W&F 2022/4

Feministische Außenpolitik friedenspolitisch denken

Abendforum von W&F, Friedensbildungswerk, Köln, 9. September 2022

Es ist ein Thema der Stunde und wird noch in seiner Konzeptionsphase herausgefordert durch das deutsche und europäische Ringen mit den kriegerischen Situationen in der Ukraine und Afghanistan: Das Projekt einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik (FFP).

Es ist das Versprechen einer sozial-liberal-grünen Koalition, es ist eine feministisch-kritische Forderung, es ist eine Utopie. Doch was denken eigentlich feministische und Frauen*Friedensorganisationen zu diesem Projekt einer FFP? Dem ging das Abendforum 2022 von Wissenschaft und Frieden unter dem Titel »Feministische Außenpolitik in Zeiten der Militarisierung« nach.

Zu dieser Veranstaltung kamen über 40 Menschen im Friedensbildungswerk Köln zusammen, um sich interaktiv mit der Frage, den Hoffnungen, den Versprechen einer solchen (utopischen?) Außen-, Sicherheits- und – ja, auch – einer solchen Friedenspolitik auseinanderzusetzen. Auf das Podium des Abends hatte W&F auch zwei Vertreter*innen des Friedensaktivismus und der Friedensarbeit eingeladen: Elise Kopper vom Frauennetzwerk für den Frieden (FNF) und Victoria Scheyer von der deutschen Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF).

Zeitlich passender hätte das Forum kaum stattfinden können, begann doch schon am darauffolgenden Montag (12. September 2022) in Berlin der Beratungsprozess von Außenministerium und weiteren Ministerien zur Ausgestaltung und Formierung einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik (shapingfeministforeign­policy.org). Es war in diesem Sinne eine Selbstpositionierung aus der Bewegung »am Vorabend«.

Der Wille zur (kritischen) Auseinandersetzung war allen Anwesenden gemein – und so entwickelte sich ein produktiver Austausch. Gleich zu Beginn diskutierten die Teilnehmer*innen des Abends ihre jeweiligen Perspektiven auf und Verständnisse von FFP in moderierten Kleingruppen. Es wurde schon dabei sichtbar, dass ein feministisch-aktivistisches Verständnis einer FFP vermutlich deutliche Unterschiede zu der Ausgestaltung aufweist, die im Auswärtigen Amt Formen annehmen wird. Die Kleingruppen arbeiteten eine thematisch fast endlos zu erweiternde Aufgabenbreite einer solchen Perspektive heraus und machten somit auf eine Kernherausforderung von FFP aufmerksam: Wie »abgekoppelt« kann eine FFP von anderen Politikfeldern und -inhalten gedacht werden, wie abgrenzbar scharf kann noch benannt werden, was darin »feministische« Außenpolitik oder gar Friedenspolitik ist und inwieweit kann eine solche Politik nur als Querschnittsaufgabe angemessen verstanden und umgesetzt werden? Diese Fragen wurden im weiteren Verlauf der Diskussion vertiefend aufgegriffen.

FFP muss aktiv gestaltet werden

Christiane Lammers (W&F) rahmte in ihrer Anmoderation den Anlass für das Abendforum mit den Worten von Annalena Baerbock. Sie zitierte aus einer Rede der aktuellen Außenministerin zur Entwicklung einer neuen »Nationalen Sicherheitsstrategie« und zudem aus dem aktuellen Themenaufriss zur FFP auf den Homepages des Auswärtigen Amtes. Dabei stellte Lammers klar heraus, dass sich darin neben den zur Floskel gerinnenden Bekenntnissen zu den »drei R« (Rechte, Repräsentation, Ressourcen) wenig konkrete Bezüge zu einer friedenslogisch informierten und über ein versicherheitlichtes Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik hinausgehendes Konzept einer FFP finden lässt.

Dem stellte sie das erst im Juli 2022 erschienene Positionspapier »Annäherung an eine feministische Außenpolitik Deutschlands« (CFFP et al. 2022) einer Vielzahl feministischer Gruppierungen, Frauen*Friedens­organisationen sowie NGOs mit Arbeitsschwerpunkt Internationale Organisationen gegenüber. In diesem Dokument werden zehn Arbeits- und Aufgabenfelder einer als Querschnittsarbeit verstandenen feministischen Außen- und Sicherheitspolitik formuliert, die weit über klassische Dimensionen der Außenpolitik hinausreichen. Damit waren das Defizit und die Gestaltungslücke, die von einer künftigen FFP gefüllt werden muss, klar benannt.

Anschließend näherte sich die Diskussion den Positionen der Friedensorganisationen zur FFP: im ersten Schritt über die Thematisierung der »internen« Auseinandersetzungen der Frauen*Friedensorganisationen zu diesem Thema, aber auch der Auswirkungen organisationsinterner Wandlungsprozesse in den letzten Jahren (u.a. durch auch extern eingebrachte postkolonial-dekoloniale Kritik); im zweiten Schritt durch die Annäherung der Kritik und der Ausein­andersetzung mit ihr an die tatsächliche Politikgestaltung einer FFP.

Dabei wurde vor allem sichtbar, wie aktiv die politische Ausgestaltung begleitet werden muss – durch interne Bereitschaft und Umsetzung einer Selbstreflexion und Transformation hin zu inklusiveren und intersektional arbeitenden Organisationen, und eben auch durch die Kritik und Impulssetzung in den tatsächlichen politischen Aushandlungsprozessen. Zugleich war es Elise Kopper und Victoria Scheyer ein Anliegen, einerseits die durchaus erkennbare Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit den Inhalten einer FFP im Auswärtigen Amt und auch in anderen Ministerien anzuerkennen und andererseits in Abgrenzung dazu radikal-transformative Forderungen der Frauen*Friedensorganisationen zu benennen.

Kritische Töne, notwendige Kompromisse

Sowohl aus dem Publikum als auch vom Podium gab es kritische Einschätzungen zum Begriff und der »Formel« der FFP. Ein Teilnehmender fragte etwa, inwieweit der Begriff einer feministischen Außenpolitik politisch instrumentalisiert werde. Dem hielt Elise Kopper entgegen, dass man sich als feministische Bewegung diesen Begriff nicht „wegnehmen“ lasse und ihn stattdessen aktiv mit eigenen Inhalten zu füllen versuche. Er sei umfassend definierbar und böte eine Chance, tatsächlich auch politisches Programm und Handeln nachhaltig zu beeinflussen. In der gebotenen kritisch-solidarischen Distanz Einfluss auf dieses Politikprojekt zu nehmen, sei eine wichtige Chance. Denn es sei unstrittig, dass die bisherige inhaltliche Füllung dem Anspruch eines feministischen Ansatzes (noch) nicht gerecht werde. Das »feministisch« müsse sich die politische Ausgestaltung von FFP erst noch „verdienen“.

In eine ähnliche Richtung wies eine Frage eines anderen Teilnehmenden, der infrage stellte, ob sich überhaupt positiv bestätigend auf den Begriff »Feministische Außen- und Sicherheitspolitik« bezogen werden solle, stamme dieser doch aus der schwedischen Regierungspolitik von 2014 und sei in dieser Form auch durch einen relativ engen Fokus und Zielsetzung vorgeprägt. Darauf antwortete Victoria Scheyer mit einer emphatischen Begrüßung einer (kritischen) Bezugnahme auf das Konzept, böte es doch zum einen den Rahmen (und dies nicht zuletzt auch in der Wissenschaft), um überhaupt wieder großflächig über feministische Anliegen zu diskutieren. Zum anderen sei es derzeit dringlicher denn je, einem ebenso beobachtbaren „antifeministischen Backlash“ konzeptionell und inhaltlich entgegenzutreten. FFP böte dafür auch einen gemeinsamen Bezugsrahmen. Mindestens auf diesen beiden Ebenen sei der Bezugnahme auf den Begriff Positives abzugewinnen.

Auch Anlass zum Feiern

Wichtige Anstöße für das Abendforum waren eine Reihe von Jubiläen von Frauen*Friedensorganisationen in den letzten Jahren und daraus entstandene Reflexionsschriften dieser Netzwerke: Vom Frauennetzwerk für Frieden (vgl. Dossier 84, W&F 1/2017), über das Netzwerk Friedensforscherinnen in der AFK (vgl. Dossier 94, W&F 2/2022) bis hin zu medica mondiale und der IFFF/WILPF. Das Abendforum bot über die eingeladenen Organisationen und die Präsenz von starken Frauen* aus weiteren Netzwerken auch einen Moment des Feierns und der Bestätigung der offenkundig notwendigen Arbeit von (feministischer) Frauen*Friedensarbeit.

Literatur

CFFP et al. (2022): Annäherung an eine feministische Außenpolitik Deutschlands. E-Paper der unterzeichnenden Organisationen. Online verfügbar seit Juli 2022.

David Scheuing unter Mitarbeit von Michaela Zöhrer und Christiane Lammers

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2022/4 Gewalt/Ökonomie, Seite 42–43