W&F 2015/3

Friedenslogische Flüchtlingspolitik

Jahrestagung 2015 der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, 16.-18. April 2015, Bad Boll

von Christiane Lammers

Im Frühjahr 2014, also noch bevor in Deutschland wieder von einer »Flüchtlingswelle« die Rede war, hatte sich das Plenum der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung dafür ausgesprochen, die Jahrestagung 2015 der Flüchtlingsarbeit und ihren politischen Bedingungen zu widmen. Damit sollte die inhaltliche Verbindung zwischen Konfliktbearbeitung im In- und im Ausland weiter im Fokus bleiben wie auch die praxisorientierte Zu- und Anwendung des Konzepts »Friedenslogik« ins Zentrum gerückt werden. Es sollte geprüft werden, ob dieses in den letzten drei Jahren entwickelte Gegenkonzept zur »vernetzten Sicherheit« sich auch als aussage- und tragfähig im Konfliktfeld Flucht und Asyl erweist.

Um die Brücke zwischen In- und Auslandsarbeit sowie Praxis, Theorie und Politik zu schlagen, suchte die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung zur Vorbereitung der Jahrestagung 2015 nicht nur die bewährte Kooperation mit einer Evangelischen Akademie, sondern der Veranstalterkreis erweiterte sich über die Plattform-Mitgliedsorganisationen Brot für die Welt/Evangelischer Entwicklungsdienst und Evangelische Akademie Bad Boll hinaus auch um zwei weitere zivilgesellschaftliche Netzwerke: Pro Asyl und das Netzwerk Flüchtlingsforschung.

Weit mehr als 100 Teilnehmende und Mitwirkende reisten zur Tagung »Leitbild Frieden – Wege zu einer friedenslogischen Flüchtlingspolitik« nach Bad Boll an. Sie erwartete ein spannendes Tagungsprogramm, durchzogen mit einem Wechselspiel zwischen

  • der Beschreibung der realen Lebenssituationen der Flüchtlinge,
  • der Vorstellung von »best practise«-Beispielen der Flüchtlingsarbeit,
  • der Darstellung und Diskussion der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der politischen Entscheidungen und Reaktionen und
  • der wissenschaftlichen Differenzierung und Strukturierung von Handlungsmöglichkeiten, die Friedensprinzipien und ziviler (nicht gewaltförmiger) Konfliktbearbeitung verpflichtet sind.

Zu Tagungsbeginn folgten die TeilnehmerInnen einem Podiumsgespräch, welches unterschiedliche Aspekte der Debatte in den Blick nahm, darunter die Konsequenzen aus der europäischen Flüchtlingspolitik, wie beispielsweise die Abschaffung des italienischen Seenot-Rettungsprogramms »Mare Nostrum«, aber auch die Diskrepanzen zwischen der legalen Situation und den realen alltäglichen Problemen von Flüchtlingen in Deutschland sowie den deutschen Einfluss auf Konfliktursachen (wie die Kooperation mit autoritären Regimen, die notschaffende EU-Handelspolitik, der Lebensraum vernichtende Klimawandel).

Der Vortrag von Hanne-Margret Birckenbach zur Anwendung friedenslogischer Prinzipien auf die Flüchtlingsarbeit schuf am zweiten Tag den theoretischen Rahmen für die in den Arbeitsgruppen vorgestellten Praxisfelder. Besonders beeindruckend waren hier die Wortbeiträge selbst von Flucht betroffener Aktivistinnen und Aktivisten. Deutlich wurde, dass zwei Ansätze aus der Entwicklungszusammenarbeit auch in der Flüchtlingsarbeit ihren Sinn haben: das Empowerment zur Selbstorganisation der Betroffenen und die über die humanitäre Hilfe hinausgehende, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Bearbeitung der Kriegs- und Krisenursachen.

Insbesondere im Rahmen eines »Marktplatzes der Ideen« wurde vielfach die hohe gesellschaftliche Bereitschaft thematisiert, die sogenannte Willkommenskultur auf- und auszubauen, und dass in diesen Zusammenhängen auch außen- und sicherheitspolitische Diskussionen zunehmen, die über die gemeinsame Entwicklung von Hilfsangeboten weit hinausreichen. Dies weist auf eine Politisierung jenseits von Pegida-Demonstrationen und rechtsradikalen Übergriffen sowie auf die Widersprüche in Staat und Gesellschaft hin: globale Solidarität versus egozentrische Abschottung.

In der die Tagung abschließenden Diskussion mit zwei Abgeordneten des europäischen und deutschen Parlaments wurden Initiativen der Oppositionsparteien diskutiert. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in Berlin wie in Straßburg war die Skepsis gegenüber der Durchsetzbarkeit beispielsweise einer Aufhebung des Dublin-III-Abkommens groß. Darüber hinaus mahnte der am Podium beteiligte Flüchtlingsvertreter der Assoziation der Abgeschobenen Malis (AME) an, die Fluchtursachen, insbesondere die globalen wirtschaftlichen Strukturen, in den Blick zu nehmen. Damit wurden die Tagungsteilnehmenden nochmals auf die dringend notwendige Vernetzung der Friedens-, Konflikt-, Entwicklungs- und Flüchtlingsarbeit hingewiesen. Wie existentiell dieses Engagement ist, zeigt der Umstand, dass an den Tagungstagen erneut mehr als 1.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken.

Links und Literatur

Tagungsprogramm unter ev-akademie-boll.de.

Ulrich Frey, Christiane Lammers, Hanne-Margret Birckenbach, Sabine Jaberg, Christine Schweitzer und Andreas Buro (2014): Friedenslogik statt Sicherheitslogik – Theoretische Grundlagen und friedenspolitische Realisierung. W&F-Dossier Nr. 75.

Kommentare zu dem aktuell vorgestellten Strategiepapier der EU-Kommission: Pro Asyl: EU will Quoten und Militäreinsatz – Warme Worte, harte Taten. 25.5.2015. Brot für die Welt: EU-Migrationsagenda – was kommt nach dem Scheitern? 17.5.2015.

Ein Hinweis zum Handeln von Pro Asyl: Wir treten ein – Für Flüchtlingsschutz. Gegen Dublin III. wir-treten-ein.de.

Christiane Lammers

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/3 Friedensverhandlungen, Seite 56–57