W&F 2012/2

Friedenslogik statt Sicherheitslogik

Jahrestagung der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2.-4. März 2012 in Loccum

von Ute Finckh-Krämer

Anstatt zum wiederholten Male die Versicherheitlichung der deutschen und europäischen Politik zu beklagen, hat die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Loccum ihre diesjährige Jahrestagung genutzt, um unter dem Stichwort »Friedenslogik« eine grundsätzlich andere Sichtweise zu entwickeln. Über 90 TeilnehmerInnen waren bereit, sich auf diesen Perspektivwechsel einzulassen und zu überlegen, welche Rolle Zivile Konfliktbearbeitung in einer der Friedenslogik verpflichteten Politik spielen könnte. Drei PolitikwissenschaftlerInnen (Lothar Brock, Sabine Jaberg, Hanne-Margret Birckenbach1) erläuterten einerseits die Grundstrukturen der herrschenden Sicherheitslogik, skizzierten andererseits, welche Ansatzpunkte für einen Paradigmenwechsel sie sehen und wie die Prämissen einer Friedenslogik allgemein bzw. konkretisiert am Konfliktfall Syrien aussehen könnten.

Wichtige Erkenntnisse auf der Tagung waren:

Die Prämissen und Strukturen der herrschenden Sicherheitslogik sind allesamt bereits im Leviathan von Hobbes, der 1651 erstmals erschienen ist, angelegt. Im Zentrum stehen der Schutz des eigenen Staates und seiner Bürger gegen äußere und innere Feinde, woraus einerseits der Ausschluss all derer, die außerhalb sind, folgt und andererseits ein permanenter »Feindverdacht« entsteht, der auch den eigenen Bürgern misstraut, wenn sie vermeintlich oder tatsächlich abweichende Meinungen vertreten.

Sicherheitslogik rechtfertigt die Verwendung aller Mittel einschließlich des Krieges. Eine Begrenzung erfolgt nur durch das Handeln anderer Staaten und durch Kosten-Nutzen-Kalküle. Die Sicherheitslogik ist blind gegen den eigenen Beitrag an gegenseitigen Bedrohungsszenarien und ignoriert ungerechte globale Strukturen. Sie führt über Dramatisierungen (Sicherheitsfragen werden zu existenziellen Gefährdungen) zu »antizipatorischer Selbstverteidigung« (die zum Teil des Problems wird) und geografischer Entgrenzung und damit zu einem permanenten Eskalationsrisiko.

Sicherheitslogik postuliert, dass es Kriege immer gegeben hat und immer geben wird, Gewaltanwendung bestenfalls eingehegt werden kann.

Mit der Verabschiedung der UN-Charta – formuliert auf Grund der Erfahrungen zweier Weltkriege – wurde das Völkerrecht vom Kriegsrecht zum Friedensrecht transformiert,2 blieb aber weiter der Sicherheitslogik verhaftet. Derzeit zeichnet sich eine weitere Transformation des Völkerrechts ab, in der nicht mehr Staaten, sondern Einzelne einerseits zum Schutzobjekt werden, andererseits als handelndes Subjekt ggf. für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden können. Das erhöht das Interventionsrisiko, solange die Regeln des Völkerrechts (noch) nicht an diese Transformation angepasst sind.

Friedenslogik betrachtet inner- und zwischengesellschaftliche Sicherheit im Rahmen einer Weltfriedensordnung. Sie ist selbstreflexiv, bezieht sowohl die Voraussetzungen als auch die möglichen Folgen des eigenen Handelns mit ein (»do no harm«-Prinzip), berücksichtigt, dass auch zivile Interventionen unbeabsichtigte Folgen haben können, die reflektiert werden müssen.

Globale Machtverschiebungen, wie sie sich derzeit abzeichnen, müssen in einem Paradigmenwechsel hin zu einer Friedenslogik analysiert und berücksichtigt werden.

Mögliche Prämissen einer Friedenslogik sind: das Vertrauen darauf, dass eine andere Welt möglich ist; Gewaltverzicht; Konfliktbearbeitung, die Gewalt abbaut, indem sie Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit nicht als absolute Werte begreift, sondern sie in Beziehung zum Gewaltabbau setzt.

Handlungen innerhalb der Friedenslogik sind in ihrer Ausrichtung zu unterscheiden, ob sie sich unmittelbar gegen Gewaltausübung oder gegen die strukturellen Ursachen der Gewalt wenden.

Friedenslogik ist inklusiv. Sie bezieht alle Konfliktakteure mit ein, nimmt ihre Interessen und Bedürfnisse genauso wahr und ernst wie die eigenen, erkennt und analysiert sich ggf. überlagernde Konflikte, konzentriert sich nicht auf Sanktionen, sondern auf »Belohnungen«, unterscheidet auch zwischen berechtigten und unberechtigten Ansprüchen der am Konflikt direkt oder indirekt Beteiligten.

Die Kritik der Länder des Südens am Leitbild der »liberalen Demokratie« ist berechtigt und muss ernst genommen werden.

Auch in einer Friedenslogik hat das Bedürfnis nach »Sicherheit« einen Platz und kann mit Begriffen wie »menschliche Sicherheit« oder »gemeinsame Sicherheit« beschrieben werden. Dabei ist »Frieden« das übergeordnete und »Sicherheit« ein abgeleitetes Ziel, nicht etwa umgekehrt.

Solange in der offiziellen Politik der Begriff »Konflikt« reflexartig dazu führt, dass die Zuständigkeit den Sicherheitspolitikern zufällt, muss ggf. nach Wegen gesucht werden, wie sich abzeichnende Konflikte bearbeitet oder transformiert werden können, ohne dass sie als solche benannt werden.

An Thementischen und in Arbeitsgruppen wurden anschließend Sicherheitslogik und Friedenslogik in einzelnen Politik- bzw. Arbeitsbereichen diskutiert. Die Spannweite reichte von der Außen- und Sicherheitspolitik über die Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechtspolitik bis zur Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Inland. Dabei wurde die Hypothese bestätigt, dass die Grundelemente eines Handelns, das der Friedenslogik entspricht, quer durch die Erfahrungsbereiche der TeilnehmerInnen starke Analogien aufweisen:

Betrachtung von Konflikt- bzw. Gewaltursachen statt Abarbeiten an den Symptomen,

langfristiges Denken und verlässliche Partnerschaften statt kurzfristiger »Projektitis«,

stetige Beschäftigung mit einem Thema statt abrupter Wechsel zwischen Dramatisierung/Skandalisierung und Verdrängung/Ignorieren,

flexibles Handeln bei gemeinsam definierten Zielen statt Festlegung auf bestimmte Instrumente (z.B. Bundeswehr, Verfassungsschutz) und Anpassung der Ziele an das, was mit diesen Mitteln erreichbar ist,

Bereitschaft zum Perspektivenwechsel (wie würde ich die Welt und den Konflikt aus Sicht der verschiedenen Konfliktbeteiligten sehen?).

Für die Weiterarbeit der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung wurde insbesondere gefolgert, dass eine engere Vernetzung bzw. ein intensiverer Erfahrungsaustausch zwischen Gruppen, die sich in der Inlandsarbeit engagieren, und denen, die in anderen Ländern aktiv sind, sinnvoll ist.

Innerhalb der Jahrestagung fand auch das Plenum der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung statt. Dazu gehörten die turnusmäßigen Gremienwahlen, aber auch die Entwicklung einer Arbeitsstruktur, um weiter an der Konkretisierung der Friedenslogik zu arbeiten und die Zivile Konfliktbearbeitung im Bundestagswahlkampf 2013 bzw. bei den sich daran anschließenden Koalitionsverhandlungen zum Thema zu machen.

Anmerkungen

1) Siehe den Abdruck ihres Vortrags in dieser Ausgabe von W&F.

2) Vgl. hierzu Lothar Brock: Vom Kriegs- zum Friedensrecht? W&F 1/2012.

Ute Finckh-Krämer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/2 Hohe See, Seite 53–54