W&F 2011/3

Forschen für den Frieden, nicht für’s Militär

Kongress »Nein zur Militarisierung von Forschung und Lehre – Ja zur Zivilklausel«, 27.-29. Mai 2011, Technische Universität Braunschweig

von Lucas Wirl und Uwe Wötzel

An über 40 deutschen Hochschulen wird Forschung für den Krieg betrieben.1 Der Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes auf die akademische Lehre wächst. Rüstungskonzerne vergeben Forschungsarbeiten und finanzieren Stiftungsprofessuren, Jugendoffiziere der Bundeswehr lehren, und das Verteidigungsministerium stellte 2010 insgesamt 1,1 Milliarden Euro für Rüstungsforschung bereit (FAZ, 12.1.2011). Der Widerstand dagegen nimmt konkrete Formen an: Ein bundesweiter Kongress gegen die Militarisierung von Forschung und Lehre und für Zivilklauseln fand in Braunschweig statt. Dabei gründete sich das Netzwerk »Hochschulen für den Frieden – ja zur Zivilklausel«, um die Bündelung lokaler Aktivitäten zu unterstützen und bundesweite Aktivitäten zu entwickeln, und es wurde eine umfassende Abschlusserklärung gegen Kriegsforschung und für Zivilklauseln veröffentlicht.

Vernetzen für eine friedliche, nachhaltige und gerechte Welt

Das Haus der Wissenschaft der TU Braunschweig stand vom 27.-29.5.2011 ganz im Motto Albert Einsteins: „Ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen.“

Die Gewerkschaften GEW und ver.di, Studierendenorganisationen und WissenschaftlerInnen-Verbände luden zum ersten bundesweiten Kongress gegen die Militarisierung von Forschung und Lehre seit 20 Jahren ein. Über 100 TeilnehmerInnen von mehr als 20 Universitäten, von Gewerkschaften und friedensbewegten Organisationen nahmen an der Veranstaltung teil. Ein älterer Teilnehmer sagte über den Kongress: „Er war darauf gerichtet, die Friedensfrage wieder an die Unis zurück zu bringen.“

Die zunehmende Militarisierung von Forschung und Lehre wurde analysiert, Zusammenhänge der gezielten Militarisierung aller Lebensbereiche und der Indienstnahme für Kriegspolitik erörtert, Strategien für die Abwehr dieser gefährlichen Tendenzen, insbesondere gegen die bewusste Vermischung von zivilen und militärischen Zwecken (dual use), entwickelt. Im Mittelpunkt des ersten Abends standen aber auch wissenschaftspolitische Alternativen (sustainable science)2 und die großen forschungspolitischen Herausforderungen, um allen Menschen auf dieser Welt ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Internationaler Austausch und Vernetzung fanden bei einem Seminar der Organisationen INES und UNI statt.3

Der Kongress verstärkte die Vernetzung bestehender Initiativen für eine Friedensbindung mittels Zivilklauseln und verständigte sich über inhaltliche Fragen. Die Diskussion wurde vom Grundgedanken geleitet, dass Wissenschaft, Forschung und universitäre Lehre nur im Frieden gedeihen können und an zivilen Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts arbeiten sowie den Frieden fördern sollen. Dieser Grundgedanke, so der Kongresskonsens, muss wieder stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt und Richtschnur für das Engagement aller Hochschulangehörigen werden. Zivilklauseln sind in diesem Sinne ein Mittel zur Friedensbindung, als bewusster und verbindlicher Ausdruck für die zivile und friedliche Orientierung von Hochschulen.

Deshalb sprachen sich alle TeilnehmerInnen und VeranstalterInnen des Kongresses für die Verbreitung des Internationalen Appells »Ja zur Friedensbindung der Universitäten – Nein zur Militärforschung. Es ist Zeit zum Handeln!« aus.4 Die Unterzeichnerlisten des Aufrufs, der sich an Universitätspräsidenten und verantwortliche akademische Gremien richtet, sollen zu einem späteren Zeitpunkt an die International Association of University Presidents (IAUP) übergeben werden.

Wir sind empört!

Der umfassende Friedensauftrag des Grundgesetzes wurde wiederholt als bedeutendes Argument gegen die grobe Verletzung der Zivilklauseln an den Universitäten in Bremen und Tübingen gewertet.

Die Militarisierung von Wissenschaft und Forschung geht Hand in Hand mit der Militarisierung der ganzen Gesellschaft. Ob die Vereinnahmung von Universitäten durch Militärforschung, die Ausfuhr von Kriegsmaterial in andere Staaten oder die Entsendung der Bundeswehr zur Sicherung von Rohstoffquellen und Transportwegen für die deutsche Wirtschaft – keiner dieser Prozesse fördert eine friedliche Entwicklung der Welt; sie sind unvereinbar mit den Grundgedanken des Grundgesetzes.5

Voraussetzung für Frieden ist die Einhaltung der Menschenrechte sowie die Gestaltung von sozialen und ökologischen Lebensbedingungen für alle Menschen – ohne Anwendung von Gewalt. Weder Erfindungen der Militärforschung noch Interventionsarmee und Rüstungsexporte können zum Wohle der Menschheit beitragen. Bei der Friedensfrage geht es immer auch um die Auseinandersetzung mit struktureller Gewalt.

Durch die militärische und »sicherheitspolitische« Indienstnahme von Forschung und Lehre werden Partikularinteressen von Investoren bedient und Transparenz, Autonomie, Freiheit und Demokratie der Hochschulen angegriffen und unterlaufen. So genannte »wehrwissenschaftliche Forschung«6 unterliegt der Geheimhaltung, wird teilweise der zivilen Forschung nach dem »add-on-Prinzip« übergestülpt und blockiert notwendige Forschung zur Lösung von sozialen und ökologischen Problemen. Durch die Erhöhung der Drittmittelfinanzierung zieht sich der Staat immer mehr aus seiner Verantwortung zurück und verstärkt die Abhängigkeit der chronisch unterfinanzierten Universitäten sowie der Lehrenden, Angestellten und Studierenden von gewinnorientierten Geldgebern.

Für eine partizipative, demokratische, transparente und an der Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts ausgerichtete Wissenschaft bedarf es jedoch der Sicherstellung ausreichender öffentlicher Mittel für zivile Hochschulen.

Es ist Zeit zu handeln!

Um dies zu erreichen, ist eine breite gesellschaftliche Bewegung für Frieden erforderlich. Für Hochschulen bedeutet dies die Einführung bzw. Einhaltung einer verbindlichen und umfassenden Zivilklausel. Die ausschließlich friedliche Ausrichtung der Wissenschaft – der Forschung wie der Lehre – muss an jeder Hochschule, muss bundesweit eingefordert werden. Dazu bedarf es vermehrter Vernetzung, verstärkten Austauschs und besserer Zusammenarbeit zwischen gesellschaftlichen Gruppen.

Die Initiative »Hochschulen für den Frieden – ja zur Zivilklausel«7 hat sich zum Ziel gesetzt, diese gesellschaftliche Bewegung zu fördern und zu entwickeln. Die Initiative ist offen für alle, die sich für friedliche Konfliktregelungen einsetzen und gegen die Militarisierung des Wissenschaftssystems wenden. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn an unseren Hochschulen (wieder) für den Krieg geforscht wird. Wir werden es nicht dulden, wenn an unseren Hochschulen wieder militärische Geheimforschung betrieben werden soll – so der Tenor der Tagung, die stark von jungen und beeindruckend engagierten Teilnehmenden geprägt war.

Anmerkungen

1) Bundestags-Drucksache 16/10156: Öffentlich geförderte wehrtechnische und bundeswehrrelevante Forschung, von 21.8.2008.

2) Siehe z.B. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation.

3) INES = Internationale Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility; inesglobal.com. UNI= UNI global union, ein internationaler gewerkschaftlicher Dachverband; uniglobalunion.org.

4) Aufruf auf Englisch » Reject Research for the Military. It is time to act« unter www.inesglobal.com, auf Deutsch unter www.natwiss.de.

5) Dazu u.a.: Deiseroth, Dieter. Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta – aus juristischer Sicht. In: Peter Becker, Reiner Braun, Dieter Deiseroth (Hrsg.) (2010): Frieden durch Recht. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

6) Siehe z.B. Bundesministerium für Verteidigung: Wehrwissenschaftliche Forschung – Jahresbericht 2009.

7) Die Abschlusserklärung steht unter www.natwiss.de. Referate des Kongresses können unter inesglobal.com/commit-universities-to-peace.phtml abgerufen werden.

Lucas Wirl und Uwe Wötzel

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/3 Soldaten im Einsatz, Seite 59–60