W&F 2012/1

Frieden durch Recht?

von Jürgen Nieth

Die Bilder, die diese Ausgabe illustrieren, zeigen Kriegsszenen: den Kampf Mann gegen Mann, das Gemetzel, Folter und Verbrechen an der Zivilbevölkerung vor über 200 Jahren. Seitdem hat sich mit der Weiterentwicklung der Waffen das Bild des Krieges ständig verändert, und das Verhältnis der Menschen zum Krieg unterliegt ebenfalls einem stetigen Wandel.

Vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg konnte (nicht nur) in Deutschland eine erschreckende Kriegsbegeisterung erzeugt werden. Seit Vietnam und dem russischen Afghanistankrieg aber sind hohe Verluste in den Reihen des eigenen Militärs kaum noch zu vermitteln. Von Irak über Afghanistan bis Libyen – die Angreifenden nutzen heute ihre technologische Überlegenheit, um die eigenen Verluste zu minimieren, und sie versuchen alles, um dem Krieg den Mantel eines chirurgischen Eingriffs überzustülpen. Dazu gehört, dass die Toten der anderen Seite selten erwähnt und die eigenen Gräueltaten als Kollateralschäden verniedlicht werden.

Etwa zur gleichen Zeit als Goya das Bild zur Argumentation gegen den Krieg nutzte, schärfte Immanuel Kant in seinen Schriften die Argumente für den Frieden. Lothar Brock (S.9) verweist in dieser W&F-Ausgabe darauf, dass Kant dabei die Vertreter des klassischen Völkerrechts als „leidige Tröster“ verspottete, deren Lehren zur Rechtfertigung eines Kriegsangriffs herangezogen würden, aber nie zur Unterlassung eines Krieges führten.

Wie in der Kriegsführung hat sich auch im Völkerrecht vieles geändert. Bis 1945 reichte dem Völkerrecht die »Kriegserklärung«. Die Frage, ob es ein gerechter oder ungerechter Krieg war, beantworteten die Sieger dann im Nachhinein. Die UN-Charta von 1945 leitete eine neue Epoche ein: Sie verbietet den Krieg. Das Gewaltverbot in Artikel 2(4) lässt nur zwei Ausnahmen zu: Erstens nach Ermächtigung des Sicherheitsrates, wenn dieser eine Angriffshandlung oder eine Bedrohung des Friedens feststellt, zweitens zur Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen ergreift.

Die Deklaration der internationalen Menschenrechte, die Einrichtung eines Internationalen Gerichtshofes und eines Internationalen Strafgerichtshofes waren weitere wichtige Schritte in Richtung einer Friedensordnung. Aber heißt das schon, dass das Recht heute den Frieden sichert? Der Praxistest zeigt leider ein anderes Bild.

Die UN-Charta wird missachtet, UN-Beschlüsse werden zwecks Kriegsführung uminterpretiert (Peter Becker, S.13). Dafür drei Beispiele:

Für den Jugoslawienkrieg gab es kein UN-Mandat, Deutschland beteiligte sich trotzdem daran.

Der UN-Beschluss zu Afghanistan mandatierte nur den Kampf gegen die Taliban. Diese waren schnell besiegt, der Krieg dauert aber bereits über zehn Jahre.

Für Libyen wurde vom UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone beschlossen. Nach drei Tagen hatte Gaddafi nichts mehr, was fliegen konnte. NATO-Mitglieder aber bombten weiter, über 20.000 Einsätze bis zum nicht-mandatierten »regime change«.

Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofes (IGH) werden ignoriert:

In einem Rechtsgutachten hat der IGH 1986 festgestellt, dass „die Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen generell im Widerspruch“ zum internationalen Recht stehe. Aber immer noch sind tausende Atombomben einsatzbereit.

Gleichfalls 1986 verurteilte der IGH die USA, an Nicaragua Schadenersatz zu zahlen wegen der vorausgegangenen Finanzierung der Contras und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates. Bis heute haben die USA nichts bezahlt.

Der Bau der israelischen Sperrmauer auf palästinensischem Boden ist laut IGH illegal, dennoch gehen die Arbeiten daran weiter.

Auch die Anti-Folter-Konvention der UN wird in vielen Ländern missachtet. Unsere Titelseite zeigt die berüchtigte Folterhölle des US-Militärs, Camp X-Ray der Guantanamo Bay Naval Base.

Fast zwei Drittel der UN-Mitglieder haben das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStG) ratifiziert, 32 weitere haben immerhin ihre Unterschrift hinterlegt. Die übrigen Länder entziehen sich dem Geltungsbereich des IStG (Michael Haid, S.15).

Der Weg vom Kriegs- zum von Allen geachteten Friedensrecht ist lang und steinig. Sicher, der klassische Eroberungskrieg lässt sich heute nicht mehr propagieren. Zur Rechtfertigung von Kriegen muss gelogen, müssen Beweise gefälscht werden (siehe Jugoslawien und Irak), fürs Massenbewusstsein braucht man die »humanitäre Intervention« als trojanisches Pferd.

Damit Völkerrecht zum Friedensrecht wird, muss es für alle bindend sein, auch für die Großmächte, ihre Politiker und Militärs. Friedensrecht heißt ebenso, Recht darf nicht zur Rechtfertigung eines Krieges missbraucht werden. Auch die so genannte humanitäre Intervention führt mit großer Sicherheit in eine humanitäre Katastrophe.

Es bleibt dabei: Kriege müssen verhindert werden.

Ihr Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/1 Schafft Recht Frieden?, Seite 2