Feministische Außenpolitik:
Verpasste Chancen, der Kampf geht weiter
von Marieke Fröhlich und Victoria Scheyer
Mit dem Koalitionsvertrag im Dezember 2021 kündigte die neue Ampelkoalition, mit Annalena Baerbock an der Spitze des Auswärtigen Amts (AA), eine »Feminist Foreign Policy« für Deutschland an. Am 1. März 2023 wurden nun die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik des AA veröffentlicht. Seither stellen wir uns – wie viele feministisch arbeitende Gruppen – Fragen, was dieses Bekenntnis zu einer »feministischen« Politik als Staatspraxis bedeutet. Besonders, da Nationalstaaten patriarchal geprägt sind und Deutschland durch koloniale Kontinuitäten wirtschaftliche und politische Machtposition im internationalen System innehat. Kann hier feministische Politik wirklich praktiziert werden und Machtdynamiken verändern? Oder geht es eher um eine Kooptierung bzw. politischer Entleerung von Feminismus? Nach mehr als einem Jahrhundert konstanter Lobbyarbeit und Kampf unserer Organisation, der WILPF, für mehr feministische Außen- und Friedenspolitik schauen wir hoffnungsvoll, aber auch kritisch auf diese deutsche feministische Außenpolitik.
Hoffnungsvoll, weil Themen rund um feministische Ansätze nun im gesellschaftlichen und politischen Diskurs, auf der Agenda vieler Mitarbeitenden in den Ministerien und medial mehr präsent sind, während sich noch vor Kurzem nur ein kleiner Kreis von zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen mit feministischen Ansätzen beschäftigte. Diese Sichtbarkeit ist zwar längst überfällig und birgt die Gefahr der Vereinnahmung und der Rückschläge, gleichzeitig inspiriert sie auch viele kritische Auseinandersetzungen über das »wie« einer feministischen Außenpolitik und kann somit wenigstens erste Grundsteine für die Veränderung von Gesellschaft und internationaler Politik legen.
Inhaltlich ist hervorzuheben, dass nun endlich »Gender Budgeting« im Auswärtigen Amt eingeführt werden soll. Auch die diversen Themenbereiche der Leitlinien sind zu begrüßen. Jedoch fehlen zentrale Politikbereiche, besonders Migration und Asylpolitik. Die Nichtantastung des tödlichen europäischen Grenzregimes ist sehr enttäuschend und ruft starke Zweifel an einer Ernsthaftigkeit feministischer Praxis im Bereich Migrationspolitik des AA hervor.
Kritisch betrachten wir allerdings, wie »Feminismus« in den Ministerien verstanden wird. Denn eine feministische Außenpolitik ohne ernsthafte Selbstreflexion, insbesondere Reflexion der Kontinuitäten kolonialer Machtdynamiken von Außenpolitik, verfehlt ihr feministisches Ziel. Wirtschaftspolitisch besagen die Leitlinien, marginalisierten Gruppen wirtschaftliche Teilhabe sichern zu wollen – es wird jedoch weder beleuchtet, noch hinterfragt, welche direkten negativen wirtschaftlichen Auswirkungen die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik auf marginalisierte Menschen weltweit hat.
Friedenspolitisch gesehen nimmt das Thema Abrüstung wenig Raum innerhalb der Leitlinien und auch im politischen Diskurs des AA ein. Aufgrund der gegenseitigen Bedingtheit von Militarismus, Patriarchat und Kapitalismus muss Abrüstung eines der zentralen Ziele einer jeden feministischen Politik sein.
Unser Credo für eine gelingende feministische Außenpolitik ist seit jeher: »Schafft Beteiligung«. Dies gilt besonders für jene Stimmen, die am meisten von der jeweiligen Politik betroffen sind und gesellschaftlich marginalisiert werden. Aus dieser Perspektive war der Prozess des Verfassens der Leitlinien unzureichend: Zwar wurden feministische Akteur*innen der Zivilgesellschaft in Deutschland teilweise und punktuell eingebunden, jedoch verlief der Großteil des Prozesses intransparent und ad hoc, trotz der 15 Monate, die seit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags vergangen waren. Nicht nur wurde die Zivilgesellschaft oft mit sehr kurzer Vorlaufzeit zur Bereitstellung ihres Wissens und ihrer Beteiligung eingeladen, die Räume dafür waren zeitlich sehr begrenzt und oft exklusiv gestaltet. Die Zivilgesellschaft aus Partnerländern und dem sogenannten Globalen Süden konnte sich dagegen kaum beteiligen, obgleich dies zentral gewesen wäre.
Zu hoffen ist, dass aus den Fehlern und verpassten Chancen gelernt wird, so dass der weitere Prozess der Implementierung des „lebenden Dokuments“ der Leitlinien den feministischen Stimmen der Zivilgesellschaft gehört und ihr Feedback auch umgesetzt wird. Klare Verpflichtungen und Zusagen für eine nachhaltige Stärkung und Finanzierung feministischer Zivilgesellschaft fehlen bis dato, wären jedoch zentral. Denn feministische Zivilgesellschaft fungiert als gesellschaftliches und politisches Korrektiv, auch nach dem Ende offizieller feministischer (Außen-)Politik (wie in Schweden).
Marieke Fröhlich und Victoria Scheyer waren bis vor kurzem gemeinsam Ko-Vorsitzende der deutschen Sektion der »Women’s International League for Peace and Freedom« (WILPF). Beide arbeiten weiterhin innerhalb der feministischen Friedensorganisation, insbesondere zum Thema feministische Außenpolitik und zur »Frauen, Frieden, Sicherheit«-Agenda.