W&F 2015/1

Frauenstimmen gegen militärisches Denken

100 Jahre Internationale Frauenliga

von Susanne Hertrampf

Mit der Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) schufen die Gründerinnen ein Forum, aus dem heraus sich Frauen bis heute für eine neue Sicherheits- und Außenpolitik stark machen. Ihr Ausgangspunkt waren das Wissen, was Militarismus für Männer und Frauen konkret bedeutet, demokratische Prinzipien, soziale Gerechtigkeit sowie Völker-, Frauen- und Menschenrechte. Mit diesen Prinzipien setzen die IFFF-Frauen seither dem Militarismus eine geschlechtergerechte Friedenskultur entgegen und fordern die Hegemonie der Männer in der Außen- und Sicherheitspolitik heraus.

Vom 28. April bis 1. Mai, mitten im Ersten Weltkrieg, treffen sich ca. 1.136 Pazifistinnen aus zwölf neutralen und Krieg führenden Ländern zu einem internationalen Frauen-Friedenskongress in Den Haag und widersetzen sich damit dem herrschenden Freund-Feind-Denken. Die Teilnehmerinnen, die zumeist aus der Frauenstimmrechtsbewegung kommen, verfolgen mit dem Kongress drei Ziele:

1. hörbar gegen den Krieg zu protestieren,

2. die politische Gleichberechtigung der Frauen zu fordern und

3. das Ende des Krieges herbeizuführen.

Auf der Grundlage ihres Verständnisses von Demokratie, Pazifismus und Frauenrechten verabschieden sie zu diesen Zielen 20 Resolutionen. Am Ende des Kongresses richten die Frauen ein »Internationales Komitee für dauernden Frieden« ein und wählen die Amerikanerin Jane Addams zur Präsidentin. Darüber hinaus entsenden sie eigene Delegationen in 15 neutrale und Krieg führende Länder, um ihre Resolutionen den regierenden Männern persönlich zu übergeben.

1919-1929: Ein Jahrzehnt intensiver Diskussionen

Auf ihrem zweiten Kongress 1919 in Zürich geben sich die Friedensfrauen eine Satzung und definieren ihre zwei wichtigsten Ziele, die in den neuen Namen ihrer Organisation einfließen: Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF), oder auf Deutsch: Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF).

Entsprechend dieser spannungsgeladenen Zielsetzung engagieren sich die IFFF-Frauen nicht nur für eine allgemeine und umfassende Abrüstung, für die gewaltfreie Lösung von Konflikten sowie eine Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit, sondern auch für soziale Gerechtigkeit und die Verwirklichung von Menschenrechten, gerade auch für Frauen. Zudem verurteilen sie den Versailler-Vertrag, der ohne die Beteiligung von Frauen in Paris ausgehandelt worden war, als Saat für einen neuen Krieg. Ihr internationales Büro verlegt die IFFF nach Genf, dem Sitz des neu gegründeten Völkerbundes. Sie gehört zu den ersten Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die die Völkerbundpolitik entsprechend ihren politischen Zielsetzungen zu beeinflussen suchen, teilweise in Kooperation mit anderen internationalen Frauenorganisationen.

Mit dem dritten Kongress 1921 in Wien intensiviert die IFFF ihre Kontakte zu Pazifistinnen in Osteuropa. Kontrovers diskutieren die Teilnehmerinnen, ob die IFFF Formen eines gewalttätigen Widerstandes unterstützen soll, wenn soziale Gerechtigkeit und individuelle Freiheit bedroht sind. Anschließend findet die erste Sommerschule in Salzburg statt, weitere folgen jährlich bis 1933.

Auf dem Kongress 1924 in Washington sind 22 nationale Sektionen vertreten. Ausführlich informieren die Chemikerinnen Gertrud Woker (Schweiz) und Naima Sahlbom (Schweden) darüber, welch verheerende Wirkung Giftgase, die als chemische Kampfmittel verwendet werden, auf Menschen haben. Wissenschaft, die sich in den Dienst des Militärs stellt, wird scharf kritisiert. Am Ende reisen die europäischen Delegierten mit einem Zug, dem »Pax Special«, in Etappen von Washington nach Chicago. Nicht überall werden sie freudig begrüßt, mancherorts als Agentinnen Moskaus diffamiert.

Welchen friedenspolitischen Beitrag Frauen leisten können, diskutieren IFFF-Frauen im Rahmen des Kongresses 1926 in Dublin. Während die Mehrheit davon ausgeht, Frauen seien ihrem Wesen nach friedfertiger als die Männer, führt die Engländerin Catherine Marshall die größere Friedfertigkeit auf die geschlechtsspezifische Sozialisation der Frauen zurück. Auch die Französin Andrée Jouve teilt nicht die Meinung der Mehrheit, sondern fordert sozial gerechtere Strukturen. 1926 und 1927 unternehmen IFFF-Frauen Missionen nach Haiti und China, um sich selbst ein Bild von der politischen Lage vor Ort zu machen und Kontakte mit den dortigen Frauenbewegungen zu knüpfen bzw. diese zu stärken. Die Sommerschule in Birmingham wird genutzt, um eingehend über Sozialismus, Bolschewismus und Faschismus zu diskutieren.

Der sechste Kongress in Prag 1929 bringt Veränderungen in Bezug auf die IFFF-Führung: Gleichberechtigt übernehmen Gertrud Baer (Deutschland), Clara Ragaz (Schweiz) und Emily Greene Balch (USA) das Amt von Jane Addams. Die Ansicht, dass zu einer dauerhaften Sicherung des Friedens eine soziale Wirtschaftsordnung notwendig sei, findet die Zustimmung der meisten Teilnehmerinnen.

1930-1947: Zerstörte Hoffnungen – neue Motivation

Anfang der 1930er Jahre intensiviert die IFFF ihr Engagement für eine weltweite Abrüstung. Hoffnung schöpfen die Pazifistinnen aus dem Briand-Kellogg-Pakt, der 1926 in Paris beschlossen wurde und am 24. Juli 1929 in Kraft trat. Durch ihre Unterschrift unter diesen Pakt erklärten Staaten wie die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland jeden Angriffskrieg als völkerrechtswidrig; zudem verpflichteten sie sich dazu, Konflikte nur friedlich zu lösen. Ermutigt sind die IFFF-Fauen auch von der Verleihung des Friedensnobelpreises 1931 an ihre Gründungspräsidentin Jane Addams.

Eine lang diskutierte Abrüstungskonferenz des Völkerbundes wird tatsächlich im Februar 1932 in Genf eröffnet. Frauenorganisationen übergeben Abrüstungspetitionen mit ca. acht Millionen Unterschriften; allein die IFFF-Petition »Auf den Krieg wurde verzichtet, nun lasst uns auf die Rüstung verzichten!«, die zwei Jahre zuvor gestartet worden war, wurde von ca. sechs Millionen Frauen und Männer unterzeichnet. Der Verlauf der Konferenz lässt allerdings schnell erkennen, dass die Abrüstungsforderung der Frauen bei den Staatsmännern kein nachhaltiges Umdenken bewirkt. Die IFFF-Frauen versuchen mit drastischen Worten deutlich zu machen, was auf dem Spiel steht.

Unter dem Motto »Weltabrüstung oder Weltuntergang« fordern sie auf ihrem Kongress 1932 in Grenoble weitere Abrüstungsanstrengungen und setzen ihre Diskussion um eine soziale Wirtschaftsordnung fort. Gegen die Befürchtung vor allem britischer IFFF-Frauen, die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit würde von der eigentlichen pazifistischen Forderung nach Abrüstung ablenken und die IFFF zu stark in die Nähe des Kommunismus rücken, beschloss die Mehrheit auf dem Kongress 1934 in Zürich, den Kampf gegen Unterdrückung, Vorteilnahme und Profitdenken als erweiterte IFFF-Politik in der Satzung zu verankern. Auf dem vorläufig letzten IFFF-Kongress 1937 in Luhaèovice (Tschechoslowakei) mahnen Lida Gustava Heymann und Gabrielle Duchêne – vor allem in Richtung der britischen Sektion –, in Bezug auf Hitler-Deutschland nicht neutral zu bleiben, sondern entschieden gegen die Politik der Nationalsozialisten Stellung zu beziehen.

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 macht deutlich, dass der Ruf der Frauen abermals ungehört blieb. Aus ihrem Exil in New York informiert Gertrud Baer ihre Mitstreiterinnen mittels Rundbriefen über politische Ereignisse und Debatten. 1942 kooperiert sie mit der Internationalen Frauenallianz, die internationale Frauenorganisationen für eine gemeinsame Aktion gewinnen will, um auf die Regelung der internationalen Beziehungen nach Kriegsende Einfluss zu nehmen. Der Versuch scheitert an den unterschiedlichen Vorstellungen.

Das Ziel der neu gegründeten Vereinten Nationen, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“ (Charta vom 26. Juni 1945), weckt ebenso neuen Mut wie die Verleihung des Friedensnobelpreises an Emily Greene Balch im gleichen Jahr. Auf ihrem ersten Nachkriegskongress 1946 in Luxemburg diskutieren die IFFF-Frauen darüber, ob eine Frauenfriedensorganisation noch zeitgemäß sei. Vor allem mit den Argumenten, Frauen würden letztlich eher dazu tendieren, Leben zu erhalten als zu vernichten, und eine Frauenfriedensorganisation sei besser geeignet, Frauen verschiedener Nationalitäten für eine gemeinsame Friedensarbeit zu gewinnen, votiert die Mehrheit dafür, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen.

1947-1967: Im Sog der Vereinten Nationen

Die IFFF erhält 1948 den beratenden Status für NGOs bei den Vereinten Nationen. Gertrud Baer, die ihren Wohnsitz nach Genf verlegt hat, vertritt die IFFF bei den Vereinten Nationen (bis 1973) fast im Alleingang. Einerseits bieten die Vereinten Nationen ein neues Forum, um für die pazifistischen Vorstellungen der IFFF zu werben, andererseits binden sie Zeit und finanzielle Ressourcen und sie geben die Themen vor. In den folgenden Jahren konzentrieren sich die IFFF-Frauen im Rahmen der Vereinten Nationen auf Abrüstungsfragen. Der Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945 und die Verschärfung des Kalten Krieges in den Jahren danach bestärken sie in dieser Schwerpunktsetzung.

Sorge bereitet der Mitgliederschwund: Auf dem Kongress in Kopenhagen 1949 sind nur 13 nationale Sektionen vertreten. Der Anspruch der IFFF, Avantgarde zu sein, während gleichzeitig feministische Ansätze aus den IFFF-Debatten immer mehr verschwinden, wird zum Hindernis. In den 1950er Jahren gelingt es indischen Pazifistinnen aber dennoch, die IFFF wieder dauerhaft in Indien zu etablieren. Hingegen laufen in den 1950er und 1960er Jahren die Versuche ins Leere, Frauen in Afrika für die IFFF zu gewinnen. Die zumeist westlichen IFFF-Frauen zeigen sich wenig bereit, auf die friedenspolitischen Vorstellungen der Afrikanerinnen einzugehen. Diese Einstellung beginnt sich Ende der 1960er Jahre, vor allem dank Dorothy Hutchinson (USA, internationale IFFF-Präsidentin 1965-68), Dorothy Steffens (USA), Fujiko Isono (Japan) und Sybil Cookson (England) zu verändern. Zwei IFFF-Missionen in den Mittleren Osten, 1958 und 1967, dienen dazu, sich direkt vor Ort zu informieren und zu versuchen, mit Hilfe einheimischer IFFF-Frauen zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und einen Versöhnungsprozess einzuleiten.

1968-1992: Gewichtungsfragen

Mit der Präsidentschaft der amerikanischen Soziologin Elise Boulding (1968-1971) fließen neue Denkansätze in die IFFF-Debatten ein. Auf dem ersten IFFF-Kongress, der nicht in einem westlichen Land ausgetragen wird, sondern zum Jahreswechsel 1970/71 in Neu Dehli (Indien), fordert sie ihre Mitstreiterinnen auf, das bisher ignorierte gesellschaftspolitische Wissen von Frauen aller Kulturen und Schichten sichtbar zu machen und damit das vorherrschende Denken in allen Politikbereichen herauszufordern – als Voraussetzung für eine geschlechtergerechte Friedenskultur. Ihre unmittelbaren Nachfolgerinnen, die Dänin Ellen Holmgaard (1971-72) und die Deutsche Eleonore Romberg (1972-74), nehmen den anspruchsvollen Ansatz von Boulding nicht auf. Stattdessen unterstützen sie die Bestrebungen der IFFF-Generalsekretärin Edith Ballantyne (1968-1992), die IFFF stärker in der stetig anwachsenden NGO-Gemeinschaft in Genf zu verankern, mit dem Ziel, den Pazifistinnen mehr Gehör zu verschaffen. So intensiviert Ballantyne ab 1972 die Mitarbeit der IFFF in etlichen NGO-Gremien, die bei den Vereinten Nationen aktiv sind, und nimmt dort etliche Jahre führende Positionen ein. Parallel dazu begeben sich IFFF-Frauen auf vier Missionen in Krisengebiete, insbesondere um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren: 1971 nach Nord- und Südvietnam, 1973 nach Chile, 1974 nach Nordirland und 1975 erneut in den Mittleren Osten.

Zum Auftakt der Frauendekade der Vereinten Nationen (1975-1985) organisiert die IFFF gemeinsam mit der Internationalen Demokratischen Frauenförderation ein Seminar zu Frauen und Abrüstung in New York. Aufgrund des NATO-»Doppelbeschlusses« zur nuklearen Aufrüstung von 1979 bleibt das Thema Abrüstung auch in den 1980er Jahren ganz oben auf der IFFF-Agenda. 1982 initiiert die IFFF die Kampagne »Stop The Arms Race« (STAR) und übergibt die Abrüstungsforderungen im Rahmen einer Massendemonstration mit über 10.000 Frauen 1983 an NATO-Generäle in Brüssel.

Auf der Abschlusskonferenz der Frauendekade 1985 in Nairobi wird das IFFF-Friedenszelt zum Magnet für friedenspolitisch interessierte Frauen aus der ganzen Welt. Unter der zweiten Präsidentschaft von Eleonore Romberg (1986-1992) gelingt es der IFFF endlich, ihre Friedensarbeit auch in Lateinamerika zu verankern. 1992 richtet sie ihren 25. Kongress in Bolivien aus und setzt sich verstärkt für die Rechte indigener Völker ein.

1993-2015: Frauensichtweisen wider den Militarismus

Die neue Generalsekretärin Barbara Lochbihler (1992-1999) richtet den Blick wieder stärker auf Frauenrechte und -sichtweisen. 1995 organisiert sie einen Frauen-Friedens-Zug, mit dem sich IFFF-Frauen aus verschiedenen Ländern von Helsinki zur vierten Weltfrauenkonferenz in Peking auf den Weg machen. Ziel dieser spektakulären Aktion ist es, unterwegs mit osteuropäischen Frauen in einen Dialog zu treten, ihren Stimmen Gehör zu geben und eine Friedens- und Sicherheitspolitik aus Frauensicht zu konzipieren. Im IFFF-Friedenszelt in Peking diskutieren die Frauen weiter, tauschen Ideen und Meinungen aus. Die Kriege in Jugoslawien zwischen 1992 und 1999 führen der Welt vor Augen, wie dringend die politische Teilhabe von Frauen geboten ist, um Kriege zu verhindern, beizulegen und zu bewältigen.

1999 startet die IFFF ihr Projekt »Reaching Critical Will«, das andere NGOs, die sich im Rahmen der Vereinten Nationen für Abrüstung einsetzen, unterstützt und mit entsprechenden Informationen versorgt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts forciert die IFFF ihr Engagement für ein umfassendes Waffenhandelsabkommen, das den Transfer von Waffen grundsätzlich verbietet, wenn Menschen- und Frauenrechte gefährdet sowie negative Auswirkungen auf die Umwelt und die sozioökonomische Entwicklung zu befürchten sind. Den Arms Trade Treaty, den die UN-Vollversammlung im April 2013 verabschiedet, bewertet die IFFF als ersten Schritt in die richtige Richtung.

Zurzeit hat die IFFF 30 nationale Sektionen, verteilt auf alle Kontinente, und plant ihr 100-jähriges Jubiläum, das vom 22. bis 25. April 2015 an dem Ort stattfindet wird, an dem ihre ungewöhnliche Geschichte begann: in Den Haag, und zwar im Friedenspalast. Ein Anlass, um gemeinsam über das bisher Geleistete zu reflektieren und ein Manifest für die IFFF-Friedenspolitik der kommenden Jahre zu erarbeiten.

Literatur

Gertrude Busseyand Margaret Tims (1980): Pioneers for Peace. Women’ s International League for Peace and Freedom 1915-1965. Oxford: Alden Press.

Susanne Hertrampf (2006): Zum Wohle der Menschheit«. Feministisches Denken und Engagement internationaler Aktivistinnen, 1945-1975. Herbolzheim: Centaurus.

Dies. (2009): Identitäten, Perspektiven und Kommunikation transnationaler Friedensaktivistinnen 1970/71. In: Martina Ineichen et al. (Hrsg.): Gender in Trans-it. Transkulturelle und Transnationale Perspektiven. Zürich: Chronos, S.213-221.

Sabine Hoffkamp und Monika Pater: Pazifismus in Aktion. Praktische Friedensbildung als Beitrag zur Demokratisierung in Europa. Ariadne, Heft 60, November 2011, S.51-57.

IFFF-Deutsche Sektion (Hrsg) (o.J.): Völkerversöhnende Frauenarbeit. Teil I-VI, 1914-1931.

Dr. Susanne Hertrampf ist Historikerin; sie forscht zu deutschen und internationalen Frauen(friedens)bewegungen und ist Mitglied der IFFF.
Die deutsche Sektion der IFFF feiert den 100. Geburtstag am 19.-21. Juni 2015 in München; Details demnächst unter wilpf.de.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/1 Afrika, Seite 43–45