W&F 2021/2

Farbe bekennen – Rassismus und ZKB

Jahrestagung der Plattform ZKB, online, 16.-17. April 2021

von Martin Quack

„It is not our differences that divide us. It is our inability to recognize, accept, and celebrate those differences.“ (Audre Lorde)

Rassismus und Konfliktbearbeitung sind eng miteinander verwoben: In einer Gesellschaft mit strukturellem Rassismus müssen Konfliktbearbeitung und Friedensarbeit selbst explizit rassismuskritisch werden. Diese klare Botschaft und der damit einhergehende Handlungsanspruch standen im Mittelpunkt der diesjährigen außergewöhnlichen Jahrestagung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, die in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Villigst am 16. und 17. April 2021 erstmalig als Online-Tagung stattfand. Beide Themenfelder können sich aber auch gegenseitig mit ihren Methoden, Ansätzen und Erfahrungen befruchten. Die Vorträge und Diskussionen bestätigten diese Perspektiven auf das Doppelthema der Tagung »Farbe bekennen«, die den Titel der ersten umfassenden Veröffentlichung zu Schwarzer deutscher Geschichte aufgriff: »Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte«, herausgegeben von Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz (1986).

Bis zu 100 Personen nahmen aktiv über die Dauer der zweitägigen Konferenz an der Veranstaltung teil, ließen sich auf das Online-Format ein und beteiligten sich an den Diskussionen, im Chat und in Arbeitsgruppen. Zusätzlich konnten Teile der Tagung in einem Video-Stream verfolgt werden. Das Spektrum der Teilnehmer*innen war breit: Von Mitgliedern der Plattform ZKB über neue Kolleg*innen aus den Mitgliedsorganisationen bis hin zu Aktiven aus rassismuskritischen Initiativen. Von Menschen, die seit Jahrzehnten intensiv zu Rassismuskritik arbeiten – etwa in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) – bis zu denen, die dies zum ersten Mal in dieser Intensität taten. Klar war: Menschen, die selbst von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, können sich im Gegensatz zu anderen, die als Weiße gelesen werden, nicht aussuchen, ob sie sich mit dem Thema befassen wollen oder nicht. Die meisten Menschen nahmen aus Deutschland teil, einzelne aus anderen Ländern wie den Niederlanden, die Organisation Sadaka Reut aus Israel und Tiaji Sio (Diplomats of Color) aus Vietnam.

Engagiert und kontrovers wurden grundlegende Definitionen von Rassismus diskutiert, konkrete Ausprägungen von strukturellem Rassismus in Gesellschaft und Institutionen beleuchtet sowie eigene Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt.

Thematisch reichte der Bogen der Tagung von rassismuskritischen Prozessen der Organisationsentwicklung über Diversität in den Sicherheitskräften oder das Konzept der Friedenslogik, das beide Themen verbinden kann, bis zu den politischen Rahmenbedingungen und zur Bundestagswahl. Sheila Mysorekar (Neue deutsche MedienmacherInnen) und Marianne Pötter-Jantzen (MISEREOR) machten deutlich, wie kolonialistische Narrative bis heute reproduziert werden und welche Bedeutung dies etwa für Hilfsorganisationen hat. Paulino Miguel (Forum der Kulturen) betonte, wie sehr auch die Entwicklungszusammenarbeit von strukturellem Rassismus geprägt ist. In kleineren Gruppen wurden die vielfältigen eigenen Handlungsmöglichkeiten diskutiert. Sheena Anderson zeigte Wege zur rassismussensiblen Konfliktarbeit auf. Mauricio Salazar stellt in seiner Tagungsbeobachtung fest, dass die Vielfalt der deutschen Gesellschaft in vielen Organisationen noch nicht sichtbar wird.

Eine erste Bewertung der Tagung ist auf verschiedenen Ebenen möglich:

  • Reaktion: Das Engagement und das breite Interesse waren bereits im Vorfeld spürbar. In den Diskussionen, im Chat, auf der Tagungsplattform sowie im Anschluss per E-Mail äußerten sich viele Teilnehmer*innen sehr positiv zu Inhalten und Ablauf der Tagung.
  • Lernen: Die sehr verschiedenen Menschen, die auf der Tagung anwesend waren, konnten in unterschiedlichem Umfang ihr Wissen erweitern, etwa zum Ausmaß des strukturellen Rassismus, der als strukturelle Gewalt begriffen werden kann. Haltungen konnten reflektiert und konkrete Fähigkeiten unter den erschwerten Bedingungen einer Online-Konferenz erprobt werden: Welche Äußerungen und Begriffe sind angemessen und wertschätzend? Welche Definitionen hilfreich? Deutlich wurde bei vielen Teilnehmenden eine hohe Motivation zur Übersetzung und Umsetzung des Themas in die eigene Arbeit.
  • Verhalten: Die Organisation EIRENE stellte dar, wie sie ihr eigenes Verhalten bereits verändert und weiter verändern will. Auch andere Organisationen aus der Friedensarbeit führen bereits rassismuskritische oder machtkritische Prozesse durch oder stehen kurz davor. Handlungsmöglichkeiten, die identifiziert wurden, reichen vom individuellen Verhalten über Strukturen und Prozesse in Organisationen bis hin zu politischen Gremien wie dem Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung.
  • Resultate: Der Open Space zum Ende der Tagung konkretisierte, wie die Prozesse weitergehen sollen. Für eine Bewertung der Resultate ist es allerdings noch zu früh. Die Ideen für Vorhaben reichen von konkreten Einladungen zu weiteren Veranstaltungen (bspw. ein Workshopangebot des BSV) bis hin zu Konsequenzen für eine zivile Außen- und Innenpolitik – etwa die Idee eines Ministeriums für Integration, die von MdB Aydan Özoguz eingeführt und im Chat weiterdiskutiert wurde. Das Thema und das Format der Tagung waren außergewöhnlich für die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung. Auf dem Weg zu rassismuskritischer Konfliktbearbeitung hat sie zusammen mit der Evangelischen Akademie Villigst einen großen Schritt gemacht, auf den viele weitere folgen sollen, um Köpfe zu dekolonisieren, die Differenz zu feiern und Politik friedenslogisch zu gestalten.

Martin Quack

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/2 Völkerrecht in Bewegung – Von Kritik, Krisen und Erneuerung, Seite 49–50