Frieden in weiter Ferne?
Die DR Kongo nach dem Rahmenabkommen von Addis Abeba
von Gesine Ames
Die Demokratische Republik (DR) Kongo gilt immer noch als einer der größten Krisenherde weltweit. Seit 1996 forderten Konflikte und Kriege hier mehr als fünf Millionen Opfer. Durch die Vielzahl der beteiligten in- und ausländischen Akteure, die kaum noch übersehbare Zersplitterung der Rebellengruppen, die Komplexität der wirtschaftlichen Interessenlagen und die Instrumentalisierung ethnischer Zugehörigkeiten stellt die Schaffung eines nachhaltigen Friedens in der Region eine enorme Herausforderung dar. Dies alles geschieht in einem politisch dysfunktionalen Umfeld, in dem staatliche Akteure kaum präsent sind und Sicherheitsstrukturen beinahe komplett fehlen bzw. unkontrolliert und eigennützig agieren. Dieser Artikel diskutiert den erneuten Versuch, mit einem überregionalen Rahmenabkommen Frieden und Stabilität in der Region zu verankern.
Diplomatische Versuche, die Konflikte in der DR Kongo zu lösen und damit regional auf breiter Basis abgesicherte Friedenslösungen zu erreichen sowie wirtschaftliche Entwicklung und gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten zu ermöglichen, mündeten in die Friedensverhandlungen von Nairobi 2008 und Goma 2009. Zwar kam es durch diese Ansätze zu einer temporären Befriedung einzelner Milizgruppen, dies brachte jedoch keine nachhaltige, stabilisierende Wirkung für die DR Kongo und die weitere Region.
In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba schlossen am 24. Januar 2013 elf Staatspräsidenten der in der »Konferenz der Staaten der Region der Großen Seen Afrikas« (ICGLR) vertretenen Regierungen1 das »Peace, Security and Cooperation Framework« ab. Da neben der ICGLR die Vereinten Nationen (VN), die Afrikanische Union und die »Gemeinschaft für die Entwicklung der Region des Südlichen Afrikas« Unterzeichner des Abkommens sind, wird auch von der »11+4-Gruppierung« gesprochen. Den Anstoß für ein erneutes Friedensabkommen gaben die militärischen Übergriffe der Rebellengruppe M23 im Osten der DR Kongo und deren logistische, finanzielle und militärische Unterstützung durch Anrainerstaaten.2
Das Rahmenabkommen besteht aus vier grundlegenden Vereinbarungen: Erstens die gegenseitige Respektierung der nationalen Souveränität und die militärische Nichteinmischung in Angelegenheiten der Nachbarstaaten. Zweitens Unterstützung für die Bemühungen der DR Kongo, ihren nationalen Sicherheitssektor, die Justiz, die Regierungsstruktur sowie die Wirtschaft und insbesondere den Rohstoffsektor neu zu ordnen. Drittens eine Verstärkung der VN-Blauhelmmission MONUSCO bei der Beratung der kongolesischen Regierung und der militärischen Bekämpfung von Milizen, die in der DR Kongo operieren, durch eine »Neutral International Force« (NIF). Viertens die Entsendung eines Sondergesandten des Sicherheitsrates, der das Engagement der Geberstaaten und der VN gegenüber der DR Kongo vertreten und koordinieren soll.
Zur Umsetzung dieser Vereinbarungen baut das Abkommen auf zwei Säulen auf: Die erste ist eine Reform der staatlichen Institutionen. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass ein Zusammenhang zwischen der anhaltenden Krise, den immer neu aufflammenden Konflikten und dem schwachen kongolesischen Staat besteht. Die zweite Säule zielt darauf ab, die internationale Einmischung in der DR Kongo zu beenden. Mehr als zwei Jahre nach Abschluss dieses Abkommens ist es an der Zeit, zu eruieren, inwieweit es umgesetzt wurde und ob in der Region eine nachhaltige Wirkung zu verzeichnen ist.
Die Vereinten Nationen stellen sich neu auf
Im März 2013 ernannte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die ehemalige irische Staatspräsidentin Mary Robinson zur Sondergesandten für die Region der Großen Seen. Ihr oblag es, durch diplomatische Bemühungen langfristig für Frieden und Sicherheit in der Region, besonders in der DR Kongo, zu sorgen.
Zusammen mit der Spitze der MONUSCO sowie dem US-Sondergesandten für die Große-Seen-Region sollte die VN-Sondergesandte bzw. ihr Nachfolger Said Djinnit bei der Umsetzung des Rahmenabkommens unterstützend wirken. Sie stießen eine neue, kohärentere Zusammenarbeit bezüglich der Region der Großen Seen an und machten innerhalb der internationalen Gemeinschaft auf wichtige Themen der Friedenssicherung, wie eine Reform der Sicherheitsstruktur, die Demobilisierung der Milizen und die Durchführung und Unterstützung der anstehenden Wahlen aufmerksam. Dieses Engagement eröffnete neue Möglichkeiten, Bewegung in den eingefahrenen Friedensprozess zu bringen. Zudem schlug die internationale Gemeinschaft einen neuen Weg im Umgang mit den Nachbarländern der DR Kongo ein. Besonders den Staaten Ruanda und Uganda wurde verdeutlicht, dass deren Interventionen im Osten der DR Kongo stärker wahrgenommen und geächtet werden als bisher.
Seit dem Jahr 1999 ist die Blauhelmmission MONUSCO (vormals MONUC) im Land stationiert. Sie ist mit über 19.000 Soldaten, ca. 500 Militärbeobachtern, 1.400 Polizisten und 4.500 zivilen Angestellten die größte Blauhelmmission weltweit. Die unmittelbarste Konsequenz des Abkommens war die Einsetzung der Eingreiftruppe NIF, welche sich aus malawischen, südafrikanischen und tansanischen Soldaten zusammensetzt. Ausgestattet mit einem robusten Mandat sollte diese 3.000 Mann starke Truppe als Teil der MONUSCO die Miliz M23 wie auch andere Rebellengruppen, die im Osten des Landes ihr Unwesen treiben, bekämpfen und entwaffnen. Damit gaben die VN ihr Prinzip der Neutralität auf, und die MONUSCO besitzt nun das Mandat, auch ohne Zustimmung der kongolesischen Regierung gegen Milizgruppen vorzugehen.
Militärische und politische Verwicklungen im Osten der DR Kongo
Innerhalb kurzer Zeit besiegte die kongolesische Armee mit Unterstützung der MONUSCO/NIF im November 2013 die sehr gut organisierte und militärisch bestens ausgestattete Rebellenmiliz M23. Damit gelang der kongolesischen Regierung ein entscheidender Schritt bei der Bekämpfung illegal operierender Milizgruppen. Aufgrund der Militäroperation ergaben sich zudem ca. 4.000 Mitglieder anderer Rebellengruppen.
Die Kapitulation der M23 ist ein wichtiges Ziel des Rahmenabkommens. Sie ist nicht allein auf den militärischen Einsatz der kongolesischen Armee und der MONUSCO/NIF zurückzuführen, sondern vielmehr auf den diplomatischen Druck, der auf die involvierten Anrainerstaaten – insbesondere Ruanda – ausgeübt wurde. Nur so konnten nach einigen diplomatischen Hürden letztlich auch die Kampala-Gespräche3 zwischen den M23 und der kongolesischen Regierung zu einem Ende gebracht werden. Militärisch gesehen konnte die DR Kongo in Kooperation mit ihren Alliierten Stärke demonstrieren. Gleichzeitig zeigte gerade der zähe Verlauf der Kampala-Gespräche, dass politisch-diplomatische Lösungen weiterhin eine schwierige Aufgabe darstellen.
Nach der Kapitulation der M23 steht die MONUSCO in der Pflicht, für die weitere Umsetzung des Rahmenabkommens zu sorgen und die Entwaffnung und Demobilisierung weiterer Rebellengruppen, wie der Hutu-Miliz FDLR, den diversen Mai-Mai-Milizen oder der aus Uganda stammenden ADF-Nalu-Miliz, voranzutreiben. Seit Januar 2014 führt die MONUSCO zwar gemeinsam mit der kongolesischen Armee eine Offensive gegen die ADF-Nalu durch, wodurch wichtige Operationsbasen der Miliz zerstört und diese insgesamt geschwächt wurde. Allerdings ist es ihnen nicht gelungen, die ADF-Nalu dauerhaft zu besiegen. Dies macht deutlich, dass rein militärische Aktionen hier wenig Erfolg versprechend sind. Als Vergeltung für die Angriffe rächte sich die Miliz im Oktober und November 2014 mit brutalen Übergriffen auf die Bevölkerung im Nord-Kivu. Die Angreifer stehen im Verdacht, teils in Kooperation mit einzelnen kongolesischen Soldaten gehandelt zu haben. Während die Übergriffe weiter anhalten, zeigte die kongolesische Regierung bislang keine Bereitschaft, diesen Vorwürfen nachzugehen und sich für funktionierende Strukturen und eine konsequente juristische Aufarbeitung in den eigenen Reihen zu engagieren.
Ein weiteres Problem und regionales Politikum ist der Umgang mit der Hutu-Miliz FDLR. Die kongolesische Regierung ließ im Februar 2015 verlauten, dass sie an einer gemeinsamen Offensive mit der MONUSCO gegen die FDLR kein Interesse mehr habe, sondern eigenständig gegen diese vorgehen will. Die Militäroperation läuft mittlerweile ohne deutliche Erfolge. Wie die weitere Kooperation der kongolesischen Armee mit der MONUSCO aussehen und wie diese die Militäroperation gegen die FDLR weiterführen wird, bleibt unklar. Für Ruanda bedeutet dies einen Affront, der als Argument genutzt werden könnte, um zur Sicherung eigener Interessen im Osten der DR Kongo neue Milizen zu unterstützen.
Insgesamt scheint die in den Jahren 2013 und 2014 gelobte Allianz der kongolesischen Regierung mit der MONUSCO zu bröckeln. Anfang des Jahres 2015 machte die kongolesische Regierung deutlich, dass sie sich von der MONUSCO nicht länger in internen Angelegenheiten beraten lässt, und zeigte der Mission so ihre klaren Grenzen auf. Zum Eklat führte schließlich die Benennung zweier kongolesischer Generäle, die wegen Kriegsverbrechen auf der Sanktionsliste der MONUSCO stehen, zu Leitern der Offensive gegen die FDLR. Da die MONUSCO nicht mit Generälen kooperieren darf, die in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind die diplomatischen Beziehungen seitdem eingefroren. Insgesamt blieben nach der Niederschlagung der M23 weitere Erfolge aus. Für die Umsetzung des Rahmenabkommens bedeutet dies einen Rückschlag.
Weitere Herausforderungen an das Rahmenabkommen stellt der ungeklärte Umgang mit den ehemaligen Anführern der M23, die zurzeit in ihren Zufluchtsländern Ruanda und Uganda abwarten. Bislang zeigten die Regierungen beider Länder keine Bereitschaft, die mutmaßliche Verantwortung der M23-Anführer für Verbrechen in der DR Kongo zu untersuchen.
Derartige Untersuchungen sieht das Abkommen aber ausdrücklich vor: Die Länder der Großen-Seen-Region dürfen Personen, denen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord angelastet werden oder die unter Sanktionen der VN fallen, weder Aufenthalt noch Schutz anbieten. Zudem müssen sie die Rechtsprechung durch juristische Zusammenarbeit in der Region ermöglichen. Neben ihren Anführern befinden sich rund 1.600 ehemalige M23-Kämpfer in den Nachbarländern der DR Kongo. Die kongolesische Regierung sagte ihnen zu, unter einem Amnestiegesetz in das Zivilleben integriert zu werden. Zusätzlich stellte sie ein ambitioniertes Demobilisierungsprogramm für ehemalige Kämpfer auf. Erfüllt wurden diese Versprechungen bislang aber nicht, und die Unzufriedenheit unter den ehemaligen Milizionären nimmt zu. Die Gefahr der erneuten Bildung einer Rebellengruppe durch ehemalige M23-Kämpfer besteht daher weiterhin und ist gegenwärtig hoch brisant.
Neben den genannten Milizen treiben diverse andere Gruppen im rohstoffreichen Osten der DR Kongo ihr Unwesen, und auch die Anrainerstaaten profitieren weiterhin von den rechtsfreien Räumen, die es ihnen erleichtern, ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Die Präsenz einer marodierenden und von Eigeninteressen geleiteten Armee bei gleichzeitiger Abwesenheit sonstiger staatlicher Akteure verstärkt die Krisenanfälligkeit der Region. Hier sind auch die Anrainerstaaten gefragt, sich strikt an die Souveränität der DR Kongo zu halten, ihre jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Interessen nicht auf kongolesischem Boden durchzusetzen und sich nicht in innerstaatliche Konflikte einzumischen. Dafür sind Richtlinien notwendig, die es ermöglichen, die Einhaltung zu überwachen. Besonders dieser Punkt stellt sich als sehr schwierig dar, weil die Interventionen der Nachbarländer in der DR Kongo bislang immer verdeckt stattfanden und kaum offen darüber gesprochen wurde.
Interne Reformen und die Rolle der Bevölkerung
Die Kernforderungen des Abkommens sind also längst nicht vollständig umgesetzt. Nun obliegt es dem kongolesischen Staat, sich an wichtige Vereinbarungen des Rahmenabkommens zu halten. Dazu gehören die notwendige Reform des Sicherheitssektors und der staatlichen Institutionen, der Aufbau staatlicher Strukturen in den östlichen Provinzen, die Stärkung von Versöhnung und Demokratisierung und Fortschritte im Dezentralisierungsprozess.
Insbesondere das oftmals unkontrollierte Agieren der kongolesischen Armee, die wiederholt Angriffe auf die eigene Bevölkerung ausübt, macht deutlich, dass der Sicherheitssektor dringender Reformen bedarf. Eine weitere Herausforderung sind die verbreiteten Allianzen zwischen Armeeangehörigen und einzelnen Rebellenfraktionen. Von der Schaffung einer Armee, die im Sinne des Allgemeinwohls handelt, ist die DR Kongo weit entfernt. Angefangen bei besserer Ausbildung und klaren Kommandostrukturen bis zu regelmäßiger Besoldung und sicheren Unterkünften – auch für die Familien der Soldaten – müssen Maßnahmen ergriffen werden, um der eigenen Bereicherung, grassierenden Korruption und fehlenden Motivation innerhalb der Armee entgegenzuwirken. Es erfordert nun große Anstrengungen und vor allem Willen seitens der politischen Verantwortlichen in der DR Kongo, diese Vereinbarungen in konkrete Handlungen umzuwandeln. Bislang fehlt ein Umsetzungsfahrplan mit klaren und messbaren Zielen.
Bei aller berechtigten Kritik bleibt eins festzuhalten: Das Rahmenabkommen ist ein wichtiges Referenzdokument und demonstriert eine erneute Anstrengung, um unter Beteiligung internationaler, regionaler und nationaler Verantwortlicher den langwierigen Prozess für Frieden und Sicherheit in der DR Kongo aufleben zu lassen. Bislang wurde es eher als diplomatisches Instrument genutzt, anstatt als operativer Mechanismus zu fungieren, welcher nachhaltige Erfolge erzielt. Damit es sich nicht in die Reihe der bislang wenig erfolgreichen Friedensabkommen für die Region einreiht, sind die Verhandlungspartner – an erster Stelle die kongolesischen Akteure – gefragt, ihre Verantwortung ernst zu nehmen, für die notwendigen Strukturen im Sicherheitsbereich zu sorgen und sich vor allem mit der Demobilisierung ehemaliger Milizen und der Schaffung alternativer Lebensgrundlagen für diese zu befassen. Dies sind die wichtigsten Voraussetzungen, um den Kreislauf der Kriegsökonomie zu durchbrechen.
Auch die Anrainerstaaten müssen sich ihrer Verantwortung stellen und ihre Eigeninteressen im Osten der DR Kongo zurückstellen, um einen nachhaltigen Friedensprozess zu ermöglichen. Dazu bedarf es der ernsthaften Gesprächsbereitschaft zwischen den jeweiligen Regierungen und der sofortigen Einstellung der Unterstützung von Stellvertretergruppierungen. Momentan liegt beides allerdings in weiter Ferne. Nichtsdestotrotz dürfen die gemeinsamen Bemühungen zur Umsetzung des Abkommens nicht vergessen werden. Daher muss vonseiten regionaler Staatenbündnisse und der Internationalen Gemeinschaft wiederholt auf die Verbindlichkeit der Umsetzung des Rahmenabkommen durch die Unterzeichnenden hingewiesen, diese eingefordert und Konsequenzen bei Nichtachtung des Vertrages gezogen werden.
Angesichts der aufgezeigten Herausforderungen und des fehlenden politischen Willens der verantwortlichen Akteure in der Region fällt die Gesamtbilanz ernüchternd aus und wird von der Sorge getragen, dass dieser Fahrplan für Frieden und Sicherheit erneut im Sande verlaufen wird.
Anmerkungen
1) Angola, Burundi, DR Kongo, Republik Kongo, Ruanda, Südafrika, Südsudan, Tansania, Uganda, Zentralafrikanische Republik.
2) Siehe Bericht der VN-Expertengruppe (Dokument S/2012/348/Add.1 des VN-Sicherheitsrates vom 27.6.2012).
3) Friedensverhandlungen, die ab Dezember 2012 zwischen der kongolesischen Regierung und den M23 unter Vermittlung des ugandischen Präsidenten Museveni in Kampala stattfanden. Da sich die Konfliktparteien nicht auf ein gemeinsames Abschlussdokument einigen konnten, endeten die sehr zäh verlaufenden Verhandlungen mit drei separaten Dokumenten.
Gesine Ames ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika (ÖNZ).