W&F 2010/1

Forschen - erkennen - handeln

23.-25. Oktober 2009 - Berlin

von Barbara Dietrich

Im Oktober 2009 feierte die Vereinigung deutscher Wissenschaftler (VDW) in Berlin ihr 50jähriges Bestehen. Im Jahre 1959 von Carl-Friedrich von Weizsäcker und den Nobelpreisträgern Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max von der Laue gegründet, war sie geleitet von der Überlegung, dass eine permanente kritische Reflexion der Forschenden über die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die Gesellschaft notwendig sei und verantwortlicher öffentlicher Diskussion bedürfe.

An den folgenden Tagen hatte die VDW in Kooperation mit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zum Kongress »Forschen - erkennen - handeln: Verantwortung von Wissenschaft und Forschung in einer globalisierten Welt« eingeladen. Zunächst konzentriert sich dieser Bericht auf das Thema, das allen Referaten - programmgemäß - inhärent war: die Verantwortung der Wissenschaftler/innen in Forschung und Lehre - derzeit und zukünftig.

Es bestand Konsens darüber, dass die Zurückhaltung der (Natur)wissenschaften gegenüber Gesellschaft, Öffentlichkeit und politischen Handlungsoptionen - nach dem 2. Weltkrieg eine Reaktion auf die NS-Zeit - endgültig aufgegeben werden müsse. Da Wissenschaftler/innen in der Lage seien, die Folgen ihrer Arbeit vorausschauend einzuschätzen, seien sie schon mit Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen verpflichtet, über z.B. existenzbedrohende technologische Möglichkeiten oder vermutete bzw. absehbare Gefahren, die sie im Kontext ihrer Forschungen erkennen, zu reflektieren, öffentlich aufzuklären, Alternativen zu entwickeln und zu deren politischer Implementierung beizutragen. Exemplarisch wurde mehrmals auf die »Göttinger Erklärung« im Jahre 1957 Bezug genommen, mit der 18 Atomforscher, unter ihnen die o.g. Gründungsmitglieder der VDW, in die damals aktuelle Diskussion eingegriffen und öffentlich vor einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr gewarnt hatten - bekanntlich mit Erfolg.

Die Wahrnehmung der Verantwortung für zukünftige Entwicklungen sei allerdings, so mehrere Referenten, nur möglich, wenn die Kooperation der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen untereinander zunähme: nur dann könnten die heutigen Probleme in ihrer Mehrdimensionalität erfasst und adäquat bearbeitet werden. Jene sei zudem als eine ethische Aufgabe zu begreifen, die in jeder Wissenschaftsdisziplin relevant sei und jeweils der Implementierung bedürfe.

Die Verpflichtung der Wissenschaftler/innen, öffentliche Aufklärung und kritischen Diskurs zu initiieren, dürfe sich nicht nur auf die externe Öffentlichkeit beziehen, sondern müsse ebenso im Rahmen der Lehre gelten. Die Weitergabe von Fachwissen verstehe sich von selbst, darüber hinaus gelte es aber, mit den Studierenden Kriterien zu entwickeln, die es ihnen ermöglichten, Fachwissen und Forschungsergebnisse kritisch zu überprüfen, zu problematisieren und gegebenenfalls zu verwerfen. Soziale Gerechtigkeit, friedliches Zusammenleben, Umweltverträglichkeit, Endlichkeit der natürlichen Ressourcen könnten solche Kriterien sein.

Fachliche Schwerpunkte des überaus umfangreichen Programms waren Aspekte der Globalisierung und des Klimawechsels sowie Chancen und Probleme der nuklearen Abrüstung. Unmöglich, einen Überblick über die von meist renommierten Wissenschaftlern/innen vorgetragenen Fachreferate (www.vdw.de) zu geben. Deshalb werden hier einige signifikante Überlegungen aus den jeweiligen Schwerpunkten vorgestellt. Verschiedene Referenten warnten davor, dem Fetisch »Wachstum« absoluten Vorrang vor z.B. umweltbezogenen und sozialen Aspekten der Marktwirtschaft einzuräumen: Wachstum im Kontext der Globalisierung impliziere unbegrenzte Ausbeutung in einer Welt begrenzter Ressourcen und habe u.a. wachsende Armut, übermäßige Belastung der Umwelt und langfristig Gefährdung der Lebensgrundlagen für die nachfolgenden Generationen zur Folge (Buchmann, Neef, Schneider). In der internationalen Forschung gebe es zwei Communities: die eine, die der Wahrheitsfindung verpflichtet sei, und die andere, die auf kurzfristige ökonomische Verwertbarkeit abziele, dem im Zuge der Globalisierung vorherrschenden Trend folgend. Die zunehmende Privatisierung der Forschung bringe es mit sich, dass die Ausrichtung an der kurzfristigen ökonomischen Verwertbarkeit - den Interessen der jeweiligen Auftraggeber folgend - die Oberhand gewinne. Auch die Denkhorizonte der Politiker/innen seien kurzfristig, nämlich an den 4-jährigen Legislaturperioden ausgerichtet. Wissenschaftler und Forscher/innen müssten demgegenüber in ihrer Arbeit und in der öffentlichen Diskussion um Zukunftsperspektiven neu und langfristig denken, auf Begrenzung des Wachstums zugunsten der Erhaltung der Umwelt und des Vorrangs des Gemeinwohls hinwirken, diese als fundamentale Zielvorgaben bewusst und bekannt machen. China und Korea, die jeweils ein Konjunkturprogramm zur Ökologisierung ihrer Wirtschaft eingesetzt haben, seien insoweit Vorbilder (v. Weizsäcker).

Der Markt sei globalisiert, die Rechtsregeln seien dagegen nationale geblieben, was zur Folge habe, dass Recht und Demokratie auf der Strecke blieben. Es gelte, den Markt, insbesondere die Internationalen Finanzmärkte international geltenden Rechtsregeln zu unterwerfen - eine Forderung, die von angelsächsischer Seite bisher abgelehnt worden sei, die aber weiter verfolgt werden müsse, weil Demokratie und Freiheit des Schutzes gegenüber uneingeschränkten Kräften des Marktes/der Finanzmärkte bedürften (Kreibich, v. Weizsäcker).

Zur Frage der nuklearen Abrüstung wurde in Barack Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt eine neue Chance gesehen. Sie müsse genutzt werden angesichts der Tatsache, dass weltweit mehr als 20.000 Nuklearwaffen existierten, von denen 480 in Europa stationiert seien, dass die USA und Russland etwa 1.000 einsatzbereite und zum Ersteinsatz geeignete nukleare Gefechtsköpfe besäßen, dass möglicherweise auch kleinere, nicht vom nuklearen Schirm der USA geschützte Staaten den Besitz von Atomwaffen anstrebten und dass schließlich der Nuklearterrorismus eine akute Gefahr darstelle. Der Atomteststoppvertrag müsse dringend von den USA ratifiziert werden, wozu Obama bisher 7 Stimmen aus dem republikanischen Senatslager fehlten. Auch müsse der START I-Folgevertrag verabschiedet werden, der vorsehe, dass die Zahl der Atomsprengköpfe der USA und Russlands jeweils auf 1.500 bis 1.675 reduziert werden. Und schließlich solle die Produktion von hoch angereichertem waffenfähigen Uran (HEU) und von Plutonium verboten und die Menge spaltbaren Materials sowie die Zahl der Standorte, an denen es gefunden werden kann, reduziert werden. Obama bedürfe der Unterstützung durch die Zivilgesellschaft, deshalb sei es Aufgabe der Wissenschaftler/innen, der Öffentlichkeit die mit Nuklearwaffen verbundene tödliche Gefahr - derzeit weitgehend vergessen - erneut bewusst zu machen (v. Hippel, Kalinowsky).

Anhand mehrerer Beispiele (Südafrika, Libyen, Nordkorea, Iran, Irak) werde deutlich, dass die Kontrollmaßnahmen auf der Grundlage des Atomsperrvertrages (NPT) im Hinblick auf nukleare Aktivitäten nicht effektiv seien, wiewohl durch das Zusatzprotokoll 1997 die Informationspflichten der zu kontrollierenden Staaten erweitert, der IAEO der kurzfristige Zugang zu entsprechenden Anlagen gestattet und neue Informationstechniken, z.B. Satellitenaufnahmen, für zulässig erklärt worden waren. In der internationalen Forschung werde deshalb die Arbeit an der Entwicklung neuer Techniken und Instrumente für die Entdeckung nicht gemeldeter nuklearer Aktivitäten, Anlagen und Materialien intensiv fortgeführt. Gleichzeitig gewinne die Zivilgesellschaft durch verstärkten Einsatz ihrer bisherigen und neuer Kontrollmöglichkeiten an Bedeutung. Und schließlich gebe es in vielen Ländern - ähnlich wie auch in Deutschland - Kampagnen, die mit Nachdruck die vollständige Abschaffung aller Atomwaffen forderten (Kalinowsky).

Sehr interessant und zukunftsweisend war die Vorstellung der Nuklearforensik, einer Forschungsdisziplin, die seit Beginn der 1990er Jahre im Institut für Transurane (ITU) in Karlsruhe in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Forschungsinstituten entwickelt wird. Komplementär zu den Verifikationstechniken im Rahmen des NPT entwickeln Nuklearforensiker u.a. Methoden, die es ermöglichen, gefundenes und eventuell waffenfähiges Nuklearmaterial, das verschwunden war oder gestohlen oder illegal gehandelt wurde, als solches zu identifizieren und anhand bestimmter Eigenschaften spezifischen Produktionsverfahren und Herkunftsregionen/orten zuzuordnen. Diese Disziplin ist essentiell für die Bekämpfung des nuklearen Terrorismus und des internationalen Atomschmuggels (Mayer).

Der anthropogene Klimawechsel als Folge der Erderwärmung wurde allseits als eine große drohende Gefahr für das Leben auf der Erde hervorgehoben (Graßl, Buchmann, Umbach). „Wer hat, dem wird gegeben; wer nichts hat, dem wird genommen“ - so beschrieb ein Referent das Muster derzeitiger Niederschläge, wie es z.B. in der zunehmend austrocknenden Mittelmeerregion beobachtet werde. Die augenblickliche Verlangsamung der Klimaerwärmung sei nur ein Scheinerfolg, da sie der Wirtschaftskrise geschuldet sei (Graßl). Ansonsten gehe der Klimaschutz langsamer voran als vorgesehen und notwendig. Der Vizepräsident der DPG, Umbach, erntete allerdings lebhaften Widerspruch, als er unter Bezugnahme auf ein Gutachten seiner Organisation forderte, die Kernkraftwerke länger laufen zu lassen als es der rotgrüne Koalitionsvertrag vorsah: Nur wenn sie nicht bis 2020 abgeschaltet würden, könne das Ziel der jetzigen Regierung, die Treibhausemissionen bis dahin um 40% zu reduzieren, annähernd erreicht werden.

Abschließend sei noch auf einen krassen Gegensatz hingewiesen, der mehrfach thematisiert wurde: im Jahr 2008 beliefen sich die Rüstungsausgaben weltweit auf 1,4 Billionen $. Demgegenüber gab es im Jahr 2009 weltweit 1,2 Billionen hungernde Menschen. Zahlen, die Empörung hervorrufen, umso mehr, wenn man sich die Wirklichkeit, die sie ausdrücken, vor Augen führt.

Barbara Dietrich

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2010/1 Intellektuelle und Krieg, Seite 66–67