W&F 1987/4

Friedensbewegung nach der Null-Lösung

von Ulrike C. Wasmuth

Bei der ersten Großdemonstration der Friedensbewegung am 10. Oktober 1981 in Bonn war das Ziel und der Minimalkonsens der Bewegung klar: ein absolutes Nein zum NATO-Doppelbeschluß vom 12. Dezember 1979 und der damit verbundenen neuen Aufrüstungsrunde im Bereich der Mittelstreckenwaffen, deren Stationierung – vorbehaltlich „mißglückter Verhandlungen“ – für Ende 1983 vorprogrammiert war. Die Friedensbewegung hat sich entwickelt, sie hat an Stärke gewonnen, sie hat neue Aktionsformen gefunden, sie hat einen wichtigen Stellenwert innerhalb der sicherheits- und innenpolitischen Diskussion erworben, sie hat dazu beigetragen, daß die GRÜNEN in den Bundestag einziehen konnten, die sich als der parlamentarische Arm der außerparlamentarischen Bewegungen verstanden und verstehen, und sie hat nie ihr Ziel aus den Augen verloren: keine Mittelstreckenwaffen in Europa. Die Diskussionen über die „Nach“Rüstung erreichten ihren Höhepunkt im Herbst 1983, verbunden mit dem Ultimatum des NATO-Doppelbeschlusses.

Dennoch: die „Nach“Rüstung wurde beschlossen mit gleichzeitigem Beginn der Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen in Europa. Resignation machte sich breit und die Akteure der Bewegung zagen sich zur „Beratung“ für die Suche nach neuen Wegen zurück, nachdem ein zweiter „heißer Herbst 1984“ nur noch ein warmer Wind war. Grund genug für die Gegner der Bewegung, Resümees zu ziehen, die auf „die Friedensbewegung ist tat“, „die Luft ist raus“ oder „das Schweigen der Bewegung beweist ihre Kurzlebigkeit“ hinausliefen. Also doch, die Friedensbewegung als Modeerscheinung, deren Existenz eng an ein aktuelles politisches Ereignis geknüpft ist und deren Scheitern mit der „Lösung“ des politischen „Problems“ vorauszusagen ist? Um diese Frage zu beantworten, ist es unvermeidbar, kurz auf die Friedensbewegung als soziale Bewegung und ihre Entstehungsgeschichte und -ursachen einzugehen.

I

Die Friedensbewegung ist eine soziale Bewegung, ein soziales Phänomen, das eng an eine lange Bewegungsgeschichte und strukturelle sowie aktuelle Entstehungsursachen geknüpft ist Phänomenologisch betrachtet, kann festgestellt werden, daß die Friedensbewegung die den sozialen Bewegungen eigentümlichen Merkmale aufweist: sie setzt sich zusammen aus Personen und Gruppen, die ihr Anliegen an die Öffentlichkeit tragen, um auf Mißstände aufmerksam zu machen und zu mobilisieren; sie ist in der Basis entstanden, informell organisiert und „graswurzelorientiert“, d.h. die Initiative geht weder von Parteien, Personen oder sonstigen Organen aus, die eine solche Bewegung planen und durchführen, sondern sie entsteht an unterschiedlichen Orten, getragen von unterschiedlichen Personen, die sich zu voneinander unabhängigen Gruppen zusammenschließen; sie ist eine Reaktion auf eine politische Krisenlage, die objektiv gegeben ist und von den Einzelnen wahrgenommen wird und zu einer subjektiven Betroffenheit führt, die Grundlage für die Motivation zur Aktion ist; sie ist gekennzeichnet durch eine Kritik von Teilen der Bevölkerung am Status quo der Politik und/oder der Gesellschaftsstruktur; sie umfaßt eine „größere Anzahl“ von Menschen – nicht zu messen in Quantitäten, sondern diese steht im Zusammenhang mit der politischen Situation und dem Thema – und sie existiert über einen „längeren Zeitraum“, also über mehrere Jahre: Die gegenwärtige Friedensbewegung kann somit als soziale Bewegung bezeichnet werden, die Ende der 70erJahre entstand; die eine Reaktion auf die verschärften internationalen Beziehungen war (insbesondere die Nicht-Ratifikation von SALT II, die scharfe Rhetorik von Präsident Reagan, die Pläne über den begrenzbaren Atomkrieg, den Einmarsch in Afghanistan etc.) und damit verbunden, den Immobilismus der Regierungen kritisierte – also die Diskrepanz zwischen verschärfter Krisenlage einerseits und abnehmende Gesamteffizienz und Lösungskompetenz andererseits; die den Status quo der Sicherheitspolitik ablehnte (insbesondere die Doktrin der Abschreckung, die Strategie der Flexible Response und in diesem Sinne die NATO-„Nach“-Rüstung) und für den Frieden – insbesondere für den negativen Frieden, die Stabilität der Sicherheit durch die Abschaffung insbesondere der nuklearen Waffen – eintrat.

Es versteht sich von selbst, daß ein politischer Faktor, wie die Friedensbewegung, nicht innerhalb eines Tages entsteht und auch nicht das Resultat einer gut organisierten Mobilisierungskampagne ist: im Gegenteil, diese Bewegung hat eine tiefe Verankerung innerhalb der Gesellschaft – auch bedingt durch ihre eigene Geschichte.

Die Geschichte der Friedensbewegung reicht lange zurück – wie z.B. die Komödie über Lysistrata zeigt. In Deutschland hatte sie allerdings eine Zäsur: die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Die zweite Zäsur in der Geschichte der Friedensbewegungen ist die Erfindung, Herstellung und der Einsatz der Atombombe 1945, wodurch die Friedensbewegungen eine neue Qualität bekamen – sie waren von da an stets durch ihren Nuklearpazifismus gekennzeichnet.

Aufgrund der Kriegserfahrungen entwickelte sich bald die „Nie wieder Krieg“- oder „Ohne mich“-Bewegung, deren Anhänger unterschiedliche Motive hatten, die von einer pazifistischen Einstellung bis hin zu einer enttäuschten Haltung über die Niederlage des Dritten Reiches reichten. Doch diese Bewegung mobilisierte zum ersten Mal nach dem Kriege Menschen für den Frieden – eine Bewegung, die sich bald auflöste, aber die Grundlage für den Widerstand gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Beitritt zur NATO bildete. Bekannt unter dem Namen „Paulskirchenbewegung“ und „Volksbefragungsbewegung“ war diese soziale Bewegung ein wichtiger Bestandteil der sicherheitspolitischen Diskussion während der 50er Jahre, gefolgt von der „Kampf-dem-Atomtod“-Bewegung, die zunächst von Naturwissenschaftlern (Göttinger Erklärung) und dann von DGB und SPD initiiert und getragen wurde. Auf diese Weise wurden die Folgen von Atomkrieg und Nuklearbewaffnung erstmals öffentlich diskutiert. Es ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob diese Bewegungen denn erfolgreich gewesen seien angesichts der Tatsache, daß wir heute die Bundeswehr, die Mitgliedschaft in der NATO und die amerikanischen Atomwaffen auf bundesdeutschem Boden haben. An dieser Stelle muß betont werden, daß eine soziale Bewegung nicht anhand der Erfüllung bzw. Nichterfüllung ihrer selbstgesetzten Ziele gemessen werden darf und kann: beide Bewegungen der 50er Jahre waren erfolgreich – sie haben die Bevölkerung erstmals für sicherheitspolitische Themen und Fragen sensibilisiert und die Regierung in die Situation gebracht, ihre sicherheitspolitischen Entscheidungen öffentlich legitimieren zu müssen. Darüber hinaus haben diese Bewegungen „organisatorische Hülsen“ (also Organisationsstrukturen, die engagierte und informierte Öffentlichkeit sowie Expertisen) geschaffen, die die notwendige Voraussetzung für das Weiterbestehen und die nächste Mobilisierungswelle der Bewegung bildeten. Ohne sie hätte Hans-Konrad Tempel 1960 nicht erfolgreich den ersten Ostermarsch organisieren können, der nach dem allgemeinen Motto „Ostermarsch der Atomwaffengegner“ initiiert wurde. Daran knüpft sich acht Jahre lang die breite und mit jedem Jahr größer werdende „Ostermarschbewegung“, die ihrerseits zur Grundlage für das Entstehen der Studentenbewegung und insbesondere für den Protest gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze wurde. Es muß nicht ausgeführt werden, daß die Bewegungen der 60er Jahre erfolgreich waren – nicht umsonst sind sie heute noch Bestandteil unserer politischen Kultur.

Auch während der 70er Jahre gab es Friedensinitiativen – wenn auch nicht mit der Stärke und Größe, die die Friedensbewegung gegenwärtig hat. Es gab Initiativen und Organisationen, die unvermindert weitergearbeitet haben, doch diese Initiativen bekamen wenig öffentliche Resonanz. Warum? Die 70er Jahre waren, oberflächlich gesehen, eine „Dekade der Hoffnung“: die SPD versprach, sich für Entspannung zwischen Ost und West einzusetzen, Hochschulreformen zu schaffen etc. Viele der außerparlamentarisch Engagierten sahen sich nun parlamentarisch vertreten – es wurde keine Diskrepanz zwischen zunehmenden Gefahren einerseits und abnehmender Lösungskompetenz andererseits gesehen. Wenn auch die Zeit der Entspannung, genauer betrachtet, eine Zeit der „Politik der Stärke nur mit anderen Mitteln“ war, so bedeutete sie doch für den größten Teil der Öffentlichkeit die Zeit des Dialogs zwischen Ost und West, verbunden mit realer Abrüstung. Was tatsächlich mit den SALT-Verträgen verbunden war, war den meisten nicht bekannt.

Erst als die amerikanische „Politik der Stärke“ in Form von Präsident Reagans konkreten Aufrüstungsplänen, vorgestellt mit einer extrem bellikosen Rhetorik, begriffen wurde, gewannen die Bemühungen der Friedensinitiativen eine breitere Resonanz die Friedensbewegung der 80er Jahre entstand.

II.

Diese neue Friedensbewegung hatte aus alten Erfahrungen gelernt: man lehnte eine feste Organisationsstruktur und die Einbindung in bestehende Institutionen, wie Kirche, Parteien oder DGB, ab. Die Bewegung sollte Basisarbeit leisten und „graswurzelorientiert“ arbeiten. So ist auch die seit Jahren gespaltene Haltung der „Basis“ zum „Bonner Koordinierungsausschuß der Friedensbewegung“ zu verstehen, der nichtsdestotrotz zur wichtigsten Stelle für die Organisation von Großdemonstrationen wurde und auch heute noch ist. Doch die neue Qualität der Bewegung ist charakterisiert durch ihre Unabhängigkeit (um das Wort „Autonomie“ zu vermeiden, da dies leider oft zu Mißverständnissen führt) von einer Koordinationsstelle und großen Institutionen, was nicht heißt, daß nicht auch Vertreterinnen von diesen sich zur Friedensbewegung bekennen. Die Basisorientierung hat dazu geführt, daß in jeder größeren und auch kleineren Stadt Friedensinitiativen existieren, die ihre eigene lokale Arbeit leisten, sich aber, wenn es die politische Situation erfordert, zusammenschließen. Ohne diese Basisarbeit wären Aktionen an den diversen Stationierungsorten, Aktionen bei Manövern oder Waffentransportbeobachtungen nicht möglich.

Damit verbunden beantwortet sich eine weitere Frage von selbst: die Frage nach den Inhalten und Zielsetzungen der Friedensbewegung, Je dezentralisierter eine Bewegung wird, um so vielfältiger die Themen und Aktionsformen. Das hat nicht nur zur Folge, daß mehrere sicherheits- und friedenspolitische Themen bearbeitet werden und damit an die Öffentlichkeit kommen, sondern es ergibt sich auch eine Fraktionierung der Einstellungen, womit ein häufiger Dissens innerhalb der Bewegung nicht ausbleibt.

Nachdem der Hintergrund des Minimalkonsenses keine „Nach“-Rüstung in Europa durch die tagespolitischen Ereignisse 1983 zunächst überholt wurde, war neben einer allgemeinen Resignation die Frage nach dem „Was nun?“ berechtigt. Die Diskussion über sicherheitspolitische Alternativen begann – man begriff, daß die Negativkritik (gegen NATO, gegen Atomwaffen, gegen bestimmte Entscheidungen etc.) keine Grundlage für eine Bewegung mehr bilden konnte, man begriff auch, daß Atomkriegsszenarios wie zu Anfang der 80er Jahre nicht mehr mobilisierend wirkten – jeder wußte nun, welche katastrophalen Auswirkungen der Einsatz auch einer nur „kleinen“ Atombombe hätte. Es wurden Konzepte wie Atomwaffenfreie Zonen, soziale Verteidigung, uni-, bi- oder multilaterale Abrüstungsschritte, die Europäisierung Europas, die strukturelle Nichtangriffsfähigkeit etc. diskutiert, wobei bemerkt werden muß, daß die Bewegung diese Diskussion weitestgehend kleinen Expertengruppen überlassen hatte und darüber sich nicht mehr mit der nötigen Aufmerksamkeit aktuellen Ereignissen, wie dem SDI-Vorschlag von Reagan, gewidmet hat. Neben der lokalen Arbeit, die logischerweise nur Resonanz in der lokalen Presse und Öffentlichkeit findet, wurden zahlreiche Kongresse, Tagungen und Symposien durchgeführt, die den Eindruck erwecken könnten, die Bewegung habe sich professionalisiert.

III.

Heute, vier Jahre nach dem Raketenherbst, ist die Friedensbewegung vor neue Fragen gestellt: die Sowjetunion und die USA scheinen endlich bereit zu sein, ein Abkommen über Mittelstreckenwaffen zu schließen – was nicht zuletzt auf die zahlreichen Zugeständnisse von selten der Sowjetunion zurückzuführen ist. Signale sind gesetzt und die Bereitschaft der Großmächte ist gegeben. Was hat nun die Friedensbewequng noch zu fordern? Ist es nicht das, was sie seit Ende der 70erJahre wollte – keine Mittelstreckenwaffen in Europa? Genau das ist die Kernfrage: Soll die Bewegung die „Doppelte Null-Lösung“ so akzeptieren, wie sie vorgeschlagen wurde, oder soll sie nach wie vor die Aufhebung des Stationierungsbeschlusses und den sofortigen Abzug der Raketen fordern? Das unterscheidet die Meinungen, was Dieter Schöffmann (Koordinationsstelle Ziviler Ungehorsam) im Rundbrief 4/87 des Bonner Koordinationsausschusses zu folgender Einschätzung veranlaßt: „Wir sind in einer Situation, daß Gorbatschow uns vordergründig die uns fehlende Perspektive gibt. Daß die Friedensbewegung zur Zeit wieder ein Thema ist, hat ja in der Tat mehr mit den sowjetischen Verhandlungsvorschlägen und den CDU-Stahlhelmern als mit eigener Bewegungspotenz zu tun. Immer mehr Friedensbewegte laufen der Doppel-Null nach und verkennen dabei die reale Aufrüstungslage und wollen von bisherigen eigenen Forderungen (wie der nach einseitiger Abrüstung etwa) nichts mehr wissen … So hat der KA (Koordinierungsausschuß, UCW) auch in richtiger Auswertung und Einschätzung der Lage einen Demonstrationsaufruf für den 13.6. verabschieden können, der nicht platt auf „00“ nach Bonn mobilisiert, was dem zwischenzeitlichen realen friedenspolitischen Niveau großer Teile der Friedensbewegung entsprechen mag.“

Nein, auch wenn der Vertrag für eine Doppel-Null-Lösung unterschrieben und ratifiziert ist, hat die Friedensbewegung ihr Ziel noch nicht erreicht, auch wenn ein solcher Vertrag nicht ganz unabhängig von der internationalen friedenspolitischen Öffentlichkeit wäre. Ganz abgesehen von den anfänglichen Forderungen – kein NATO-Doppelbeschluß und keine damit verbundene Stationierung – ist es notwendig, daran zurückzudenken, was der Grund für die Ablehnung der Mittelstreckenwaffen von seiten der Friedensbewegung war: Man forderte keine neuen Waffenquantitäten und -qualitäten, keine neue Aufrüstungsrunde, die Überwindung der Abschreckung, ein Umdenken, das notwendig ist, um die „Atempause“ zu nutzen.

Was hat sich erfüllt? Die Vorschläge für einen Abzug der Mittelstreckenwaffen basieren nicht auf einem Umdenken und nicht auf dem Wunsch, die Abschreckung zu überwinden. Von Seiten der USA gibt es Gründe, diese Verhandlungen voranzutreiben: Ein Umdenken in der Strategie – man hat eingesehen, daß die landgestützte Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa bei einem Konflikt ein erhöhtes Risiko für das eigene amerikanische Territorium bedeutet (also New York für Hamburg?); es besteht ein Interesse, sich mehr und mehr aus Europa zurückzuziehen und gleichzeitig Westeuropa zu vermehrten eigenen Rüstungsanstrengungen zu veranlassen; Reagan möchte eine neue Strategie entwickeln (nicht umsonst werden seine SDI-Pläne weiter vorangetrieben) – er hat das ausdrücklich in seiner Rede vom 23 März 1983 betont, als er die Überwindung der Abschreckung forderte und erstmals das SDI-Programm vorstellte, nur ist das kein Umdenken, sondern eine „Politik der Stärke“ und die Fortführung der Abschreckung in einer anderen Form; Reagan möchte vor dem Hintergrund obiger Überlegungen zudem als „Friedensstifter“ in die Geschichte eingehen – ein innenpolitischer Faktor, der nicht unterschätzt werden darf. Von Seiten der Sowjetunion besteht ebenfalls Interesse an Verhandlungen, die einerseits mit extremen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, bedingt durch die Rüstung, und andererseits mit der Reformpolitik Gorbatschows zusammenhängen.

Ein Umdenken hat nicht stattgefunden. Das kann man feststellen, sieht man sich die Reaktionen auf die Verhandlungsvorschläge in der Bundesrepublik Deutschland an: es soll die Pershing 1a aus den Verhandlungen ausgeklammert werden, obwohl sie bezüglich der Reichweite miteinbezogen werden müßte, weil sie angeblich ein „Drittstaatensystem

(was auch immer das sein mag) ist; während der Sommerpause wird vehement die „Invasionsfähigkeit der Sowjetunion“ (Wörner) betont und ein Kräftevergleich vorgelegt, der diese angeblich mit Zahlen belegt, und es wird über Kompensationsmöglichkeiten nachgedacht (Pershing Ib?), daß man den Eindruck gewinnen könnte, eine mögliche Abrüstung der Mittelstreckenwaffen bereite allgemein Angst.

Ein Umdenken hat nicht stattgefunden, betrachtet man insbesondere vor dem Hintergrund der Verhandlungsgespräche die neuen Entwicklungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: ein Neunmilliardenprojekt – der Panzerabwehrhubschrauber PAH II wird forciert vorangetrieben, die engere deutsch-französische militärische Zusammenarbeit betont, gemeinsame Offiziersseminare installiert, erstmals ein deutsch-französisches Großmanöver „Kecker Spatz“ mit 75.000 Mann durchgeführt, über eine gemeinsame deutsch-französische Truppeneinheit nachgedacht, über die Ausdehnung des französischen nuklearen „Schirmes“ vom Rhein bis an die Elbe gesprochen und die Etablierung eines Verteidigungsrates geplant. Dazu werden Stimmen aus Spanien laut, daß solche Entwicklungen auch im Interesse Spaniens lägen.

Damit soll gesagt werden, daß die Frage, ob mit der Null-Lösung die Ziele der Friedensbewegung erfüllt seien, falsch gestellt ist, denn die Forderungen der Friedensbewegungen haben sich nie auf diese beschränkt. Sie wollte stets Abrüstung und vor allem die Abkehr von der Abschreckung, wozu ein generelles Umdenken erforderlich ist. Und die Frage, ob sich auf diesen Gebieten bis heute – im Oktober 1987 – etwas grundsätzlich geändert hat, ist leicht zu beantworten.

Dr. Ulrike C. Wasmuth, Soziologin und Friedensforscherin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Dr. Alfred Mechtersheimer (MdB, DIE GRÜNEN) in Bonn.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/4 1987-4, Seite