W&F 1996/4

Flüchtlingsströme und Großmachtinteressen

von Bettina Gaus

Wieder einmal ist in den letzten Wochen in Zusammenhang mit Afrika der Weltöffentlichkeit suggeriert worden, bei der seit langem vorhersehbaren Zuspitzung einer politischen Krise handele es sich in erster Linie um eine humanitäre Katastrophe. Bilder endloser Flüchtlingsströme und dringliche Appelle, den Notleidenden zu helfen, ersetzten weitgehend die Analyse, wie es zu der Situation überhaupt kommen konnte und welche Lösungen der Probleme vorstellbar sind.

Bei der Entwicklung im Osten von Zaire standen neben rivalisierenden Kräften der Region auch ausländische Mächte und ihre Interessen Pate. Die noch immer nicht beendete Debatte um einen militärischen UNO-Einsatz wirft ein Schlaglicht darauf, daß die Regierungen in Washington und Paris in Afrika unterschiedliche Ziele verfolgen und einander an strategisch wichtigen Punkten immer wieder ins Gehege kommen.

Frankreich ist eine der wenigen Industrienationen, die in Afrika noch Machtpolitik im alten Stil betreiben. Regierungen kommen an die Macht und werden gestürzt von Gnaden des Elysee. Staaten wie Djibouti und die Zentralafrikanische Republik wären ohne Paris nicht lebensfähig.

Auch die alte Regierung in Ruanda, die nach dem Mord an der Tutsi-Minderheit 1994 gestürzt wurde, hatte sich jahrelang nur mit massiver Militärhilfe Frankreichs der später siegreichen Rebellenbewegung erwehren können. Als nach dem Ende des Bürgerkrieges Hunderttausende von Ruandern nach Zaire geflüchtet waren, hat Frankreich UNO-Berichten zufolge den ruandischen Soldaten und Milizen unter den Flüchtlingen weiterhin in großen Umfang Waffen geliefert. Es gab zahlreiche Hinwise darauf, daß die alten ruandischen Machthaber nicht zuletzt dank dieser Militärhilfe planten, einen Angriffskrieg gegen die neuen Herren in Kigali zu führen.

Bei der Unterstützung für das alte Regime in Kigali ging es Paris weniger um das, was Ruanda in Einzelnen zu bieten hat, als vor allem darum, die französische Einflußzone so vollständig wie irgend möglich zu erhalten. Befürchtungen in Paris sind nicht unbegründet, denen zufolge ein herausgebrochener Stein den Einsturz des gesamten Gebäudes nach sich ziehen kann: Die Grenzstädte Bukavu und Goma wurden – daran ändern auch noch so viele Dementis nichts – mit aktiver Hilfe der neuen ruandischen Armee erobert, die die bedrohlichen Flüchtlingslager im Grenzbereich endgültig nicht mehr dulden wollte. Sollte es nun innerzairischen Rebellen tatsächlich gelingen, mit ruandischer Unterstützung das ganze Land zu destabilisieren, dann hätte das Auswirkungen auf die politische Landkarte des gesamten Kontinents.

Die neue Regierung in Kigali ist für Paris kein Verhandlungspartner. Gestützt von Uganda und mit engen Beziehungen zu Washington führt sie das Land schrittweise in den anglophonen Einflußbereich Afrikas. An vielen Schulen Ruandas wird heute schon ausschließlich auf englisch unterrichtet. Die dringenden Bemühungen Frankreichs um ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates für die Stationierung eigener Truppen in der Region waren ein verzweifelter Versuch zu retten, was noch zu retten war. Ruanda hat aber nie einen Zweifel daran gelassen, daß es französische Blauhelme nie als »neutrale Kraft« akzeptieren werde.

Washington verfolgt andere Interessen. Die USA wollen in Afrika vor allem ein Vordringen des islamischen Fundamentalismus verhindern, dabei jedoch selbst so wenig wie möglich in Erscheinung treten. Im islamisch regierten Sudan prallen die unterschiedlichen Interessen der Industriemächte besonders heftig aufeinander: Während es ein offenen Geheimnis ist, das die USA Sympathien für die südsudanesischen Rebellen haben, soll Frankreich die Regierung in Khartoum mit Satellitenbildern des umkämpften Südsudan versorgen.

Eine militärische UNO-Intervention im Osten Zaires, die sich vor allem auf afrikanische Bodentruppen stützte und allenfalls logistische Hilfe der USA in Anspruch genommen hätte, wäre dem gegenwärtigen Kurs Washingtons sehr nahe gekommen. Als kürzlich mit Warren Christopher zum ersten Mal seit über 15 Jahren ein US-Außenminister Afrika besuchte, propagierte dieser den Plan einer afrikanischen Kriseninterventionstruppe. Die USA signalisierten dafür sogar erhebliche Finanzhilfe.

Paris hat Washington zunächst einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die wieder und wieder erklärte Bereitschaft der Franzosen, Soldaten in die Krisenregion zu entsenden, brachte die USA in Zugzwang. Immer mehr sah es so aus, als ob die Vereingten Staaten sich einer massiven eigenen Beteiligung nicht würden entziehen können. Da bekamen sie Hilfe von unerwarteter.Seite: Zu Hunderttausenden gingen die Flüchtlinge, ganz ohne ausländische Truppen, einfach nach Hause. Das brisante Thema ist nun erst einmal vertagt.

Bettina Gaus hat viele Jahre als Journalistin in Afrika gearbeitet. Für die TAZ war sie im November in Ruanda.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/4 Weltweit im Kommen: Die neue Bundeswehr, Seite