W&F 2020/2

Friedenslogik

Eine praxisorientierte Theorie mit noch offenen Enden

von Christiane Lammers

Seit mehr als zehn Jahren arbeiten Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen und Bildungsarbeiter*innen an einem Konstrukt, das unter dem Begriff »Friedenslogik« firmiert. Die Zusammenführung verschiedener Perspektiven, Erfahrungswissensbestände und theoriegeleiteter Zugänge ermöglichte, dass aus dem anfangs eher intuitiven Gegenbegriff zu der in den 2000er Jahren allseits beschworenen »vernetzten Sicherheit« eine Theorie für die Arbeit am Frieden wurde. Gleichwohl sind viele Fragen noch offen.

Das Grundgerüst der Friedenslogik fußt auf der Erkenntnis, dass Frieden einerseits durch die Abwesenheit von Gewalt und andererseits durch Beziehungssysteme bestimmt ist. Ziel des Konzepts ist, zu einer Veränderung von Praxis beizutragen, sei es auf sozialer, sei es auf politischer Ebene. Die Richtung ist jedoch klar: Es geht um die Verminderung von Gewalt.

Fünf Handlungsprinzipien wurden von H.-M. Birckenbach herausgearbeitet,1 sodass auf der Grundlage wesentlicher Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung ein praxistaugliches, kohärentes Gerüst entstand.

1. Gewaltabbau und Gewaltprävention

Friedenslogisch betrachtet wird bei der Konfliktbearbeitung die Gewaltdimension in den Mittelpunkt gerückt. Bestehende Gewalt soll verringert, drohende Gewalt verhindert werden. Gewalt wird nach Galtung hierbei verstanden als Erfahrung der Nichtbeachtung von Grundbedürfnissen.

Mit der Prämisse, primär danach zu fragen, wo Menschen in einem Konflikt Gewalt erfahren, wird automatisch die Opferperspektive viel zentraler als dies bei nicht-friedenslogischem Handeln der Fall ist. Viele politische Entscheidungen müssten anders getroffen und vor allem begründet werden, wäre die Opferper­spektive ausschlaggebend für die Fokussierung auf einen Konflikt.

Eines der einleuchtendsten Beispiele für die Nichtbeachtung dieses Prinzips ist das der Rüstungsexporte. Die Entscheidung, ob Menschen Opfer werden durch den in Kauf genommenen Einsatz deutscher Waffen, wird aufgrund der folgenden, offiziell geltenden Prüfkriterien getroffen: Achtung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, keine Nutzung des Rüstungsgutes zur Verschärfung von Spannungen oder zu sonstigen friedensstörenden Handlungen. Angewandt werden diese Kriterien nur auf Nicht-NATO-Importstaaten, also z.B. nicht auf die Türkei. Und trotz dieser Kriterien werden Waffen an die Vereinigten Arabischen Emirate und an Ägypten (beide beteiligt am Krieg im Jemen) geliefert.

2. Konfliktanalyse unter Einbeziehung eigener Verantwortung

Konfliktbearbeitung kann nur gelingen, wenn eine tiefreichende Konfliktanalyse die Komplexität des Konfliktes erfasst. Hierzu gehört ein so genanntes Akteursmapping über die Beteiligten, die Art ihrer Beteiligung und ihrer Beziehungen, ebenso wie Klarheit über Konfliktursachen, mit dem Konflikt verbundene Interessen etc. Die Analyseinstrumente stehen schon seit Jahrzehnten zur Verfügung, auch das Datenmaterial könnte aufgrund vielfältiger Informationsquellen in der transparent gewordenen, global vernetzten Welt zusammengeführt werden. Säulendenken in Form von ministeriellen Abgrenzungen, die Nichtberücksichtigung zivilgesellschaftlicher Warnungen, Handlungsbereitschaft erst in eskalierten Situationen und die daraus resultierende Kurzfristigkeit des Handelns oder gar das Bestreben, mithilfe eines entsprechenden Handlungsinstrumentariums Macht zu demonstrieren, verhindern eine frühzeitige und umfassende Konfliktanalyse.

Ein weiterer Anspruch bleibt oft unerfüllt: Soll die Analyse zu wirksamen Handeln führen, dann ist ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, wo man selbst Anteile an dem Konflikt hat. Die Veränderung eigenen Handelns ist allemal einfacher als auf das Handeln Dritter Einfluss zu nehmen. Dies betrifft in einer Vielzahl von Fällen vor allem mittelbare Wirkungsketten, die es nachzuzeichnen gilt.

Viele Beispiele hierfür finden sich in der Verschlechterung der existenziellen Lebensbedingungen als Konfliktursache. Aktuell wird dies in Bezug auf die ökologisch verursachten Konflikte thematisiert, die ihren Ausgangspunkt in den von uns zu verantwortenden Klimaveränderungen hat. Es geht aber auch um das »Land Grabbing«, also die Aneignung von Land auf Kosten von Kleinbauern, um Nahrungsmittel für den Weltmarkt anzubauen, oder um unsere Nahrungsmittelexporte, die in den Importgebieten die heimische Landwirtschaft zerstören.

Andere Beispiele sind Folge der Finanzierung gewaltförmiger Konflikte. Sie reichen vom Handel mit »Blutdiamanten« über den Kauf wertvoller Kulturgüter aus den so genannten IS-Gebieten bis hin zum Erdölimport aus dem Mittleren Osten.

3. Deeskalation und Konflikt­bearbeitung unter Beachtung der Dialog- und Prozessverträglichkeit

Mit Blick auf die Opfer gewaltförmiger Konflikte ist die Deeskalation eines Konflikts zentral.

Das Handeln soll also darauf gerichtet sein, wie eine Situation entschärft werden kann. In zweierlei Hinsicht ist dies von Bedeutung: Einerseits wird die Gewaltanwendung verringert und damit werden Opfer geschützt; andererseits wird der Konflikt selbst, also in seiner Substanz, einer Bearbeitung zugeführt. Mit Deeskalation ist nicht gemeint, dass nach einer Gewaltminimierung die Bearbeitung des Konfliktes ad acta gelegt wird. Ausgehandelte Waffenruhen sind sehr fragil, Schutzzonen unter UN-Mandaten sind nur eine Notlösung.

Der Vielfältigkeit von Konfliktbearbeitungsformaten sind im Konzept der Friedenslogik keine Grenzen gesetzt. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich vor dem Handeln nicht nur Klarheit über den Konflikt verschafft hat, sondern auch über die eigene realistische Zielsetzung, die damit verbunden ist.

Zwei friedenslogische Ansprüche an die Konfliktbearbeitung geben dieser zusätzliche Orientierung: Die Dialogverträglichkeit greift die Erkenntnis auf, dass Konflikte am Ende, jenseits einer Friedhofsruhe, nur in einem Dialog zwischen den beteiligten Akteuren geregelt werden können, also kooperativ. Werden Maßnahmen getroffen, die der Schaffung von Dialogmöglichkeiten entgegen stehen, etwa durch Vorbedingungen, die einer Seite unannehmbar erscheinen, oder durch Ignoranz gegenüber Konfliktakteuren und entsprechende Ausschlussverfahren, dann wird die Wahrscheinlichkeit einer guten, nachhaltigen Lösung geringer. Ähnliches gilt für die Prozessverträglichkeit der getroffenen Entscheidungen: Sind Handlungen nicht eingebunden in einen Gesamtprozess, so wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht nachhaltig wirken, ins Leere laufen oder sogar kontraproduktiv sind, wesentlich erhöht.

Ein jüngstes Beispiel für die (späte) Einsicht in die Notwendigkeit einer kooperativen Problemlösung sind die nun begonnenen Dialoge der US-amerikanischen Regierung über die Zukunft Afghanistans unter Einschluss der Taliban. Ein anderes Beispiel ist der stetig gewaltförmige Konflikt zwischen Israel und Palästina, aus dem es kein Entrinnen gibt, wenn nicht beide Seiten in einen Dialog treten zur Aushandlung der verschiedenen berechtigten Interessen.

4. Werteorientierte Überprüfung und Unterordnung bzw. Modifikation eigener Interessen

Politisches Handeln in demokratisch organisierten Systemen muss begründet werden. Begründungen legitimieren nicht nur Handlungen, sondern sie können auch helfen, das Handeln entsprechend zu qualifizieren. Das vierte Prinzip der Friedenslogik nimmt eine Einordnung der im Raum stehenden Begründungen für »Interventionen« in Konflikten vor. Es betrifft sowohl die Grundsatzentscheidung, ob überhaupt interveniert wird, als auch die Einzelentscheidungen über Maßnahmen, also das Wie. Im Raum der Begründungszusammenhänge stehen die ethischen Werte, denen Handeln genügen muss, aber auch die Interessen, die Akteure mit ihrem Handeln konkret verfolgen. Für Deutschland gilt, dass Handeln zweifach ethisch gebunden ist: zum einen durch das Grundgesetz Art. 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“) und Art. 2 („Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“), zum anderen durch die Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen, also das Völkerrecht. Im alltäglichen Handeln werden diese Werte nur allzu oft in den Hintergrund gerückt. In den Begründungen dominieren oft Interessen, die eher kurzfristig und eindimensional sind, oder es findet eine Gleichsetzung bzw. Gleichwertsetzung von ethischen Grundsätzen mit Interessen statt. So werden z.B. in den »Verteidigungspolitischen Leitlinien« der Bundesregierung die „Werte“ der deutschen (Sicherheits-) Politik und „unsere Interessen“ gleichermaßen und gleichrangig betont.

Um dieser Verwischung vorzubeugen und damit auch dem ersten friedenslogischen Prinzip gerecht zu werden, bedarf es einer ständigen werteorientierten Überprüfung des Handelns. Der mögliche Widerspruch zu vermeintlichen Interessen kann nur aufgelöst werden, indem eigene Interessen hintangestellt, modifiziert oder korrigiert bzw. Handlungsoptionen gefunden werden, die sowohl den Werten entsprechen als auch die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen. Einfach ist dies nicht!

Ein Beispiel: In der Diskussion um die Notwendigkeit von Rüstungsindus­trie ist ein häufig vorgebrachtes Argument das des Erhalts von Arbeitsplätzen. Dem Wert, Gewalt durch Rüstungsproduktionsabbau vorzubeugen, steht das Interesse, Arbeitsplätze zu erhalten, entgegen. Dieser Widerspruch kann durch Rüstungskonversion aufgelöst werden. Ein anderes Beispiel, bei dem es ganz klar um die Unterordnung von Interessen gehen muss, ist die Flüchtlingsrettung, sei es direkt aus dem Mittelmeer, sei es aus den humanitär katastrophalen Bedingungen auf den griechischen Inseln und in anderen Flüchtlingslagern.

5. Offene Reflexion des bisherigen Vorgehens und Möglichkeit zur Korrektur

Fehleinschätzungen beim Handeln in Konflikten liegen fast in der Natur der Sache, insbesondere wenn es um Handeln in anderen kulturellen Zusammenhängen, um eine Gemengelage von beteiligten Akteuren, um historisch gewachsene Konflikte, um politische Machtinteressen versus gesellschaftliche Entwicklung geht. Oftmals werden nicht-intendierte Wirkungen nach anfänglichen Erfolgen erst mittelfristig, d.h. mit Verzögerung, sichtbar. Um nicht in diese Falle zu laufen, gilt es Vorkehrungen zu treffen. Hierzu gehört neben der oben schon angesprochenen genauen Klärung realistischer Ziele und einer Fortschreibung der Konfliktanalyse eine ständige prozessbegleitende Überprüfung der Wirkungen. Evaluationsinstrumente müssen das Handeln begleiten; die Reflexion muss ergebnisoffen und durch unabhängige Kompetenzträger qualifiziert werden. Die Implementierung einer Fehlerkultur ist vonnöten. Darunter ist nicht die Ignoranz gegenüber Fehlern zu verstehen, sondern ein konstruktiver Umgang mit ihnen. Statt der Konzentration auf Fehlervermeidung, der Fehlervertuschung und der Tendenz zum Nichthandeln wird aus Fehlern produktiv gelernt und nach Alternativen gesucht.

An Wissen und auch an für die Anwendung dienlichen Instrumenten zur Planung, Beobachtung und Bewertung (Planning, Monitoring, Evaluation) mangelt es bei zivilgesellschaftlicher Friedensarbeit zumeist nicht. Hier ist es auch Usus, dass diese Instrumentarien fester Bestandteil von Ausbildungsprogrammen sind. In staatlichen und politischen Handlungsräumen werden diese Instrumentarien dagegen noch eher verhalten angewandt, zumindest jedoch die Ergebnisse einer offenen Diskussion vorenthalten.

Der Umgang mit den verschiedenen militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte ist ein Paradebeispiel hierfür. Der von vielen als gescheitert eingestufte Bundeswehreinsatz in Afghanistan führte zumindest zu einer parlamentarischen Beratung über die Notwendigkeit von Evaluationen. Entsprechende Gesetzentwürfe der Jahre 2016 und 2018 wurden jedoch u.a. mit dem Argument abgelehnt, durch Evaluationen würde das Regierungshandeln eingeschränkt.

Sicherheitslogik vs. Friedenslogik – eine Übersicht

Die Erfahrung, dass aktuelle friedenspolitische Debatten in den letzten 20 Jahren zunehmend durch sicherheitspolitische Strategien und Konzepte dominiert oder verdrängt wurden, legt es nahe, auch die immanenten Unterschiede zwischen Sicherheitslogik und Friedenslogik deutlich zu machen. Unter Mitwirkung von Sabine Jaberg und in Ergänzung zu ihren bisherigen Arbeiten wurde eine tabellarische Übersicht entwickelt (siehe Tab. 1). Sie orientiert sich an Leitfragen, die im Rahmen der konzeptionellen Entwicklung einer Konfliktbearbeitung zu beantworten sind. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch hier geht es um theoretisch hergeleitete Prinzipien und Prämissen, nicht um eine 1:1-Abbildung von Realitäten, die immer komplexer als beschrieben und von Grautönen geprägt sind.

Fragestellung und Sicherheitslogische Antwort Friedenslogische Antwort
Handlungsfokussierung
Was wird als Problem wahrgenommen? Bedrohung, Gefahr, Unsicherheit Gewalt, die stattfindet oder bevorsteht
Handlungen orientieren sich an Gefahrenabwehr und Verteidigung Gewaltprävention und Gewaltminimierung zum Schutz von Betroffenen
Wodurch ist das Problem entstanden? Durch andere/von außen kommend als Folge komplexer Konflikte
Handlungen zielen auf Schuldzuschreibung, Wahrung eigener Interessen Konfliktanalyse und Konflikttransformation – eigene Konfliktanteile einbeziehend
Wie wird das Problem bearbeitet? mit Selbstschutz (Abschreckung, Drohung, Einsatz von Gewaltmitteln) durch kooperative Konfliktbearbeitung
Handlungsansätze sind Abschottung, Ausbau des Sicherheitsapparats, Drohungen bis hin zum Einsatz von Gewaltmitteln Deeskalation, Schutzmaßnahmen für Opfer, gewaltlose Konfliktbearbeitung – dialogverträglich und prozessorientiert
Wodurch wird eigenes Handeln gerechtfertigt? mit dem Vorrang eigener Interessen mit der Universalität von Menschen- und Völkerrecht
Rechtfertigung führt zu Relativierung, Unterordnung und Anpassung von Normen an eigene Interessen werteorientierter Hinterfragung eigener Interessen und ihrer Modifikation im Sinne globaler Normen
Wie wird auf Scheitern und Misserfolg reagiert? mit Selbstbestätigung, ohne Selbstkritik mit offener, kritischer Reflexion
Handlungsfolge ist Verschärfung der bisher eingesetzten Mittel oder Rückzug in die Passivität Einräumung von Problemen bzw. Fehlern und Suche nach gewaltfreien Alternativen

Tab. 1: Quelle: Flyer »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 2. Aufl., 2019.

Die offenen Enden des roten Fadens Friedenslogik

Sicherlich liegen dem Leser/der Leserin schon viele Fragen auf der Zunge, die auf die konkrete Umsetzung der theoretischen Prämissen des Konzepts abzielen. Ohne diesen ausweichen zu wollen, sei zunächst betont, dass es sich bei dem Konzept oder besser Konstrukt nicht um einen Instrumentenkasten handelt, den man einfach so auspacken und ohne weiteres Nachdenken nutzen kann. Theorie kann vor allem helfen, Wirklichkeit zu reflektieren und zu erklären, im Falle der Friedenslogik aber auch, Handlungsorientierung zu geben.

In der Arbeit an und mit der Friedenslogik wurde die Theorie auf verschiedene Felder der Friedens- und Konfliktarbeit angewandt. Dabei wurden weiter zu durchdenkende Fragekomplexe sichtbar:

  • Gewalteinsatz zur Verhinderung von Gewalt ist seit jeher ein hoch problematisches Thema. Allein der Hinweis auf die dringende Notwendigkeit von Gewaltprävention oder der Verweis auf den Erfolg gewaltfreier Gegenwehr reichen als Antwort der Friedenslogik m.E. nicht aus. Normen, wie das Völkerrecht, haben Gewalt nicht grundsätzlich geächtet, jedoch die Legitimität eng begrenzt. Zusätzlich zu dieser »Eindämmung« kommt friedenslogisch betrachtet die Notwendigkeit hinzu, dass ein Gewalteinsatz die Gewaltspirale nicht weiter in Schwung bringen darf. Auch oder gerade beim Einsatz von Gewalt müssen die Opfer weiter im eigenen Handlungsfokus bleiben, Wege zur gewaltfreien Konfliktbearbeitung dürfen nicht versperrt werden. Ob dies realistisch betrachtet möglich ist, ist vorläufig eine offene Frage.
  • Sicherheit ist – begrenzt – ein legitimes Bedürfnis oder Anliegen. Sie zu gewährleisten gilt als ureigenste Aufgabe des Staates. Wenn Sicherheitspolitik aber der oben kurz skizzierten Eigenlogik unterliegt, wie kann diese durchbrochen werden? Lässt sich eine Systematik entwickeln, die das sicherheitspolitische Instrumentarium kompatibel mit friedenslogischen Prinzipien macht? Konzepte der »Gemeinsamen Sicherheit« sind hierzu ein Stichwort.
  • Zwischen Friedens- und Entwicklungsarbeit wird seit den Anfängen der Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland ein Zusammenhang gesehen, insbesondere auch bezüglich der Prävention von Gewalt. Dieser Nexus ist noch weitgehend undefiniert. Neuere Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass Inklusion ein zentrales gemeinsames Element ist. Auch ist zu beobachten, dass Friedens- und Entwicklungsförderung nicht linear zueinander erfolgen. Langfristig angelegte Transformationsprozesse könnten ein Schlüssel sein, verlangen aber ihrerseits ein komplexes, kaum handhabbares Setting.2
  • In der Menschenrechtsarbeit spielt die Frage des Schuldeingeständnisses und der Wiedergutmachung eine große Rolle. In der Praxis der Konfliktbearbeitung wird dies manchmal eher als hinderlich gesehen, um sich offen und unbelastet der »Zukunft« zuzuwenden. Vergangenheitsbewältigung erscheint deshalb nachrangig bei der Bewältigung aktueller Probleme. Konfliktanalyse, werteorientierte Bearbeitung und kritische Reflexion könnten die Kompatibilität herstellen.
  • Die Dialoggestaltung zwischen Konfliktbeteiligten ist in der Praxis eine Herausforderung. Täter- und Opfer-Zuschreibungen spielen eine Rolle, Machtsysteme eine noch größere, ebenso die Frage, durch wen und wie eine Moderation erfolgen kann, wie Verbindlichkeit hergestellt wird etc.

Aus Forschung und Praxis der Mediation gibt es hierzu wichtige Beiträge, die diese Problematiken aufgreifen. Sie sind jedoch noch zu wenig implementiert.3

  • Der Anspruch der Deeskalation widerspricht dem Verständnis, dass eine Konfliktverschärfung notwendig sei, um »an den Verhandlungstisch zu zwingen«. Erst durch die Eskalation würde eine öffentliche Sichtbarmachung erfolgen, wäre die Überführung in eine Konfliktbearbeitung möglich. Es stellt sich dann die Frage, auf wessen Kosten die Eskalation geht und ob dieses legitim ist und gewaltmindernd wirkt. Ist z.B. die Verweigerung von Medikamentenlieferungen friedensfördernd, um durch die damit erhoffte Destabilisierung Verhandlungsbereitschaft herzustellen? Hier bedarf es zumindest auch einer Plausibilitätsprüfung des Verhaltens.
  • Der ethische Maßstab »Menschenrechte« löst noch nicht das Problem, dass es im konkreten Fall Unvereinbarkeiten zwischen verschiedenen ethisch begründeten Werten geben kann. M.E. gibt es eine schwierige, aber doch zu rechtfertigende Priorisierung der Werte mit der Vorrangigkeit des Rechts auf Leben und der Unversehrtheit der Person. Vielleicht bleibt in bestimmten Situationen nur die Priorisierung humanitärer Handlungsoptionen anstatt direkt die Konfliktbearbeitung anzustreben.
  • Wie kann die Theorie der Friedenslogik wirkmächtiger werden? Im Rahmen des Projekts »Friedenslogik weiterdenken« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (2016-2017) und seitdem weit darüber hinaus wurden Workshops veranstaltet, fanden Vorträge in unterschiedlichen Organisationszusammenhängen statt. Die friedenslogischen Prinzipien wurden in Arbeitskonzepte integriert, wurden explizit zum Bestandteil von Fortbildungen, waren Bezugspunkt für Kritik an der herrschenden Politik. Ebenso wie für den Friedensbegriff ist es auch für die Friedenslogik vordringlich, sie nicht als zeitgeschichtlich gebundenes Konstrukt ad acta zu legen, sondern mutig daran und damit zu arbeiten.

Anmerkungen

1) Die erste umfangreichere Publikation zur Friedenslogik war das W&F-Dossier 75, »Friedenslogik statt Sicherheitslogik«, Beilage zu W&F 2-2014. Weiterführende Literatur- und Veranstaltungsberichte sind der Webseite der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung zu finden: konfliktbearbeitung.net/friedenslogik.

2) Siehe dazu Wolff, J. et al: Frieden und Entwicklung 2020 – Eine Analyse aktueller Erfahrungen und Entwicklungen. Frankfurt a.M.: Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

3) Siehe dazu beispielsweise die Ausführungen zu einem Projekt des Berghof-Forschungszentrums: Göldner-Ebenthal, K. (2019): Verhandeln mit Jihadisten – Worauf kommt es an? Debattenbeitrag in peacelab.blog, 11.12.2019.

Christiane Lammers ist Redaktions- und Vorstandsmitglied von W&F, Mitglied der Arbeitsgruppe »Friedenslogik« der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und wiss. Mitarbeiterin der FernUniversität in Hagen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/2 Frieden begreifen, Seite 36–39