Friedensforschung und Geschlechterforschung1
von Hanne-Margret Birckenbach
Der konstituierende Begriff der Friedensforschung ist nicht Krieg, nicht Geschichte, nicht Herrschaft, nicht Macht, sondern Frieden. Ohne Friedensbegriff, d. h. ohne theoretische Reflexion der Möglichkeit des gewaltfreien Konfliktaustrags blieb Handlungswissen der Gewaltlogik verhaftet und damit friedenspolitisch unrealistisch. FriedensforscherInnen müssen sich nicht als PazifistInnen verstehen, aber sie müssen aus professionell methodischen Gründen eine konkrete Vorstellung von Frieden entwickeln. Sie müssen natürlich mehr wissen, und daher stehen in ihren Bibliotheken auch Bücher, die sich mit »anderem« befassen. Brauchen Sie aber auch ein Verständnis der Kategorie Geschlecht?
In der Friedensforschung dominiert die Auffassung, auf Wissen aus der Geschlechterforschung am ehesten verzichten zu können. Geschlechterforscherinnen halten dagegen, ohne Beachtung der Kategorie »Geschlecht« werde man vom Frieden gar nichts verstehen. Zwischen diesen Polen bewegen sich diejenigen WissenschaftlerInnen, die argumentieren, es sei vielleicht nicht zwingend, aber doch methodisch nützlich, die Geschlechterforschung zum Kreis derjenigen Disziplinen zu rechnen, mit deren Hilfe sich etwas über die Bedingungen von Friedens entdecken lässt.
Anfänge
Die Bemühungen Friedensforschung und Geschlechterforschung in diesem Sinne zu verbinden, sind in Deutschland jetzt etwa 25 Jahre alt. Die Impulse kamen aus der transnationalen Wissenschaftskooperation. Am Rande der 8. Zweijahrestagung der International Peace Research Association (IPRA) 1979 in Königstein im Taunus, trafen sich einige – teilweise hoch angesehene – weibliche Mitglieder dieser Vereinigung außerhalb des Tagungsprogramms – fast heimlich – und berieten über die Geschlechterdimension ihrer wissenschaftlichen und politischen Erfahrungen. Von diesem Treffen nehmen die weltweiten Bemühungen, Friedensforschung und Geschlechterforschung zu verbinden, ihren Ausgang.
Es dauerte jedoch fast zehn Jahre, bis in Deutschland die Friedensforschungseinrichtungen überhaupt wahrnahmen, dass Frauen begonnen hatten, sich untereinander zu verständigen, dass sie als Forscherinnen anerkannt werden wollten und von der Friedensforschung verlangten, über die Zusammenhänge von Frieden und Geschlecht nachzudenken. Dass an den Universitäten im In- und Ausland die Geschlechterforschung in immer mehr Disziplinen Fuß gefasst hatte, beeindruckte die deutschen Kollegen zunächst ebenso wenig wie die Tatsache, dass in den 80er Jahren – vermittelt über zahlreiche Frauen- und Friedensinitiativen – in der Gesellschaft ein Interesse an den geschlechterbezogenen Fragen des Friedens artikuliert wurde, das es auch jüngeren nicht-etablierten Wissenschaftlerinnen ermöglichte, vergleichsweise unbeaufsichtigt Vorträge zu halten, Texte zu publizieren und Interviews zu geben. Als diese dann die eigene Zunft mit der These konfrontierten, dass die Geschlechterfragen auch für die Friedensforschung relevant seien, begann für diese eine spannungsgeladene Zeit.
Einige Kollegen unterstützten dieses Anliegen, einige äußerten sich vehement dagegen, andere schüttelten verständnislos den Kopf. Auch die Friedensforscherinnen waren sich keineswegs einig. Überall schienen Gefahren zu lauern: Würde das Profil der Friedensforschung nicht leiden, wenn randständige oder gar sachfremde, nur dem Zeitgeist gehorchende Fragen der Geschlechtergleichheit behandelt würden? Würden der feministische Aufbruch die Friedensforschung nicht schwächen? Wäre nicht das der Aufklärung verpflichtete Selbstverständnis der Friedensforschung durch feministische Kritik in Frage gestellt? Würde es der persönlichen akademischen Zukunft schaden, wenn frau mit dem »Frauenlager« identifiziert würde? Liefe es nicht dem akademischen Diskurs zuwider, wenn Friedensforscherinnen sich unter sich, d.h. ohne männliche Begleitung treffen wollten? Wie immer eingebildet diese Gefahren auch gewesen sein mögen, diese und ähnliche Bedenken prägten die Diskussion und spiegelten die große Unsicherheit gegenüber den Forderungen nach einer feministischen Friedensforschung. Im Nachhinein werden die meisten sagen, dass die auf allen Seiten zu beobachtenden Kränkungen doch so einfach hätten vermieden werden können, wenn Strukturen und Vermittlungskompetenzen vorhanden gewesen wären, die geholfen hätten, den Enthusiasmus gerade der jüngeren Friedensforscherinnen aufzugreifen, und wenn mehr Kollegen die Souveränität besessen hätten, die Initiativen der Frauen schlicht willkommen zu heißen, die kämpferischen Dispute zu entschärfen und den sachlichen Kern der Kontroversen in den Mittelpunkt zu rücken.
In der Sache ging es darum, ob die geringe Sichtbarkeit von Frauen in der Friedensforschung für diese überhaupt ein Problem und Geschlechterfragen für den Forschungsgegenstand Frieden relevant sein könnten. Die meisten Anstrengungen der Wissenschaftlerinnen galten daher dem Versuch, diese Relevanz innerwissenschaftlich nachzuweisen. Sie zeigten, wie die Wahl von Forschungsthemen und -ansätze durch Weltsichten und Erfahrungsbezüge geprägt werden, in der geschlechtsspezifische Leiden am Unfrieden nicht thematisiert und das Handeln von Frauen weder in friedensfördernden noch in seinen friedensgefährdenden Aspekten aufgedeckt werden kann. Sie kritisierten die Verbannung feministischer Friedensforschung in die Nische ohne Aussicht auf eine ertragsfördernde systematische Dichte, Zugang zu Forschungsmitteln und Stellen. Und sie warnten, die Ignoranz gegenüber Geschlechterfragen werde nicht nur die Defizite in der bisherigen Friedensforschung verstetigen, sondern auch zu einer Versimplifizierung feministischer Positionen, insgesamt also zu einem Verlust an Rationalität und Realität führen. Friedensforschung sei keinesfalls eine männliche Disziplin, aber eben doch auf einem Auge blind und daher veränderungsbedürftig. Als Kollegen zugestanden, eine solche Veränderungen sei zwar wünschenswert aber nicht möglich, wurde ein programmatisches Forschungskonzept formuliert, mit dem diese Skepsis entkräftet werden sollte. Darin wurde gefordert:
- die impliziten Geschlechterannahmen in der Friedensforschung zu reflektieren,
- in den konkreten Forschungsvorhaben Theoreme aus der Geschlechterforschung (insbesondere Mittäterschaft) aufzugreifen,
- Frauen als Handelnde in friedenspolitischen Prozessen sichtbar zu machen und die Möglichkeit eigenständiger Forschung von Frauen zu institutionalisieren.
Niederlagen und Erfolge
Einige Wissenschaftlerinnen hatten Anfang der 90er Jahre die Idee, dieses Konzept könnte am besten durch ein eigenes Frauenfriedensforschungsinstitut erprobt werden. Angeregt durch die von der Berliner Senatsverwaltung für Frauen, Jugend und Familie veranstaltete KSZE der Frauen im November 1990, entwickelten sie ein Forschungsprogramm mit dem Titel »Frauen-Friedensforschung im Themenfeld Europäischer Friedenspolitik mit besonderer Berücksichtigung der Politischen Bildung«. Sie erhielten befürwortende Gutachten und von der VW-Stiftung auch die Zusage für die notwendigen finanziellen Mittel von 1,5 Mio. DM für eine Versuchszeit von drei Jahren. Schließlich scheiterte die Umsetzung daran, dass eine Vergabebedingung nicht gegeben war. Es wurde in Niedersachsen keine Professorin mit dem Schwerpunkt Friedensforschung gefunden, die das Projekt an einer Universität verankern und inhaltlich verantworten konnte. Auch andere Projekte scheiterten. Qualifizierte Frauen, die sich besonders engagiert hatten, fanden keine weitere Anstellung oder unterlagen bei Bewerbungen gegenüber männlichen Kollegen mit den besseren Beziehungen. Das Scheitern sprach sich schnell herum, der Klatsch nahm zu, auch unter den Friedensforscherinnen wurde die Solidarität brüchig und machte Konkurrenzverhalten Platz.
Die kleine Gruppe der verbliebenen aktiven Frauen war häufig überfordert, den Anforderungen nach Interviews, Artikeln nachzukommen und es gelang immer weniger, Erfolge zu erkennen und sichtbar zu machen. Trotz aller Niederlagen ist es dennoch gelungen, auch in Deutschland Strukturen und Institutionen der Friedensforschung für Anliegen feministischer Forschungsansätze zu öffnen.
- Gender ist in der Friedens- und Konfliktforschung heute keine Tabukategorie mehr. Friedensforscherinnen werden beachtet, gefördert sowie in die Gremien gewählt oder berufen. Sie referieren bei den einschlägigen Tagungen, publizieren und forschen nicht nur, aber auch über geschlechterbezogene Fragen. Nicht dass alle KollegInnen wissen, was mit der Kategorie Geschlecht gemeint ist, oder überzeugt davon sind, dass sie in der Friedensforschung zu Erkenntnisgewinnen führen kann. Aber die Chancen feministische Perspektiven zu thematisieren, sind gewachsen. Kaum jemand würde heute öffentlich kundtun, dass die Kategorie Geschlecht nicht in die Friedensforschung gehört und Frauen schon deshalb, weil sie zahlenmäßig in den Regierungen und Armeen nicht ins Gewicht fallen, als handelnde Gruppe nicht weiter relevant seien. Forderungen, Wissenschaftlerinnen Zugänge zu Forschungsmitteln, Vortrags- und Publikationschancen sowie Ehrenämtern zu gewähren, werden zwar gelegentlich als lästig empfunden – aber es ist auch in der Friedensforschung schwerer geworden, sich solcher Last zu entziehen.
Trotz notorischer Zeitnot gehört ein kurzes Treffen der Frauen bei jeder Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) zum offiziellen Programm. Frauen erfahren auch Anerkennung. Der Christiane-Rajewsky-Nachwuchspreis der AFK, der seit 1991 jährlich an jüngere WissenschaftlerInnen oder Initiativen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben, vergeben wird, ging überwiegend an junge Wissenschaftlerinnen. Eine Monitoring-Instanz ist institutionalisiert: Die AFK hat seit 1994 eine Frauenbeauftragte. Laut Satzung soll sie die Arbeitsbedingungen und die wissenschaftliche Tätigkeit von weiblichen Mitgliedern der AFK auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung bekannt machen, bei Konflikten vermitteln und Möglichkeiten und Initiativen zur Frauenförderung in der Friedensforschung unterstützen. Alle zwei Jahre berichtet sie der Mitgliederversammlung der AFK darüber, wie es um die Realisierung dieser Ziele steht.
Auch eine Ermutigungsinstanz hat sich etablieren können. Es ist das im Rahmen der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB) koordinierte Netzwerk Friedensforscherinnen. Frauen bestimmen heute mit über die Vergabe von Forschungsgeldern bei der Deutschen Friedensstiftung (DFS) ebenso wie bei der privaten Berghof-Stiftung für Konfliktforschung. Es gibt kleinere Fortschritte bei der Besetzung von Leitungspositionen und Dauerstellen mit Wissenschaftlerinnen. Die Unterrepräsentation von Frauen und genderspezifische Forschungsfragen sind als Defizit anerkannt (vgl. die Empfehlungen der Struktur- und Findungskommission der DSF). Eine Juniorprofessur für Friedensforschung an der Universität Frankfurt wurde mit einer Wissenschaftlerin besetzt. Während im Ausland einige Institute (z.B. die Schweizer Friedensstiftung) Geschlechterfragen fest in ihrem Friedensforschungsprogramm etabliert haben, sind in Deutschland immerhin Absichtsbekundungen formuliert worden.
- Auch auf der inhaltlichen Eben sind deutliche Veränderungen erkennbar. Anders als in den 80er Jahren gibt es heute über Forschungsideen und -pläne hinaus im In- und Ausland eine beachtliche Reihe theoretischer und empirischer Forschungsbefunde. Diese beziehen sich auf wissenschaftstheoretische Fragen und vor allem auf Aspekte der Normenbildung im internationalen System, auf die Geschlechterbeziehungen als Macht- und Kriegsressource in bewaffneten Konflikten, auf geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Kriegs- und Machtpolitik sowie auf Differenzierungen der tatsächlichen und möglichen Frauenrollen in ethnopolitischen Konflikten. Dabei geht es nicht nur um Frauen als Opfer, Kämpferinnen, Täterinnen, Mittäterinnen und Mitarbeiterinnen in Kriegsökonomien, sondern auch um das Handeln von Friedensaktivistinnen, sei es, dass diese ein Minimum von Sicherheit für Frauen organisieren, den Bereich der sozialen Sicherheit aufrechterhalten, Trauma- und Versöhnungsarbeit leisten, Frauenorganisationen bilden, die Überlebenshilfe organisieren oder in rechtlichen Fragen behilflich sind und teilweise auch Friedensverhandlungen führen.
- Viele Untersuchungen beziehen sich auf den in der Friedensforschung innovativsten und am stärksten nachgefragten Themenbereich der konstruktiven Konfliktbearbeitung und so kann die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung seit 2003 im Internet nicht nur über Tagungen und Dokumente, sondern auch über neue Literatur zum Thema Gender & Konflikt informieren. Denn anders als in den Anfangszeiten erhalten die Bemühungen, Geschlechterfragen des Friedens zu thematisieren, heute Rückhalt aus der politischen Praxis, vor allem aus den sicherheits- und entwicklungspolitischen internationalen Organisationen. Hier erfahren DiplomatInnen täglich wie die Eskalation von Konflikten sich auch in einer Verrohung der Geschlechterbeziehungen niederschlägt und umgekehrt die Geschlechterbeziehungen auch die Erfolgschancen von Demokratisierungsstrategien beeinträchtigen oder fördern. Auch ist vielfach belegt, dass sich die Geschlechterbeziehungen innerhalb von internationalen Friedensmissionen günstig oder ungünstig auf deren Erfolgschancen auswirken. Schließlich erkennen die sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen zunehmend ihren Bedarf an friedenswissenschaftlich ausgebildeten und gender-bewusstem Personal.
Vor allem aber sind die internationalen Organisationen heute durch internationale Standards gebunden, im Interesse der Glaubwürdigkeit und Legitimität internationaler Konfliktbearbeitung die Mitwirkung von Frauen an ihrer Arbeit zu erweitern sowie die Bedürfnisse von Frauen in den Krisengebieten zu beachten. So hat das OSZE Sekretariat 1999 das Amt einer »Gender Adviser« eingerichtet, mit dem erreicht werden soll, dass die Organisation gender-mainstreaming betreibt, das Bewusstsein für Genderfragen weckt und die Karrierechancen für Diplomatinnen in der Organisation erhöht. Auch das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte hat eine »Gender Unit« geschaffen, die sich mit der Entwicklung entsprechender Projekte und ihre Einfädelung in die Feldarbeit der Missionen und der Ausbildung des Personals im Hinblick auf Geschlechterfragen befasst. Ähnlich verlangt die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Frauen stärker in nationale, regionale und internationale Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Belegung von Konflikten einzubeziehen und Frauen als Sonderbeauftragte, Militärbeobachterinnen, Mitglieder der Zivilpolizei, Menschenrechts- und humanitäres Personal zu entsenden. Auch wird der Generalsekretär der VN darin aufgefordert eine Studie über die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Frauen, Mädchen, die Rolle von Frauen bei der Friedenskonsolidierung und die Geschlechterdimension von Friedensprozessen und der Konfliktbeilegung zu veranlassen und dem Sicherheitsrat Bericht über die Studie sowie die Fortschritte bei der Umsetzung der Integration der Geschlechterperspektive in alle Friedenssicherungsmissionen zu berichten.
Perspektiven
So sehr sich die Ausgangsbedingungen verbessert haben, so wenig kann der Stand der Forschung über Frieden und Geschlecht überzeugen. Diese Bewertung gilt insbesondere für die deutsche Forschungslandschaft, die mit der Entwicklung in den angelsächsischen und nordischen Länden nicht mitgehalten hat. Wie könnte wieder Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden werden?
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, wie eng Fortschritte in der Friedensforschung an Fortschritte in der friedenspolitischen Praxis gebunden sind. Das gilt für die Entstehung der Friedensforschung im Zuge der Entspannungspolitik ebenso wie für die Neuorientierung der Friedensforschung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Diese war mit einem umfassenden politischen Neuanfang verbunden war. Seine Merkmale waren die Einleitung einer konstruktiven Verbindung von Friedens- und Menschenrechtspolitik, die Aufwertung der internationalen Organisationen in Europa und auf globaler Ebene, Bemühungen zur Humanisierung des Sicherheitsbegriffs und die Öffnung des Arkanbereichs Sicherheitspolitik »nach unten« zu den Nicht-Regierungs-Organisationen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Parallel dazu liefen die internationale Kampagnen zur Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte sowie die Politik des gender-mainstreaming. Folgt man der Definition, die der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 1997 von den Zielen dieser Politik gegeben hat, dann geht es darum, die Anliegen von Frauen wie Männern in allen politischen und sozialen Bereichen und auf allen Entscheidungsebenen zur Geltung zu bringen, so dass Frauen und Männer gleichermaßen davon Nutzen haben und Ungleichheit nicht verlängert wird. Es geht um eine doppelte Zielsetzung: Geschlechtergleichheit und eine Transformation von Politikinhalten und Politikmethoden. Es geht also nicht nur darum, vorhandenen Politikprogrammen eine Frauenkomponente hinzuzufügen, Spezialprogramme für eine verwundbare Gruppe aufzulegen oder die Partizipation von Frauen auf allen Ebenen zu erhöhen, sondern einen Wandel in den Zielen, Mitteln, und Institutionen von Politik einzuleiten.
Mit diesem politische Aufbruch in den 90er Jahren waren auch für die Entwicklung der Friedensforschung und deren Öffnung für Geschlechterfragen glückliche Umstände geschaffen. Inzwischen ist jedoch eine Trendwende sowohl in der Sicherheitspolitik wie auch im gender-mainstreaming-Ansatz der Frauenpolitik zu beobachten. Diese Wende setzte lange vor dem 11. September 2001 ein und erfasste keineswegs nur die Politik der USA, sondern unter anderem auch die deutsche Politik. „Wir befinden uns in einer widersprüchlichen Situation“, hieß es in einem Telefax, das Feministinnen und Pazifistinnen aus Belgrad im Januar 1993 an Frauengruppen im Ausland schickten, als die Diskussionen über Kriegsvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina eine ungewöhnliche Welle der Empörung auslösten. „Auf der einen Seite ist die Vergewaltigung in Kriegszeiten zum ersten Mal in der Geschichte auf höchster internationaler Ebene zum Thema geworden; gleichzeitig ist die Motivation derjenigen, die an dieser Diskussion beteiligt sind, keineswegs der Schutz der Rechte und das Wohlbefinden der Frauen, sondern ihre Funktionalisierung für Zwecke der Kriegspropaganda und der Intensivierung ethnischen und nationalistischen Hasses. Das Leiden von Frauen wird zur Legitimation weiterer militärischer Eskalation benutzt.“ Das war eine sehr frühe wenig beachte Warnung vor der Doppelbewegung, die heute immer deutlicher bewusst wird: Remilitarisierung der Sicherheitspolitik, in der die zivile Konfliktbearbeitung zum Appendix wird, auf der einen Seite und Zurückdrängung des transformatorischen Gehalts von gender-mainstreaming durch Instrumentalisierung von geschlechtsspezifisch aufbereiteten Menschenrechtsfragen auf der anderen Seite. Wie diese Doppelbewegung wieder zurückgedrängt werden und gender-mainstreaming mit peace-mainstreaming verbunden werden kann, müsste heute zu den Kernfragen der Friedensforschung gehören. So kann es heute auch nicht mehr darum gehen, immer erneut rechtfertigend zu begründen, warum auch die Geschlechterdimension des Friedens erforscht werden und die Zahl der Friedensforscherinnen in den Instituten wachsen muss. Vielmehr muss vor allem die Verbindung von Friedens- und Geschlechterforschung in konkreten Projekten so fundiert werden, dass die Ergebnisse Aufschluss darüber geben, was im Interesse der Friedensförderung geschehen kann. Zu den wesentlichen Desiderata gehören die folgenden Aspekte.
- Die wissenschaftliche Literatur zu »gender and peace« besteht überwiegend aus verstreuten Essays, Arbeitspapieren und Einzelarbeiten, die zwar unter Frauen diskutiert werden, aber von Kollegen wenig in dem Sinne beachtet werden, dass sie auch deren Arbeiten anregen. Auch bestärkt diese Isolation vermutlich geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen und Wahrnehmungsmuster in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft. Vor allem fehlen theoretisch und empirisch fundierte Monographien, systematische Forschungs- und Findungsberichte sowie Einführungstexte, die zusammenfassen, was man über die Geschlechteraspekte der Friedensthematik heute bereits wissen kann, professionell wissen muss und welche Schlüsse sich daraus für die Friedensforschung und Friedenspraxis ziehen lassen.
- Die Erfahrungen internationaler Organisationen mit dem gender-mainstreaming sind kaum und vor allem nicht systematisch ausgewertet. Nur wenig ist über die Versuche bekannt, in der Praxis die Analyse aktueller Konflikten mit der Analyse von Geschlechterverhältnissen zu kombinieren. Auch die Erfahrung von Praktikern, dass gender-mainstreaming in der Konfliktbearbeitung ebenso unerwünschte Folgen für die Konfliktbearbeitung nach sich ziehen kann, wie die Ignoranz gegenüber Fraueninteressen, ist wissenschaftlich nicht aufgearbeitet. Ferner ist unbekannt, wie sich der Charakter der sicherheits- und entwicklungspolitischen Organisationen durch das gender-mainstreaming verändert. Verlieren sie damit möglicherweise an machtpolitischem Gewicht? Wandeln sich Organisationen wie UNO und OSZE von gewichtigen Organisationen kollektiver Sicherheit zu weniger gewichtigen Dienstleistungsakteuren, zeichnet sich sogar ihre »Hausfrauisierung« ab?
- Feministische Wissenschaftlerinnen haben bislang – nicht anders als ihre Kollegen – mit Priorität über kriegerische und nur wenig über friedliche Entwicklungen gearbeitet. Das bedeutet, dass wir am wenigsten über das wissen, was Friedensforscherinnen am ehesten interessieren müsste, nämlich das tatsächliche und potenzielle Handeln von Frauen in Situationen, in denen es gelingen könnte, eine Gewaltentwicklung noch abzuwenden.
Anmerkungen
1) Der Text basiert auf einem Vortrag beim Interdisziplinären Kolloquium »PazifistInnen / Pazifismus. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung« am 9. und 10. Mai 2003. Veranstalter waren die Heinrich Böll Stiftung, deren Feministisches Institut und das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung.
Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Jean-Monnet-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Politikwissenschaft