine vertrauenswürdige Quelle simuliert, über die die Nachricht verbreitet wird. Beide Mechanismen werden für die Verbreitung von Fabricated News genutzt.
Fabricated News werden derzeit vornehmlich in sozialen Netzwerken gestreut. Studien zeigen, dass einzelne lancierte Nachrichten im Rahmen der US-Wahl 2016 mehr Online-Engagement auslösten als echte Nachrichten – zum Beispiel die Meldung, dass der Papst den US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump in seiner Kandidatur unterstützt habe (Silverman 2016). Besonders bedenklich: Dieses Engagement war besonders hoch in den US-Staaten, die für den Erfolg von Trump entscheidend waren. Eine Simulationsstudie der Forscher der Indiana University zeigt Medienberichten zufolge, dass Fabricated News in sozialen Netzwerken auch dann besonders oft geteilt werden, wenn Mediennutzer*innen eigentlich seriöse Nachrichten bevorzugen – sie erzeugen schlicht mehr Aufmerksamkeit (Chivers 2017).
Für die Verbreitung von Fabricated News können Propagandist*innen auf die Strategie des »Astroturfing«, einer von Dritten ausgelösten Graswurzelbewegung, zurückgreifen, bei der Social-Media-Nutzer*innen vorgespielt wird, dass sich eine Information scheinbar aus der Bevölkerung heraus verbreitet hat. Inhalte, die von vielen Personen geteilt oder geliked werden, werden als glaubwürdiger bewertet, auch wenn sie falsch sind (Aigner et al. 2017). Und nicht nur menschliche Nutzer*innen sind an der Verbreitung der gefälschten Nachrichten beteiligt. Social Bots, automatisierte Programme, die menschliches Verhalten simulieren, sind mit dafür verantwortlich, dass Fabricated News online verteilt werden. Social Bots können unterschiedlich gut menschliches Verhalten imitieren und reichen von simplen Followern zu ganzen Netzwerken, die Kontakte knüpfen, gezielt Inhalte retweeten und natürliche Sprache verarbeiten können. Die Berichte häufen sich, dass Social Bots bei politischen Entscheidungen digital mitdiskutieren und zur Verbreitung von Fabricated News beitragen. Zum Beispiel verbreiten Social Bots aus dem Umfeld der rechten Verschwörungsseite »Infowars«, dass die Giftgasanschläge in Syrien von einer Hilfsorganisation verübt bzw. fingiert worden seien, um den Machthaber Assad zu diskreditieren (Nimmo und Barojan 2017).
Spätestens seit Berichten, Hillary Clinton betreibe einen Kinderpornoring aus einer Pizzeria heraus, die zu einem bewaffneten Angriff eines motivierten »Retters« führten, der unter dem Stichwort #Pizzagate bekannt geworden ist, wird der Begriff Fake News in der breiten Öffentlichkeit als Gefahr diskutiert. 61 % der Deutschen haben das subjektive Gefühl, dass im Wahlkampf viele Fake News verbreitet wurden (Sängerlaub 2017). Auf ähnliche Ergebnisse kommen auch Befragungen des Bitcom Verbandes und der Landesanstalt für Medien.
Subjektive Wahrnehmung und objektive Konfrontation sind aber nicht unbedingt deckungsgleich. In einer Studie zur Wahrnehmung von Falschinformationen im US-Wahlkampf fanden Allcott und Gentzkow (2017), dass Personen sich auch an Fake News »erinnerten«, die sie zuvor nicht gesehen haben konnten. Laut dieser Studie sahen die Amerikaner*innen während des gesamten Wahlkampfs im Durchschnitt lediglich 0,92 Fake-News-Stories pro Trump und 0,23 pro Clinton. Die Autoren schlussfolgerten, dass fingierte Nachrichten um vieles wirksamer sein müssten als alle anderen politischen Kampagnen, wenn sie tatsächlich zum Wahlerfolg von Trump hätten beitragen sollen.
Wirkung von Fake News
Die Anzahl an Studien, die sich mit der Wirkung von fingierten Nachrichten beschäftigen, wächst aktuell exponentiell. Die ersten Daten zeigen, dass Fabricated News durchaus auf Mediennutzer*innen, soziale Gruppen und gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse Einfluss nehmen könnten, die Effekte allerdings nicht sehr groß sind und von Kontextfaktoren beeinflusst werden.
Bezüglich einzelner Mediennutzer*innen fand Balmas (2014), dass sogar satirische Fake-Nachrichten, die klar als solche erkennbar sind, politische Einstellungen beeinflussen können. Personen, die sehr oft satirische Nachrichten schauen und diese als realitätsnah erlebten, hatten das Gefühl, politisch weniger bewegen zu können als Personen, die diese Nachrichten nicht konsumierten oder sie als realitätsfern bewerteten. Das betrifft auch andere Falschinformationen. In einem Experiment konnten Fazio und Marsh (2008) zeigen, dass es Menschen richtiggehend schwerfällt, Fehlinformationen NICHT zu lernen. Selbst wenn sie wissen, dass sie gleich Fehlinformationen erhalten, behalten sie die Inhalte trotzdem im Gedächtnis. Damit ist zu befürchten, dass Fabricated News durchaus die Einstellungen einzelner Mediennutzer*innen manipulieren könnten. Inwiefern dadurch auch politische Entscheidungsprozesse beeinflusst werden, ist allerdings noch nicht belegt. Generell ist aber davon auszugehen, dass Falschinformationen eher geglaubt werden, wenn sie zum eigenen Weltbild passen (Weeks, 2015).
Auf der Ebene sozialer Gruppen ist zu befürchten, dass sich so genannte »Echo-Kammern« bilden, in denen Mediennutzer*innen sich gegenseitig mit Fehlinformationen versorgen und damit die Glaubwürdigkeit dieser Inhalte erhöhen. Inhalte, die bereits von vielen Personen geteilt oder geliked wurden, werden – auch wenn sie frei erfunden sind – als glaubwürdiger bewertet (Aigner et al. 2017).
Auf gesellschaftlicher Ebene schließlich könnten fingierte Nachrichten das Meinungsklima dadurch beeinflussen, dass Journalist*innen oder Politiker*innen sich dazu aufgerufen sehen, Themen aus solchen Echo-Kammern aufzugreifen. Vargo, Guo und Amazeen (2017) konnten zeigen, dass in den USA Webseiten, die oft Fabricated News verbreiteten, die Themen beeinflussen konnten, über die anschließend auch professionelle Medien berichteten. Sind gewisse Meinungen medial besonders präsent (etwa, dass Geflüchtete die innere Sicherheit bedrohen), könnten sie als Mehrheitsmeinung wahrgenommen werden. Im Sinne der Schweigespirale (Noelle-Neumann 1974) könnte das wiederrum dazu führen, dass diejenigen, die sich als Mehrheit wahrnehmen, ihre Meinung eher äußern, während die anderen lieber schweigen, um nicht als Außenseiter*innen dazustehen.
Gegenmaßnahmen
Mehr und mehr Angebote wollen sich Fabricated News und Fehlinformationen im Internet entgegenstellen. So versucht zum Beispiel der »Faktencheck« der Tagesschau, Falschmeldungen gezielt zu widerlegen. Studien warnen jedoch, dass das Widerlegen von Fake News keine leichte Aufgabe ist (für eine Meta-Analyse siehe Chan et al. 2017). Versucht man, eine Falschmeldung mit einer detaillierten Gegendarstellung zu widerlegen, kann das dazu führen, dass man den Inhalt der ursprünglichen Falschmeldung wiederholt und die Fehlbehauptung dadurch sogar an Glaubwürdigkeit gewinnt. Wichtig ist es daher, dass Mediennutzer*innen Korrekturen bewusst und aufmerksam verarbeiten und sich mit ihnen auseinandersetzen. Hierfür ist auch die Förderung kritischer Medienkompetenz wichtig. Dazu gehört auch, Nutzer*innen ihre eigene Medienrezeption bewusst zu machen. Wer weiß, dass sie/er sich in einer Echo-Kammer bewegt, ist vielleicht eher motiviert, sich auch mal die Position der Gegenseite anzuhören; und wer weiß, dass er/sie gezielt manipuliert werden soll, reagiert wahrscheinlich mit innerem Widerstand und Trotz auf den Beeinflussungsversuch (Banas und Miller 2013).
Fazit
Neben dem leichteren Zugang zu gesellschaftlich relevanten Informationen schafft das (mobile) Internet auch die Basis für eine leichtere Verbreitung von Fabricated News. Mit dieser Herausforderung müssen Gesellschaft, Politik und Nutzer*innen umgehen lernen.
Die Frage, wie viele Fehlinformationen im Internet kursieren, ist bisher noch nicht beantwortet. Viele Mediennutzer*innen berichten aber von Vorerfahrungen mit solchen Inhalten. Ob die Fabricated News dann auch geglaubt werden, ist wahrscheinlich davon abhängig, ob sie zum Weltbild der Konsument*innen passen. Somit sind sie wahrscheinlich eher geeignet, Meinungen zu festigen als Meinungen zu ändern. Dennoch bieten Echo-Kammern im Internet beste Bedingungen, um zur Glaubwürdigkeit von fingierten Nachrichten beizutragen. Hinzu kommt, dass die Themen auf professionelle Medien überschwappen könnten und dadurch potentiell das Meinungsklima beeinflussen.
Das Widerlegen von Falschinformationen ist als Gegenmaßnahme nur begrenzt geeignet. Wichtiger scheint es zu sein, die Fake-News-Debatte als Chance dafür zu verstehen, sich wieder verstärkt mit Qualität, Nachvollziehbarkeit und Transparenz in der Herstellung und Rezeption von »Real News« zu befassen.
Literatur
Aigner, J.; Durchardt, A.; Kersting, T.; Kattenbeck, M.; Elsweiler, D. (2017): Manipulating the perception of credibility in refugee related social media posts. Proceedings of the 2017 Conference on Human Information Interaction and Retrieval – CHIIR ’17, S. 297-300.
Allcott, H.; Gentzkow, M. (2017): Social media and fake news in the 2016 election. Journal of Economic Perspectives, Vol. 31, No. 2, S. 211-236.
Balmas, M. (2014): When Fake News Becomes Real. Communication Research, Vol. 41, No. 3, S. 430-454.
Banas, J.; Miller, G. (2013): Inducing resistance to conspiracy theory propaganda – Testing inoculation and metainoculation strategies. Human Communication Research, Vol. 39, No. 2, 184-207.
Chan, M.S.; Jones, C.R.; Hall Jamieson, K.; Albarracín, D. (2017): Debunking – A Meta-Analysis of the Psychological Efficacy of Messages Countering Misinformation. Psychological Science, Vol. 28, No. 11, S. 1531-1546.
Chivers, T. (2017): Fake news will go viral, even if people don’t mean to share it, says this study. BuzzFeed News, 26.6.2017.
Fazio, L. K.; Marsh, E. J. (2008). Slowing presentation speed increases illusions of knowledge. Psychonomic Bulletin & Review, Vol. 15, No. 1, S. 180-185.
Jowett, G. S.; O’Donnell, V. (2012): Propaganda and Persuasion. Los Angeles et al.: SAGE.
Nimmo, B.; Barojan, D. (2017): How the alt-right brought #SyriaHoax to America. Medium.com/drflab, 7.4.2017.
Noelle-Neumann, E. (1974): The spiral of silence. Journal of Communication, Vol 24, No. 2, S. 43-51.
Sängerlaub, A. (2017): Verzerrte Realitäten – Die Wahrnehmung von »Fake News« im Schatten der USA und der Bundestagswahl. Politico, ohne Datum.
Shao, C.; Ciampaglia, G.L.; Varol, O.; Flammini, A.; Menczer, F. (2017): The spread of misinformation by social bots. Cornell University Library, Submitted on 24 Jul 2017 (v1), last revised 30 Dec 2017 (v3); arxiv.org/abs.
Silverman, C. (2016): This analysis shows how fake election news stories outperformed real news on Facebook. BuzzFeed News, 16.11.2016.
Vargo, C. J.; Guo, L.; Amazeen, M.A. (2017): The agenda-setting power of fake news – A big data analysis of the online media landscape from 2014 to 2016. New Media & Society (online), first published 15.6.2017.
Wardle, C.; Derakhshan, H. (2017): Information Disorder – Toward an interdisciplinary framework for research and policy making. Council of Europe report DGI (2017)09. Strasbourg.
Weeks, B.E. (2015): Emotions, Partisanship, and Misperceptions – How Anger and Anxiety Moderate the Effect of Partisan Bias on Susceptibility to Political Misinformation. Journal of Communication, Vol. 65, No. 4, 699-719.
Svenja Boberg, M.A., und Tim Schatto-Eckrodt, M.A., sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälische-Wilhelms-Universität Münster.
Dr. Lena Frischlich, Dipl. Psych., leitet eine Nachwuchsforschungsgruppe am selben Institut.