W&F 2019/2

Feministische Perspektiven der Friedens- und Konfliktforschung

Tagung des Netzwerks Friedensforscherinnen, Universität Koblenz-Landau – Campus Koblenz, 7.-8. Februar 2019

von Lena Merkle und Christine Buchwald

Die Tagung der Frauensprecherinnen der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) fand in Kooperation mit der Friedensakademie Rheinland-Pfalz und der Graduiertenschule Genderforschung als zweitätige Veranstaltung am Campus Koblenz statt. Aufgrund des Work-in-progress-Charakters der Veranstaltung wurde den einzelnen Beiträgen eine längere Diskussionszeit eingeräumt, und die Vortragenden waren dazu angehalten, ihre eigenen Fragen und Probleme mit einzubringen, um diese zu diskutieren.

Der inhaltliche Fokus der Veranstaltung lag auf feministischen Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. Die etwa 30 Teilnehmenden der Tagung, von denen gut die Hälfte auch selbst vortrug, hatten bei der Keynote Lecture am ersten Tag und in insgesamt sechs Panels am zweiten Tag die Möglichkeit zum Austausch.

Eröffnung

Die Keynote Lecture wurde von Sabine Grenz, Universität Wien, gehalten. Sie sprach in ihrem Vortrag über »Feministische Methodenreflexion empirischer Daten­erhebung«. Dabei reflektierte sie zunächst den historischen und theoretischen Hintergrund der empirischen Datenerhebung und betonte die Machtwirkung, die zwischen Forschenden und Beforschten entsteht, sowie die dabei konstruierten Rollenbilder und den permanenten Zustand der Selbstkritik feministischer Forschung. Dies ist besonders relevant, da die Interviewsituation, insbesondere bei persönlichen Themen wie Sexualität, Vertraulichkeit und Vertrauen voraussetzt. Dabei kommt der interviewenden Person eine wichtige Rolle zu, da sie die Situation prägt und die Inhalte des Interviews auf sie zugeschnitten erzählt werden. Die Herausforderung für die Interviewenden besteht darin, die hohe Komplexität von Geschlechtlichkeit zu beachten, deren Vieldimensionalität und Deutungsabhängigkeit verschiedene Interpretationen ermöglicht. Daher gilt es auch, die eigenen Erwartungen kritisch zu hinterfragen und Einzelfälle ergebnisoffen zu betrachten.

Panels

Im Panel zu kulturwissenschaftlichen Perspektiven ging zunächst Malica Christ aus philosophisch-politischer Perspektive auf intersektionale Erfahrungen geflüchteter Frauen ein. Mithilfe einer »Matrix of Domination« wurden die komplexen Unterdrückungserfahrungen geflüchteter Frauen phänomenologisch betrachtet. Es folgte eine Studie von Juan Botia Mena zur Aneignung von Sophokles‘ Antigone durch Frauen im sozialen Protest in Kolumbien. Die Rolle der Frau, die ihren Bruder (oder einen anderen Verwandten) nicht zu Grabe tragen kann, wird dabei im Kontext des kolumbianischen Konfliktes in Filmen und Theaterstücken symbolisch reproduziert. Schließlich stellte Nicole Pruckermayr das interdisziplinäre Projekt »Comrade Con­rade« aus Graz vor, welches sich kritisch mit Straßennamen auseinandersetzt und die Umbenennung von Straßen, die nach historisch problematischen Personen benannt sind, zum Ziel hat. In dem Projekt wird u.a. das Machtgefälle deutlich, das zwischen Aktivist*innen auf der einen und bürokratischen Strukturen sowie ökonomischen Interessen auf der anderen Seite besteht.

Im Panel »Opfer, Kämpferinnen, Aktivistinnen I« präsentierte Clemens Starke seine Überlegungen zur veränderten Geschlechtergerechtigkeit im Südjemen. In Interviews mit lokalen Aktivistinnen will er herausarbeiten, wie sie den Wandel der Geschlechterbeziehungen wahrnehmen und welche Perspektiven sie selbst sehen. Mit dem Einfluss, den die Anwesenheit von Frauen in bewaffneten Einheiten auf das Ausmaß sexueller Gewalt hat, beschäftigte sich dagegen Viktoria Reisch. Anhand der FARC (Kolumbien) und der YPG/YPJ (Nordsyrien) testete sie die These, dass die Anwesenheit von Frauen in bewaffneten Einheiten das Ausmaß sexueller Gewalt wahrnehmbar reduziert. Sie kam durch verschiedene Argumente, wie z.B. dem Erreichen einer kritischen Masse von Frauen in den Armeen, zu dem Schluss, dass die Theorie in diesen beiden Fällen eher ein gegenteiliges Bild ergeben würde.

Das Panel »Opfer, Kämpferinnen, Aktivistinnen II« bot zunächst einen Beitrag von Paula Castro Blanco, Glendy Meja Garcia, Katharina König und Angela Rodriguez Prada zur Rolle von Frauen im ländlichen Raum im friedlichen Widerstand in Kolumbien. Die Vortragenden zeigten den enormen Ressourcenreichtum weiblichen Widerstandes auf. Frauen, die oftmals erst aufgrund der Lücken, die im Krieg gestorbene Männer hinterließen, relevante Positionen übernahmen, wurden zu Anführerinnen des friedlichen Widerstands. Max Jansen verglich in seinem Beitrag die Darstellung von Frauen durch internationale Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit mit der Selbstdarstellung der Frauen von Jinwar, einem Frauendorf in Rojava. Hier zeigt sich die oftmals vorherrschende Rollenbilder bestätigende und Frauen objektivierende Darstellung durch die Organisationen im Kontrast zur diversen und (selbst-) ermächtigenden Eigenporträtierung in Jinwar.

Im Panel zu Friedensbildung verdeutlichte Laura Stumpp den Mehrwert, der sich aus der Lektüre von und der Beschäftigung mit Grada Kilomba und bell hooks für eine andere Lehrgestaltung ergibt. Anhand von Zitaten und Videos erläuterte sie die Reflexion der beiden Autorinnen über ihre eigene Lehrgestaltung. Im Anschluss konzentrierte sich Marilena Müller auf einen anderen Bereich der Friedensbildung: die Friedenspädagogik. Durch eine theoretische Fundierung will sie anhand der Felder »Lernziele«, »Inhalte« und »Methoden« Kriterien entwickeln, wie gendersensitive Friedenspädagogik gestaltet werden kann. Es gibt zwar in der Praxis schon entsprechende Ansätze, es fehlt aber an eben dieser theoretischen Fundierung.

Ein weiteres Panel befasste sich mit Friedensaufbau. Manuela Scheuermann hinterfragte das »Gender Balancing« in Organisationen der Vereinten Nationen am Beispiel des United Nations Department of Peacekeeping Operations, UNDPKO. Während auf dem Makrolevel wenig Kritikpotenzial vorhanden ist, da die Vereinten Nationen nach außen Gender Mainstreaming signalisieren, zeigen sich auf dem Mikrolevel viele versteckte Barrieren. Trotzdem fragte Manuela Scheuermann, ob die Gleichung »UNDPKO = Militarismus = Maskulinismus« nicht zu kurz greift. Antje Busch zeigte am Beispiel Bougainville (Papua Neuguinea) auf, welche Auswirkungen die politische Partizipation von Frauen als Ausdruck eines Postkonflikt-Empower­ment haben kann. Auch wenn noch Verbesserungspotenzial besteht, zeigt sich doch ein positiver Trend, z.B. durch die paritätische Besetzung der Gemeinderäte. Kristina Hatas konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf den Zusammenhang zwischen der Debatte über die Einmischung der internationalen Gemeinschaft in vermeintlich innerstaatliche Belange und der Entwicklung des internationalen Strafrechts in Bezug auf genderbasierte Gewalt. Insbesondere die nur zurückhaltende Einmischung in vermeintlich innerstaatliche Problemlagen führt dazu, dass bestimmte Verbrechen – gerade genderbasierter Gewalt – für das internationale Strafrecht nicht sichtbar sind.

Schließlich fand ein Panel zu struktureller Gewalt statt. Kristina Hinz analysierte Rollendarstellungen von Frauen und Männern im brasilianischen Diskurs zum Kampf gegen Drogen. Hier zeigt sich die diskursive Marginalisierung der Favela-Bewohner*innen durch die Politik sowie die dichotome Wahrnehmung von Frauen als »unsere« und »deren« Frauen, wobei nur die eigenen schützenswert seien. Coretta Lemaitre beschäftigte sich mit der US-amerikanischen evangelikalen »Purity Culture«, die trotz enormer sozialer Bedeutung oftmals nur unscharf definiert ist und in scharfem Kontrast zu politischen Entscheidungen evangelikaler Christen steht, etwa der enormen Unterstützung für Donald Trump trotz dessen dem evangelikalen Wertekonstrukt widersprechenden Aussagen. In einem Beitrag zur Rolle von Frauen im Radio in Burkina Faso von Vivane Schönbächler wurde die historische gewachsene Bedeutung des Mediums deutlich, ebenso dessen politische Relevanz in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit für eine Gesellschaft, in der insbesondere in der jungen Generation Frauen nicht gehört werden. Die Möglichkeit, beim Radio zu arbeiten, bietet da eine besondere Chance für Frauen. Schließlich wurden im Beitrag von Vanessa Seibert die juristischen Möglichkeiten betrachtet, die bestehen, um die weibliche Beteiligung an Peacekeeping-Missionen zu erhöhen. Zwar gibt es einzelne Beispiele von (überwiegend) weiblichen Einheiten sowie die Erklärung der Vereinten Nationen, die Partizipation von Frauen stärken zu wollen, doch es bestehen bisher keine verbindlichen Verpflichtungen.

Resümee

Die Tagung war die Auftaktveranstaltung einer Reihe von Tagungen, die die Frauensprecherinnen der AFK initiieren, und soll noch in diesem Jahr fortgesetzt werden. Dafür sprechen auch der Erfolg der Veranstaltung und die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden. Doch auch als einzelne Veranstaltung bildet die Tagung einen gewichtigen Beitrag zu den notwendigen feministischen Debatten in der Friedens- und Konfliktforschung.

Ein ausführlicherer Tagungsbericht ist auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (afk-web.de) abrufbar.

Lena Merkle und Christine Buchwald

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/2 Partizipation – Basis für den Frieden, Seite 49–50