W&F 2000/3

Frankreichs nationaler Militär-Konsens

von Johannes M. Becker

Das Militär spielt in der politischen Kultur Frankreichs eine besondere Rolle. Obwohl es nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Kriege führte, obwohl es atomar hochgerüstet länger an A-Waffen-Tests festhielt als die anderen Großmächte, obwohl es so aussieht, als ob sich die Rüstungsexporte ausschließlich an der Profitmaximierung orientieren, ist die Kritik am Militär in der französischen Gesellschaft nicht sehr weit entwickelt.
Johannes M. Becker wirft einen Blick in die jüngere Vergangenheit und untersucht die Gründe für den »Nationalen Militär-Konsens«1 und seine Auswirkungen.

Wilfried von Bredow thematisierte in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Theorie vom Militärisch-Industriellen Komplex (MIK) als eines von dessen Merkmalen die Verwischung „der herkömmlichen Trennlinien zwischen zivil und militärisch„, also, wie Monika Medick sich ausdrückte, die „Erosion der Trennung zwischen zivilem und militärischem Sektor der Gesellschaft“.2

Beide Phänomene lassen sich für Frankreichs Geschichte nach dem Zusammenbruch der III. Republik 1940 und insbesondere für seine Nachkriegszeit an einer langen Kette von Entwicklungen aufzeigen:

  • Schon die Phase der »Résistance« hatte die Trennungslinien verwischt; militärischer und nicht-militärischer Widerstand waren zum einen nur schwer zu unterscheiden gewesen, zum anderen hatte das französische Militär durch sein sukzessives Überwechseln in die Reihen der Résistance-Truppen während des Krieges und durch die Tatsache, dass Frankreich nach 1945 formell zum Kreis der Siegermächte zählte, den 1940 verlorenen Kredit im Massenbewusstsein weitgehend zurückgewonnen. Das Militär hatte durch seine aktive Beteiligung bei der Befreiung und der Besetzung Deutschlands in weiten Teilen der Bevölkerung wahrscheinlich sogar noch an Ansehen gewonnen.
  • Nach 1944/45 erlebte Frankreich dann nur eine kurze und schwache Phase der Demobilisierung; die Besetzung Deutschlands und Österreichs, vor allem jedoch der Indochina-Krieg, der Ende 1946 begann, hielten das Land im Zustand einer (wenngleich begrenzten) Militarisierung: Soldaten mussten rekrutiert und außer Landes geschickt werden, der Staatshaushalt wurde erneut belastet, die Moral sank mit den fortlaufenden Todesnachrichten der Soldaten, vor allem mit der Niederlage u.v.m..
  • Nahtlos an den Indochina-Krieg schloss sich der Algerien-Krieg an, der im Gegensatz zu ersterem zunächst von einem breiten nationalen Konsens getragen wurde – erst in seinem Verlauf rang sich die politische Klasse Frankreichs dazu durch, auch »l'Algérie française« in die Unabhängigkeit zu entlassen; die subsaharischen Kolonien Frankreichs hatten bereits 1956 begonnen, die umfassende »décolonisation« einzuleiten.
  • In der Zwischenzeit bereits hatten die geheimen, illegalen Vorbereitungen für ein atomares Rüstungsprogramm begonnen, das nach der Übernahme der Regierungsgewalt durch General de Gaulle mit Druck vorangetrieben wurde. Nach den als schmachvoll empfundenen Niederlagen in den Kolonialkriegen sollte die Atombombe, verkörpert in der »Force de frappe«, im französischen Massenbewusstsein der folgenden Jahrzehnte eine wichtige Rolle spielen beim Versuch der Wiedererlangung der verlorenen Weltgeltung Frankreichs. Dies um so mehr, als sich de Gaulle scheinbar erfolgreich gegen den Zugriff der USA und der NATO auf diese nationale Waffe wehrte3 und 1966 nach einer langen Phase politischer Spannung innerhalb der NATO gar die militärische Integration des atlantischen Bündnisses verließ. Ein Rüstungsakt hatte, so schien es, im Massenbewusstsein die Souveränität der französischen Politik wiederherstellen geholfen (nur die KommunistInnen und ein Teil der SozialistInnen widersetzten sich).
  • Die Atomwaffe markierte mit der Plutoniumproduktion auch einen zentralen Punkt der volkswirtschaftlichen Vermengung von ziviler und militärischer (hier: Energie-)Politik, der große Nuklearanteil am Verteidigungshaushalt in der Aufbauphase der »Force de frappe« verstärkte diesen Effekt.
  • Schließlich das sinnfälligste Beispiel für die oben genannten technologie-, forschungs-, beschäftigungs- und konjunkturpolitischen Funktionen des Militärs – und somit für die „Erosion der Trennung zwischen zivilem und militärischem Sektor“:der Rüstungsexport. Dieser erfuhr unter Staatspräsident Giscard d'Estaing (1974-1981) einen gewaltigen Anstieg, Frankreich wurde zum drittstärksten Waffenexporteur der Erde und beschäftigte am Beginn der 80er-Jahre etwa eine halbe Million Menschen in diesem Bereich. Ein nationaler Konsens zum Erhalt der französischen Rüstungsindustrie lag in der Logik der Entwicklung. Gäbe man beim heute zu konstatierenden hohen Anteil der militärischen an der Gesamtproduktion der großen Technologietrusts (bspw. Thomson oder auch MATRA, von dem Le Monde am 13.01.1981 vieldeutig als „verlängertem Arm der Regierung“ sprach, Aérospatiale oder Dassault) die militärische Sphäre auf, gefährdete man ohne Flankenschutz aus dem Bereich der Konversionsforschung und -politik in der Tat ganze Industriebereiche. Hiergegen wehrten und wehren sich die vom Nationalen Militär-Konsens Begünstigten.

Weitere bekannte Faktoren verstärken die zu Grunde liegende These:

  • Die Streitkräfte haben auch in Frankreich ein hohes innenpolitisches Gewicht; dieses äußert sich bspw. im – von Nationalstolz geprägten – Umgang mit der Befreiung Frankreichs, es äußerte sich im Zusammenhang mit der Regierungsübernahme General de Gaulles im Jahre 1958 und der damaligen tragenden Rolle des Militärs, es wird jedes Jahr bei Gelegenheiten wie dem 8. Mai oder dem 14. Juli auf ein Neues durch große Militärparaden deutlich; auch diese werden von einem breiten Konsens getragen;
  • Durch das Prinzip der Wehrpflicht prägt das Militär bis in unsere Jahre hinein (die Wehrpflicht wird ab dem Jahre 2002 ausgesetzt) auch in Frankreich die politische und soziale Einstellung einer Vielzahl vor allem junger Menschen: Bis in die Endneunzigerjahre hinein waren von etwa 500.000 Soldaten etwa 210.000 Wehrpflichtige, sie machten also über 40 % Prozent der Gesamtstärke der Armee aus.

In dieser Gesamtanlage der Sicherheitspolitik Frankreichs in der Nachkriegszeit, insbesondere während der V. Republik (1958 ff.) kamen – wenngleich diese selbst gänzlich überraschend – die beiden großen Linksparteien PS und PCF (zuzüglich des kleinen PS-Fortsatzes MRG) in die Regierungsverantwortung. Frankreichs SozialistInnen und KommunistInnen hatten freilich bereits wenige Jahre vor dem Mai 1981 in der Kernfrage der Sicherheitspolitik, in der Problematik der strategischen Nuklearbewaffnung, weitreichende Schwenks vollzogen. Von Positionen der radikalen Ablehnung zu Zeiten noch des »Programme commun« (1972 ff.) eingeschlossen das Versprechen, die »Force de frappe« im Falle eines entscheidenden Wahlsieges abzurüsten, zu offenherziger (PS) bzw. zurückhaltender (PCF) Akzeptierung derselben; Akzeptierung eben als Garanten der nationalen Souveränität Frankreichs.4

Dieser Strategiewandel der beiden Linksparteien, der den Nationalen Militär-Konsens für unseren Analysezeitraum erst als geschlossenes Ganzes konstituierte, war nun eingedenk der aufgezeigten Kriegs- und Nachkriegsentwicklung Frankreichs so verwunderlich nicht; wenn PS und PCF auch als Katalysator wesentlich die Linksunion und die Verschiebungen in deren internen Kräfteverhältnissen benötigten – dies alles im Angesicht der greifbar erscheinenden Regierungsgewalt in Paris.

Der Konsens in der Nuklearpolitik, der militärischen wie der sogenannten zivilen, zog dann nach 1981 die Regierungspolitik des Nationalen Militär-Konsenses insgesamt nach sich. Frankreichs SozialistInnen und KommunistInnen bauten die Nuklearstreitkräfte enorm aus, steigerten den Rüstungsexport, stationierten Navigationsinstrumentarien im Weltraum u.v.m.

Gaullistische Renaissance in Frankreich unter Jacques Chirac

Die Wahl des Neogaullisten Jacques Chirac zu Frankreichs Staatspräsidenten im Mai 1995 sollte die Pariser Sicherheitspolitik aktivieren. Chirac eröffnete seine politische Bilanz mit einem Paukenschlag, als er noch im Sommer 1995 die von seinem sozialdemokratischen Vorgänger Mitterrand ausgesetzten französischen Atomversuche im Südpazifik wiederaufnahm. Trotz einer unerwartet großen Welle des internationalen Protestes (selbst das Europäische Parlament verurteilte die Pariser Politik), trotz der Gefahr von Einbußen bei französischen Exporten, trotz des Risikos eines Profilgewinns der politischen Linken – als Entspannungs- und Abrüstungsprotagonisten – blieben Chirac und sein ebenfalls gaullistischer Premier Alain Juppé bei der Test-Linie.

Erneut kam Bewegung in das sicherheitspolitische Gefüge der Nachfolger de Gaulles, als Frankreichs Staatsführung im Herbst – offenbar kurzzeitig beeindruckt von den Protesten der Verbündeten (die Bonner Regierung hielt sich hierbei äußerst zurück) – zwei in höchstem Maße »ungaullistische« Überlegungen äußerte. Erstens, dass es vorstellbar sei, dass der Schutzschirm der Nuklearwaffen Frankreichs auf die Bundesrepublik ausgeweitet werden, ja darauffolgend sogar ins das Gefüge der europäischen Einigung eingebracht werden könne. Zweitens, indem Überlegungen erkennbar wurden, nach denen Frankreich auch militärisch5 wieder in das NATO-Bündnis zurückkehren könnte.6

Beide Entwicklungen wurden in sicherheitspolitischen Kreisen mit viel Aufmerksamkeit, in den meisten nicht-französischen konservativen Zirkeln sogar mit Euphorie bedacht. Bei näherer Analyse kristallisierte sich jedoch ein entscheidendes Pariser Junktim heraus: Chirac und seine BeraterInnen wollten die Integrationen nur dann stärken, wenn sich sowohl im Gefüge der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) wie auch bei einer Neudefinition der NATO-Aufgaben für Europa eine größere Eigenständigkeit europäischer Strukturen ergäbe. Das hieß im Klartext: Eine größere Unabhängigkeit von US-Einfluss und dies möglichst mit französischem Profilgewinn verbunden. Das konkretisierte sich im Laufe der folgenden Monate als Forderung nach neuen entscheidenden Kommandoposten der NATO für französische bzw. europäische Generäle.7

Mit noch einer dritten Ankündigung profilierte sich Staatspräsident Chirac in seiner »domaine reservée«, der Sicherheitspolitik: der Abschaffung, korrekter der Aussetzung der Wehrpflicht und der Schaffung einer reinen Berufsarmee bis zum Jahre 2002.8 Auch diese Entscheidung – durchaus vergleichbar mit der derzeit aufkeimenden Debatte in Deutschland – ist nicht einem Legitimationsverlust des französischen Militärs zuzuschreiben. Eine Berufsarmee erscheint der Administration Chirac hingegen weit mehr als eine Armee von Wehrpflichtigen in der Lage, den weltweiten Interventionsansprüchen Frankreichs zu entsprechen, das heißt den Ansprüchen Frankreichs nach Ergänzung der aktuellen Unilateralität um eine entweder französische oder je nach den politischen Konditionen auch eine europäische Komponente.

Die Verweigerung des Militärdienstes hat in Frankreich im Übrigen eine andere Kultur als hierzulande. Nur wenige tausend der ca. 230.000 Wehrpflichtigen verweigerten zu Beginn der 90er-Jahre den Kriegsdienst.9 Allerdings wählt eine recht hohe Zahl junger Menschen den »service civile«, eine Art Sozialdienst. Hierbei handelt es sich um eine, so J. Bechthold, „zivile Form des Militärdienstes, den Rekruten in staatlichen Einrichtungen wie Polizei, Feuerwehr, Zivilschutz, aber auch in Schulen oder der Verwaltung leisten.“ 1994 haben etwa 14 Prozent der französischen Wehrpflichtigen den »service civile« abgeleistet. Dieser wiederum wird von den »objecteurs de conscience«, den französischen Kriegsdienstverweigerern, als pseudo-zivile Form der Wehrpflicht abgelehnt. Die Verweigerung des Wehrdienstes hat in Frankreich tiefere Konsequenzen als hierzulande: Zum Ersten fühlen sich die »objos«, so haben dem Autor viele Gespräche gezeigt, in der Gesellschaft, so bspw. bei der Arbeitssuche, diskriminiert. Zum Zweiten schreckt die mit 20 Monaten (gegenüber den 10 Monaten Wehrdienst) doppelte Dienstdauer der »objecteurs de conscience« viele Jugendliche ab. Zum Dritten verhindert der oben vorgestellte »nationale Militär-Konsens« von links bis rechts die breitere Durchsetzung einer politischen Verweigerungskultur.

Das Verhältnis zu den USA

Zurück zur französischen Kritik an der Unilateralität: Das Verhältnis zu den USA unterscheidet in der Tat die französische Sicherheitspolitik signifikant von der bundesdeutschen. Während die Bundesrepublik sehr stark auf die USA orientiert war und ist, ist das Klima zwischen Frankreich und den USA häufig spannungsgeladen. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:

  • Während des II. Weltkrieges hatte die US-Administration versucht, den Führer der bürgerlichen Résistance, eben den General de Gaulle, zu marginalisieren;
  • Frankreichs Nukleardoktrin lautete (um des nationalen Konsenses willen) bekanntlich »tous azimuts«, also »in alle Richtungen« gewandt, was die USA theoretisch ebenso wie die UdSSR zum Adressaten französischer Atomwaffen deklarierte;
  • in den beginnenden 80er-Jahren, als die USA ein Röhren-Embargo gegen die Sowjetunion nach deren Intervention in Afghanistan verhängten, hielt sich Frankreich demonstrativ nicht an dieses Embargo.

Diese Beispiele, die Liste wäre verlängerbar, sollen dabei allerdings die prinzipielle Westintegration Frankreichs in keiner Phase der V. Republik in Frage stellen.

Der
»Nationale Militär-Konsens«

Der Begriff des »Nationalen Militär-Konsenses« in Frankreich umfasst bei alldem mehr als eine „neuartige Verbindung eines immensen Militärestablishments und einer riesigen Rüstungsindustrie“ (Eisenhower) auf der einen Seite und ein „unheilvolles Bündnis“, das viele „Staaten (…) noch reaktionärer und aggressiver (…) macht“ (Breschnew), auf der anderen – bei beiden Staatsmännern war die Rede vom Militärisch-Industriellen Komplex (MIK). Dass er mehr umfasst als scharf zu umreißende kriegstreiberische Interessenkonstellationen oder aber freies Kräftespiel unabhängiger Variablen wurde oben aufgezeigt. Der Nationale Militär-Konsens ist als eine wesentliche Bestimmungsgröße für das Frankreich der V. Republik insbesondere – dies nach dem Einschwenken der Linksparteien – in der Frage der Atomwaffen geworden.

Spezifisch französisch an der gesamten hier geschilderten Entwicklung ist das weitgehend ungebrochene Verhältnis der großen Mehrheit der Bevölkerung zum nationalen Militär und ist das spezifische Gewicht des Militärischen an der Festigung der heute konstatierbaren Position Frankreichs im weltpolitischen Kräftespiel, das den Konsens aller großen Parteien und politischen Interessenverbände in dieser Frage herstellt. Frankreichs Militär kennt bis heute keine entscheidenden Zäsuren, wie das deutsche Pendant bspw. das Jahr 1945. Weder die umstrittene Niederlage von 1940, noch die verlorenen Kolonialkriege und die entsprechenden Kriegsverbrechen trübten die Stellung des nationalen Militärs im Massenbewusstsein nachhaltig. Militärische Integrationen gingen Frankreichs Nachkriegsregierungen anders als die deutsche Bundesregierung freiwillig, jedenfalls nicht unter dem Druck der Legitimierung der eigenen Existenz, ein. Im Gegenteil: Staatspräsident de Gaulle betonte die militärpolitische nationale Souveränität 1966 durch den (durchaus konfliktträchtigen) Austritt Frankreichs aus der militärischen Integration der NATO. Insofern bedeuten die derzeitigen Supranationalisierungs- und in ihrem Kern Europäisierungstendenzen, gemeint ist die GASP der EU, für die französische Seite eine neuartige politische Situation.

Die Zeitschrift Armées d'Aujourd-hui veröffentlichte 1995 das Ergebnis von Einstellungsuntersuchungen zur französischen Armee aus den Jahren 1984 bis 1995. In diesem Zeitraum steigerte sich der Anteil der Französinnen und Franzosen mit einer guten Meinung von der Armee kontinuierlich von 65 auf zuletzt 74 Prozent. Eine schlechte Meinung hatten im gesamten Untersuchungszeitraum, ebenfalls recht kontinuierlich, lediglich zwischen 23 (1985) und 17 (1993) Prozent. Für 1995 lautete der Wert auf 22 Prozent.10 Vereinzelte Folgeuntersuchungen zeigen, dass die Einstellung zur Armee bis heute ähnlich geblieben ist.

Allerdings sind diese aktuellen Tendenzen in Frankreich anders als in der Bundesrepublik Deutschland nicht dem Fortfall eines Feindbildes zuzuschreiben. Die Nuklearstrategie »Tous azimuts« hatte – eingeschlossen natürlich die geografische Distanz zur Ost-West-Systemgrenze an der Elbe – vielmehr zur Folge, dass die Zeit vom Fall der Berliner Mauer bis zur Auflösung der Warschauer Vertrags-Gemeinschaft auch nicht im Ansatz eine Legitimationskrise des Militärs heraufbeschwor. Die Feindbilder Sowjetunion, Sozialismus und Kommunismus waren in Frankreich anders als hierzulande immer nur Feindbilder unter anderen. Das problematische Verhältnis zu einigen arabischen Ländern wie Libyen oder Algerien rückten ebenso einen gewissen Anti-Islamismus ins Zentrum

Frankreichs Befassung mit Supranationalität und Europäisierung im militärischen Bereich ist vielmehr Resultat zum einen des neuen, US-dominierten Unilateralismus, ist zum anderen zweifelsohne der Versuch einer angemessenen Reaktion auf die neue politische und militärische Rolle des vereinten Deutschland.

Anmerkungen

1)&nbs;Siehe: Becker, Johannes M.: Der Nationale Militär-Konsens, Marburg (Schriftenreihe der IAFA, Bd. 7) 2. Auflage 1998.
Das Theorem vom Nationalen Militär-Konsens ist der Versuch, die vielfältigen Ansätze, sicherheitspolitischen Determinanten, Faktoren und Subjekte zu fassen (u.a. mit Begriffen wie »Militärisch-Industrieller Komplex«, bspw. vom Bremer Ökonomen Jörg Huffschmid vertreten, oder »Industrialer Militarismus«, so der Berliner Politikwissenschaftler Ulrich Albrecht) und sie für Frankreichs Realität konkret zu benennen.
Ein umfassender Vergleich der Legitimationsmuster von Militär in Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland findet sich in: Becker, J. M.: Militär und Legitimation. Marburg (IAFA, Bd. 20) 1997. Dieser Beitrag fußt wesentlich hierauf.

2) von Bredow, Wilfried: Moderner Militarismus: Analyse und Kritik, Stuttgart 1983, S.71; Medick, Monika: Das Konzept des »Military-Industrial-Complex« und das Problem einer Theorie demokratischer Kontrolle. In: Berghahn, Volker R. (Hrsg.): Militarismus, Köln 1975.

3) Am 27.05.1989 berichtet das US-amerikanische Magazin Foreign Policy über ein Geheimabkommen zwischen Frankreich und den USA von 1961 betreffend den Austausch von Informationen bei Atomwaffen und falsifiziert so die völlige Unabhängigkeit der französischen Nuklearwaffen. Das Abkommen sei jedoch erst nach 1972, unter der konservativen Regierung Pompidou, zur Anwendung gekommen, aber 1985, zur Regierungszeit des Sozialisten Mitterrand, erneuert worden.

4) Siehe hierzu ausführlicher meine Schrift: Das französische Experiment. Linksregierung in Frankreich 1981 – 1984. Bonn (Dietz Nachf.) 1985.

5) Das gaullistische Frankreich war 1966 lediglich aus der militärischen, nicht aus der politischen Integration des Noratlantischen Bündnisses ausgetreten.

6) Zu den französischen Atomtests des Jahres 1995/96 hat eine hervorragende, kontrovers angelegte Materialsammlung erstellt das Periodikum Frieden und Abrüstung Nr. 51/51: Der Streit um die französischen Atomwaffenversuche. Bonn (IFIAS) 1995.

7) Siehe hierzu FAZ vom 05.08.96.

8) Zur Abschaffung der Wehrpflicht siehe exemplarisch Le Monde vom 04./05.02.96. Generell setzt sich mit der »Armeereform« unter Chirac auseinander die Zeitschrift DAMOCLES (Lyon) 1996, 69.

9) Janine Bechthold bezifferte in einem Bericht im Neuen Deutschland vom 23.02.1996 die Zahl der französischen »objos « auf bspw. 8.700 im Jahr 1994. Siehe auch Bundestagsdrucksache 12/8326, Antwort des Staatssekretärs Jörg Schönboom vom 15.07.1994.

10) Armées d'Aujourd-hui (Paris) 1995, 204, Octobre, S. 21 ff.. Betreffend den Nutzen der Nuklearstreitkräfte ergab sich im gleichen Zeitraum eine Polarisierung der befragten Bevölkerung: Einen Nutzen für den Schutz Frankreichs sprachen 1987 59 % der Französinnen und Franzosen der Force de frappe zu; 31 % hielten sie für sinnlos. 1995 hatte sich die positive Einschätzung auf 50 % abgemindert; die KritikerInnen machten nun bereites kontinuierlich gestiegene 44 % aus.

Dr. Johannes M. Becker, Mitbegründer der Friedensforschung an der Marburger Universität, ist Privatdozent für Politikwissenschaften und lehrt in Marburg sowie an der Exportakademie des Landes Baden-Württemberg in Reutlingen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2000/3 Europa kommt, Seite