W&F 2017/4

Friedenslogik weiter gedacht

von Christiane Lammers

Im W&F-Dossier 75, »Friedenslogik kontra Sicherheitslogik«, erschienen als Beilage zu Heft 2-2014, veröffentlichte W&F den Beitrag »Friedenslogik und friedenslogische Politik« von Hanne-Margret Birckenbach. Das Dossier resultierte im Wesentlichen aus Vorträgen, die bei der Jahrestagung 2012 der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung gehalten worden waren. In einem Projekt der Plattform wird nun weiter über diese Friedenslogik nachgedacht.

Schon seit 2010 liegt der Begriff »Friedenslogik« im Kontext der Friedensarbeit in der Luft. Menschen und Organisationen, die in der entwicklungspolitischen und in der Menschenrechtsarbeit, in der Friedensbewegung oder in der konkreten Friedensarbeit in Konfliktgebieten aktiv sind, wurden damit konfrontiert, dass ihre Arbeit von staatlichen Entscheidungsträger*innen zunehmend mit sicherheitspolitischen Zielen und Interessen verbunden wurde. In der Politik spricht man inzwischen wie selbstverständlich von der »vernetzten Sicherheit«.

Friedenslogik:
Wie der Begriff entstand

Bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelte sich darüber Unmut, weil klar ist, dass hier eine Vereinnahmung stattfindet, die sie aus guten Gründen nicht mitvollziehen wollen, denn Friedensarbeit und -politik gehen nicht von beliebigen Prämissen aus. Da stand plötzlich die »Friedenslogik« im Raum. Und wie es mit einer Wortgenese manchmal so ist: Eine Urheberschaft lässt sich für diesen Kunstbegriff nicht mehr festmachen, aber er wird zunehmend genutzt. Insofern zeichnen sich drei wichtige Funktionen des Begriffs »Friedenslogik« ab: Er stiftet Identität unter denjenigen, die ihre Arbeit explizit als Friedensarbeit verstehen; er bestimmt – Politik miteinbeziehend –, welchen Prinzipien ein gewaltpräventives Handeln folgt; damit kann er auch eine dritte Funktion erfüllen, nämlich aus Indifferenz herausführen und zur analytischen Durchdringung von Entscheidungen und Handeln im Sinne des »do no harm«-Ansatzes beitragen.

Handlungsdimensionen und Handlungsprinzipien

Den Kern der Friedenslogik bilden fünf Prinzipien, die mit fünf Handlungsdimensionen korrespondieren, zu denen sich jedwede politische Friedensarbeit verhält. Diese fünf Prinzipien wurzeln in Friedens- und Konflikttheorien ebenso wie in aus der Praxis gewonnenen Erkenntnissen. Die Handlungsdimensionen, um die es geht, lassen sich gut mit fünf Fragen beschreiben:

1. Was ist das Problem?

2. Wie ist das Problem entstanden?

3. Wie wird das Problem bearbeitet?

4. Wodurch wird eigenes Handeln gerechtfertigt?

5. Wie wird auf Scheitern und Misserfolg reagiert?

Bei Beantwortung dieser Fragen auf einer grundsätzlichen Ebene ergeben sich aus Perspektive der Friedenslogik folgende Handlungsprinzipien:

1. Gewalt soll verhindert bzw. gemindert werden.

2. Die für die Gewalt ursächlichen komplexen Konflikte werden mit einem besonderen Blick auf die eigene Rolle in dem Konflikt analysiert.

3. Dialog- und prozessorientiert wird eine kooperative Problemlösung angestrebt.

4. Legitim ist das Handeln durch den Rückbezug auf global gültige Normen.

5. Eine offene Reflexion über Erfolg und Misserfolg berücksichtigt auch mögliche gewaltfreie Alternativen.

Sicherheitslogik vs. Friedenslogik

Der friedenslogische Ansatz wird deutlicher in einer Gegenüberstellung mit den Mechanismen, die das auf Sicherheit fokussierte Handeln bestimmen, insbesondere das auf militärischem Instrumentarium fußende. In einer sicherheitspolitischen Betrachtung ist das Problem nicht die Gewalt, die Menschen erleiden, sondern das Problem sind Bedrohungen des eigenen abgegrenzten »Wir«, die durch »Andere« erzeugt werden. Statt einer Konfliktanalyse werden Schuld-Zuschreibungen vorgenommen, die die eigene Verantwortung für das ursächliche Aufkommen der Unsicherheit außen vor lassen. Die Bearbeitung des Problems erfolgt einseitig im Sinne des Selbstschutzes. Das Handlungsin­strumentarium zielt auf Abschreckung, Drohung und nötigenfalls auch Gewalt nutzende Elimination. Die Legitimation für dieses Handeln wird nicht aus den global gültigen Menschenrechten gezogen, sondern aus den entsprechend hoch eingestuften eigenen Interessen. Bei Misserfolg erwachsen aus der Reflexion über die Wirkung des eigenen Handelns keine Selbstkritik und keine Suche nach echten Alternativen, sondern es wird eher eine Verstärkung des Mitteleinsatzes, d.h. eine Eskalation, ins Auge gefasst. Alternativ führt das eigene Scheitern zu einer Abkehr von jedwedem Engagement in dem Konflikt.

Ein Blick in das »Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« von 2016 lässt erkennen, dass die deutsche Sicherheitspolitik genau diesen Prämissen folgt. Ein Blick auf den Umgang mit derzeitigen Herausforderungen, z.B. den Umgang mit der Türkei, mit Nordkorea, mit Israel-Palästina und nicht zuletzt mit den flüchtenden Menschen, zeigt auch, wie bestimmend die Sicherheitslogik für die so genannte Realpolitik ist.

Frieden – Grundprinzip der Agenda für nachhaltige Entwicklung

In der »Agenda 2030«, am 25. September 2015 beim UN-Nachhaltigkeitsgipfel der Staats- und Regierungschefs einstimmig verabschiedet und von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen als ein zukunftsweisendes Grundlagendokument anerkannt, ist Frieden weder ein Zustand noch der Gegenbegriff zu Krieg. Vielmehr wird Frieden neben den Handlungsfeldern Mensch, Planet, Wohlstand und Partnerschaft ausdrücklich als handlungsleitendes Prinzip für nachhaltige Entwicklung anerkannt. Mit dieser Verankerung als Prinzip soll Frieden tragende Bedeutung für alle Entscheidungen und Vorgehensweisen gewinnen: lokal, national, international, bis hin zu global. Die »Agenda 2030« folgt, wenn man so will, einem friedenslogischen Ansatz: Friedensarbeit und -politik ist nicht reduzierbar auf zwischenstaatliche, territoriale Konflikte und ist damit auch nicht allein Sache der Außen- und Sicherheitspolitik, sondern Frieden betrifft alle Politikfelder. Gesellschaftliche Akteure sind ebenso gefragt wie politische Akteure, ohne jedoch den jeweiligen Handlungsradius und die Verantwortlichkeiten außer Acht zu lassen.

Rohstoffressourcen –
ein Beispiel

Am Beispiel Rohstoffressourcen kann dies, hier in aller Kürze, veranschaulicht werden. In sicherheitspolitischen Dokumenten, z.B. dem »Weißbuch«, wird das Stichwort »Rohstoffe« ausschließlich im Kontext der Sicherung der Ressourcen zugunsten der eigenen wirtschaftlichen Interessen genannt. Das »Weißbuch« spricht davon, dass „angesichts der Vielzahl potenzieller Ursachen und Angriffsziele […] Deutschland mit seinen Verbündeten und Partnern flexibel Elemente seines außen- und sicherheitspolitischen Instrumentariums einsetzen [muss], um Störungen oder Blockaden vorzubeugen oder diese zu beseitigen“ (S. 41). Hierzu gehört beispielsweise die Operation Atalanta mit bis zu 600 deutschen Soldaten am Horn von Afrika. Als neues »Element« hervorgehoben werden die so genannten Ertüchtigungsinitiativen, die auf Beratung, Ausbildung und Ausrüstung (einhergehend mit Rüstungsexport) der staatlichen Sicherheitsorgane abheben.

Friedenslogisch betrachtet stellt sich das Beispiel Rohstoffressourcen vollkommen anders dar: Mit der Ausbeutung und Verwertung von Rohstoffen ist vielfache Gewalt verbunden. In rohstoffreichen Ländern gibt es häufig gewaltförmige Konflikte über den Besitz und die Kontrolle von Bergwerken, Infrastruktur und Handelswegen. Die Arbeiter*innen werden menschenunwürdig behandelt, ihre Rechte werden missachtet. Zudem sind Staaten, deren Einnahmen zu einem großen Teil aus dem Verkauf von Rohstoffen stammen, oft autoritär regiert, und Machthaber speisen ihren Machterhalt mit den Rohstoffgewinnen. Die Umweltzerstörung durch die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen zerstört die Lebensgrundlagen vieler Menschen und nährt damit auch zukünftige gewaltsame Konflikte.

Wir sind auf vielfältige Weise an diesen Gewaltkonflikten beteiligt: Unsere Exportwirtschaft hat eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen; unsere Banken finanzieren auch den Rohstoffmarkt; als mächtiger Staat gestalten wir die Rahmenbedingungen der globalen Wirtschaft mit; auch als Verbraucher*innen profitieren wir von den Zuständen. Deshalb können wir und unsere Politik zur Verminderung von Gewalt beitragen: wenn unsere Unternehmen und Banken stärker auf die Einhaltung der Menschenrechte bei ihren Zulieferern bzw. Kreditnehmern achten und dafür auf einen Teil der möglichen Rendite verzichten; wenn unser Staat Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, die Lieferketten menschenrechtskonform auszurichten; oder wenn die massiven Umweltkosten nicht auf die Produktionsländer und deren Gesellschaften abgewälzt werden, sondern die Unternehmen diese tragen müssen, letztlich also auch wir als Verbraucher*innen. Die Umsetzung einer menschenfreundlichen und umweltschonenden Wirtschaftsweise bei uns würde auch gewaltsamen Konflikten woanders vorbeugen.

Im Sinne der Friedenslogik wäre zu überprüfen, ob diese beispielhaft angeführten kleinen Schritte gewaltmindernd wirken. Sicherlich gibt es noch weitere Prozesse, die von uns angestoßen bzw. die mit unserem eigenen Handeln, sei es als Bürger*in oder als Staat, beeinflusst werden können. Für ein kohärentes »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« – so der Titel der im Juni 2017 von der Bundesregierung verabschiedeten Leitlinien – bedürfte es sowohl einer Art Friedensverträglichkeitsprüfung als auch eines Umsetzungsplans für klar definierte strategische Ziele, z.B. in Bezug auf das obige Beispiel Rohstoffe.

»Friedenslogik weiterdenken – Dialoge zur Friedensarbeit und Politik«

Innerhalb des vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung wurde im noch laufenden Projektjahr politisches und gesellschaftliches Handeln darauf hin befragt, wie sich die Prinzipien der Friedenslogik umsetzen lassen bzw. bereits umsetzen ließen. Veranstaltungen und Workshops widmeten sich Themen wie den zivilen Lösungsmöglichkeiten für Syrien‚ dem Umgang mit Extremist*innen bzw. Gewaltbejahenden, den Ansprüchen an eine Friedensethik der Kirchen, der Kompatibilität mit der Menschenrechtsarbeit, der Übertragbarkeit auf andere Kulturräume und der Anwendbarkeit auf soziale Konflikte. Im Herbst finden weitere Veranstaltungen statt, u.a. zur Friedenskultur, zum Leben ohne Rüstung und zur Friedensbildung.

Im nächsten Jahr soll das Projekt fortgesetzt werden, um die Einzelergebnisse zu bündeln und als Wissensressource zu nutzen, um politische Prozesse – wie die Umsetzung der »Agenda 2030« und der Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« – kritisch zu begleiten, um das Projekt in den Theorie-Praxis-Diskurs der Friedens- und Konfliktforschung einzubringen und auch, um eine Multiplikator*innenschulung zu entwickeln, damit die Friedenslogik nach Ende des Projekts weiter ein Thema bleibt. Die Projektbeteiligten hoffen, dass das Auswärtige Amt der weiteren Projektförderung zustimmt.

Christiane Lammers ist Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Projektleiterin sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin der FernUniversität in Hagen. Kontakt und weitere Informationen: konfliktbearbeitung.net/friedenslogik.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/4 Eingefrorene Konflikte, Seite 45–47