W&F 2019/3

Formen hybrider Kriege

Zwischen Ambivalenz und Komplexität

von Jürgen Scheffran

Die USA und ihre Verbündeten streben mit ständig neuen Rüstungsanstrengungen die Aufrechterhaltung ihrer militärischen Dominanz an. Gleichzeitig werden weltweit in den Grauzonen zwischen Krieg und Frieden »hybride Bedrohungen« ausgemacht, die diese Überlegenheit herausfordern und als Rechtfertigung für neue Militärstrategien dienen. Bei der hybriden Kriegsführung geht es um eine Kombination diffuser Konfliktformen und -technologien, die zu komplexen Konfliktdynamiken führen, alle Bereiche der Gesellschaft umfassen und die zugrundeliegenden Problemursachen verstärken. Dabei ist der Begriff selbst so verschwommen und ambivalent wie sein Gegenstand.

Kriege haben sich immer gewandelt und den jeweiligen Bedingungen und Machtverhältnissen angepasst. Einst dominante Konfliktformen wurden durch neue abgelöst, oftmals verbunden mit einem Wechsel der Hegemonialmacht. Die nach dem Ende des Kalten Krieges verbliebene Supermacht USA war und ist bestrebt, ihre Dominanz im Hochtechnologiesektor in noch deutlichere militärische Überlegenheit zu verwandeln. Trotz erdrückender und weiter steigender Rüstungsausgaben stößt dies jedoch an Grenzen. Während herkömmliche Kriege zunehmend schwerer zu begründen und zu führen sind, wurden die Grenzen technischer Kriege in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder deutlich (Neuneck und Scheffran 2000). Trotz militärischer Überlegenheit, die bis in den Weltraum reicht, war das mächtigste Land schlecht gerüstet gegen ein mit Teppichmessern und Zivilflugzeugen agierendes Terrornetzwerk (Hagen und Scheffran 2002).

Der Begriff »hybride Kriege«

Solche Erfahrungen bildeten die Grundlage für die seit 2005 aufkommende Debatte über hybride Bedrohungen und Kriege, die auf aktuelle Trends der Kriegsführung und damit verbundene sicherheitspolitische Defizite in den USA und im Westen verwies. Bei hybriden Kriegen geht es um Mischformen und Grauzonen von militärischen und nicht-militärischen, regulären und irregulären, symmetrischen und asymme­trischen Konfliktmitteln, die offen oder verdeckt zum Einsatz kommen.

Der Sicherheitsanalytiker Hoffmann (2007) machte den Begriff populär, indem er neue Bedrohungen und Herausforderer beschrieb, die die militärische Stärke der USA in Frage stellten. Er definierte hybride Bedrohungen als „verschiedene Arten der Kriegsführung, einschließlich konventioneller Fähigkeiten, irregulärer Taktiken und Formationen, terroristischer Handlungen, einschließlich wahlloser Gewalt und Zwangsmaßnahmen, sowie krimineller Unordnung“ (Hoffman 2007). Hybride Kriege werden durch eine Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure durchgeführt, die im gleichen Kampfraum synergistisch zusammenwirken, um einen möglichst hohen Effekt zu erzielen. Dabei können verschiedene Kampfmittel zugleich eingesetzt werden, von klassischen Militäreinsätzen und wirtschaftlichem Druck über Computerangriffe bis hin zu Propaganda in den Medien und in sozialen Netzwerken, mit dem Ziel, Schaden anzurichten, Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Der Begriff wurde offiziell in die strategischen Kerndokumente der NATO, der EU und nationaler Regierungen aufgenommen. Die NATO kam 2015 zu dem Schluss, dass „hybride Kriegsführung und ihre unterstützenden Taktiken breite, komplexe, adaptive, opportunistische und häufig integrierte Kombinationen von konventionellen und nicht konventionellen Methoden umfassen können. Diese Aktivitäten können offen oder verdeckt sein und militärische, paramilitärische, organisierte kriminelle Netzwerke und zivile Akteure aus allen Machtbereichen einbeziehen.“ (NATO 2015) Die EU definiert ­hybride Bedrohungen im weitesten Sinne als „Mischung aus erzwungenen und subversiven Aktivitäten-, konventionellen und nichtkonventionellen Methoden (d.h. diplomatische, militärische, wirtschaftliche, technologische), die von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren koordiniert eingesetzt werden können, um bestimmte Ziele zu erreichen und gleichzeitig unter der Schwelle der formell erklärten Kriegsführung zu bleiben“ (Maas 2017).

Ging es bei Hofmanns Definition zunächst um militärische Fragen und die Konvergenz verschiedener Kriegsformen, so wurde der Schwerpunkt in diesen Verlautbarungen auf andere Aspekte gelegt. Die Weitung des Begriffs auf nichtmilitärische Faktoren, wie Informationskrieg, Propaganda, Cybersicherheit, subversive und andere nicht unmittelbar physisch wirkende Mittel, erfolgte unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ukraine, was als „neue Art der Kriegsführung“ bezeichnet wurde. Vorgeworfen wurde Russland der Einsatz von militärischen und nichtmilitärischen Instrumenten in einer integrierten Kampagne, die darauf abzielt, Überraschungen zu erzielen, die Initiative zu ergreifen und sowohl psychologische als auch physische Vorteile zu erzielen unter Einsatz diplomatischer Mittel, durch ausgefeilte und schnelle Informations-, elektronische und Cyber-Operationen; verdeckte und gelegentlich offenkundige Militär- und Geheimdienstaktionen; und wirtschaftlichen Druck.“ (IISS 2015)

Konfliktformen

Vieles am Konzept der hybriden Kriegsführung ist nicht neu und wurde in verwandten Formen des Konfliktaustrags auch zuvor schon eingesetzt, wie eine Untersuchung von Caliskan und Cramers (2018) deutlich macht.

1. Politische Kriegsführung: Betrifft den Einsatz nationaler Mittel zur Erreichung nationaler Ziele in Friedenszeiten und kurz vor einem Krieg. Es geht um diplomatische, informationelle, militärische und wirtschaftliche Machtmittel, u.a. auch zur Bereitstellung bedingter militärischer Hilfe.

2. Irregulärer Krieg: Ist der gewaltsame Kampf zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren um Legitimität und Einfluss. Bevorzugt werden indirekte, asymmetrische und verdeckte Ansätze zur strategischen Kontrolle (z.B. Innenverteidigung, Aufstandsbekämpfung, Stabilitätsoperationen), die konventionelle und unkonventionelle militärische Fähigkeiten nutzen, um Macht, Einfluss und Willen eines Gegners zu untergraben.

3. Unkonventionelle Kriegsführung: Umfasst ein breites Spektrum militärischer und paramilitärischer Operationen, einschließlich Guerillakrieg, Subversion, Sabotage und Geheimdienstaktionen. Diese können von einheimischen oder Ersatzkräften durchgeführt und extern organisiert, ausgebildet, ausgerüstet, unterstützt und geleitet werden. Beispiele sind Widerstände, Aufstände oder Terroraktionen gegen eine Regierung oder Besatzungsmacht.

4. Subversive Kriegsführung: Untergräbt die militärische, wirtschaftliche, psychologische oder politische Stärke oder Moral eines Regimes durch Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen, die den gewaltsamen Sturz einer amtierenden Regierung befürworten. Hierzu gehören offene Handlungen und verdeckte Operationen.

5. Informationskrieg: Ist der inte­grierte Einsatz von informationsbezogenen Fähigkeiten (bis hin zu Fake News, Spionage oder Information als Waffe) in Konflikten und Militäroperationen, um die eigene Entscheidungsfindung zu schützen und zu unterstützen oder die von Gegnern zu stören, zu korrumpieren und zu usurpieren.

6. Cyberkrieg: Umfasst technische Mittel, um Computer und Cybersysteme im Rahmen eines breiteren Kriegskonzepts zu stören und zu deaktivieren. Cyberangriffe auf sensible Daten und Komponenten können als Kräftevervielfacher dienen, um relative Vorteile zu erreichen.

7. Propaganda: Ist Kommunikation zur Unterstützung bestimmter Interessen, um Meinungen, Emotionen, Einstellungen oder das Verhalten einer Gruppe eines Landes bewusst und gezielt zu beeinflussen, unter Einsatz systematischer Überzeugungstechniken bis hin zur Desinformation.

8. Psychologische Operationen: Betreffen die Übermittlung und Verbreitung selektiver Informationen für ein ausländisches Publikum zur Beeinflussung und Verstärkung seiner Emotionen, Motive, Argumente und Verhaltensweisen gegenüber Regierungen, Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen.

9. Umfassender Konfliktansatz: Verbindet politische, zivile und militärische Instrumente zur Bewältigung komplexer Krisensituationen und Sicherheitsrisiken, einschließlich Terrorismus, Völkermord, Verbreitung von Waffen und gefährlichem Material. Fachwissen und Ressourcen fließen in Partnerschaften zwischen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, unter Einbeziehung internationaler Akteure in Sicherheits-, Gover­nance- und Entwicklungsstrukturen.

Die folgende Tabelle vergleicht die oben genannten Begriffe anhand herausragender Merkmale und Dimensionen der Kriegsführung (Caliskan und Cramers 2018).

  Ziel Militärische Mittel Nicht-militärische Mittel Akteure
Aufbau Schwächung oder Zer­störung Konven­tionelle Kräfte Irreguläre Kräfte Diplo­matisch Ökonomisch Informa­tionell Staat Nicht-Staat
Politische Kriegsführung   +   begrenzt + + + + +
Irregulärer Krieg   + begrenzt + + + +   +
Unkonventionelle Kriegsführung   + begrenzt + + begrenzt +   +
Subversive Kriegsführung   +   begrenzt + begrenzt +   +
Informations­krieg   +         + + +
Propaganda   +         + + +
Psychologische Operationen   +         + + +
Umfassender Konflikt­ansatz +   + + + + + + +
Hybrider Krieg   + + + + + + + +

Tabelle 1: Merkmale und Dimensionen der hybriden Kriegsführung (modifiziert nach Caliskan und Cramers 2018)

Alle Formen haben überlappende Aspekte. Der umfassende Ansatz hat als einziger konstruktive Elemente zum Aufbau und zur Stärkung von Governance-Strukturen, während die anderen Konfliktformen auf eine Schwächung des Gegners abzielen. Unter diesen ist die hybride Kriegsführung die inklusiv­ste Form, die den gleichzeitigen Einsatz militärischer und nichtmilitärischer Instrumente durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure einschließt. In der politischen Kriegsführung wird der Einsatz aller nichtmilitärischen Instrumente erwogen, obwohl ggf. auch militärische Instrumente, wie Spezialkräfte, zum Einsatz kommen können. Irreguläre und unkonventionelle Kriegsführung beinhalten, vergleichbar der hybriden Kriegsführung, eine breite Palette militärischer und nichtmilitärischer Instrumente. Obwohl die subversive Kriegsführung der irregulären und unkonventionellen Kriegsführung ähnelt, sind die verwendeten Mittel stärker eingeschränkt. Propaganda, psychologische Operationen oder Cyber- und Informationskriege haben ebenfalls Gemeinsamkeiten mit hybriden Kriegen, da sie die Wahrnehmung der Bevölkerung beeinflussen oder Information als Kampfmittel nutzen.

Differenzierung verschiedener Formen und Technologien

Das Wort »hybrid« impliziert eine Kombination mehrerer Gegensatzpaare, die eine Differenzierung verschiedener Formen hybrider Kriege ermöglichen.

Regulär vs. irregulär

Die Trennung zwischen staatlichen Kräften als regulär und nichtstaatlichen Akteuren als inhärent irregulär trifft immer weniger zu. Viele Kriege haben reguläre und irreguläre Komponenten, die in verschiedenen Kampfzonen in unterschiedlichen Formationen auftreten. In hybriden Kriegen können die Grenzen zwischen Kombattant*innen und Nicht-Kombattant*innen verschwimmen (z.B. durch den Wechsel von Uniformen oder Hoheitsabzeichen), sodass ihre Unterscheidung schwierig ist und Missverständnisse möglich sind, die Überreaktionen provozieren. Destruktive Fähigkeiten nichtstaatlicher Gruppen lassen sich durch die Art der Ausrüstung rasch steigern; paramilitärische Kräfte und Milizen erhalten zunehmend Zugang zu Waffenarten, die bislang Staaten vorbehalten waren. Damit können die Anreize für Staaten zunehmen, auf irreguläre Kräfte zurückzugreifen, etwa durch Privatisierung von Sicherheitsdiensten und Ausweitung von Spezialkräften. Je mehr sich die irreguläre Kriegsführung ausbreitet, umso mehr wird sie zur Normalität.

Hightech vs. Lowtech

Auch in hybriden Kriegen hat Technik eine wesentliche Bedeutung, um eigene Interessen durchzusetzen, militärische Macht zu sichern und Schwachstellen des Gegners auszunutzen. Ob dabei Hochtechnologie oder einfache Technik eingesetzt wird, hängt ab von ihrer Verfügbarkeit, den Kosten und der erwarteten Wirkung. Neue Technologien können Kosten senken und die Zielerreichung erleichtern, Informationssysteme die Kontrolle von Staaten ermöglichen oder diese schädigen, soziale Medien gesellschaftliche Systeme und Institutionen beeinflussen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Widerstandsbewegungen oder Terrorismus organisieren, Unsicherheit und Angst verbreiten, strukturelle Schäden oder physische Gewalt ausüben. In hybriden Kriegen können Kombattant*innen zugleich „moderne Kalaschnikow-Sturmgewehre, vormoderne Macheten und postmoderne Mobiltelefone“ einsetzen (Evans 2007). Im Russland-Ukraine-Konflikt ist ein Bündel von Technologien, Waffen und militärischer Ausrüstung zum Einsatz gekommen (Danyk et al. 2019):

  • elektronische Waffensysteme und Gegenmaßnahmen,
  • moderne Informations- und Kommunikationssysteme,
  • innovative Waffensteuerungssysteme und automatisierte Software,
  • integrierte Systeme mit Aufklärungs- und Zerstörungsfunktionen (z.B. unbemannte Flugkörper),
  • informationspsychologische Aktivitäten und Aktionen im Cyberraum,
  • Umweltüberwachung und Weltraumsysteme,
  • nicht-tödliche Waffen.

Um ihre Wirkung zu steigern, können verschiedene dieser Technologien für die Aufklärung und Entscheidungsfindung sowie für den Waffeneinsatz und die Folgenabschätzung in eine hybride Kriegsführungsumgebung integriert werden.

Physisch vs. nichtphysisch

Das breite Spektrum physischer Komponenten umfasst u.a. Land-, See-, Luft- und Weltraumstreitkräfte, Massenvernichtungswaffen, Spezialkräfte, Aufständische oder Terroristen, die illegale Aktivitäten, wie Sabotage, Attentate oder Umweltschäden, ausführen können. Nicht physisch wären diplomatische und politische Aktionen, Informationsoperationen in Cyberräumen und sozialen Medien, Störung kritischer Netzwerk­infrastrukturen, Zwietracht, kriminelle Aktivitäten und Wirtschaftskriegsführung sowie ideologische Einflussnahme und gewaltfreie Unruhen.

»Hard« vs. »soft power«

Neben üblichen militärischen Maßnahmen der »hard power« (z.B. Gewalt) kommen in hybriden Konflikten auch Maßnahmen der »soft power« zum Einsatz, um eine Gesellschaft zu polarisieren, die Denkweisen der Menschen zu beeinflussen, Entscheidungsträger zu manipulieren oder die Infrastruktur zu schwächen. Mögliche Ziele wären die Destabilisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft durch Einsatz sozialer Medien und Nachrichtendienste. Verbündete Parteien, Organisationen und Netzwerke können Frustration und Unzufriedenheit in bestimmten Bevölkerungsgruppen (Minderheiten, Migrant*innen, diskriminierte und marginalisierte Schichten) streuen. Hierzu gehören auch kriminelle Aktivitäten, die illegale Ressourcen bereitstellen oder die Legitimität von Staaten untergraben.

Hohe vs. niedrige Effektivität

Hybride Kampfmittel zielen auf kritische Elemente eines Systems, um Risse und Schwachstellen zu finden und maximale Wirkung zu erzielen. Da der etablierte Kriegsapparat verschiedene Phasen kennt (Entwicklung, Produktion, Stationierung, Einsatz von Waffensystemen) und viele Elemente umfasst (Waffen, Personal, Informationsflüsse, Netzwerke und Entscheidungsstrukturen), kann der Druck auf die schwächsten Glieder der Kette zu Kipppunkten und Kaskadenprozessen führen, verbunden mit destruktiven und systemischen Veränderungen. In der asymmetrischen Kriegsführung suchen schwächere Kontrahenten mit begrenzten Mitteln nach kritischen Schwachstellen in Kommunikation, Infrastruktur und Transport bei stärkeren Gegnern, um deren militärische Operationen zu hemmen oder politische Unterstützung durch die Bevölkerung zu untergraben.

Probleme und Grenzen hybrider Kriege

»Hybrider Krieg« ist ein umstrittenes und problematisches Konzept (Schwitanski 2017). Zu den Hauptkritikpunkten gehören Mehrdeutigkeit und konzeptuelle Unschärfen, die zu Unklarheiten und Missverständnissen führen. Nach Auffassung mancher Militärtheoretiker ist der Begriff zu inklusiv, um analytisch sinnvoll zu sein (Gray 2012). Tatsächlich wird inzwischen fast jeder Aspekt der anti-westlichen Kriegsführung als hybrid bezeichnet.

Dass hybride Kriegsführung ein mehrdeutiges Konzept ist, zeigt auch die erwähnten Studie (Caliskan und Cramers 2018), für die in 66 Medienberichten eine Inhaltsanalyse durchgeführt wurde. Die Autoren verwendeten den Begriff nur in 20 der Medienelemente (<30 %) in seiner direkten Bedeutung. In den meisten Fällen (>70 %) meinen die Autor*innen eigentlich ein anderes Konzept, wenn sie von Hybridkrieg sprechen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass hybride Kriegsführung von den verschiedenen Interessengruppen in der Sicherheitspolitik nicht klar verstanden wird. Offensichtlich fehlt ein Konsens über seine Bedeutung. Die Hälfte der Autor*innen (47 %) nennt den Russland-Ukraine-Konflikt als herausragendes und meist einziges Beispiel für hybride Kriegsführung.

Ungeachtet der definitorischen Schwierigkeiten haben hybride Kriege einen realen Kern. Nach Aussagen ihrer Protagonisten verweisen gerade die Vielfalt und Komplexität hybrider Kriege auf die Schwächen des »American way of war«. Ihre Hauptmerkmale – die Konvergenz und Kombination verschiedener Konfliktformen – stellen das konventionelle militärische Denken der USA in Frage und berühren Kerninteressen der westlichen Weltordnung. Verschiedene Krisen werden in den Kontext hybrider Bedrohungen gebracht, so der Nahostkonflikt, der Syrien-Krieg, die Anschläge von IS und Boko Haram, der Venezuela-Konflikt, der Iran-Konflikt, die Flüchtlingsproblematik, die Sicherheitsrisiken des Klimawandels oder die Ausbreitung des Rechtspopulismus. Mit den vernetzten und entgrenzten Krisen des 21. Jahrhunderts tut sich der aufgeblähte Rüstungsapparat der USA schwer (Scheffran 2015). Ob die intellektuelle Bewältigung und konzeptionelle Anpassung gelingt, ist offen. Auch wenn der Aufstieg hybrider Kriege nicht das Ende konventioneller Kriege bedeutet, macht es die Sicherheitsplanung im 21. Jahrhundert komplizierter und ambivalenter.

Für Hoffman (2007, S. 52) liegt das möglicherweise bedeutendste Merkmal moderner Konflikte in der „Ausnutzung moderner Medien, um breite Massen zu erreichen und sie zu mobilisieren, um die eigene Sache zu unterstützen. Wir müssen lernen, wie wir uns auf diesen wachsenden Teil des Schlachtfeldes einlassen, um gegen die Denkweise unserer Gegner und der Bevölkerung zu manövrieren.“ Er sieht den Westen im Krieg mit einer fundamentalistischen Bewegung, „die sehr moderne und westliche Technologien nutzt, um ein antiwestliches soziales und politisches System wiederherzustellen“.

Hybride Kriege werden damit zum Kampfbegriff gegen alle, die sich gegen westliche Kriege und Aufrüstungstendenzen wenden, von unliebsamen Staaten über in Terrorismus involvierte Personen bis zu Friedensaktivist*innen. Tatsächlich wurden viele der Technologien des hybriden Krieges, vom Internet bis zur Drohne, im Westen entwickelt, allen voran in den USA. Daher wirkt es seltsam, die Übernahme dieser Technologien durch andere als Bedrohung zu beklagen. Bemerkenswert ist auch, dass viele der Gründe und Motive für hybride Kriege eine Folge westlicher Politik sind. Hierzu gehören Globalisierung und Kolonialismus, NATO-Osterweiterung und Raketenabwehr, Ressourcenausbeutung und Militärinterventionen. Somit ähnelt die Bekämpfung selbst geschaffener hybrider Bedrohungen dem Versuch, einer mehrköpfigen Hydra die Köpfe abzuschlagen.

Manche Militärexperten fordern neue und kreative Ansätze, um Implikationen und geeignete Antworten herauszuarbeiten. Für John Arquilla (2007) von der Naval Postgraduate School erfordert der Umgang mit Netzwerken, die auf so viele verschiedene Arten kämpfen können, innovatives Denken auf allen Ebenen, von der Führung und Kontrolle über Streitkräftestrukturen bis zur Aus- und Weiterbildung. Dies klingt nach einer neuen Runde des Wettrüstens der USA gegen die Hydra hybrider Kriegsführung.

Literatur

Arquilla, J. (2007): The end of war as we knew it? Insurgency, counterinsurgency and lessons from the forgotten history of early terror networks. Third World Quartely, Vol. 28, Nr. 2, S. 369-386.

Caliskan, M.; Cramers, P.A. (2018): What Do You Mean by »Hybrid Warfare«? A Content Analysis on the Media Coverage of Hybrid Warfare Concept. Horizons Insights 4/2018, S. 23-35.

Danyk, Y., Maliarchuk, T.; Briggs, C. (2019): Hybrid War – Hightech, Information and Cyber Conflicts. Connections, Vol. 16, Nr. 2, S. 5-24.

Evans, M. (2007): From the Long Peace to the Long War – Armed Conflict and Military Education and Training in the 21st Century. Australian Defence College, Occasional Paper No. 1/2007.

Gray, C.S. (2012): Categorical Confusion? The Strategic Implications of Recognizing Chall­enges Either As Irregular or Traditional. Carlisle, PA: Strategic Studies Institute, U.S. Army War College.

Hagen, R.; Scheffran, J. (2002): Mit Weltraumwaffen gegen Teppichmesser? Das Streben der USA nach Dominanz im All. Wissenschaft und Frieden 1-2002, S. 62-64.

Hoffman, F.G. (2007). Conflict in the 21 st Century – The Rise of Hybrid Wars. Arlington, VA: Potomac Institute for Policy Studies.

International Institute for Strategic Studies/IISS (2015): The Military Balance 2015 – Complex crises call for adaptable and durable capabilities. London: IISS, Vol. 115(1), S. 5-8.

Maas, J. (2017): Hybrid Threat and CSDP. In: J. Rehrl (ed.): Handbook on CSDP – The Common Security and Defence Policy of the European Union. Wien: Federal Ministry of Defence and Sports of the Republic of Austria, S. 125-130.

NATO (2015): NATO Transformation Seminar. In: White Paper. Next Steps in NATO’s Transformation – To the Warsaw Summit and Beyond. Washington.

Neuneck, G.; Scheffran, J. (2000): Die Grenzen technischer Kriegführung. Spektrum der Wissenschaft 1/2000, S. 90-98.

Scheffran, J. (2015): Vom vernetzten Krieg zum vernetzten Frieden – Die Rolle von Wissenschaft und Technik. FIfF-Kommunikation 3/2015, S. 34-38.

Schwitanski, C. (2017) Hybride Bedrohungen – Analysekategorie oder Steigbügelhalter der Militarisierung? IMI-Studie 13/2017.

Dr. Jürgen Scheffran ist Professor für Integrative Geographie und Leiter der Forschungsgruppe Klimawandel und Sicherheit (CLISEC) an der Universität Hamburg. Er ist Mitglied der W&F-Redaktion.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 9–12