W&F 2020/2

Frieden ist keine Lösung

Ein bescheidener Friedensbegriff für eine praxisorientierte Konfliktforschung

von Christoph Weller

Das Wort »Frieden« taucht an vielen Stellen unserer Alltagskommunikation auf und führt zu einem scheinbar gemeinsamen intuitiven Verständnis. Von wenigen Ausnahmen abgesehen bezeichnet »Frieden« positiv bewertete soziale Verhältnisse, die in der Zukunft liegen. Doch welche Forschungsergebnisse benötigt die Praxis, beispielsweise die Kommunale Konfliktberatung, um heute Schritte in eine friedliche Zukunft zu gehen? Dafür könnte ein Friedensbegriff, der sich nicht an der Abwesenheit von Gewalt, sondern am Umgang mit Konflikten orientiert, hilfreich sein. Für ein solches prozessorientiertes Friedensverständnis wird in diesem Beitrag argumentiert und die Bedeutung geregelter Konfliktbearbeitung hierfür hervorgehoben.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg.1 Daher eignet sich der Friedensbegriff auch vortrefflich zur politischen Kritik an verschiedensten Formen aktuellen Unfriedens. Die Friedensforschung selbst ist vielleicht das beste Beispiel dafür, einen möglichst anspruchsvollen Frieden zu propagieren und auf dieser Grundlage viele gesellschaftliche Strukturen als friedenshinderlich zu kritisieren. So galt die Kritik der Friedensforschung zunächst dem Modus der Verhinderung kriegerischen Konflikt­austrags durch wechselseitige (atomare) Abschreckung. Sie wurde als „organisierte Friedlosigkeit“ (Senghaas 1969) beschrieben und dabei nicht nur ihre Friedensleistung in Frage gestellt, sondern auch thematisiert, welche innergesellschaftlichen und individualpsychologischen Auswirkungen die praktizierte atomare Abschreckungspolitik besitzt. Damit war Frieden nicht mehr nur Thema von Studien über internationale Politik, sondern angesichts seiner offensichtlichen Komplexität (Brock 2002, S. 103) eines interdisziplinär aufgestellten Forschungsfelds (vgl. schon Kaiser 1970). Vor diesem Hintergrund muss kaum überraschen, dass die Behauptung Johan Galtungs, „Der Satz ‚Frieden ist die Abwesenheit von Gewalt‘“ würde „Gültigkeit“ besitzen (Galtung 1971, S. 56), innerhalb der Friedensforschung weithin unwidersprochen blieb. Begründet hatte er seine Behauptung auch nur ganz lapidar mit dem Hinweis, „die Aussage ist einfach und stimmt mit dem allgemeinen Gebrauch überein“ (ebd.).

In der Folge wurde Galtungs Begriffsbestimmung zum Ausgangspunkt eines exklusiven Friedensverständnisses der Kritischen Friedensforschung. Mit deren Konzept der »strukturellen Gewalt« wurden alle Einschränkungen von Freiheit und jegliche Form der Ungerechtigkeit als dem »positiven Frieden« entgegenstehend kritisierbar und mithilfe des Gewalt-Begriffs auch skandalisierbar. »Frieden« versprach so neben der Abwesenheit physischer Gewalt auch die Lösung nahezu aller weiteren sozialen Probleme und war damit vornehmlich ein politischer Begriff (Daase 1996; Brock 2002, S. 100). Doch was war und ist damit für die Praxisorientierung der Friedensforschung gewonnen? Könnte sie heute mit einem bescheideneren, weniger anspruchsvollen Friedensbegriff in einen intensiveren Austausch mit der Friedenspraxis kommen und zugleich praxisnäher forschen? Könnte solche Forschung unmittelbar eine Friedenspraxis unterstützen und zugleich ihre politische Einflussnahme als Wissenschaft vergrößern (vgl. Weller 2005), um einen gewissermaßen doppelten Beitrag zu friedlicheren sozialen Verhältnissen – und dabei auch zur Gewaltreduktion – zu leisten?

Frieden durch Konfliktlösung?

Ein mir vielfach begegnendes Friedensverständnis – ohne damit einen allgemeinen Gebrauch einer solchen Begriffsverwendung behaupten zu wollen – scheint vornehmlich an den alltäglichen Belastungen sozialer Konflikte orientiert zu sein. Es zielt auf Frieden – als Entlastung – durch Lösung oder Vermeidung von Konflikten. Dies mag durchaus mit der unreflektierten Erwartung einhergehen, dass es nach Lösung aller Konflikte auch keine sozialen Probleme sowie keinen Anlass für die Anwendung von Gewalt mehr geben würde bzw. sollte. Im Vordergrund steht hier aber nicht das Problem der Gewalt, sondern jenes der Konflikte, die als Gegenpol zum Frieden gesehen werden. Dabei verdunkelt die positive Strahlkraft des Friedens das Bild von Konflikten, die so vor allem als Probleme, behindernd, belastend oder gar freiheitseinschränkend wahrgenommen werden. Betrachten wir Friedensverständnisse auch als Spiegel dominierender Defizite sozialer Verhältnisse, wird das alltägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft offenbar stärker durch Konflikte belastet als durch Gewalterfahrungen.

Diese Wahrnehmung mag eine ideologische Täuschung und Ergebnis einer erfolgreichen neoliberalen oder sonstigen Propaganda sein. Hierfür sensibilisiert uns die Kritische Friedensforschung, der zufolge dann noch größere Anstrengungen in die Aufklärung über die Gewaltdimensionen von „Ökozid, Psychopathologien, Patriarchat, Rassismus, Klasse, Imperialismus, Handel [… sowie] Religion, Recht, Ideologie, Sprache, Kunst, Wissenschaft, Kosmologie, Schule, Universität, Medien“ (Galtung 1998, S. 69) zu stecken wären. Ein weniger erkenntnis-kritischer und stärker praxis-orientierter Friedensbegriff könnte stattdessen das Konfliktlösungsbedürfnis des oben genannten Friedensverständnisses aufgreifen und sich die Frage stellen, ob er auch hierzu einen Beitrag leisten kann und wenn ja, welchen.

Das bedeutet keine unkritische Anpassung an einen möglicherweise nur dem Zeitgeist geschuldeten Sprachgebrauch, auch ist keineswegs beabsichtigt, Konflikte zum Gegenpol des Friedens zu machen. Vielmehr wird bei dem hier skizzierten Friedensbegriff die Gewaltreduktion durchaus mitbedacht, aber der „Schwammigkeit eines weiten Friedensbegriffs“ (Brock 2002, S. 99) entgegengetreten, ohne ihn jedoch auf die internationale Politik und das entsprechende „Mehr als die Abwesenheit von Krieg“ (Brock 2002) zu beschränken. Frieden soll in diesem Verständnis Kennzeichen sozialer Interaktionsprozesse auf allen Ebenen sein können, von der Paarbeziehung bis zum Großmachtkonflikt.2 Über die Fokussierung auf Konflikte wird Konfliktbearbeitung zu einem wesentlichen Element des Friedens. Frieden ist damit nicht mehr die angestrebte Lösung, sondern ein Prozess, in dem soziale Verhältnisse – einschließlich aller oben genannten und ungenannten strukturellen Gewaltverhältnisse – transformiert werden können. Denn offensichtlich geht gerade auch die Zurückdrängung struktureller Gewalt mit eskalationsgefährdeten Konflikten einher.

Frieden als Prozess

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg“ mag als berühmteste Formulierung dieses Friedensverständnisses gelten und sie stammt – wenig überraschend – von einem Friedenspraktiker: Mahatma Gandhi. Eine theoretische Herleitung des Prozess-Konzepts des Friedens leistete Ernst-Otto Czempiel im Zusammenhang mit der Entwicklung von Friedensstrategien für die internationale Politik. Er stand folglich in der Tradition der frühen Ansätze und sein Ausgangspunkt war die – auch über den „allgemeinen Sprachgebrauch“ und „historische Tradition“ (Czempiel 2002, S. 85) legitimierte – Definition: „Frieden herrscht dann, wenn kein Krieg stattfindet“ (ebd.; vgl. auch Brock 2002). Krieg wird nun aber von Czempiel nicht als Zustand der Anwesenheit direkter Gewalt konzipiert, sondern als Interaktion bzw. sozialer Prozess: als „Austragungsmodus internationaler Konflikte“ (Czempiel 2002, S. 85). Folglich müssen sich seiner Meinung nach Friedensstrategien darauf richten, einen „Systemzustand“ zu erreichen, „in dem die zwischenstaatlichen Konflikte überhaupt nicht mehr durch die Anwendung militärischer Gewalt, sondern durch andere, nicht-gewaltsame Prozesse bearbeitet werden“ (ebd.). Die Existenz der Konflikte wird anerkannt, aber der Umgang mit ihnen soll verändert werden.

Ein Beispiel hierfür nimmt sich Czempiel an der Innenpolitik, wo die gewaltfreie Konfliktbearbeitung garantiert wäre (ebd.). Dass dies nicht selbstverständlich, sondern sehr voraussetzungsreich ist, hat Dieter Senghaas (1995, 2004) empirisch untersucht und dabei herausgearbeitet, dass es in westlichen Demokratien sechs miteinander in Wechselwirkung stehende Bedingungen sind, unter denen die Gewaltanwendung in innerstaatlicher Konfliktaustragung spürbar zurückgeht. An der Spitze dieses „Zivilisatorischen Hexagons (Senghaas 1995) steht das Gewaltmonopol des Staates, also die Anwesenheit direkter physischer Gewalt als rechtsstaatlich legalisierte (sic!) Maßnahme – in Galtung’scher Perspektive wohl eher eine fatale Institutionalisierung der Abwesenheit des Friedens in jeder staatlichen Ordnung (vgl. dazu Weller 2003). Doch steht das Prozess-Konzept des Friedens nicht so konträr zum Ziel der Gewaltvermeidung, wie es zunächst den Anschein hat. »Kein Krieg« bedeutet ja ohne Zweifel weniger Gewalt, aber die Czempiel’sche Friedensstrategie zielt nicht auf die pauschale »Abwesenheit« militärischer Gewalt, sondern auf die Vermeidung vor allem jenes Gewalteinsatzes, der bei eskalierendem Konfliktaustrag seine Eigendynamik entwickelt. Zu der aus solchen Konfliktdynamiken entstehenden Gewalt soll es durch eine friedensorientierte Gestaltung der Prozesse der Konfliktbearbeitung nicht kommen.

Frieden als geregelte Konfliktbearbeitung

Darüber hinaus eröffnet dieses Prozess-Konzept des Friedens eine Möglichkeit, die zwei in der Selbstbezeichnung »Friedens- und Konfliktforschung« enthaltenen Begriffe konzeptionell unmittelbar miteinander zu verbinden: Frieden wird realisiert durch geregelte Konfliktbearbeitung. Er wird damit nie auf Dauer gestellt, weil sich die im Konflikt miteinander stehenden Menschen, Gruppen, Organisationen oder Staaten auch gegen den Frieden und für den ungeregelten Konfliktaustrag entscheiden können. So wie jedem Menschen die Möglichkeit zur Anwendung physischer Gewalt immer zur Verfügung steht (vgl. Heitmeyer 2004, S. 88), hat sie*er auch die Freiheit, in beliebigen sozialen Zusammenhängen Konflikteskalation zu riskieren oder diese sogar gezielt herbeizuführen.3 Die weiter verbreitete Neigung scheint aber doch eher zu sein, Konflikte zu lösen oder ihren Austrag in geregelte Bahnen zu lenken, um sich schnellstmöglich ihrer Anstrengungen und Unsicherheiten wieder zu entledigen.

Die Vorstellung vom Frieden als geregelte Konfliktbearbeitung geht davon aus, dass Konflikte nicht nur belasten, sondern konstitutiv für gesellschaftliches Zusammenleben sind und daher einer ambivalenten Bewertung unterliegen (vgl. Galtung 1998, S. 134): Sie belasten das Zusammenleben und ihre unterschiedlichen Austragungsformen enthalten jenes verunsichernde Eskalationspotenzial, dem sich das hier skizzierte Friedenskonzept zugunsten gelingenden menschlichen Zusammenlebens und dessen ständig erforderlichen Veränderungen zuwendet. Zugleich machen Konflikte jene Spannungsverhältnisse, Differenzen und Uneinigkeiten wahrnehmbar, die für individuelle Entwicklung und gesellschaftlichen Wandel erforderlich, ja unabdingbar sind, und sie machen sie bearbeitbar. Dies zeigt sich im Widerspruch zu elterlichen Vorgaben genauso wie in den alljährlichen Tarifkonflikten oder auf Weltklimakonferenzen. Wer etwas ändern will, muss mindestens mit jenen in Konflikt treten, die alles beim Alten belassen wollen. Doch wie sind dann friedlicher Wandel und Entwicklung möglich?

Institutionen der Konfliktbearbeitung

Frieden setzt in diesem Verständnis voraus, dass Differenzen und Uneinigkeit zwischen sozialen Akteur*innen als Konflikte anerkannt werden und ein darauf bezogener intentionaler Umgang mit den Konflikten erfolgt (vgl. Dahrendorf 1972, S. 15). Dies wird mit dem Begriff der »Konfliktbearbeitung« gekennzeichnet – im Gegensatz zu »Konfliktaustrag«, mit dem das empirisch beobachtbare konfliktive Handeln bezeichnet wird. Als »geregelt« kann die Konfliktbearbeitung dann gelten und ihren Beitrag zum Frieden leisten, wenn sichergestellt ist, dass unabhängig vom aktuell zu bearbeitenden Konflikt Regeln und entsprechende Institutionen etabliert sind bzw. wurden, die Anerkennung genießen und es den Konfliktparteien ermöglichen, trotz ihres Konflikts in Verbindung zu bleiben, die Produktivkraft des Konflikts für die Weiterentwicklung ihrer sozialen Beziehungen zu nutzen und ggf. sogar noch gesellschaftlichen Wandel zu befördern (vgl. Dahrendorf 1992, S. 48; Weller 2013).

Den zentralen Beitrag zum Frieden als Prozess leisten in dieser Konzeption also neben den Konfliktparteien, die ihren sozialen Konflikt anerkennen und die Konfliktaustragung in geregelte Bahnen zu lenken versuchen, die Institutionen der Konfliktbearbeitung. Sie stellen ein Angebot von Regeln und Verfahren bereit, anhand derer die friedensorientierten Konfliktparteien mit ihren Differenzen bezogen auf die Konfliktgegenstände umgehen können, wodurch die Eskalationsgefahr des Konfliktaustrags minimiert wird (vgl. Gulowski und Weller 2017). Institutionen der Konfliktbearbeitung entfalten zugleich eine friedensverstärkende Wirkung, indem auch die notwendigen Konflikte um die Ausgestaltung von Regeln und Institutionen der Konfliktbearbeitung und ihres Wandels selbst in genau diesem friedlichen Modus ablaufen können: als Konflikt anerkannt und intentional bearbeitet entsprechend zuvor etablierter Regeln und Verfahren, etwa eine Verfassungsänderung bezogen auf die Einsatzmöglichkeiten des Militärs im Rahmen demokratischer Verfahren. „Geregelter Konflikt ist Freiheit, denn er bedeutet, dass niemand seine Position zum Dogma erheben kann (Dahrendorf 1992, S. 39, vgl. auch Brock 2002, S. 107: „Friede als friedlicher Streit über den Frieden“).

Nun werden aber zahlreiche Institutionen der Konfliktbearbeitung dem Maßstab des Friedens nicht gerecht, etwa wenn es ihnen nicht gelingt, die Eskalation des Konfliktaustrags in geregelte Bahnen zu lenken oder sie ihren eigenen Ansprüchen und Verfahrensweisen nicht entsprechen. Aus der vorgenommenen Verbindung von Frieden und Konflikt ergibt sich in solchen Fällen die praxisorientierte Frage, mithilfe welchen Konflikts die kritisierten Institutionen der Konfliktbearbeitung transformiert werden könnten (oder müssten), damit sie Beiträge zum Frieden leisten können. Aus der Friedensorientierung erwächst zudem der Anspruch, für den darüber auszutragenden Konflikt nach der geeigneten Institution der Konfliktbearbeitung zu suchen, die eine geregelte Bearbeitung dieses Konflikts ermöglicht. Daraus ergeben sich zahlreiche praxisorientierte Aufgaben für die Friedens- und Konfliktforschung, die auf diesem Wege zu Konflikten, zum Wandel und zum Frieden beitragen kann.

Darf ungerechter Frieden stabilisiert werden?

Nun lässt sich einwenden, dass dieses Friedensverständnis doch allzu bescheiden sei, weil allerorten zuhauf »Institutionen der Konfliktbearbeitung« existieren, die Machtverhältnisse und Ungerechtigkeit stabilisieren, deren geregelte Konfliktbearbeitung aber nach dem oben Gesagten als »Frieden« gelten könnte, ohne dass ein friedlicher Wandel möglich erscheint. Bezogen auf Machtverhältnisse, Ungerechtigkeit, Gewaltanwendung, Freiheitsbeschränkungen, Umweltzerstörung etc. ist dieser Friedensbegriff in der Tat indifferent – und deshalb »bescheiden«, aber insofern praxisorientiert, als er zu der Frage hinführt: Welche Institutionen der Konfliktbearbeitung sind bereits vorhanden, zu verändern oder neu zu etablieren, um genau jene Konflikte – friedlich !! – bearbeitbar zu machen, die sich auf den Wandel all der unerträglichen Zustände richten, die angedeutet wurden und die von Friedensfreund*innen auch unschwer erkannt werden können, ohne dass sie als Unfrieden oder Gewalt politisiert werden müssten?

Die Feststellung der Differenz zwischen den Weltverhältnissen und mehr oder weniger anspruchsvollen Friedensverständnissen bringt noch keinen Wandel in die Welt und leitet auch keine Praxis an. Ein Prozess-Konzept könnte an dieser Stelle für eine größere Dynamik sorgen, indem es auf die Anerkennung der wahrgenommenen Differenz, z.B. zwischen Welt und Frieden, als sozialen Konflikt abhebt. Dann bleibt es immer noch in der Verantwortung gesellschaftlicher Gruppen als (potenziellen) Konfliktparteien, die Differenz zum Konflikt zu machen, den Widerspruch zu artikulieren, sich den Mühen einer Konfliktbearbeitung zu unterziehen und nach geeigneten Institutionen zu suchen, entlang deren Regeln die Auseinandersetzung friedlich stattfinden könnte. Die Etablierung und Transformation von Institutionen der Konfliktbearbeitung – wozu die Friedens- und Konfliktforschung ihre Beiträge leisten könnte – können dazu ermutigen und Vertrauen schaffen, die vorhandenen Konflikte nicht nur anzuerkennen, sondern auch den Versuch ihrer Bearbeitung in Gang zu setzen. Dieser wird leichter gelingen, wenn er als friedlicher Prozess – also als geregelte Konfliktbearbeitung – ins Werk zu setzen ist. Mehr Wandel und deshalb mehr Konflikte bei gleichzeitiger Reduktion der Zahl gewaltsam eskalierender Konflikte ist keine Lösung für nichts, aber ein relativ bescheidener und vielleicht dennoch größtmöglicher praktischer Beitrag zum Frieden – und damit der Frieden selbst.

Anmerkungen

1) Vgl. die sehr differenzierte Erläuterung dieser Aussage von Brock (2002).

2) Es geht allerdings explizit nur um soziale und nicht auch um intrapersonale Konflikte, die „in der Struktur des (inneren) Person-Systems“ liegen und die Galtung (1998, S. 142) in seine Kon­flikttheorie einzubeziehen versucht.

3) Das Maß dieser Freiheit ist zweifellos auch abhängig von der Verfügbarkeit u.a. materieller Ressourcen, aber vor allem von Macht-Ressourcen, also der Fähigkeit, „sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“ (Arendt 1970, S. 45). Das hat die jüngst stattgefundene Konflikteskalation bei den Klimastreik-Aktionen von Schüler*innen beeindruckend unter Beweis gestellt.

Literatur

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Weller, C. (2005): Gewalt, Frieden und Friedensforschung – Eine konstruktivistische Annäherung. In: Jahn, E.; Fischer, S.; Sahm, A. (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens, Band 2 – Die Friedens- und Konfliktforschung aus der Perspektive der jüngeren Generationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 91-110.

Weller, C. (2013): Konflikte in der pluralisierten Gesellschaft – Oder: Integration durch Konfliktbearbeitung. In: Reder, M.; Pfeifer, H.; Cojocaru, M.-D. (Hrsg.): Was hält Gesellschaften zusammen? Der gefährdete Umgang mit Pluralität. Stuttgart: Kohlhammer, S. 47-53.

Prof. Dr. Christoph Weller forscht zu Insti­tutionen der Konfliktbearbeitung, lehrt Friedens- und Konfliktforschung und leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg.

Für ihre sehr hilfreichen Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Textes danke ich Michaela Zöhrer und Christiane Lammers.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/2 Frieden begreifen, Seite 15–18