Frauen und Frieden nach 1945
Eine Annäherung an den Diskurs in Ost- und Westdeutschland
von Helke Dreier
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges organisierten sich viele Frauen in Frauenausschüssen und -organisationen. Neben der Linderung der sozialen Not waren die Aktivitäten dieser Gruppen geprägt vom Thema »Frieden«, und ihre Aktionen galten dem Aufbau eines friedlichen und demokratischen Deutschlands. Ihr Beitrag dazu sollte die politische Bildung der Frauen sein. Dabei thematisierten sie einen Pazifismus, der stark an ihre Geschlechtsidentität und die damit verbundenen Kriegserfahrungen geknüpft war. Der sich verschärfende Ost-West-Konflikt und seine ideologischen Auseinandersetzungen hatten auch Konsequenzen für die friedenspolitische Diskussion innerhalb der Frauenorganisationen. Die Forschung dazu lässt bislang aber noch viele Fragen offen.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wird häufig als eine Zeit des Politikverdrusses verstanden. Nach Krieg und Faschismus sei den Deutschen das Interesse für die Politik abhanden gekommen und ihr Leben vom mühsamen Nachkriegsalltag bestimmt gewesen. Lenkt man den Blick auf die Arbeit und die Aktivitäten der Frauen und ihrer Organisationen in dieser Zeit, kommt man allerdings zu einer anderen Einschätzung. Unmittelbar nach Kriegsende organisierten sich viele Frauen in den in allen vier Besatzungszonen entstehenden Frauenausschüssen und in anderen Frauenorganisationen, wie dem Frankfurter Frauenverband (gegründet als Zusammenschluss der hessischen Frauenausschüsse im Januar 1947), dem Wilmersdorfer Frauenverband (WFB, gegründet im Juli 1947, der Vorläufer des Berliner Frauenbundes/BFB), der Notgemeinschaft 1947 (gegründet im Januar 1948, später Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband) oder dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD, gegründet im März 1947), um nur ein paar Organisationen zu nennen.
Ihr soziales und fürsorgerisches Engagement zur Linderung der sozialen Not der Nachkriegszeit verstanden diese Frauenorganisationen als politische Aufgabe: „[…] Wir Frauendelegierten erkennen, daß unsere Arbeit nicht auf soziale Aufgaben beschränkt sein darf. Wir müssen den deutschen Frauen bei der Überwindung der faschistischen Ideologie Wegweiser und Helfer sein und sie zu verantwortlichen Mitarbeiterinnen gewinnen im Sinne des Friedens, der Völkerversöhnung, der Demokratie und des Aufbaues. Die Frauen werden lernen, politisch zu denken, damit sie klar erkennen, wo die Ursachen unserer heutigen Notlage liegen und mit uns den Ausweg aus der Not lindern, der in unserer eigenen Arbeit liegt.“ Aus diesem Auszug aus der Resolution der ersten Delegiertenkonferenz der Frauenausschüsse im Juli 1946 wird deutlich, dass das politische Engagement der Frauen friedenspolitisch geprägt war. Die Frauenorganisationen der Nachkriegszeit, die sich nicht explizit als Friedensorganisationen verstanden, sahen in der Sicherung des Friedens und dem Aufbau einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft in Deutschland ihre zentrale Aufgabe.
Neben diesen sich allerorts gründenden Frauenausschüssen, -gruppen und -organisationen entstanden immer mehr Zusammenschlüsse, die sich direkt als Frauenfriedensorganisationen gründeten. Sie unterschieden sich in ihrer Größe und Organisationsform. Einige waren lokal aktiv, wie der von der Physikerin Freda Wüsthoff 1946 ins Leben gerufene Stuttgarter Friedenskreis, eine Arbeitsgemeinschaft von Frauen zur Förderung des »dauernden« Friedens, der viele namhafte Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung angehörten, u.a. Gertrud Bäumer, Theanolte Bähnisch, Dorothee von Velsen, Elly Heuss-Knapp, Agnes von Zahn-Harnack, Marie Elisabeth Lüders und Clara von Simson (Hauser 1996). Andere, wie die im Juni 1948 unter der Leitung von Magda Hoppstock-Huth gegründete Deutschlandzentrale der Weltorganisation der Mütter aller Nationen (World Organization of Mothers of all Nations, W.O.M.A.N.), arbeiteten überregional.
Verantwortung der Frauen für den Frieden
Die politischen Aktivitäten der Frauen(friedens)gruppen und -organisationen der Nachkriegszeit waren von Kampagnen für den Frieden bestimmt. Die in allen vier Besatzungszonen stattfindenden Frauenkongresse und Gründungsveranstaltungen der verschiedenen Organisationen machten das Thema Frieden zu ihrem Leitmotiv. So z.B. die erste Frauenkonferenz der Westzonen in Bad Boll im Mai 1947, auf der Freda Wüsthoff und Agnes Zahn-Harnack zu den Themen Frieden und Völkerverständigung sprachen. Auch die hier verabschiedete Resolution stellte den Frieden ins Zentrum (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, S. 232; Hervé und Nödinger 1995, S. 132). In der Sowjetischen Besatzungszone fand der Gründungskongress des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) unter dem Titel »Frauenkongreß für den Frieden« statt (Demokratische Frauenbund Deutschlands 1947). Es war auch dieser Frauenverband, der 1948 die Friedenskampagne »Für das Verbot der Atombombe« initiierte (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, hier vor allem S. 233/234).1
Auf die Gefahren der atomaren Rüstung wiesen die Frauengruppen und -organisationen aller vier Besatzungszonen schon sehr bald nach Kriegsende in Vorträgen und auf Kongressen hin. Beispielhaft seien hier die Aktivitäten der Physikerin Freda Wüsthoff genannt, die eine breite Aufklärungsarbeit durch Reden und Vorträge vor allem in den westlichen Besatzungszonen und auch in Berlin entfaltete. Sie warnte früh vor den Gefahren von Atomwaffen, u.a. in ihrem im Januar 1948 gehaltenen Festvortrag »Atomenergie und Frieden« auf der Gründungsveranstaltung der Notgemeinschaft 1947.
Mit ihrem Engagement für den Frieden reihten sich die Frauengruppen und -organisationen in eine politische Oppositionsbewegung ein, die in der Forschung auch als »Ohne mich«-Bewegung zusammengefasst wird (Werner 2006). Die Motive dieser Gruppen für ihr friedenspolitisches Engagement waren vielfältig. Sie reichten von einem grundsätzlichen Pazifismus über antimilitaristische oder antikapitalistische Positionen bis hin zu einer Ablehnung der Westintegration des westlichen Teil Deutschlands, weil diese eine Wiedervereinigung erschwere (Wette 2008, S. 14).
All diese Motive finden sich auch bei den Frauenorganisationen, allerdings kam hier ein weiteres, geschlechtsbezogenes Motiv hinzu: Sie sprachen der Frau in ihrer Funktion als »Lebensgeberin« eine besondere Verantwortung für den Frieden zu. Indem sie männlich mit kriegerisch und zerstörerisch, weiblich dagegen mit friedliebend und lebensspendend gleichsetzten, machten sie Weiblichkeit bzw. Frau-Sein zum Synonym für friedlich und Frieden und somit zum Kernanliegen von Frauenpolitik. „Das erste, was wir Frauen und Mütter daher fordern, das ist eine Sicherung des Friedens“, hieß es denn auch im ersten Aufruf des Zentralen Frauenausschusses im November 1945 (zit. nach Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996, S. 231).
Doch auch wenn die Sicherung des Friedens und der Aufbau einer friedlichen Gesellschaft die einigende Klammer für die politische Arbeit waren, gab es Unterschiede in der politischen Grundhaltung der einzelnen Frauen(friedens)gruppen und folglich unterschiedliche Meinungen darüber, wie der Weg dahin aussehen sollte und welche Mittel zum Ziel führen. Einige der Frauenorganisationen standen den Zielen und Idealen der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) nahe (z.B. der Demokratische Frauenbund Deutschlands, DFD), andere sprachen sich für eine parlamentarisch-repräsentative Demokratie aus (z.B. der Deutsche Frauenring, DFR).
Viele offene Fragen
Immer stärker wurde der friedenspolitische Diskurs der Frauen(friedens)organisationen geprägt von den ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges. Welchen Einfluss dies auf das Friedens- und Pazifismusverständnis der Frauenorganisationen hatte, darüber gibt es bislang kaum Untersuchungen. Die Arbeiten aus den Reihen der Historischen Frauen- und Geschlechterforschung über die Frauenorganisationen im Nachkriegsdeutschland haben durchgehend einen starken Westbezug und legen den Schwerpunkt vor allem auf die Geschichte dieser Frauenorganisationen und die Biographien ihrer Protagonistinnen (Hervé 1979; Brändle-Zeile 1983; Riesenberger 1983; Maltry 1993; Hervé 2001). Die Arbeiten aus den Reihen der Historischen Friedensforschung greifen die Ergebnisse der Genderforschung auf und stellen die Aktivitäten der Frauenorganisationen stärker in den gesellschaftlichen Rahmen ihrer Zeit (u. a. Canning 2002; Stoehr 2002; Davy 2002 u. 2005; Bald und Wette 2008; Dunkel 2015; Hertrampf 2006; Stoehr 2012).
Zum Pazifismusverständnis der Frauenorganisationen gibt es kaum Untersuchungen, und die wenigen Ansätze, die es gibt, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während Ingrid Schmidt-Harzbach noch von einem einigenden und übereinstimmenden Friedensbegriff der Frauenorganisationen für die erste Zeit nach Kriegsende ausgeht – Annette Kuhn, die zu den ersten gehörte, die sich mit diesem Thema befassten, sprach gar von einem feministischen Pazifismus dieser Zeit (Kuhn 1986, S. 27) –, ist Irene Stoehr der Meinung, dass es diese Übereinstimmung nie gegeben habe, sondern bereits unmittelbar mit der Gründung der ersten Frauenorganisationen die Gräben sichtbar wurden (Stoehr und Schmidt-Harzbach 1996).
Ob und in welchem Kontext das Argument, Frauen seien qua Geschlecht, als Lebensspenderin und Mutter, schon von Natur aus das friedlichere Geschlecht, von allen Frauen(friedens)organistionen aufgegriffen wurde, bleibt genauer zu untersuchen. Ebenso ist zu fragen, wie die zunehmende Einbindung der west- und ostdeutschen Frauenorganisationen in die ideologischen Auseinandersetzungen des Kalten Krieges den friedenspolitischen Diskurs dieser Organisationen bestimmte.
Erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes am Archiv der deutschen Frauenbewegung (addf-kassel.de/projekte/forschung/friedensdiskurs/) legen die Vermutung nahe, dass einige Organisationen am Topos der friedfertigen Frau festhielten und dies zu ihrem zentralen Argument machten, z.B. die Weltorganisation der Mütter aller Nationen (W.O.M.A.N.), während sich andere Frauenorganisationen auf die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau beriefen. Durch die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen am politischen Leben sollten zukünftige Kriege verhindert und der Frieden gesichert werden (so z.B. die Notgemeinschaft 1947). Als weitere These aus der bisherigen Arbeit dieses Projektes lässt sich formulieren, dass der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) beide Argumentationsstränge miteinander verknüpfte. Sowohl die besondere Disposition der Frau für den Frieden qua Geschlecht als auch ihre gesellschaftliche und politische Gleichstellung bildeten die Basis für den friedenspolitischen Diskurs. Welchen Einfluss das sozialistische Friedensverständnis auf den Friedensbegriff und das Pazifismusverständnis dieser Organisation hatte, bleibt zu klären. Ebenso bleibt zu untersuchen, ob die Überlegungen zur gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft und ihrer daraus erwachsenden Verantwortung für den Frieden dem Frauenbild des Sozialismus entsprangen oder doch noch stärker den Ideen der alten Frauenbewegung verbunden waren.
Beim derzeitigen Stand der Quellenerschließung drängt sich der Eindruck auf, dass der Friedensdiskurs maßgeblich vom Osten bestimmt wurde. Es scheint so zu sein, dass das Friedensthema in den Publikationsorganen der Frauenorganisationen des Westens einen weniger prominenten Platz einnahm. Diese Dominanz des östlich bestimmten, sozialistischen Friedensdiskurses in den Frauenorganisationen (aber nicht nur dort) könnte eine Erklärung dafür liefern, warum Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten im Westen in den späteren Jahren oft unter »Kommunismusverdacht« gerieten.
Anmerkung
1) Diese Kampagne diente zur Unterstützung der sowjetischen Delegation bei den Vereinten Nationen, die diese Forderung dort stellte. Der DFD sammelte damals 5,5 Millionen Unterschriften für das Verbot der Atombombe. Dreihunderttausend davon stammten aus den Westzonen.
Literatur
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Helke Dreier, Historikerin, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Zurzeit arbeitet sie dort im Forschungsprojekt »Der Friedensdiskurs der west- und ostdeutschen Frauenorganisationen von 1945 bis 1955«.