Frieden Macht Freiheit
31. Tagung des Forum Friedenspsychologie, 8.-10. Juni 2018, Heidelberg
von Ursula Christmann und Julia Schnepf
Frieden ist der Gegenpol zu Gewalt, sei es personale oder strukturelle Gewalt. In der Friedenspsychologie geht es daher direkt oder indirekt immer um die Überwindung von Gewalt. Bei der 31. Tagung des Forums Friedenspsychologie an der Universität Heidelberg stand vor allem die Macht des Wortes in Relation zur friedensgefährdenden oder -zerstörenden Gewalt im Mittelpunkt. Sprache und Kommunikation können den Weg zur Gewalt bahnen, können aber auch ein Königsweg zur Verhinderung oder sogar Überwindung von gewalthaltigen Konflikten zwischen Personen, Gruppen, Ethnien etc. sein. Gerade bei lang andauernden zwischenmenschlichen Konflikten mit hohem Gewaltpotenzial ist die konstruktive Macht des Wortes daher in der Lage, Freiheit wiederherzustellen: die Freiheit der Opfer wie der Täter*innen.
Diesem Problem war nicht zuletzt die Keynote-Vorlesung gewidmet, in der Dr. Nurit Shnabel (Universität Tel Aviv) das Bedürfnisbasierte Modell als Schlüssel für Versöhnungsprozesse vorstellte. Das Modell geht davon aus, dass Menschen grundsätzlich bestrebt sind, eine positive Identität aufrechtzuerhalten, und dass Konflikte die Identität von Opfern und Täter*innen bedrohen. Opfer fühlen sich durch den Konflikt in ihrer »Agency« (z.B. Macht, Kontrolle, Einflussnahme, Handlungsfähigkeit) bedroht, während Täter eine Beeinträchtigung des moralischen Selbstbildes erfahren, und sei es nur durch die moralische Ablehnung (eines Großteils) der Umgebung und den möglichen sozialen Ausschluss. Versöhnung ist dadurch möglich, dass die konträr-komplementären Bedürfnisse der Wiederherstellung von Agency (Opfer) bzw. moralischer Akzeptanz (Täter*innen) erfüllt werden, und zwar in gegenseitiger Kommunikation und Anerkennung. Gerade bei lang andauernden, auch kriegerischen, Konflikten wird die Situation allerdings meist dadurch verkompliziert, dass Opfer auch zu Täter*innen werden und umgekehrt. (Mehr zum Bedürfnisbasierten Modell siehe Shnabel, N. (2017): Wie versöhnen wir uns? W&F 3-2017, S. 34-38.) Welche Möglichkeiten – und Grenzen – für Versöhnungsprozesse durch diese Verschränkung des Täter*in-Opfer-Status auch im Rahmen des Bedürfnisbasierten Modells zu erwarten sind, war Gegenstand nicht nur des letzten Vorlesungsteils, sondern auch der engagierten Diskussion mit den Tagungs-Teilnehmer*innen.
Dem Rahmenthema der Tagung entsprechend wurden in der ersten Sektion, »Die schiefe Ebene«, zunächst die Gefahren thematisiert, die von destruktiver Kommunikation und Weltverarbeitung für den Frieden ausgehen (können). Eine prominente Rolle spielt in Deutschland dabei das auf den Holocaust bezogene »Schluss-Strich-Argument«, das nicht nur im Kontext von offenem Antisemitismus geäußert wird, sondern mit einer vorgeblich israelfreundlichen Kritik an muslimischen Migranten*innen verschleiert auch im neuen Rechtspopulismus zum Ausdruck kommt. Gegen muslimische und andere Geflüchtete richtet sich auch die (im Vergleich zur deutschen Mehrheitsbevölkerung) geringere Zuschreibung von komplexen Emotionen und Kognitionen, die als »Infrahumanisierung« bezeichnet wird und einen nicht bewussten ersten Schritt zur Ausgrenzung und Ablehnung von Geflüchteten darstellt. Die potenziellen Einflussfaktoren für Infrahumanisierung zwischen bahnendem Nationalismus und hemmendem Kontakt sind jedoch so komplex, dass eine Aufklärung durch weitere Forschung noch aussteht. Allerdings gibt es auch innerhalb der jeweiligen nationalen Mehrheitsgesellschaften ein Auseinanderdriften von Gesellschaftsschichten, das zum Erstarken von (rechts-) populistischen Entwicklungen geführt hat. Dieses Auseinanderdriften korreliert mit dem Anwachsen der Schere zwischen Arm und Reich in den letzten Jahrzehnten, wodurch sich im positiven Fall die traditionellen Parteien zur Erhaltung ihres Wählerpotenzials gedrängt fühlen könn(t)en, diese Schere wieder mehr zu schließen. In diesem Fall würde der Rechtspopulismus letztlich eine Art »Demokratiehäutung« bewirken, also eine Erneuerung der demokratischen Institutionen und Inhalte, um die Gefahren von Rechts abzuwehren.
In der zweiten Sektion, »Overcoming conflicts?«, ging es zunächst um die Möglichkeiten, die Spannung zwischen negativen und positiven Dynamiken in Richtung Letztere aufzulösen. Dabei stand das Vertrauen in die Polizei (in den USA) bei Mitgliedern der (weißen) Mehrheitsgesellschaft vs. (farbigen) Minoritäten im Fokus. Durch Studien auf der Basis des Intergruppen-Vertrauen-Modells konnte nicht nur der erwartbare Ver-/Misstrauensunterschied zwischen diesen Gesellschaftsschichten nachgewiesen werden, sondern auch, dass sich das Misstrauen durch einen Mangel an Empathie und Vergleichbarkeit aufseiten der Polizei verstärkt – was Konsequenzen für Polizei-Trainings haben sollte, indem zum Beispiel nicht nur ein Fokus auf Gerechtigkeit gesetzt wird. Wie schwer sich konstruktiv-altruistische Haltungen jedoch entwickeln lassen, zeigen Untersuchungen zum Management in der Organisationspsychologie. Hier erhalten diejenigen, die Informationen nicht nur für den eigenen Gewinn, sondern auch für den des Teams einholen, deutlich schlechtere Bewertungen, was egoistisches Verhalten mehr als altruistisches belohnt. Um solchen Dynamiken entgegenzuwirken, gibt es bereits eine Fülle von kreativitätssteigernden Gruppentechniken. Dazu gehören Ansätze wie das »Ideen-Mining« oder »Democratic Tableware«, deren Effektivität allerdings noch durch systematische Interventionsstudien gesichert werden muss. Man darf sich also die Überwindung von Konflikten nicht zu einfach vorstellen. Trotzdem existiert in der Zusammenschau der bisherigen Konflikt- und Friedensforschung durchaus ein substantieller Pool von Ansätzen zur Überwindung sogar von unlösbar scheinenden Konflikten: von der Reduzierung der Feindschaft über die Zusammenarbeit in abgegrenzten Bereichen bis zur Anerkennung von Ungerechtigkeiten, und sei es nur auf symbolische Weise.
In der dritten Sektion, »Politisches Engagement und Kompetenz«, lag das Schwergewicht auf den (möglichst) konstruktiven Prozessen und (Rahmen-) Bedingungen für die Sicherung von Frieden und Freiheit. In einer groß angelegten Studie an thüringischen Schulen konnte aufgezeigt werden, dass es unter den Jugendlichen eine große Gruppierung gibt, die sich intrinsisch motiviert für politisches Engagement interessiert und gegenüber Ausländer*innen eine positive Einstellung aufweist; insbesondere zeigte sich, dass dafür demokratiepraktizierender Unterricht eine entscheidende Rahmenbedingung darstellt. Paralleles gilt auch für Ausländer*innen bzw. Migranten*innen selbst: Sie versuchen sowohl in der Phase der Flucht aus dem Herkunftsland als auch während der Integration ins Aufnahmeland ihre Akteurschaft in vielfältiger Weise aufrecht zu erhalten. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext setzt das allerdings auch konstruktive Erklärungsmodelle aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft voraus. Dafür sind mediale Darstellungen, sowohl bildlicher als auch textueller Art, mit entscheidend, da sie einen Einfluss darauf haben, ob sich anteilnehmende Emotionen mit angemessener Verbalisierung entwickeln oder nicht. Selbst wenn dies zunächst nicht gelingt und Diskriminierung vorliegt, kann die Psychologie Trainingsprogramme zur Überwindung von Diskriminierung anbieten, zum Beispiel das Kompetenztraining zur Bewältigung von Diskriminierung (KOBEDI) der Universität Marburg, das nicht nur die Diskriminierung von Geflüchteten, sondern auch sexuelle, religiöse und andere Arten von Diskriminierung einschließt.
In der letzten Sektion der Tagung, »Die Macht des Wortes«, stand schließlich die argumentative Kraft der Kommunikation im Mittelpunkt. Zunächst wurde mit dem Konzept der »Argumentationsintegrität« eine Sensibilität für gerechte und kooperative Kommunikation – auch in der politischen Diskussion – vorgestellt, durch die unintegre, unfaire Argumente auf den*die Sprecher*in selbst zurückfallen (sollten). Die häufigsten unfairen rhetorischen Strategien (46 an der Zahl) lassen sich elf Standards des un/integren Argumentierens zuordnen, die an Videobeispielen aus dem Wahlkampf der AfD verdeutlicht wurden. Gerade der Erfolg dieser Partei wirft die Frage auf, ob es unter Umständen ganze Bevölkerungsteile gibt, die Unintegrität nicht ablehnen, sondern sich daran ergötzen, und wie man einer solchen Gefährdung von Frieden und Freiheit entgegentreten kann. Die Antwort gab der letzte Vortrag über eine »erwägungsorientierte Bildung« von Kindesbeinen an. Das betrifft eine Didaktik schon im 3. Schuljahr, durch die argumentative Kompetenz und insbesondere der konstruktive Umgang mit anderen Meinungen (qua Meinungen anderer) erlernt und eingeübt werden. Am Ende dieses Weges sollte eine aufgeklärte Toleranz stehen, in der die Macht des Wortes gleichermaßen Frieden und Freiheit ermöglicht.
In der Mitte der Tagung wurde, wie bei den Jahrestagungen des Forum Friedenspsychologie üblich, der Gert-Sommer-Preis für die beste friedenspsychologische Qualifikationsarbeit des vergangenen Jahres verliehen. Der Preis ging an die Dissertation über ein Modell zur »Komplexität des Bösen« von Timothy Williams, in dessen Preisvortrag die komplexen Dimensionen und Verschränkungen in Genoziden an den Beispielen Ruanda und Kambodscha aufgezeigt wurden. Aufgrund der überdurchschnittlichen Qualität der Einreichungen gab es in diesem Jahr auch zwei »Honorable Mention«-Vorträge. Der Beitrag von Ulrike Auge befasste sich mit den Strategien, mit denen Jugendliche in Afghanistan trotz ihrer außerordentlich belastenden Lebenssituation die Adolszenz innerhalb der eigenen Identitätsbildung sowie der gesellschaftlich vorgegebenen (Handlungs-) Räume verhandeln und dabei einen Beitrag zu einer friedlichen Gesellschaft leisten. Sofia Krüger untersuchte, wie die Kirchen im Nordirland-Konflikt mit der Betonung eines Friedensethos eine aktive Politik des »Counterframing« betrieben. (Siehe Kurztexte zu den drei Arbeiten auf Seite 52)
Die Tagung wurde von ca. 50 Teilnehmer*innen der verschiedensten mit Konflikt- und Friedenforschung befassten Institutionen besucht. Die Organisation konnte so gestaltet werden, dass alle Teilnehmer*innen jeden Vortrag hören konnten, wodurch eine familiäre und intensive Atmosphäre des engagieren Austauschs entstand. Der Tagungsort, das Psychologische Institut im Friedrichsbau von 1865 inmitten der Heidelberger Altstadt, mag das Seine dazu beigetragen haben. In diesem Klima fanden auch die Mitgliederversammlung des Forums (Freitagabend, 8.6.) und die Vorstandssitzung (Sonntagmorgen, 10.6.) statt. Die Tagung wurde organisiert von Prof. Dr. Ursula Christmann und Julia Schnepf (B.A.) mit Unterstützung des »Field of Focus 4 Self-Regulation and Regulation« der Heidelberger Exzellenzinitiative, der Gesellschaft der Freunde der Universität Heidelberg und der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie. Allen Unterstützenden sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
Ursula Christmann und Julia Schnepf