W&F 2019/3

Festung Europa?

51. Kolloquium der AFK, 7.-9- März 2019, Erfurt

von Daniel Beck und Alexandra Engelsdorfer

Das 51. AFK-Kolloquium fand vom 7. bis zum 9. März 2019 unter dem Titel »Von der Friedensmacht zur Festung Europa?« im Augustinerkloster in Erfurt statt. Schwerpunktthema bildete das veränderte Verständnis inneren und äußeren Friedens in Bezug auf Europa. Die AFK-Vorsitzende Bettina Engels und Uwe Trittmann von der Evangelischen Akademie Villigst gingen zu Beginn auf die große Resonanz ein, auf die das Thema des Kolloquiums gestoßen war.

Das Tagungsthema kann grob in die Blöcke Selbstverständnis der EU, Konflikte im Inneren und die EU als Akteur auf internationaler Ebene gegliedert werden und wurde von folgenden Leitfragen strukturiert:

  • Ist Europa noch eine normative Friedensmacht? War die EU jemals eine wirkliche Friedensmacht?
  • Inwieweit helfen Theorien der Friedens- und Konfliktforschung, die gegenwärtige Situation in Europa zu verstehen?
  • Was bedeutet die wachsende militärische Zusammenarbeit der EU in einer »Europäischen Verteidigungsunion«?
  • Wie unterdrücken autokratische Regierungen lokale Bevölkerungen und wie kann Europa sich dagegen positionieren?

Oliver Richmond (University of Manchester) eröffnete die Tagung mit einem Keynote-Vortrag zur Zukunft von Peacebuilding als internationales Friedenskonsolidierungskonzept. In einer genealogischen Beschreibung der Peacebuilding-Architektur zeichnete er sechs aufeinander aufbauende Ebenen nach. Dabei zeigte er eine Komplexitätszunahme bezüglich der Aufgaben und der Ausdifferenzierung von Peacebuilding auf, die zu einem Legitimitätsproblem für Peacebuilding und zu einer wachsenden Instabilität des internationalen politischen Systems geführt habe. Für die Zukunft der internationalen Friedenskonsolidierung prognostizierte Oliver Richmond zwei mögliche Szenarien: entweder eine Rückbesinnung auf das kritische und emanzipatorische Potential von Peacebuilding, orientiert an einer Ausweitung von Menschenrechten, oder aber den Kollaps des UN-basierten Systems Peacebuilding an sich.

Das Kolloquium widmete sich auch dem Weltfrauentag am 8. März mit einigen Programmpunkten. Gabriele Wilde, u.a. Leiterin des Zentrums für Europäische Geschlechterstudien (ZEUGS), trug zu diesem Anlass eine theoretische Betrachtung vor und erläuterte, wie das Autoritäre auf die Zerstörung von Pluralität, Differenz und Vielfalt in den Gesellschaften ausgerichtet ist und damit die Grundlagen für demokratische Geschlechterverhältnisse auflöst. Wilde entwickelte die These, dass es sich beim autoritären Populismus um eine diskursive Praxis handelt, die in ihrer sexistisch und rassistisch unterlegten, exkludierenden Form in zentralen Bereichen der Gesellschaft wirkt und wesentliche demokratische Grundlagen untergräbt.

Panels

Im Panel zum Thema Militärunion wurde die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) der EU-Mitgliedsstaaten in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorgestellt. Faktisch stelle die PESCO eine von Deutschland und Frankreich dominierte Reorganisation der EU-Militärpolitik dar, die mit einer Aufstockung der Verteidigungshaushalte der teilnehmenden Staaten sowie letztlich einer Förderung der EU-Rüstungsindustrie und der Rüstungsexporte einher gehe, so die Referent*innen.

Auch ein weiteres zentrales Element der aktuellen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurde erläutert: der Europäische Verteidigungsfonds, der die Fragmentierung des europäischen Rüstungsmarktes überwinden soll. Der Fonds stellt Gelder für die europäische Rüstungsproduktion bereit und gilt somit als ein weiteres militärpolitisches Element zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben.

Zudem wurde der Nexus von Sicherheit, Migration und Entwicklung in der EU-Politik thematisiert. Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Hilfswerke kritisieren, dass »Sicherheit« immer stärker zulasten ziviler Krisenprävention und Entwicklungspolitik gehe. Die Vermischung von Finanzierungsinstrumenten und die damit verbundene Zweckentfremdung von ursprünglich für Entwicklungspolitik ausgewiesenen Mitteln für militärische und polizeiliche Maßnahmen wurde beanstandet.

Besonders kritisiert wurde der Ausbau der europäischen Rüstungsproduktion, ebenso die mangelnde demokratische Kontrolle und Einflussnahme auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Ein Panel zu den EU-Afrika-Beziehungen verdeutlichte, dass die EU ihre Partner nicht nach der Größe der Organisation wählt, sondern verstärkt auch Kooperationen mit kleineren Organisationen eingeht, mit denen sich die eigenen Interessen zielgerichteter umsetzen lassen. Insgesamt sei zunehmend eine Verquickung von Ausgaben für Entwicklungs- und Sicherheitspolitik zu beobachten, was im Sinne einer Politikkohärenz problematisch sei, so die Referenten. Daraus wurden zwei Schlüsse gezogen: Es gibt eine Zunahme an Pluralität und Heterogenität der Akteursgruppen und es findet eine stärkere Militarisierung der Außenpolitik statt.

Zudem gab es Panels zu Themen, die über das Tagungsthema hinausreichten. Dazu zählten zum Beispiel Narrative in Konflikten oder Konfliktakteure und die Rolle von Popkultur und (Selbst-) Inszenierung.

Roundtable

Ein Roundtable beschäftigte sich mit konzeptionellen Fragen in Bezug auf die EU. Darin wurde das spezifische Wirken der EU als Zivilmacht durch die institutionelle Gestalt der EU thematisiert. Insbesondere seit dem Vertrag von Maastricht habe die Bürokratie innerhalb der EU immer größeren Einfluss bekommen, und die EU sei zunehmend als internationaler Akteur aufgetreten. Da an der Spitze der EU Kollektivgremien die Entscheidungsgewalt hätten, würden stets Kompromisse benötigt, um agieren zu können. Es wurde geschildert, dass ein genereller Krisendiskurs über die EU zu beobachten sei, und es wurde für eine Abkehr vom starren Akteursbegriff argumentiert, da die EU in sehr verschiedenen Politikfeldern aktiv sei und sich in jedem Feld anders verhalte. Die EU müsse Ian Manners folgend als »normative Macht« gesehen werden, daher solle bei der Beobachtung ihrer Aktivitäten ein stärkerer Fokus auf Sprache und Diskurse gelegt werden, so eine Referentin. Aus deklaratorischer Sicht wurde die EU als Friedensmacht gesehen. Bei der Unterstützung schwacher Demokratien und durch die Osterweiterung konnten Erfolge erreicht werden, welche jedoch in der Vergangenheit liegen. Aktuell gebe es eher ambivalente Wirkungen der EU. Die EU fokussiere sich zunehmend auf technische Kooperationen anstatt auf Demokratieforderungen.

Die Diskussion zeigte, dass eine europäische Armee bei ungelösten inneren Streitigkeiten nicht handlungsfähig sein kann.

Rajewsky-Preis

In diesem Jahr wurden zwei Forscher*innen mit dem Christiane-Rajewsky-Preis ausgezeichnet. Elisabeth Bunselmeyer erhielt den Preis für ihre Dissertation »Trust Repaired? The Impact of the Truth and Reconciliation Commission and the Reparation Program on Social Cohesion in Post-Conflict Communities of Peru«. Zweiter Preisträger ist Robin Markwica, Universität Oxford, für seine Schrift »Emotional Choices: How the Logic of Affect Shapes Coercive Diplomacy«.

Daniel Beck und Alexandra Engelsdorfer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 55–56