W&F 2020/1

Frieden in Bewegung

von Michael Müller

Die Rüstungsausgaben erreichen heute neue Rekordhöhen, die weit über denen von 1988 liegen, dem letzten Jahr der noch in Ost und West gespaltenen Welt. Ein neuer Nationalismus macht sich breit. Das Kriegsgerassel wird lauter; die NATO führt immer größere Manöver durch; entlang der 1.700 km langen Grenzen zwischen der EU und Weißrussland/Russland vervielfacht sich die Stationierung von Militär; die Militärübungen haben sich in kurzer Zeit verfünffacht. Und jetzt wird es bis Mai 2020 mit »Defender Europe 20« auch noch ein provokantes US-Manöver mit Unterstützung von NATO und Bundeswehr geben. 75 Jahre nach Kriegsende ist dies ein schauerliches Signal einer geschichtsvergessenen Politik.

Deutschland ist die zentrale Drehscheibe für das Manöver. 37.000 Soldat*innen aus 16 NATO-Staaten sowie Finnland und Georgien, darunter 29.000 GIs mit schwerem Gerät, werden an die russische Grenze transportiert. Operativ zuständig sind das Heereskommando der U.S. Army in Europe in Wiesbaden und das U.S. European Command in Stuttgart. Die Datenkoordinierung erfolgt über die US-Airbase Ramstein. Ziele sind die Zurschaustellung militärischer Überlegenheit und die Erprobung einer schnellen Verlegung großer Kampfverbände Richtung Osten. Diese militärische Kraftmeierei ist das Gegenteil von Friedenspolitik.

Der Widerspruch zwischen den wachsenden militärischen Gefahren und der immer noch zurückhaltenden öffentlichen Debatte ist eklatant. Schleichend verschiebt sich die öffentliche Meinungsbildung. Die öffentlichen und viele politische Meinungsmacher fordern, dass sich die Bundeswehr noch stärker an weltweiten Militäreinsätzen beteiligt, dies läge in der nationalen Verantwortung.

Was für ein Irrsinn abläuft, zeigt die neue Rüstungsspirale. Auf die ersten zehn der rund 200 Länder der Erde entfallen knapp 75 Prozent der Militär­ausgaben. Weit an der Spitze liegen die USA, gefolgt von China und Saudi-Arabien. Deutschland erreicht Platz acht; in den letzten fünf Jahren erhöhte die Bundesregierung den Rüstungsetat um 34 Prozent. Sollte die angekündigte Erhöhung auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts Wirklichkeit werden, so stiege je nach wirtschaftlicher Entwicklung unser Land auf Platz drei oder vier weltweit auf. Die Rüstungslobbyisten würden jubeln, die öffentlichen Haus­halte ächzen.

Dieser Militarisierung wollen wir entgegentreten: Es ist Zeit für die Stärkung der Friedensbewegung und für eine neue Entspannungspolitik. Können doch die neuen Bedrohungen, insbesondere die Folgen der globalen Erderwärmung, nicht militärisch verhindert werden. Im Gegenteil: Die doppelte Gefahr eines Selbstmordes der Menschheit wird real. Da ist zum einen der schnelle Selbstmord durch die neue Hochrüstung und die aggressive Konfrontation mit Stellvertreterkriegen in vielen Regionen der Welt, zum anderen der langsame Selbstmord durch die globale Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Der Klimawandel wird schon in wenigen Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahren, kritische Werte überschreiten.

Wir brauchen eine neue Gemeinsamkeit und das ernsthafte Bemühen um Zusammenarbeit, auf staatlicher wie auf bürgerschaftlicher Ebene. Notwendig sind eine starke Friedensbewegung und neue Initiativen für eine weltweite Friedenskultur. Deshalb veranstalten die Naturfreunde Deutschlands, die in diesem Jahr 125 Jahre alt werden, eine große Friedenswanderung. Schon in den 1950er Jahren hatten die Naturfreunde und die Naturfreundejugend die Anti-Atom-Bewegung unterstützt und später die Ostermärsche mitbegründet.

Auch heute setzen wir uns für eine globale Abrüstung und Rüstungskon­trolle ein, für ein Verbot von Rüstungsexporten, für eine atomwaffenfreie Welt und eine neue Friedens- und Entspannungspolitik. Die Friedenswanderung findet statt von 30. April bis 18. Juli diesen Jahres. Unter dem Motto »Frieden in Bewegung« wandern wir in 80 Etappen für eine friedliche Zukunft durch unser Land, von der dänischen Grenze bis zum Bodensee (siehe ­frieden-in-bewegung.de).

Überall auf den rund 1.750 Kilometern wollen die Naturfreunde zusammen mit Friedens- und Umweltgruppen auf die schrecklichen historischen Folgen von Kriegstreiberei hinweisen, neue Kriegsgefahren aufzeigen und Rüstungsexporte verurteilen. Auch Rüstungsstandorte werden angelaufen.

Wir setzen uns für Frieden in Bewegung, weil das »soziale Wandern« zu unserer Geschichte gehört. Mit der Wanderung sollen das Netzwerk der Natur- und Friedensengagierten und der Wille nach einem weltweiten Frieden gestärkt werden. Und wir sagen »Nein« zu Militärmanövern wie Defender Europe 20.

Michael Müller ist Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/1 Atomwaffen – Schrecken ohne Ende?, Seite 5